Archiv für den Monat: März 2021

Jetzt ist der Holl auch schon ein Jahr tot.


Weil ich, an den Stationen des Kirchenjahres entlang immer wieder mir selbst aus dem Buch: „Das Adolf Holl Brevier“ laut vorlese, habe ich beschlossen, dabei ins Mikrophon zu sprechen und hier zwischen Himmel und Erde zu veröffentlichen. Die Texte erschienen mir eigentlich nicht lang, ein paar Seiten nur, aber laut vorgelesen und für den Blog aufgezeichnet, sind sie doch länger als angenommen, obwohl ich nur Auszüge davon lese. Die geschliffene Brillanz und der feine Humor in diesen Gedanken über Gott und die Welt sollen auf meiner Bühne durch mich sprechen und soweit möglich, ihn, den sehr Geschätzten dort erreichen, wo er sich grad befindet! Eine kleine nachgeschickte Liebesgabe sozusagen. Auf die Frage eines ziemlich überforderten Interviewers, ob er denn glaube, daß es nach dem Tod irgendwie weitergehen könnte, sagte er: „Wahrscheinlich“.

Und auf die Frage, warum er Priester geworden sei, sagte er: „Wegen der Verwandlung“!

Alles hatte in den 70er Jahren angefangen und ich habe die Geschichte schon unzählige Male erzählt. Eines Tages kam ich aus der Stadt nachhause und mein Vater sagte schon bei der Begrüßung, heut hab ich was Besonderes, da wirst schaun! Dann saßen wir am Stubentisch, der Papa schenkte das Weißbier ein und holte aus der Tischublade den Korb mit den Brezn und dann legte er ein dünnes Taschenbuch auf den Tisch: „Jesus in schlechter Gesellschaft“. Das mußt Du lesen, sagte er. Da begann diese lebenslange Verbundenheit mit einem grandiosen Schriftsteller, Priester, Gelehrten … aber am Allerwichtigsten … einem zweifelnden Gottsucher. Durch sein ganzes Werk zieht sich diese  Suche nach dem Gott und nicht immer schien sie erfolgreich zu sein.

Seine Mutter hat über ihn gesagt: „Er war halt ein Kantengänger!“

Vor einem Jahr ist er hochbetagt gestorben und hinterläßt ein großes Loch in der Welt.

Ich hätte natürlich über seine Bücher schreiben können, aber seine Texte sind so gut, da sitzt jedes Wort und beim Lesen lasse ich sie mir förmlich auf der Zunge zergehen.

Ja, es ist eine Zumutung, ich weiß, meinem Lesen zuzuhören erfordert Zeit und Geduld und Konzentration, ich riskiere das jetzt einfach mal … wenn es niemanden interessiert, dann ist es halt nur für mich und für ihn dort oben und ich höre sein Lachen und sehe seine Augen vor Schalk blitzen … so wie ich ihn aus dem Fernsehen kenne.

Daß ich überhaupt die Texte lesen darf, verdanke ich Herrn Walter Famler aus der „Alten Schmiede“ in Wien, der das „Brevier“ herausgegeben hat, die Rechte an Holls Werk besitzt und mit ihm viele Jahre stark befreundet war. Hiermit möchte ich mich nochmal herzlich bei Walter Famler bedanken für ein ganz wundervolles Telefongespräch voller Geschichten und humorvoller Plauderei und eine so wohltuend unkomplizierte Art, mit meiner Anfrage umzugehen. Es passiert mir nicht oft, auf einen so angenehm gesprächigen Menschen zu treffen und das Gefühl zu haben, ihn eh schon lang zu kennen. Ich glaube, die Alte Schmiede ist schon jetzt ein Ort, den ich besuchen möchte, was sind schon 350 Km … alles wird möglich nach dieser Seuche.

Die nächsten Tage bis Ostermontag wird immer wieder dieser Sprechbalken hier erscheinen, ich wandle mit dem Brevier in der Hand durch die Karwoche.

Draußen sind die Schneeglöckerlfelder verschwunden und haben den Busch-Windröschen Platz gemacht, auch die Kikerikiblumen und die gelben Sterne und das Gänsefingerkraut blühen um die Wette, der Himmel ist so blau wie er nur im Frühlingstaumel sein kann.

Abends steh ich am ziemlich verwilderten Grab und sag: Ach Papa, jetzt ist der Holl auch schon ein Jahr tot.

Wir sollten uns Briefe schicken mit Gedichten in blaßblauer oder veilchenblauer Tinte, große Worte (wie die Wildgans so schön sagt)voller Sehnsucht und Herzgefühl und Traum, findet Ihr nicht auch?

 

 

Textauszüge:
Das Adolf Holl Brevier
Walter Famler (HG.)
Residenzverlag

Foto: Michael Helminger

Der feurige Engel

Er reitet ein in Jerusalem, wie prophezeit auf einem Esel, besser gesagt auf einem Eselsfohlen, dem Jungen einer Eselin … „wie es geschrieben steht“. So beginnt die Passionsgeschichte, diese Parabel von Leben-im Tod-im Leben und jedes Mal wieder macht mich diese Vorstellung ärgerlich. Ich habe zu viele Eseln gesehen, geschundene und gequälte Kreaturen, so schwer mit Lasten beladen, daß sie die Knie nicht mehr ausstrecken konnten, und obendrauf ein prügelnder Mensch. Ja, der Gottessohn reitet ein auf dem Reittier der Armen, ein noch unberittenes Fohlen, wie hat er es zum Gehen gebracht, hat er es selbstverständlich geschlagen? Schwierig die Vorstellung, und wie immer hoffe ich für das Eselskind, daß der Erlöser der Welt ein ganz kleines, dürres Männlein gewesen ist und und ihm sanft ins Ohr geflüstert hat … glauben kann ich das nicht. Hosianna sollen sie gerufen haben … hilf uns! Hilf uns doch endlich raus aus diesem Schlamassel …

… und es beginnt der Anfang vom Ende … vom Anfang … die Dinge nehmen ihren Lauf.

Durch die Nacht fahre ich, über das Land unter dem Vollmondschein, durch leere Dörfer und Städte, im Radio die Übertragung einer Neuinszenierung der Oper „Der brennende Engel“ von Prokofiev. Dunkle, irritierende Klänge, durchbrochen von lautem Klopfen, Schlagen an Türen, Gesänge gehen durch Mark und Bein. Die Magie der Musik läßt mich schaudern. Die Handlung ist verwirrend, eine Frau verliebt sich in ihren Jugendtagen unglücklich in einen Engel, der verspricht, ihr eines Tages als Mann zu erscheinen. Sie sucht ihn ein Leben lang, diesen Geliebten, der wie sie bereit ist zur absoluten Liebe. Es ist eine Geschichte des Scheiterns, das Begehren einer zügellosen, wilden Frau, läßt der Erfinder der Geschichte in den Wahnsinn und zum Teufel führen und letztendlich beendet dann ein Mann das angeblich hexische Treiben und läßt sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ein Rezensent sagt, da geht es halt um eine hysterische Frau, ja, so einfach ist das. Das alles erfahre ich erst später, die Musik ist von magischer dunkler Schönheit und geht mir unter die Haut.

Es gibt Geschichten, deren trauriges Ende man schon am Anfang spürt und man täte gut daran, auf die grausam ehrliche innere Instanz zu hören. Es tut mir weh, mich von Herzensfreundschaften zu verabschieden, auch wenn sie schon lang keine mehr sind. Es ist ganz leicht, in mein Herz hinein zu kommen, aber es dauert schmerzlich lange, bis ich jemand wieder hergebe. Ich habe kein Talent für lose Bekanntschaften, meine Lebenszeit wird knapper, ich verschenke sie gerne, am liebsten an Menschen, deren Zuneigung ich spüren kann. Das Leben ist ein immerwährender Prozess des Loslassens.

Ich liebe es, durch die Nacht zu gleiten, Wolken ziehen heran und umhüllen den Mond sanft mit dunklen Schleiern. Es sind fast keine Autos auf der schnurgeraden Straße durch das Tal. Früher war da eine ganz enge Kurve hinter dem alten Wirtshaus, Zistelreib hat sie geheißen und die, die zu schnell gefahren sind, flogen raus und sind dann an dem Baum mit den kleinen gelben Äpfeln gelandet. Ein kurzer Flashback … ich sehe mich als junges Mädchen bei Nebel in den leeren Schulbus steigen, der erste Kuß, grapschende Lenkradfinger, keine Zärtlichkeit, nur sabbernde Altmännergier. Abwehren, Weglaufen… ein Frösteln heute noch.

Die Kurve gibt es schon ewig nicht mehr, auch der Apfelbaum ist weg, das schöne alte Wirtshaus musste einem neuen Gebäude mit Toren, die sich auf Knopfdruck heben, weichen. Auf der Straße nachts kann man sehr schnell fahren, so schnell, daß auch der schnellste Hase zu langsam ist. Vor mir liegt er, er hat es nur bis in die Straßenmitte geschafft, dann kam er unter irgendwelche Räder. Ein kleines Bündel graubraunes Fell, ungut in sich zusammengerollt, in sich hineingestorben, ein Feldhase. Ich fahre um ihn herum, ich kann nicht aussteigen und nachsehen und ihn zur Seite legen, ich schäme mich dafür.

Du bist die Zukunft, großes Morgenrot
über den Ebenen der Ewigkeit.
Du bist der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit,
der Tau, die Morgenmette und die Maid,
der fremde Mann, die Mutter und der Tod.

Rainer Maria Rilke

 

 

Rand des Universums

Der Bussard sitzt wieder auf dem Holzpfahl neben der Straße. Der alte Mann gestern auf dem Gehweg kommt mir in den Sinn, seine Füsse konnten dem vorauseilenden Kopf mit dem ernsten Vogelgesicht nicht mehr ganz folgen, waren unsicher im Tritt, schienen sich zu verhaspeln. Der Mantel hing über die gekrümmte Gestalt nach vorne, weit über die Knie. Kein Verweilen hat er sich gestattet, vorwärts getrieben hat es  den Mann … unter dem altmodischen schwarzen Hut dunkle kleine Augen, in die Ferne gerichtet.

Vor ca. einem Jahr habe ich einen Film gesehen: „Family Romance“, von Werner Herzog. Ein Film, der sich schon beim erstenmal Sehen in mein Dasein hineingefräst hat und daraus nie mehr verschwinden wird, weil es keine Trennlinie gibt zwischen den Wirklichkeiten, die eine läuft in die andere hinein und niemand weiß, wo man diese Bewegung aufhalten kann.

Es gibt in Tokio eine Firma mit Namen „Family Romance“, Yuichi Ishii heißt der Firmengründer und Besitzer. Von dieser Firma hat Werner Herzog erfahren und mit dem Besitzer einen Film über die Arbeit seiner Firma gedreht. Mit der Handkamera geht er herum und schaut zu. Die Firma vermietet Familienmitglieder, FreundInnen, Bekannte, gegen die Einsamkeit. Es gibt inzwischen über 3000 Beschäftigte, alles SchauspielerInnen, die Geschäfte mit der Romantik laufen bestens. Der Film ist eine Art Dokumentation, die sich schwer beschreiben läßt, weil man nie weiß, was echt ist und was Fake.

Es gibt keine direkte Handlung, die Kamera beobachtet Szenen zwischen Menschen, man sieht Beerdigungen, Überreichung von Preisen, eine Frau, die plötzlich auf der Straße von Forografen umringt ist und überall sind Schauspieler eingeschleust. Der Firmenchef verkörpert sich selbst, er wurde von der Mutter eines kleinen Mädchens engagiert, deren Mann verschwunden ist. In dessen Rolle schlüpft er als wiederauferstandener Vater. Man kann zuschauen, wie sie sich treffen und das Kind  immer zutraulicher wird. Sie treffen sich in einem Hotel und sehen den vielen bunten Fischen in großen Aquarien zu, erst nach und nach begreift man, daß es Roboterfische sind und dann sieht man die Gesichter des Personals und kann den Augen nicht mehr trauen…

Alles ist möglich und nichts ist mehr sicher, solange bezahlt wird. Verboten sind intime Berührungen und sexuelle Handlungen … dafür gibt es diverse andere Anlaufstellen … das einzige wirkliche Problem, das auftauchen kann ist, wenn jemand Gefühle entwickelt, so sagt der Firmenchef im Interview. Gefühle werfen alles durcheinander, dann muß abgebrochen werden. Seine Rolle als Vater wird schwierig, da das kleine Mädchen ihn immer mehr ins Herz schließt und deshalb rät er der Mutter, ihn doch einfach sterben zu lassen, sie möchte das aber nicht und zahlt weiter und das Mädchen trifft sich womöglich jahrelang mit seinem vorgegaukelten Vater.

Es ist ein eher unscheinbarer Film, manchmal etwas verwackelt durch die Handkamera, man sieht  viele gutgelaunte Menschen oder das ganz normale Leben in einer Großstadt, aber irgendwann kippt das Ganze und man befindet sich in einer moralischen Grauzone von Lüge, Schein, gekauftem Glück, ist es Fiktion oder Dokumentation und  wer könnte noch unterscheiden, wer wem was vorspielt. Am Schluß geht der Schauspieler nachhause und die Türe schließt sich. Man bleibt sehr alleine zurück mit der Frage, wer oder was ist das, was hinter der Milchglasscheibe auf ihn wartet.

Ein Film, der auf meine Fragen eingeht: wie leben wir eigentlich, was geben wir von uns preis, was suchen wir in der Phantomwelt des Großen Netzes … Vertrauen, Anerkennung, Beifall, Respekt, Beachtung, Freundschaft … welches Bild von uns zeigen wir, wie wirklich ist die Wirklichkeit …?

Wenn dieser Film die Wirklichkeit ist, dann ist seine Antwort extrem verstörend.

 

Oben in der Birkenkrone sitzt der Mond und der gemächlich vorbeischlendernde weiße Kater verdoppelt sich. Eng an sein schwarzes Pendent geschmiegt geht er mit ihm weiter in die Nacht hinaus …

Ich sitze auf der Hausbank, ein Lifekonzert wird übertragen … Clara Haberkamp Trio … wunderbar weicher, melodischer Jazz.