Bei so vielen Menschen, knapp 72000 im Stadion, da kommt man schon mit einem beachtlichen Virenaufgebot in Berührung. Ich hab es wie immer, so lange rausgeschoben, bis der Mann wieder gesund ist, und jetzt hat es mich auch erwischt, mit allem, was halt dann so daherkommt an Schnupfen, Husten, Fieber &Co. Die Gedanken im Kopf lassen sich nicht mehr lenken sondern stranden in einer Art Matsch, ähnlich der Masse, die nach Schneefall und Tauwetter am Straßenrand liegt. Früher sagten wir zu so einem Zustand: ich bin beinander wie ein Packerl Kunsthonig. In wirren Träumen war ich letzte Nacht im Schusterhaus, davor standen meine Großmutter und ihr Bruder, der Schorschl. Sie schauten einem Trachtenzug hinterher, der mit Blasmusik das Dorf hinauf zu der Kirche ging.
Da ist manches durcheinandergeraten in diesem Traum und der Trachtenzug kam wahrscheinlich von dem großen Gautrachtentreffen vor zwei Wochen. Da marschierten tausende TrachtlerInnen in unzähligen Gruppen durch den Marktflecken hin zum Bierzelt, zeigten ihre Trachten und später die üblichen kunstvollen Tanzdarbietungen.
Meine Oma hätte da sicher auch zugeschaut, aber damals gab es noch keinen Trachtenverein und von einem Gewand, das „Dirndl“ geheißen hätte, davon hat niemand gesprochen. Auch gab es keine Einladungen, bei denen „Tracht“ erwünscht war, denn das Wort „Tracht“ war überhaupt nicht in Gebrauch, ich hab es auch erst irgendwann in den siebziger Jahren kennengelernt und da konnte man sich auch bei der Tante ein „Dirndl“ schneidern lassen. Vorher war das Dirndl eine junge unverheiratete Frau.
Meine Oma hatte ein Gewand für den Feiertag und ein paar lange Röcke mit einer Art Bluse, dunkel und aus grobem Stoff für den Werktag. Darüber kam immer die Schürze, die mit langen Bändern um die Taille gebunden war. Für die Stallarbeit gab es das Stallgewand, das aus ehemaligem ausgemusterten Werktagsgewand bestand. Alles dunkel und selbstverständlich hochgeschlossen.
Das schwarze Feiertagsgewand bestand je nach Reichtum der Bäuerin aus einem Mieder aus mehr oder weniger kostbarem Samt mit bodenlangem Rock und die meist hellblaue Schürze aus mehr oder weniger echter Seide. Selbstverständlich wurde der Ansatz des Dekolletes mit einem Tuch verdeckt und an hohen Feiertagen wurde ein Sträußlein Geranien und Asparagus ins Mieder gesteckt. Die verheiratete Frau trug dazu einen schwarzen „Priener Hut“ mit langen samtenen Bändern, die über den Rücken hingen. Viel später, als die Kitsch-Ära begann und man sich Wagenräder und Heugabeln oder sogar einen Pflug an die Hauswand nagelte, da wurden die Priener Hüte aufgetrennt und Spiegel daraus gemacht. Ich hab den Hut von der Oma noch, den wollte die liebe Verwandtschaft wohl nicht beim Tod meiner Oma, aber man holte sich sofort das einzige seiderne Schürzl, das sie besaß, natürlich nur zwecks Erinnerung an das liebe Omerl.
Das Feiertagsgewand wurde nur einmal im Leben gekauft, die Frauen, die es trugen, wurden nie zu dick, denn die Arbeit war so schwer und meine Oma hatte nebenbei noch sieben Kinder zum Großziehen.
Das Gwand (Gewand) hatte einen komplett anderen Stellenwert als heute, weggeworfen wurde gar nichts. Wenn mal was wirklich nicht mehr tragbar war, dann wurde es in Streifen geschnitten und beim Weber (den man damals noch bezahlen konnte im Gegensatz zu heute) zu Fleckerlteppichen verarbeitet. Und romantisch war damals schon gar nichts und man sprach auch nicht von Traditionen oder irgendwelcher Brauchtumspflege.
Wenn ich am alten Schusterhaus vorbeifahre, das zwischen nicht nur ansehnlichen neuen Häuserkomplexen ganz bescheiden und niedergeduckt da steht, ganz aus Holz, man darf es wegen Denkmalschutz nicht abreissen, aber drin wohnen mag anscheinend auch niemand, dann denk ich an meine Oma. Sie lebte dort mit ihrem geliebten Bruder Schorschl, beim Aussprechen seines Namens haben ihre Augen geleuchtet, und ihrem Vater, beide Schuster. Wahrscheinlich würde man im Märchen sagen: arme Flickschuster. Von einer Mutter hat sie nie erzählt. Irgendwann war kein Platz mehr für sie und da kam mein Großvater und hat sie auf unseren Hof geholt. Sie waren arm. Wenn ich das alte Bild anschaue, auf dem sie vor unserer Haustür stehen, oder wenn ich den alten Hut in die Hand nehme, dann muß ich weinen, weil ich die bittere Armut sehe und spüre. Von meiner Großmutter habe ich niemals das Wort „arm“ gehört. Sie hat sich in ihr Schicksal gefügt, konnte lachen und vor allem singen, alte Weisen, die ich leider nur mehr bruchstückhaft in Erinnerung habe.
Es macht mich zornig, wenn ich von dieser grad sehr modernen „ArmeLeute- Küche“ höre und man nach Chefkoch.de dann diesbezügliche Rezepte austauscht und Zutaten einkauft. Ich schäme mich vor meiner Oma über dieses Wort, genauso, wie sie sich geschämt hätte und gedemütigt, wäre sie als arm bezeichnet worden. Das Kochen war früher ganz einfach, man machte was aus dem, was da war. So bin auch ich aufgewachsen. Die Oma machte die besten handgeschnittenen Nudeln und auch der Schmarrn war wunderbar, obwohl der überhaupt nichts mit dem herrschaftlichen Kaiserschmarrn der Stadtmenschen zu tun hatte. Es war eher ein Mehlmus ohne Eier und ganz sicher keinem Puderzucker, sondern Mehl, Milch oder Wasser und bisserl Salz, das wurde in der Pfanne gebraten, so wie bei den Holzknechten. Man muß das können, sonst hat man nur einen Brei. Sie konnte es, die Oma, mir gelingt er selten, zu sehr bin ich auch schon die Eierüberflutung aus den Hühnerquälanstalten gewohnt.
Es gibt ein Bild von meiner Oma, da trägt sie ein Schürzl mit Streifen und sie mochte es nicht, weil sie angeblich damit wie ein Kartoffelkäfer ausschaute. Ich hab gemeint, ich müsste nur danach greifen, aber das Bild ist im Moment verschwunden.
Schaumamoi, was die liebe Kraulquappe so schreibt!