# 51 Die warme Sofi, der Tod im Gebirg und der Maikäfer in der Tomatensoße.

An Christi Himmelfahrt  strömen die Massen in die Bierzelte, allerorten torkeln besoffene Männer herum oder stehen schwankend und schwitzend irgendwo beim Pinkeln, um Platz zu machen für weitere Liter diverser Flüssigkeiten. Das einzig Schöne, wenn man es nicht vermeiden kann, an diesem zweifelhaften „Vatertag“ auf der Straße unterwegs zu sein, ist, daß man viele alte Traktoren sieht, die zu den Bulldogtreffen fahren. Ich sehe etliche typisch graublaue „Eicher“, die genauso ausschauen wie unser alter daheim, den wir sehr lieben.

Wer denkt eigentlich an diesem Tag der Himmelfahrt an den  auferstandenen Christus, der ja da hinauf in den Himmel muß, um eine Dreiheit zu bilden, damit das Ganze dann als Heiliger Geist an Pfingsten wieder zu uns herabsegelt? Die ganze Geschichte mit der Himmelfahrt , den beiden weißgekleideten Männern, die kryptische Sachen sagen und dann dieser Feuerzungenzauber an Pfingsten ist mir heute noch genauso unerklärlich und unverständlich wie schon als Kind. Aber ich würde es auf jeden Fall sinnvoller finden, miteinander darüber zu sprechen und gemeinsam zu rätseln und die alten Texte zu lesen, die Ursprünge zu erforschen,  als dieses unselige, versoffene Zelebrieren einer fragwürdigen Männlichkeit.

Mein Papa hatte immer viel zu tun am Himmelfahrtstag, weil da seine kleine Lieblingsbrauerei neben den Traktoren auch ein Schnauferltreffen mit alten Motorrädern veranstaltet hat. Und „der Bräu“, der für meinen Vater wie früher einer der anerkannten Honoratioren war und den er sehr mochte, teilte ihn im Platzanweisungsteam ein, da gab es dann ein Essen und hinterher als Lohn mindestens 10 Tragerl von dem guten Bier. Aber ich glaube, der Papa verspürte es als eine Art Ehre, an so wichtiger Stelle in diesem Treffen mitzuwirken. Dieses Treffen wurde immer größer und größer und dann kamen die Ausschreitungen, die letztlich dazu führten, daß die Brauerei das Ganze vor Jahren aufgelöst hat. Der Papa hats nicht mehr mitbekommen.  Vor 14 Jahren ist er gestorben. Letzte Nacht bin ich in der Stube gesessen und hab an ihn gedacht. Um halb eins ist er gestorben, in seinen 85. Geburtstag und in den Tag der kalten Sofi hinein.

Einen leichten Tod hatte er, so schien es mir, er hat ausgeschnauft und nicht mehr eingeatmet. Und ich dachte mir, wie einfach das doch ist, das Sterben. Ich hab meine Hand neben seine Hand gelegt und gesehen, wie ähnlich sie sind. Viel Eisen haben sie geschmiedet, die Papahände, viele kleine Vögel mit weit zum Pfeifen aufgesperrtem Schnabel, nur er konnte sie aus ehemals starrem Eisen durchs Erhitzen so formen, daß sie wie echt aussahen. Manchmal, wenn ich irgendwo unterwegs bin, seh ich sie an einem Geländer oder an einem Grabkreuz und dann weiß ich: Die sind vom Papa.

Er hat auch immer gepfiffen und ich hab letzte Nacht auch für ihn gepfiffen, einen seiner wunderschönen Landler, und dann bin ich hängengeblieben und wusste nicht mehr, wie er weitergeht und dann war mir, als tät der Papa die Zugharmonie unter der Bank hervorholen  … und ich hör ihn spielen und die Knöpfe klappern leise und bei der Stelle, an der der Baß so röchelnd schnarrt, da tät er mich anschauen und lächeln, weil er weiß, daß mir diese Stelle so gut gefällt. Und ich denke daran, was wir uns alles noch sagen hätten sollen und was ich ihn nicht gefragt hab  und daß wir uns manchmal das Leben blödsinnigerweise so schwer gemacht haben und das, obwohl oder grad deswegen, weil wir uns so gern hatten.  Und daß wir uns wahrscheinlich zu fremd oder zu ähnlich waren oder beides, was weiß ich. Und daß ich wohl nie erfahren werde, wer dieses Bild gemalt hat mit dem Tod im Gebirge, das er so geliebt hat und daß die Pfingstrosen ganz wunderbar blühen, die uralte Staude und daß ich morgen Marmelade koche, auch immer noch vom uralten Rhabarber … sag mal, Papa, wie alt wird der wohl sein?

Daß überall die Akeleien blühen, sag ich nicht, auch nichts vom übrigen Wildwuchs, den er nicht mochte. Aber daß zweimal hintereinander ein Maikäfer in die Küche gesegelt kam und  am Topfrand von der Tomatensoße gelandet ist und ich ihn zweimal grad noch vor  dem Absturz ins kochende Verderben retten konnte, das tät ich ihm sagen. Weil Du immer Tür und Fenster aufreissen mußt, täte er sagen.

Und daß ich ihn vermisse, tät ich ihm sagen.

So schrecklich vermisse.

 

 

 

Und wenn sie wieder auftaucht zum Luftschnappen, dann schreibt sie hier, die liebe Kraulquappe.

3 Gedanken zu „# 51 Die warme Sofi, der Tod im Gebirg und der Maikäfer in der Tomatensoße.

  1. dieser text berührt mich, ich denke an dich und den vater und den tod. und ich freue mich über seinen leichten übergang. schöne feiertage wünsche ich, roswitha

  2. Diesen Beitrag gleich zum zweiten Mal gelesen, ein Vater-Porträt, das mir aus nahe liegenden Gründen sehr nahe gegangen ist.

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