Archiv für den Monat: Juli 2023

#14 Das Gwand, und der Schmarrn und die Oma

Bei so vielen Menschen, knapp 72000 im Stadion, da kommt man schon mit einem beachtlichen Virenaufgebot in Berührung. Ich hab es wie immer, so lange rausgeschoben, bis der Mann wieder gesund ist, und jetzt hat es mich auch erwischt, mit allem, was halt dann so daherkommt an Schnupfen, Husten, Fieber &Co. Die Gedanken im Kopf lassen sich nicht mehr lenken sondern stranden in einer Art Matsch, ähnlich der Masse, die nach Schneefall und Tauwetter am Straßenrand liegt. Früher sagten wir zu so einem Zustand: ich bin beinander wie ein Packerl Kunsthonig. In wirren Träumen war ich letzte Nacht im Schusterhaus, davor standen meine Großmutter und ihr Bruder, der Schorschl. Sie schauten einem Trachtenzug hinterher, der mit Blasmusik das Dorf hinauf zu der Kirche ging.

Da ist manches durcheinandergeraten in diesem Traum und der Trachtenzug kam wahrscheinlich von dem großen Gautrachtentreffen vor zwei Wochen. Da marschierten tausende TrachtlerInnen in unzähligen Gruppen durch den Marktflecken hin zum Bierzelt, zeigten ihre Trachten und später die üblichen kunstvollen Tanzdarbietungen.

Meine Oma hätte da sicher auch zugeschaut, aber damals gab es noch keinen Trachtenverein und von einem Gewand, das „Dirndl“ geheißen hätte, davon hat niemand gesprochen. Auch gab es keine Einladungen, bei denen „Tracht“ erwünscht war, denn das Wort „Tracht“ war überhaupt nicht in Gebrauch, ich hab es auch erst irgendwann in den siebziger Jahren kennengelernt und da konnte man sich auch bei der Tante ein „Dirndl“ schneidern lassen. Vorher war das Dirndl eine junge unverheiratete Frau.

Meine Oma hatte ein Gewand für den Feiertag und ein paar lange Röcke mit einer Art Bluse, dunkel und aus grobem Stoff für den Werktag. Darüber kam immer die Schürze, die mit langen Bändern um die Taille gebunden war. Für die Stallarbeit gab es das Stallgewand, das aus ehemaligem ausgemusterten Werktagsgewand bestand. Alles dunkel und selbstverständlich hochgeschlossen.

Das schwarze Feiertagsgewand bestand je nach Reichtum der Bäuerin aus einem Mieder aus mehr oder weniger kostbarem Samt mit bodenlangem Rock und die meist hellblaue Schürze aus mehr oder weniger echter Seide. Selbstverständlich wurde der Ansatz des Dekolletes mit einem Tuch verdeckt  und an hohen Feiertagen wurde ein Sträußlein Geranien und Asparagus ins Mieder gesteckt. Die verheiratete Frau trug dazu einen schwarzen „Priener Hut“ mit langen samtenen Bändern, die über den Rücken hingen. Viel später, als die Kitsch-Ära begann und man sich Wagenräder und Heugabeln oder sogar einen Pflug an die Hauswand nagelte, da wurden die Priener Hüte aufgetrennt und Spiegel daraus gemacht. Ich hab den Hut von der Oma noch, den wollte die liebe Verwandtschaft wohl nicht beim Tod meiner Oma, aber man holte sich sofort das einzige seiderne Schürzl, das sie besaß, natürlich nur zwecks Erinnerung an das liebe Omerl.

Das Feiertagsgewand wurde nur einmal im Leben gekauft, die Frauen, die es trugen, wurden nie zu dick, denn die Arbeit war so schwer und meine Oma hatte nebenbei noch sieben Kinder zum Großziehen.

Das Gwand (Gewand) hatte einen komplett anderen Stellenwert als heute, weggeworfen wurde gar nichts. Wenn mal was wirklich nicht mehr tragbar war, dann wurde es in Streifen geschnitten und   beim Weber (den man damals noch bezahlen konnte im Gegensatz zu heute) zu Fleckerlteppichen verarbeitet. Und romantisch war damals schon gar nichts und man sprach auch nicht von Traditionen oder irgendwelcher Brauchtumspflege.

Wenn ich am alten Schusterhaus vorbeifahre, das zwischen nicht nur ansehnlichen neuen Häuserkomplexen ganz bescheiden und niedergeduckt da steht, ganz aus Holz, man darf es wegen Denkmalschutz nicht abreissen, aber drin wohnen mag anscheinend auch niemand, dann denk ich an meine Oma. Sie lebte dort mit ihrem geliebten Bruder Schorschl, beim Aussprechen seines Namens haben ihre Augen geleuchtet, und ihrem Vater, beide Schuster. Wahrscheinlich würde man im Märchen sagen: arme Flickschuster. Von einer Mutter hat sie nie erzählt. Irgendwann war kein Platz mehr für sie und da kam mein Großvater und hat sie auf unseren Hof geholt. Sie waren arm. Wenn ich das alte Bild anschaue, auf dem sie vor unserer Haustür stehen, oder wenn ich den alten Hut in die Hand nehme, dann muß ich weinen, weil ich die bittere Armut sehe und spüre. Von meiner Großmutter habe ich niemals das Wort „arm“ gehört. Sie hat sich in ihr Schicksal gefügt, konnte lachen und vor allem singen, alte Weisen, die ich leider nur mehr bruchstückhaft in Erinnerung habe.

Es macht mich zornig, wenn ich von dieser grad sehr modernen „ArmeLeute- Küche“ höre und man nach Chefkoch.de dann diesbezügliche Rezepte austauscht und Zutaten einkauft. Ich schäme mich vor meiner Oma über dieses Wort, genauso, wie sie sich geschämt hätte und gedemütigt, wäre sie als arm bezeichnet worden. Das Kochen war früher ganz einfach, man machte was aus dem, was da war. So bin auch ich aufgewachsen. Die Oma machte die besten handgeschnittenen Nudeln und auch der Schmarrn war wunderbar, obwohl der überhaupt nichts mit dem herrschaftlichen Kaiserschmarrn der Stadtmenschen zu tun hatte. Es war eher ein Mehlmus  ohne Eier und ganz sicher keinem Puderzucker, sondern Mehl, Milch oder Wasser und bisserl Salz, das wurde in der Pfanne gebraten, so wie bei den Holzknechten.  Man muß das können, sonst hat man nur einen Brei. Sie konnte es, die Oma, mir gelingt er selten, zu sehr bin ich auch schon die Eierüberflutung aus den Hühnerquälanstalten gewohnt.

Es gibt ein Bild von meiner Oma, da trägt sie ein Schürzl mit Streifen und sie mochte es nicht, weil sie angeblich damit wie ein Kartoffelkäfer ausschaute. Ich hab gemeint, ich müsste nur danach greifen, aber das Bild ist im Moment verschwunden.

Schaumamoi, was die liebe Kraulquappe so schreibt!

#13 Letter To You

Letter To You

Am schönsten war es, als die Sonne hinter uns unterging und die Nacht langsam durch das Glasdach sickerte und herunter schwebte in dieses Stadion mit den 72000 Menschen. Und dann kam die Sichel des Mondes angeschwommen. Der Löwenmond,  der Mond der reifenden Beeren, mein Mond, ist aufgegangen. Wir sitzen im Olympiastadion irgendwo auf den steilen Rängen auf einer Art flacher Plastikschüssel, entsetzlich unbequem. Mit den Knien am Genick des Mannes vor mir, die Knie des Hintermannes auf Tuchfühlung, eingepfercht und eingezwängt zwischen fremden Menschen, wie ich es sonst hasse, aber hier überwiegt  diese Atmosphäre unter diesem Glasdach, für das keine Superlative ausreicht, so genial ist es, alles schwebt und die Farbkompositionen von Otl Aicher strahlen lichthelle Leichtigkeit aus, so, als könne man gleich abheben und mitsamt diesem Raumschiff in ungeahnte Fernen entschweben, durch Zeit und Raum über alle Horizonte hinweg und selbstverständlich auf den Schwingen der Musik, die für den nötigen Aufwind sorgt.

Verschwitzt nach Autofahrt und Radltransfer zum Stadion saßen wir da und ich mußte erstmal durchatmen und diese ganze Ausstrahlung von so vielen tausend Menschen ertragen, die von allen Seiten mir durch Mark und Bein ging. Wieviele wir doch sind, dachte ich. Und ich ein Mensch, ein Mensch unter vielen. Und dann dieses Konzert. Ein Rockkonzert vom Allerfeinsten. Musiker und Sängerinnen hatten dieses unverstellte Lächeln der Spielfreude auf den Gesichtern, egal wann die Kamera auf sie gerichtet war. Und Bruce Springsteen, was soll ich da noch sagen, was Unzählige nicht schon gesagt hätten. Ich mag ihn,  weil von ihm einige der schönsten Songs, die ich kenne, stammen, mit dieser bitterzarten Poesie, in der  das Leben, sein Leben mit allen Brüchen und Niederlagen aber auch das Immerwiederaufstehen mitschwingen. Ich mag auch sehr, wie er über die Bühne trottet, so ein Kerl aus diesem kleinen Küstennest, über das er in seiner Autobiographie liebevoll abfällig schreibt. Und was ich am liebsten mag, ist dieses Lachen, dieses unverwechselbare Lachen, das auch jederzeit ein paar Tränen mit sich trägt. Er ist keiner, der so tut, als wäre er noch jung. Er ist ein alter Mann, und das sieht man auch, das Leben hat Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, er schwitzt und atmet schwer, er macht wohltuend  kaum Show, er steht da, hat die Gitarre in der Hand und macht das, was er sicher machen wird, bis er umfällt: Musik. Und es ist nicht nur das perfekt durchgeplante Programm, auch nicht nur diese schier unglaubliche Virtuosität aller Beteiligten, deren Soli das Stadion vibrieren ließen … es ist diese schon fast überirdische Leidenschaft, mit der sie Musik machen.Ob Bruce die alten Gassenhauer singt, bei denen immer noch alle aufspringen und tanzen, auch wenn wir uns kaum auf den Beinen halten konnten auf diesen schmalen Rängen … oder ob er diese leisen Balladen singt, die mir die Tränen in die Augen treiben … auch wenn man sieht, welchen Kraftakt er da leistet, drei Stunden ohne Pause, die Kraft, die alle mitreißt, ist diese leidenschaftliche Liebe zur Musik. Der Musik ists ja völlig wurscht, wie alt jemand ist, sie möchte sich einfach spielen.

Es war ein absolutes Erlebnis, dieses Konzert und wurde nicht geschmälert dadurch, daß mein Radl hinterher nur noch zum Schieben war und wir auch kein Licht mehr hatten. Heute gehe ich wie auf Wolken, schöner hätte mein Geburtstag nicht angespielt werden können. Auf die Frage der Kraulquappe, welche Lieblingslieder ich gestern hatte kann ich noch gar nicht viel antworten, nur daß ich geheult habe bei: Trapped und bei

Last Man Standing und ich glaube, mindestens das halbe Stadion hat Rotz und Wasser geheult bei : I’ll See You In my Dreams … ich auch.

Liebe Kraulquappe, Du hast mich ja, Lied für Lied zu Bruce hingelockt und jetzt , obwohl kein Hardcorefan, liebe ich ihn auch! Bin Dir sehr dankbar für Deine Hartnäckigkeit, REALLY!

#12 Klopfzeichen

Auf dem Türstock unseres Hauses steht die Jahreszahl 1767, an der Haustüre, die wahrscheinlich aus der gleichen Zeit stammt, ist ein Türklopfer befestigt. Und wie der Name schon sagt, kann man damit klopfen, leiser oder lauter, je nachdem, wie dringlich man sich bemerkbar machen möchte. Ich kann mich nicht erinnern, daß es früher jemals mit dem Türklopfen irgendwelche Probleme gegeben hätte. Bauernmenschen haben die Häuser kaum durch die Haustür betreten oder verlassen, man ging immer hinten hinein, durch die Tennentüre, dann durch „das Haus“ (Hausgang) und dann klopfte man an die Stubentüre. Es war keine Türe abgesperrt und auch wenn man durch die Haustür kam, ging man zur Stubentür und klopfte. So mache ich das heute noch, wenn ich unsere alte Nachbarin besuche, ich geh rein ins Haus und klopfe an die Stubentür. Am Abend wurde abgesperrt. Eigentlich wurde der Türklopfer an der Haustüre nur von Hausierern oder sonstigen Fremden benutzt oder nachts, und da wusste man, daß etwas passiert war.

Heute sind alle Häuser abgesperrt, denn tagsüber ist kaum mehr jemand daheim, die Kinder und die Alten zur Aufbewahrung in den jeweils adäquaten Einrichtungen zur Vorbereitung auf das Leben in einer Leistungsgesellschaft die einen, oder zum Warten auf den Tod, aufgelockert durch Basteleien und  Seniorengymnastik die anderen, die dazwischen in Schule und Arbeit.

Auch die Bauernhäuser sind jetzt gut abgesichert, haben Fingerprint Anlagen oder zumindest Klingelknöpfe. Um die meisten Häuser herum geht auf Schritt und Tritt ein grelles Licht an, was bei manchen eine Art Dauerbeleuchtung auslöst, weil die Katzen ständig durch die Lichtschranken laufen.

Wir leben diesbezüglich auf dem Mond. Unser geliebter eiserner Türklopfer sorgt für große Verunsicherung. Die ständig wechselnden Postboten und diverse andere Lieferdienste wissen entweder gar nicht, wie sie sich bemerkbar machen könnten, bringen die Pakete zum Nachbarn oder werfen Abholzettel für die Poststelle in den Briefkasten oder schlagen mit dem Klopfer so aggressiv herum, daß er jetzt, nach 250 Jahren schon etwas wackelt und schief an der Türe hängt. Es ist kaum zu glauben, aber viele Menschen sind überfordert, wenn sie keine übliche elektronische Klingel vorfinden, so als ob der Mensch völlig vergessen hätte, daß außerhalb technischer Fernsteuerung auch noch eine Welt existiert, die man mittels Handhabung bedient. Hin und wieder verirrt sich touristisches Fußvolk auch hierher in unser vollkommen unspektakuläres kleines Tal, hockt sich auf die Hausbank und wartet auf Bedienung. Da es keine Türglocke gibt, rennen sie ums Haus herum, klopfen an die Fenster und rufen „Halloo“…is hier niemand  und werden ungemütlich: also gute Frau, so gehts ja nicht, wir warten ewig auf ein Glas Milch, das ist doch hier eine Alllpe oder nicht?

Jetzt kommen keine Leute mehr zu Fuß, sondern nur noch elektrische Fahrräder sausen mit Affenzahn ums Eck herum und wenn sich doch welche ohne zu fragen auf unserer Hausbank häuslich niederlassen und ich sie gern loshätte, lege ich die Christmas Scheibe vom Bobby Dylan auf, den ich ansonsten sehr liebe, aber diese Platte ist so schrecklich , daß sie mir in der Touristenvertreibung schon gute Dienste erwiesen hat … aufgedreht, was die Boxen hergeben.

Vor kurzem schrie wieder mal eine Frau, ums Haus herum stöckelnd: Hallo, hallo, wer wohnt denn hier! Ich hatte die Gießkanne in der Hand und sagte: Ein Hallo wohnt hier schon mal gar nicht und was sie denn wolle. Sie wurde pampig und beschwerte sich, es gäbe ja keinerlei Klingel und wie sie denn …usw. usw. Ich sagte nur, wir hätten einen Türklopfer, der nicht zu übersehen sei und den man eigentlich nur in die Hand nehmen müßte.

So ist das in unserer ländlichen Idylle, in der oberbairischen Provinz. Grade hat der heutige Postbote unseren Klopfer sanft betätigt und ist wieder gefahren, geht doch.

Leider ist mir schon wieder passiert, daß ich einen Film in verkehrter Sprache bestellt habe: „Bird“  von Clint Eastwood über den kongenialen Charlie Parker, aber leider spreche ich kein Französisch.

Auf den Straßen unserer Idylle hat das  Große Stehen nach Kroatien begonnen, auf der Autobahn und, was da nicht mehr drauf passt, bei uns durchs Tal auf der Bundesstraße. Und über uns die unzähligen Flieger, es ist den Leuten wirklich scheißegal, was diese Fliegerei mit unserer Welt anrichtet, man fliegt mal schnell nach Singapur, nach Berlin, London, Istanbul, warum? Weil man es kann und weil es alle machen. Und wie blöd muß man eigentlich sein, jetzt aus unseren 37 Grad Hitze Land in Länder zu fliegen, in denen 45 Grad und mehr angesagt sind. Die Menschheit lernt nichts dazu. Vorhin war ein heftiges Gewitter, Sturzbäche sind über die ausgetrockneten Wiesen den Hügel hinuntergelaufen, nichts ist in die Erde gedrungen. Wann kapieren wir eigentlich, daß es nicht reicht, Insektenhotels aufzuhängen, wenn ringsrum alles verdorrt ist.

Trotz alledem muß man sich dringend „das Glücklichsein gestatten“, hat die Kraulquappe jetzt mal gesagt, wie Recht sie hat und gleich noch einen Spruch vom geliebten Bruce nachgeschickt: „Seid gut zueinander“! Ja, laßt es uns immer wieder versuchen!

Ich freu mich bald auf liebe Gäste, die brauchen nicht mal klopfen, weil die Türe schon weit auf ist für sie!

Ansonsten gilt:

Klopfet an, so wird euch aufgetan. (Lk 11/9)

 

 

#11 Sag mir ein Wort

Wo ich auch hinkomme, begrüßen sich die Menschen mit „Hallo“. Auch vorhin beim Optiker ein Kommen und Gehen und die meisten sagen Hallo, nur ganz wenige, oft bin ich die einzige, sagen Grüß Gott. Es scheint völlig aus der Mode zu sein, in dem, was vom bairischen Deutsch noch übrig ist, Gott zu erwähnen, zumindest was die Grußformen anbelangt. Wenn was Schlimmes passiert, sagt man: Um Gottes- oder Himmelswillen, oder Gott sei Dank oder Gottlob, wenn das Schlimme abgewendet wurde. Und wenn es schwierig wird: oh Gott oh Gott. Früher sagten wir Helf Dir Gott, wenn einer geniest hat und die Antwort war: Dank dir Gott und anstatt Danke sagten wir Vergelts Gott, und die Antwort war: Segne´s Gott! Wir sagen noch: Ach du lieber Gott, wenn es auf der Straße des Lebens unwegsam und gefährlich wird, aber in der Grußformel an den Mitmenschen, da wollen wir so reden, wie alle reden und weil so ziemlich alle wie alle reden wollen, deshalb reden halt auch alle so wie alle. Und da entsteht dann so ein Brimborium von Wörtern, die alles für alle bedeuten und einfach genug sind, daß alles von allen ausgedrückt werden kann und die alles bedeuten und daher also nichts. „Gucken, lecker, mega, unfaßbar, Boomer,“ … die Serie kann fortgesetzt werden … gehören für mich an erste Stelle der Unwörter, aber vor allem dieses „Hallo“, das ja beim Telefonieren seine Berechtigung hat, doch ich möchte nicht damit begrüßt werden, gestehe aber, daß ich auch aufpassen muß, nicht in diese Hallo –  Falle zu geraten.

Es gibt im bairischen Deutsch, in der Sprache der Alpenländer – und ich bin sicher, überall, wo es eine Mundart gibt, ist das genauso – eine Vielfalt an Grußformeln:

Griaßgod … Grüß Gott
Griaßdigod , sagt man zu Menschen, die man mag…Grüß Dich Gott
Griaßeahnagod … Grüß Sie Gott

Pfiagod … Pfüat Gott … Behüt Gott (Auf Wiedersehen)
Pfiatigod … Behüt Dich Gott
abgekürzt sagt man Griaßdi und Pfiati

und das ist nur ein kleiner Ausflug in  die Sprache, die in diesem Banalwort Hallo traurig verkümmert. „Was – Sie grüßen Gott!!!“  – hat mir mal einer angewidert entgegen geschleudert. Ja, auch ich, eine alte, suchende Agnostikerin, grüße gerne Gott im anderen Menschen, ich grüße das Heilige in ihm.

Aber ich vermute, die meisten denken gar nicht über die Wirkung eines Grußes nach, denn wenn ich so auf der Hausbank sitze und die Leute grüße, die vorbeiradeln, grüßen die wenigsten zurück. Vorgestern  sagte ein junger Kerl „Servus“ und gestern rief ein älterer Mann mir zu: „Habadehri“, das heißt: „Habe die Ehre“ und hat mich sehr gefreut. Das Grüßen ist eine magische Praktik und gehört wie das Wünschen zu den alten Kräften.

Als ich heute aus dem Optikerladen heraustrete, fühle ich mich, als würde ich in das Backrohr bei 250 Grad Umluft kriechen.

Heißer Wüstenwind weht über die vertrocknete Erde. Mir fällt plötzlich dieser Ort ein, irgendwo in Istrien, wir sind geflüchtet vor den Menschenmassen am Strand, einen steinigen Pfad ins Nirgendwo, an Bunkeranlagen vorbei, hinauf durch einen Wald, oben eine Klippe, ausgetretene Steinstufen zu einer kleinen Kapelle. Die Tür steht offen, wilder Rosmarin und Thymian wachsen an der Schwelle. Drinnen gleitet halbdunkle Kühle über meinen erhitzten Leib. Ich setze mich ins Gestühl, vor mir kniet auf einer Altarstufe, die Hände gefaltet vor der Brust, eine dunkle Gestalt, eine alte Frau im schwarzen Kleid. Ich bin vorsichtig und leise, um sie nicht im Gebet zu stören. Ich schließe die Augen und verliere sofort den Bezug zum Irdischen, ich lasse mich los und fliege mit den Gestirnen durch Zeiten und Räume…

Als ich aus dem Zeitlosen wieder zurückkomme und die Augen öffne, kniet die Frau immer noch vor mir. Ich gehe zu ihr und berühre sie vorsichtig an der Schulter. Kühl und hart, sie ist aus Holz, ein bemaltes Gesicht, dunkle Augen sehen in die Ferne …

Vorhin hätte es beinahe geregnet. Drei Tropfen auf meinem Handrücken. Ich lecke sie ab, wie Salzkristalle schmecken sie.

Sag mir ein Wort, und ich stampfe
dir aus dem Zement eine Blume heraus…
Christine Lavant

und die Kraulquappe hat bestimmt auch schon hier was geschrieben!

#10 … was der Fall ist …

Jetzt sitz ich schon zum 10. Mal hier um die gleiche Zeit und warte … auf Wörter, die sich hoffentlich zu passablen Sätzen formen, die ich dann hinausschicken kann, als Notizen zwischen Himmel und Erde. Heute warte ich auch noch sehnlichst auf Nachricht meiner Herzensfreundin, die am Morgen, von unliebsamer Geschichte hoffentlich befreit und jetzt frisch operiert im Aufwachraum sich wieder dem Leben entgegenstrecken wird. Ich hab eine Kerze für sie angezündet an einem heiligen Ort zu Füssen der Himmelsfrau. Wenn das Gefälle der Ereignisse zu hoch ist und sich jeglicher persönlicher Beeinflussung entzieht, dann kann man nur noch nach oben abgeben und versuchen, Demut zu üben. Demut, was für ein Wort … es läßt sich zerlegen in Dienen und Mut. Sich zu ergeben, und dem Großen Weltengeschick dienend anzuvertrauen, dazu braucht es freilich Mut.

Endlich hat es geregnet, viel zu kurz und viel zu wenig, aber zumindest so viel, daß sich alle Wesen über und unter der Erde vor dem Verdursten retten konnten. Ich habe mich in diesen warmen Sommerregen gestellt und mir war, als wäre ich von unzähligen offenen Mündern umgeben, die begierig jeden Tropfen aufsaugen wollten …  Trinken, nur noch Trinken … ob es dafür gereicht hat, die tiefen Risse der verwundeten harten Erde mit Wasser zu füllen? Jetzt wird wieder viel von der sogenannten Leichtigkeit des Sommers geredet. Ich kann in der bleiernen Schwere der schwülen Hitze, in den ausgetrockneten Bächen und den verdorrenden Wiesen, auf die auch noch hunderttausende von Litern Gülle geschüttet wird, nichts Leichtes erkennen. Am Chiemsee gibt es eine Mückenplage, die ersten Touristen sind schon deshalb abgereist, angeblich. Manchmal kommt es mir vor, als wäre diese Leichtigkeit des Sommers eine Erfindung der Tourismusindustrie und Oberbayern ein großer Freizeitpark und mir fallen die grandiosen Filme „Future World“ ein und das Beste, was es über die touristisch erschlossenen Alpenländer gibt: „Die Piefke Saga“, von Felix Mitterer geschrieben! Das spielt zwar in Tirol, aber ätzender und desillusionierender kann man eigentlich nicht beschreiben, was sich hierzulande abspielt.

Das, was der Sommer an alten Wunden offenlegt, das übergießt ein warmer Regen mit heilendem Balsam.

Vor paar Tagen stellte sich von Schrecken begleitet heraus, daß mein Ausweis schon vor vier Monaten abgelaufen ist. Also schnell das volle Programm: Frisörin, Fotostudio, Gemeinde. Das Schlimmste ist das Foto. Ich hasse dieses Hinsetzenmüssen und irgendwie so schauen, daß es ein gutes Bild wird. Und das Ergebnis ist dem Schulfoto, zu dem ich als Erstklässlerin gezwungen wurde, sehr ähnlich … ein total verkrampftes Geschaue in völlig unnatürlicher Kopfhaltung, von der freundlichen Fotografin in kamerataugliche Position gedreht … wie damals, vor über 60 Jahren. Ich hatte plötzlich während der Prozedur dieses Déja- vùs, und ich sah den gebräunten Arm der Schulfotografin vor meinem Gesicht und hatte ihren Geruch in der Nase, der mir sehr unangenehm war. Ihr Arm, der ständig an mir herumfuchtelte, roch nach Rauch und Schweiß und irgendeinem süßen Parfum, alles in allem war mir zuwider und so schau ich auch auf dem Foto als kleines Mäderl. Heute sehe ich auf dem Foto eine verkrampft ernsthaft schauende Frau mit fast 71 Jahren und ich frage mich, ob es wohl das letzte Foto sein wird. 10 Jahre ist der Ausweis gültig, gibt es mich dann noch?

Wie oft werde ich wohl noch Ribislgelee einkochen, war es die letzte Aprikosenmarmelade, frage ich mich, als sie angebrannt ist, weil ich mir beim Hantieren ein spitziges Messer in den Daumen gerammt habe. Wie oft werde ich noch einen Ribislkuchen machen, beim jetzigen ist mir das Baiser verbrannt, als ich Ben Becker beim Rezidieren von Paul Celan zuhörte … Ach diese Fragen nach dem letzten Mal sind müßig und eine Falle, die das Leben trostloser macht, als es ist und ich versuche, sie abzuschütteln. Denn eine Stimme tief in mir sagt, egal wie alt wir sind, wir haben immer gleich viel Lebenszeit, nämlich diesen jetzigen, flüchtigen Moment.

Die Kraulquappe und ich, wir haben eine sehr besondere Verbindung. Unsere Empfindungen kreuzen sich manchmal herzmäßig und wunderbar an den merkwürdigsten Stellen, und da, wo wir uns am Fremdesten sind, kommen wir uns so nahe, daß wir gegenseitig die Schutzschirme der schlecht verheilten Wunden spüren.

Ich liebe es, wenn sie sagt: „Bei Dir  im Bergland“, weil das so stimmt und weil sie als Großstädterin nicht bei Euch „am Land“ sagt, denn das würde nicht stimmen. Und sie nennt mich „Gefährtin“. Ja,  das bin ich gerne mit ihr, Gefährtinnen auf der Reise, mal näher, mal ferner, die Gefahren umkreisen aber auch mitten hinein und hindurch. Und wir sind uns sehr ähnlich in der Punktgenauigkeit der 12 Uhr Mittag – Vorgabe. Auslegen tun wir’s, wie es uns entspricht … die Kraulquappe schickt pünktlich um 12 Uhr ihren Text raus und ich setze mich pünktlich um 12 Uhr hin, um ihn zu schreiben! So sind wir und ich freu mich auf weiteres Parallelschreiben und überhaupt bin ich froh, daß es Dich gibt, liebe Kraulquappe!!

„Die Welt ist alles, was der Fall ist“ (Wittgenstein Tract.)