Archiv der Kategorie: Im ZwischenRaum

La petite mort.

Auf dem Höhepunkt der Lust wendet sich die Sonne und fällt, rückwärtsgehend, hinter dem Horizont in den Chiemsee.

Ich sitze auf der Schwelle und bewege mich nicht. Unter mir ist der Abgrund. Die Luft und die Zeit und die Ewigkeit stehen um mich herum in Würfeln aus Glas.

Über mir hängt ein blassgrüner, ausgehungerter Sichelmond.

Im Hintergrund ist leises Donnergrollen.

 

Hinter Milchglas.

Nach dem Spaziergang am Abend sitzen wir beide auf der Hausbank, der Kater Herbert und ich. Es ist immer der gleiche Ablauf, immer das gleiche Ritual. Wenn ich gehe, geht er mit, neben mir, hinter mir, vor mir, manchmal schneidet er meinen Weg, ich muß aufpassen, nicht über ihn zu stolpern oder auf ihn zu treten, das gehört zum Katerspiel. Wir gehen immer nach Osten, auf die Salzburger Berge zu, die wir erst richtig sehen, wenn wir am Bach vorbei sind. Früher hat der Vater immer darauf geachtet, daß das Buschwerk am Bachrand so runtergeschnitten war, daß er von seinem Platz am Stubentisch die Gipfel gesehen hat. Je nach Witterung. Bei Föhn stehen sie, in dunkelblaue Mäntel gehüllt, sozusagen vor unseren Fenstern, ansonsten sind sie entweder im Dunst verschwunden oder ihre Gipfel stehen über dem Nebel … die Berge bestimmen selbst die Distanzen. Der Vater wollte immer wissen, wo sie gerade sind. Einer von ihnen sieht aus wie ein Amboß, ich weiß nie, ist es der Schmittenstein oder der Schober. Der Vater wusste es natürlich, denn er war Kunstschmied und liebte das rotglühende Eisen, wenn es auf dem Amboß lag und sich von ihm in Spiralen drehen ließ. Ob der Berg wirklich wie ein Amboß ausschaut, das wusste nur er. Daneben ist der Schafberg, wir sind mal mit der Bockerlbahn hinaufgefahren und beim Runtergehen hab ich geweint, weil mir die Knie so weh taten.

Nach unserem Gang auf die Berge zu sitzen wir auf der Hausbank, der Herbert und ich, nach kurzer Fellpflege springt er zu mir herauf, niemals, ohne mir wortreich über dieses Vorhaben Bescheid zu geben. Dann legt er sich ganz dicht an meine rechte Seite und würde dort laut schnurrend stundenlang liegenbleiben. Nach 14 schrecklichen Tagen, an denen er eine Halskrause tragen mußte, nach Operation von Krebsgeschwüren an beiden Ohren, voll des Jammerns und lauten Wehklagens und depressivem Verkriechen ganz nach hinten unter die Truhe, ist jetzt wieder sowas wie Normalität eingetreten. Er geht wieder durch seine Tage und Nächte, so wie es ihm als 13 jährigen Freigänger entspricht. Er tut, was er mag und was möglich ist. Das Unangenehmste in seiner jetzigen Lebenslage ist, wenn vorbeigehende Leute stehenbleiben, mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn sogar anstarren, was er nicht nur als Unhöflichkeit, sondern als Bedrohung empfindet. Er mochte sowieso noch nie fremde Menschen, jetzt verschwindet er sofort, sobald sich irgendwer nähert.

Wir sitzen da, der Himmel ist voller Sterne, einer ist so besonders hell, er schaut aus wie ein Licht in einem Wasserglas. Ich denke an „Psycho“, da geht jemand mit einem Glas Milch die Stiege hinauf und die Milch leuchtet unnatürlich weiß … Hitchcock hatte eine Lampe im Glas installiert …

Viele Sterne sind beweglich, sie fliegen in Urlaubsgebiete, in heiße Wüstenländer, um dem gefühlt eiskalten Herbst nach einem viel zu heißen, viel zu trockenem Jahr zu entfliehen. Um vor was wegzulaufen, um was dort in den Tourismusanlagen zu finden? Welche Freiheit suchen wir nur immer, oder ist es die Gier nach ständigen Höhepunkten, die alle letztendlich leer und traurig zurückläßt mit unseren hungrigen Seelen?

Immer wenn ich diesen Stern im Glas am Himmel sehe, denke ich an sie, meine Freundin mit den Jadeaugen. Wir saßen in ihrer kleinen Wohnung und tranken Jasmintee, sie kochte ihn auf ihre spezielle Weise und die Vorhänge wehten in einem lauen Wind, die Vögel zwitscherten im Baumwipfel vor dem Fenster. Ich erinnere mich an diesen Moment, dessen Kostbarkeit ausschließlich darin bestand, Tee zu trinken und zu wissen, es gibt sie und es gibt mich. Glück.

Wir verloren uns.

Viele Jahre später habe ich von ihrem Kranksein erfahren und habe ihr einen langen Brief geschrieben. In den letzten Sätzen stand, daß wir das mit der Freundschaft nicht konnten, aber meine Liebe sei geblieben. Und ich sagte ihr, daß ich mir am Himmel immer den hellsten Stern aussuche und an sie denke.

Ich habe dann erfahren, daß sie den Brief gelesen hat mit den Worten: „Darauf habe ich noch gewartet“ … kurze Zeit danach ist sie gestorben, meine Freundin mit den Jadeaugen.

Nebel zieht auf, während ich dies schreibe, ich werde ein wenig spazierengehen, hineingleiten in die Welt hinter Milchglas und es wird sein wie das Schweben auf dem Meeresboden.

Es ist Advent. Es ist Zeit, die Kerze in der Laterne vor dem Haus anzuzünden.

 

Der Faden

Drei Frauen, bekleidet vom Blau der Nacht stehen am Ufer,
alleine möchte ich sein,
schlaflos.
Plötzlich diese Drei,
stehen da, schauen auf den Fluß,
drehen sich um,
schauen mich an.
Der Wind bringt Harzgeruch, wenn sie ihr Haar zurückwerfen.
Es sollte nach Moos riechen, meine ich, es sieht aus wie weiches
Moos.
Ich aber rieche Harz, wildes Harz, aus Bäumen geblutet.
Lange bunte Röcke flattern im Wind – oder erträume ich mir das?

Die Erste spinnt den Faden,
die Zweite reicht ihn weiter,
die Dritte schneidet ihn ab,
während die Erste schon wieder einen neuen gesponnen hat.

 

Was soll ich tun, Ihr Wilden Frauen?
Ich bin so nackt, mein Fell ist mir abgefallen.

Tanze den Mond in Deine Augen,
tanze, bis du umfällst und schlafen wirst.
Tanze auf den Silberspuren der Schnecken,
dorthin, wo es keine Garantien mehr gibt.
Tanze, bis du den Gesang der Sterne hörst.
Tanze hinein ins Labyrinth der Träume
bis dahin, wo nichts mehr ist.

Wie finde ich wieder hinaus?
Nimm den Faden.
Vergiß nicht: Alles hat seinen Anfang genommen auf der Silberspur
der Schnecken.
Ich habe Angst, sage ich,
Mein Fell ist zu eng geworden,
es ist abgefallen in den vielen Nächten.

Da singen die Wilden Frauen und ihre Gesänge tropfen
wie Tau ins Gras.

 

Die Ein . samkeit der Löwen

Der Mond der reifenden Beeren hat zwar schon eine Delle, aber noch sehe ich genug, um den Weg zu finden mit dem Rad und ohne Licht. Ich fahre gern durch den Wald in der Nacht. Würde die alte Austragsbäuerin vom Einödhof noch leben, hätte sie mir längst lachend hinterhergerufen: Gret, wo fahrst denn wieder hin, mitten bei der Nacht, aber heut hast ja Glück, heute begleitet Dich der Herr Mo‘ mit seinem Licht! Als ich am Tor zum Gottesacker vom Rad steige, ist er verschwunden hinter dem Kirchendach, es wird finster, nur die Turmspitze leuchtet wie eine Taschenlampe hinauf zum Himmel. Ich spüre die Glut des Löwenfeuers und ich weiß nicht, ob ich sie mitbringe oder vorfinde dort, wo sie der Tag bei den Toten zurückgelassen hat. Ich gieße die fleissigen Lieserln am Grab und versuche,  die Altvorderen liebevoll zu bedenken, Fremdgewordene, die ich in den Genen und in Erinnerungsfetzen mit mir herumtrage. Irgendwo hat eine Laune des Schicksals unter nicht sehr glücklichen Umständen zwei, die nicht zusammenpassten, trotzdem zueinander hingeschoben, und an diesem Kreuzungspunkt bin ich entstanden. Ich, das Löwekind, vor ein paar Tagen 68 Jahre alt geworden. Von denen, die hier begraben sind sagt keiner mehr was zu mir, verweht mit dem Staub, zu dem ihre Leiber längst geworden sind. Meine Mutter hat sich beklagt über die schreckliche Schwangerschaft mit mir und wie sehr sie meine breiten Schultern gequält hätten beim Gebären … Was tut ein Kind mit diesen  Vorwürfen?

Gottes Barmherzigkeit fällt mir plötzlich ein … die Erlaubnis, aus der Existenz herauszutreten in das Nichtsein. Wie der  kleine Wind, der mir  den verschwitzten Nacken kühlt, streicht mir die Erkenntnis wohltuend über die Seele, irgendwann, wenn die Zeit reif wie die Kirschen am Baum hängt, endgültig verschwinden zu dürfen.

Das Dorf ringsherum schläft bereits, elf mal schlägt die Kirchturmuhr, die schwarze Katze liegt regungslos auf einem der sonnenwarmen Grabsteine, ich weiche aus, um sie nicht zu stören. Da ist das frische Grab eines Mannes, den ich kannte. In meiner Erinnerung tauchen Fragmente eines Lebens auf … Früher war er öfters bei meinem Vater zu Besuch, sie haben sich stundenlang unterhalten. Dann waren sie zerstritten und er kam nicht mehr. Er ist oft auf die Jagd gegangen und oft saß er wie alle Jäger im Dunkeln irgendwo und spähte das Wild aus, und oft, sehr oft, hat er es totgeschossen und im Rucksack nachts heimgetragen. In der Stube hingen die Geweihe an der  Wand, herausgebrochen aus den Totenschädeln und exakt mit Datum versehen. Er hielt sich verborgen und dachte, niemand würde seine Verstecke kennen, hat er nie geahnt, wie genau ich wusste, wo er sich aufhielt? Ein Löwemensch wie er, habe auch ich mich schon immer gerne nachts irgendwo  herumgetrieben, das schärfte den Blick im Lesen der Schatten, ich tat dann so, als würde ich ihn nicht sehen und ich spürte im Vorbeigehen seinen Blick. Ich sah die Glut seiner Salem aufflammen, wenn er süchtig und gierig den Rauch inhalierte irgendwo am Waldrand. Einmal konnte er nicht mehr ausweichen und da sind wir uns begegnet bei Vollmond und dann standen wir da, von der Jagd kommend beide, mit dem Unterschied, daß seine Beute verblutet war …  und er  sagte, daß ihm der Kopf bei Vollmond immer so wehtue, so schlimm, das könne sich niemand vorstellen. Vor Jahren saßen wir beim Dorffest und er erzählte eine Geschichte von früher und vom Trinken des Selbstgebrannten und dann haben wir miteinander gelacht. Das war das letzte Mal, daß ich ihn gesehen habe bis vor einem Jahr, da saß er im Rollstuhl vor dem frischen Grab seiner Frau, das jetzt auch sein Grab ist. Wir haben uns angeschaut und da ist ihm das Wasser über das Gesicht gelaufen, fast unmerklich haben wir uns zugenickt.

Zwischen den beiden Begegnungen eskalierte die Situation mit seiner Familie, der jahrzehntelange Suff schwemmte eine ständig angestaute lebenslange Wut an, die irgendwann so über die Ufer trat, daß er das Haus verlassen mußte … er hatte Gewehre … er hat dann jahrelang im Altersheim gelebt und jetzt ist er gestorben. Früher mochte ich ihn, er wusste von alten Geschichten, konnte furchtbar schimpfen und sich mit rotem Kopf aufregen, gern hat er getrunken und geraucht;  wilde kleine Raubtieraugen hatte er in der Wut. Sein Lachen hielt er zurück, als ahnte er eine Kraft darin, die er nicht beherrschen konnte und die ihn unsicher machte. Aber wenn es nicht anders ging, mußte er grinsen und dann entglitt das Gesicht seiner Kontrolle und seine Augen verschwammen … damals dachte ich immer, es wäre der Alkohol … heute ist mir, als hätte etwas seine Brust gesprengt und sein Herz zerrissen, vielleicht wollte der Löwe in ihm brüllen vor Lust und Sehnsucht und da ja das Lachen dem Schmerz sehr nahesteht …

Roh ist er geworden, hart, mißtrauisch und die Sauferei machte ihn böse und cholerisch, ich kann nur ahnen, wieviel Leid und Qualen dadurch entstanden sind bei denen, die sich nicht wehren konnten. Die Frauen in seiner Familie haben alles erduldet, das Bier und den Schnaps hingestellt und sich anbrüllen lassen, er war der Herr am Hof, es geschah alles nach seinen Worten. Viele ahnten was, sagten aber nichts. Es gibt das Wort: unter jedem Dach ein Ach, sonst war ja nach außen immer alles in Ordnung, sauber, und aufgeräumt und ständig geputzt. Warum wird einer so? Seine Mutter hat ihn geliebt und immer, immer zu ihm gehalten … jetzt hat sie ihn wieder bei sich, mit der Schwiegertochter teilt sie sich das Grab mit ihm und mit seinem Vater. Und es gab da woanders noch einen, dem sah er ähnlicher als dem Vater. Auch er schon lange Staub … Staub zu Staub.

Jetzt ist er tot. Vom Grab steigt süßer Blütenduft aus den Kränzen mit wunderschöner Blumenpracht. Es ist vorbei. Ruhe in Frieden …  Auf dem großen Foto von ihm zwischen den Blumen steht das Geburtsdatum und was für ein Zufall, gerade heute hätte er Geburtstag. Mir ist, als stünde er da, an den warmen Grabstein gelehnt, und mit diesem leicht spöttischen Lächeln schaut er mich an …

Auch bei denen, die hart und böse geworden sind, ist das Herz ein ganz eigener Erdteil, schlecht zu kontrollieren … und ich wollte Dich immer gern zum Lachen bringen, weil ich das so gerne gesehen hab, wie es in Deinen Augen geschwommen ist, mit all seinem Schmerz, dieses weiche Löwenherz. Es ist mir nicht oft gelungen.

Und jetzt mußt Du gehen, hier ist die Jagd vorbei, sage ich. Servus Max.

Sein Lachen und Weinen verschmelzen in mir zu einem Bild, das mich unruhig macht und mich frösteln läßt.

Und dann dreh ich mich um und gehe hinaus. Die Kirchturmspitze leuchtet immer noch, keine Ahnung, woher dieses Licht kommt. Als ich mich aufs Rad setze, schwimmt auch schon der Mond heran zum Heimleuchten.

Wo ist eigentlich  der Löwe in mir, denke ich beim Heimfahren. Ich werde ihn besuchen, in meinem Schloß (Radix) ist er der König  … die Musik ist schon bereit und die Bühne beleuchtet mit goldenem Licht … dort wird er mich hoffentlich erwarten und wir werden mit aller Lust den Sommer vertanzen.

Als ich das Buch in die Hand nehme schlägt es sich auf und ich lese:

„…seines Selbst, in das er heimkehren will und heimkehrt
für immerdar,
hineingehalten in das Jetzt seines eigenen Sinnbildes,
auf daß es ihm zur steten Wirklichkeit werde;
denn es ist das Trotzdem seines Aufrufs,
in das der Mensch hineingehalten ist,
das Trotzdem des Eingekerkerten,
das Trotzdem seiner unverlöschlichen Freiheit
und seines unverlöschlichen Erkenntniswillens,
so unbeugsam,
daß er größer als die irdische Unzulänglichkeit wird …“

Hermann Broch, Der Tod des Vergil

 

 

 

Im Zwischenraum

 

Jetzt muß ich die „Mutmaßungen über das Fremde“ hier beenden. Es hätte noch viel Material gegeben, vor allem das wundervolle Buch von Martin R. Dean „Verbeugung vor Spiegeln … über das Eigene und das Fremde“ vorzustellen. Er hatte mir vor längerer Zeit schon sehr freundlich erlaubt, hieraus zu zitieren. Zu einem anderen Zeitpunkt werde ich das mal nachholen. Und so leihe ich mir heute als Abschluß der 24T. nur den folgenden Satz, den er seinem Buch vorangestellt hat:

Fremdheit zur Welt ist ein Moment von Kunst,
wer anders denn als Fremdes sie wahrnimmt,
nimmt sie überhaupt nicht wahr.
Theodor W. Adorno

Frau Percht hat sich wohl in ihrem Garten (Berchtesgaden)noch ein wenig entspannt, aber dann, hui, mit ihrem wilden Gefolge in die Lüfte geschwungen und dafür gesorgt, daß der Föhn zusammenbrach und sich in Sturzbächen mit Sturmgebraus abregnet. Das vom Föhn von inwendig nach außen Gekehrte muß jetzt der vorweihnachtlichen Aufgeregtheit standhalten und irgendwie zu Besinnlichkeit finden, woran sich aber die aufgewühlte Seele nicht immer halten mag und so entladen sich Spannungen  …nicht unbedingt adäquat … wer kennt das nicht … irgendwie muß man so kurz vor Weihnachten immer mit allem rechnen. Heute nach erledigtem Einkauf will ich so schnell wie möglich nur weg aus diesem Konsumspektakel und renne beinah mit dem Einkaufswagen einer jungen Frau zusammen, die mir entgegenkommt … ich sehe in ihrem Gesicht vermutlich das Gleiche wie sie in meinem, wir weichen uns aus und ich lache sie an und bedanke mich für die Vorfahrt und sie lacht zurück und wir spüren ein wenig Glück und unsere Augen glänzen.

Morgen ist also Weihnachten, von Mitternacht zu Mitternacht kommen die Rauhnächte, morgen beginnt die erste von, wie ich meine, 13 heiligen Nächten. Und mit der ersten Rauhnacht beginnt ein weiteres Spiel mit der Fremdheit, diesmal durch weite vergangene Räume und Zeiten und da es nicht wirkliche Dokumente gibt, bleibt alles im Traumbereich.

Während ich dies hier schreibe, denke ich auch an das Kind in der Krippe und ich sehe die Bilder von Kindern in Flüchtlingslagern, und ich höre die Stimmen der PolitikerInnen, die abwägen, ob man sie jetzt aus den überfüllten Lagern herausholen soll oder nicht, weil sie ja nicht direkt vom Tode bedroht sind … schwer, sehr schwer ein Traumspiel anzuleiten und nicht stattdessen durch die Gegend zu laufen und laut zu schreien: Verdammt noch mal, das sind KINDER! Morgen sind die Kirchen voll, alle schauen auf das Kind in der Krippe … was ist mit denen, die auf Lesbos alleine und verlassen ohne Vater und Mutter in Schlamm und Dreck und Angst hausen, meine Güte!

 

Das Feenspiel, eine Rauhnachtstraumgeschichte

Seit vielen Jahren schiebt sich immer wieder das Bild von Frauen in meine Vorstellung, die über weites Land gehen, manchmal nur eine, dann zu dritt und dann alle dreizehn. Nachforschungen führen zur „Edda“, da ist von weissagenden Frauen die Rede, die Völvur, oder Völven hießen, sie zogen von Ort zu Ort, von Fest zu Fest und sie wurden mit Ehren und Jubel begrüßt. Sie hatten immer einen geschmückten Stab dabei, deshalb nannte man sie auch „Stabträgerinnen“. Sie trugen einen Gürtel, daran ein Beutel mit magischen Utensilien. Sie wurden gerufen, um Neugeborenen Glück zu prophezeien, einen Stab für sie zu schnitzen und ihnen die 13 Gaben des Lebens zu überreichen. Sie heilten, indem sie als Medizin ein ganz spezielles Lied sangen und sie halfen den Sterbenden mit ihren Gaben beim Hinübergehen in neue Welten. Sie trugen lange, nachtblaue Umhänge mit Kapuzen. In den diversen Aufzeichnungen verschmelzen sie mit den Nornen und Moiren, den Saligen im Gebirge und auch die Hl. drei Könige scheinen auf sie zurückzugehen.

Niemand weiß, ob sie Zauberinnen waren oder Göttinnen, oder heilkundige Frauen, oder Feen … eines Tages waren sie verschwunden. Nur im Märchen Dornröschen ist eine Ahnung spürbar von der Macht der 13 Frauen.

Ob dies alles so war oder ob es nur ein Märchenraunen ist, ein romantisches Flüstern, man kann es nicht beweisen, aber vielleicht könnte man damit spielen, so hab ich mir das gedacht. Und dann habe ich 12 Frauen eingeladen und sie gefragt: „Was wäre, wenn wir Fee spielen, so, wie wir das als Kinder gemacht haben. Wir sagen einfach, daß wir uns in einer Höhle treffen nach hundert Jahren und jede hat ein Geschenk dabei und darf einen Wunsch äußern, wenn sie mag. Wir spielen, daß wir mächtige Feen sind … alles weitere wird sich schon zeigen, jede macht das, was sie am besten kann. Und weil Weihnachten ist, könnten wir unsere Gaben diesem kleinen Kind in der Krippe  schenken, aber es kann auch ganz anders kommen, niemand weiß, wie Feen sich entscheiden, nicht wahr?

Von den 12 eingeladenen Frauen hat eine abgesagt, die ist schon anderweitig mit wilden Frauen unterwegs und einer war das Ganze zu fremd, um mitmachen zu können, jetzt werde ich mit Spannung täglich warten, ob und was zu mir geschickt wird, damit es sich auf dieser Bühne zwischen Himmel und Erde materialisieren kann. Wenn nichts kommt, dann wollte sich wohl keine Fee zeigen oder fand einfach nicht den Weg zu uns in die Höhle. Liebe Frauen, die Ihr so bereitwillig zugesagt habt, mit mir dieses Traumgarn zu spinnen, habt Dank für Euren Mut, Euch auf die Kinderseele in uns allen zu besinnen … und seid gewiß, es wird nach diesem Spiel eine geheimnisvolle Verbindung zwischen uns bleiben … um Mitternacht beginnt´s … die erste Fee hat mir schon zugeflüstert!

 

Und nun laßt uns Weihnachten feiern, was Gutes kochen, Kerzen anzünden und singen, viel singen und warum sollte man sich eigentlich nicht auch ein wenig betrinken, ich werd das sicher mit einem dunklen Weißbierbock tun und wißt Ihr was, das mit den Geschenken ist relativ, manchmal ist es einfach nur ein freundliches, liebes Wort  oder es sagt mal jemand: Du, ich bin so froh, daß es Dich gibt …

und für mich ist vor Wochen schon ein Riesengeschenk passiert: Der rote Willie war am Verhungern und als wir ihn zur Tierklinik schleppen wollten, hat er 10 min vor dem Termin plötzlich der häuslichen Konkurrenz den Fleischnapf leergefressen und sich entschieden, wieder zu leben.

 

 

Ich wünsche uns allen zärtliches Berühren und berührt werden, innen wie außen!