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Reich

Am 24. Juli um halb zehn Uhr abends, vor unglaublichen 64 Jahren, ist mein Vater mit dem Motorrad heimgekommen und hat glücklich und aufgeregt ins alte Haus hineingerufen:
„a Dirndl hamma, jetzt mog i a Halbe!“

Am Tisch sitzen zwölf Leute im alten Getreidekasten, mit vielen Kerzen, denn es gibt dort keinen Strom. Alle sind gekommen, um mit mir in mein neues Lebensjahr hineinzufeiern. Wir teilen alles, den Braten, den Wein, das Bier und unsere Geschichten. Mit vielen verbindet mich jahrzehntelange Herzensfreundschaft. Es wird durcheinander geredet, laut palavert über Sorg und Leid aber auch über die ganzen „wisst Ihr noch, als wir damals…“ und was wir alles schon miteinander erlebt haben, wo wir schon überall auf Exkursion waren, weil ich wieder einer geheimnisvollen Geschichte auf der Spur war, die in Radlkeller statt Kulthügel endete. Und auch darüber, daß überall auf der Welt sich die Menschen gegenseitig totschießen. Und wir sitzen hier und uns laufen die Tränen runter, weil wir so viel lachen. Ja, es gibt immer diese Gleichzeitigkeit. Irgendwo wird immer geschossen und woanders gelacht.
Ich fühle mich so beschenkt, ich sehe diese freundlich lachenden frohen Gesichter und ich frage mich:  Würden wir es erkennen, wenn einer von uns verlorenginge, depressiv würde und droht, abzustürzen…ja, ich bin sicher, wir würden uns suchen und da sein füreinander und uns halten.
Was für ein Glück, zu wissen, es sind Menschen da, auf die ich mich tausendprozentig verlassen kann.
Wir verändern die Welt nicht, wir sind nur wenige, aber  wir halten zusammen und wenn ein paar neue dazukommen, wird der Kreis einfach erweitert.  Wie selbstverständlich das junge afghanische Paar mit Baby dabeisitzt und mitlacht, wir sprechen nicht die gleiche Sprache und doch verstehen sich alle prächtig.
Augenblicke des Glücks. Irgendwann wird die Gitarre ausgepackt und die ersten Klänge jagen mir einen Freudenschauer über den Rücken. Heute darf ich mir aussuchen, was gesungen wird und wie oft und alle singen gutmütig mit, um mir eine Freude zu machen…unzählige Male mein Lieblingslied „an der Saale hellem Strande“, und nicht mehr zu zählen, wie oft wir  „Wilde Gesellen, vom Sturmwind umweht singen, weil mir
„…uns geht die Sonne nicht unter“ so gut gefällt…

…alles, alles wird gesungen, alles darf ich mir wünschen, meine Güte , wie reich ich doch bin!

„Whatever you want“…bis hin zum „Schuld war nur der Bossa Nova“…zwischendurch wird geblödelt bis zum Abwinken, manche Töne liegen nicht mehr ganz exakt, aber wir singen mit Inbrunst und aus Freude…aus purer Lebensfreude.

Beim vierstimmigen, magischen „Alperer“ – Jodler bekommen wir nasse Augen.

Und dann ist Mitternacht und Irm singt das wundervolle Lied: „Mir gehts ähnlich“ und da ich nicht genug kriegen kann davon, singt sie es halt mehrere Male.

Schade, ich hab es nirgendwo gefunden, sollte es jemand haben, tät ich mich so freuen, wenn ich es hier erklingen lassen könnte! Ich hoffe ja, daß der wunderbare Herr Ärmel das liest und…

Na, was sag ich denn, hier isses schon! (Herr Ärmel,Sie haben was gut bei mir! )

 

Ja, und irgendwann gehen alle heim oder liegen auf dem Sofa in der Stube und ich sitze vor meinen Geschenken und fühle mich vom Glück umarmt. Ich bin so reich beschenkt mit Gutscheinen für Ausflüge an geheimnisvolle Orte, Zaubergeschichten, Rosen, ein Freund schenkt in wissender Vorausschau eine Schachtel Blues vom Feinsten, um mich für das neue Lebensjahr musikalisch gut zu versorgen und stark zu machen für alles, was so kommt…einer schickt mir einen Wunsch durch die Nacht, der mir Glanz in die Augen zaubert und ein Seelenverwandter sagt, daß jetzt die beste Zeit wäre, um so richtig neu durchzustarten…soviele gute Wünsche fliegen durch alle Welten, analog und digital,

als ich um fünf Uhr am Geburtstagsmorgen ins Bett falle, bin ich nur noch dankbar und trunken vor Glück und ich denk mir, wenn ich in diesem Moment stürbe, tät ich es als reichste Frau der Welt!

Morgen werde ich zum Vater Rhein fahren, freue mich so sehr darauf, an den Großen Fluß zu kommen.

Aber heute gehe ich noch zu meiner wilden Mama und lege ihr meinen Herzensdank und eine rote Rose auf ihr Grab. Denn sie hat mir das allergrößte Geschenk gemacht:

Mein Leben.

An Alle!

Ihr Alle in näheren oder ferneren Galaxien, die Ihr grad mit fiebrigen Grippeköpfen, laufenden Nasen, wirren Träumen, schmerzenden Schädeln und Husten zum Erbarmen herumsitzt oder liegt – die Ihr schiefer in der Welt hängt, als beabsichtigt, weinerlich, voll Jammer über irgendwas Blödes oder vielfältigstes plagendes Malaisentum:

Ich wünsche von Herzen gute Besserung, daß Ihr alles ertragt, was nicht abzuwerfen geht und alles andere runterschmeissen könnt, wie die Sandsäcke aus einem Ballon…

Ich versuche, die Große Virtualie zu durchdringen, schicke Kamillendampf, heisses Ingwergewässer, Tee von der Frau Holla und puste Euch eukalyptische Gerüche in die Nase, versende so gut wie möglich, warme Gedanken und verspreche heiß und innig, daß der Frühling in ein paar Wochen kommen wird, glaubt mir, denn bisher hat es immer funktioniert! Ich geb Euch allen die Hand, irgendwie kommen wir schon klar, und jetzt mummelt Euch schön ein, macht ein warmes Fußbad und werdet wieder gesund!

Liebe Grüsse und Arvo Pärt zum Rekonvaleszieren!

Sollte jemand weitere musikalische Argumente gegen virale Übergriffe und als Schnupfnasentherapie vorrätig haben, bitte gerne hier abgeben!

 

Finis…?

Die letzten heissen Tage, in denen wir unsere kleine private Sommerakademie veranstalteten, sind längst vergangen, der Sommer ist alt geworden und hat im Herbststurm seine Kleider abgeworfen.

Als wir unsere Arbeiten fertigstellten, kamen grad viele tausend geflüchtete Menschen in Deutschland an, das Land spürte plötzlich ein mitfühlendes Herz in sich schlagen, rannte mit Altkleidung, Wasserflaschen, Plüschtieren und Transparenten zu den Bahnhöfen, verhielt sich freudig erregt und nannte dies „Willkommenskultur“. Es kamen und kommen immer mehr, hunderttausende und jetzt wird die Freude über die Fremdlinge deutschlandweit merklich kühler, an den Grenzen wird streng kontrolliert, die Bundesländer halten sich relativ zurück in der Aufnahmebereitschaft…

Als wir vor ein paar Wochen auf der Heimfahrt nachts aus Versehen die falsche Ausfahrt nahmen, lagen an der Grenze Salzburg/Freilassing kilometerweit auf den Gehsteigen und auf der Straße Kleiderbündel gestapelt herum, o mein Gott, ich schäme mich so sehr, ich dachte tatsächlich im ersten Moment, es wäre Altkleidung, nein, es waren Menschen. Hunderte, tausende Menschenbündel lagen in dieser kalten Nacht und warteten, viele nicht zugedeckt…und da wusste ich plötzlich, jetzt hat die Welt ihr wahres Gesicht gezeigt, und plötzlich war alles anders wie vorher. Seit dieser Nacht gibt es kein Wegsehen mehr, die Wirklichkeit hat alle Fernsehbilder überholt.

Inzwischen sind alle Geflüchteten (es kommen täglich mindestens tausend hinzu) in Zeltlagern entlang des Grenzflusses hinter Zäunen und unter Bewachung untergebracht und müssen warten, denn wegen der vielen Millionen, die auf das Oktoberfest wollten, durften die Geflüchteten nicht auch noch mit Zügen nach München fahren, wohin sie ja wegen Registrierung und Weitervermittlung müssen, das hätte die Stadt nicht mehr verkraftet, also Warten im Zeltlager. Inzwischen heisst es, nächste Woche dürften die Züge wieder fahren.

Die Ereignisse überstürzen sich ständig, die Probleme wachsen, erstaunlich, wie ruhig und andauernd hilfsbereit die hiesige Bevölkerung bleibt, trotz nahezu lahmgelegtem Grenzverkehr über Wochen wurde und wird zwar viel über starre Bürokratie und über alle staatlichen Eingriffe und über alles Mögliche geschimpft, nie über die Geflüchteten, niemand gibt ihnen die Schuld, im Angesicht der Not, die sie mitschleppen, werden ihnen die Hände gereicht.

Mittendrin in diesen ganzen übergroßen Ereignissen gab es unsere kleine, virtuelle Ausstellungseröffnung! Vor den Rechnern saßen wir und haben aufgeregt die wunderbaren Kommentare beantwortet und uns so sehr gefreut, daß Ihr alle hierher gekommen seid, zum luftigen Ort der Graugans, zwischen Himmel und Erde, daß Ihr die Arbeiten wahrgenommen habt und viele von Euch das Thema ins Herz gelassen haben!

In den letzten Vernissagen, „leibhaftigen“, an denen ich teilgenommen habe, waren ca. 20 BesucherInnen, die haben die Eingangsrede über sich ergehen lassen, sind nach einem kurzen Blick auf die Arbeiten in Grüppchen herumgestanden, haben über Urlaub etc. geredet und sind verschwunden. Eine Künstlerin war so gekränkt und verärgert, daß sie kein Wort mehr sprach mit der Kuratorin, die es nicht geschafft hatte, mehr Leute herzubringen. Also, wer aus eigener leidvoller Erfahrung weiß, wie schwer es ist, Menschen in Ausstellungen zu locken, vor allem, wenn man nicht DEN Namen hat oder massentaugliche Ware produziert, weiß auch, daß es an einen sensationellen Erfolg grenzt, wenn in zwei Stunden ein paar hundert „Zugriffe“ vermeldet werden.

Habt Alle herzlichen Dank für´s Kommen, für´s Mitmachen bei diesem virtuellen Experiment, vor allem für´s Mitreden, für´s genaue Hinschauen und -hören und auch  denen, die kein Zeichen hinterließen, für´s aufmerksame Wahrnehmen!
Dank von Herzen, es war so schön mit Euch, so gute Gespräche, so viel gute Energien kamen geflogen und manch eine Präsenz von Euch war spürbarer in dieser luftigen Weite als viele, neben denen man leibhaftig so herumsteht!
Das Rad dreht sich weiter, unsere Arbeiten wurden der virtuellen Unberechenbarkeit übergeben.
Seid gegrüßt, bleibt mir gewogen und laßt uns weiterhin in irgendeiner Weise miteinander in Kontakt sein, ich freu mich drauf und stehe zur Verfügung!

Einladung!

Am Donnerstag, dem 24. September um 19.00 Uhr wird hier, im KunsTRaum der Graugans, zwischen Himmel und Erde, die Ausstellung

: Flüchtling

eröffnet und beinhaltet die Ergebnisse unserer heurigen, auf dem heimischen Marxenhof veranstalteten Sommerakademie. Für die Videopräsentation unserer Arbeiten wurde bewusst der virtuelle Raum gewählt, denn wir hoffen natürlich, daß wir in diesem offenen Raum möglichst viele BesucherInnen aus irdischen, sowie interstellaren Räumen, und auch Reisende aus ferneren Galaxien begrüssen dürfen!

Wir werden am 24. pünktlich um 19.00 Uhr an den Rechnern sitzen und ziemlich aufgeregt abwarten, ob sich wohl welche einfinden, die sich mit einem Klick oder einem Kommentar bemerkbar machen und damit an diesem Experiment teilnehmen wollen.

Also, bitte Termin vormerken und Fluggeräte bereitstellen, ich würd mich wirklich wahnsinnig freuen, wenn jemand vorbeischaut hier in diese luftige Verortung, zur virtuellen Vernissage und zum gemeinsamen Weben am Großen Netz…seid Alle herzlich gegrüßt und freudig erwartet!