In den unergründlichen Tiefen der Bücherregale im alten Haus finde ich zwischen Stifters Witiko, Patti Smith, Ragnar Helgi Ólafsson und Robert Walser endlich den gewünschten Gerhard Roth und dann fällt noch ein dünnes Buch heraus, eher ein Heft. Ich kann mich nicht erinnern, es jemals gesehen zu haben, eine gewisse „Paula Tacke“ hat es wohl am 14.7. 1929 gekauft und gleich ihren Namen mit Tintenfeder hineingeschrieben.
Gedichte von Fritz Woike mit Bildern von Karl Kühnle
Barmen 1929
Emil Müller´s Verlag
An des Menschen Auge hängt Seines Lebens Glücke, Wie er Lust und Leid umfängt Mit dem inneren Blicke.
Reichtum, Ehre, Gut und Geld Wohl zu vielem taugen; Reicher sind, die durch die Welt Gehn mit hellen Augen.
Tobt des Lebens Wirbelwind Auch um deine Klause … Wo die hellen Augen sind, Ist das Glück zu Hause.
Mich trieben Sehnsuchtsbrände Von Land zu Land, Das Suchen nahm ein Ende, Die Seele fand.
Da deines Lichts Gefunkel Mein Herz berührt, Ward ich aus Qual und Dunkel Zum Licht geführt.
Nun liegt auf allen Wegen Dies stille Licht. Ich geh ihm froh entgegen, Mehr will ich nicht.
Uf Mueters Seu wo hüt Furt isch voder Ärde Uf au die schöne Ching Wo hüt znacht gebore wärde Uf au die Zyt wo isch vergange Uf au die Zyt wo mir no blibt Uf die grüene Triebe Uf die süesse Frücht ide Böim Uf aui grosse Plän u Uf aui grosse Tröim Uf au die wo fiire u no singe Uf au die wo sueche U wo vilech sogar finge Es Glas uf d’Liebi und eis uf z’voue Läbe u Eis uf au das wo mir nid chöi häbe Es Tor geit uuf unes angers geit zue Blibsch i mim Härz (sogar no denn) wes afaht weh tue Uf au die wo chöi vergässe Uf au die wo chöi vergäh Uf au die wones grosses Härz hei U wosech das nid löh la näh Ufne gränzelose Himu Ufnes uferloses Meer U für immer uf di Es Glas uf d’Liebi und eis uf z’voue Läbe u Eis uf au das wo mir nid chöi häbe Es Tor geit uuf unes angers geit zue Blibsch i mim Härz (sogar no denn) wes afaht weh tue Es Tor geit uuf unes angers geit zue Blibsch i mim Härz (sogar no denn) wes afaht weh tue Uf Mueters Seu wo hüt Furt isch voder Ärde Uf au die schöne Ching Wo hüt znacht gebore wärde Uf au die Zyt wo isch vrgange Uf au die Zyt wo mir no blibt
Auf Mutters Seele die heute Fort ist von der Erde Auf all die schönen Kinder Die heute Nacht geboren werden Auf all die Zeit die vergangen ist Auf all die Zeit die mir noch bleibt Auf die grünen Triebe Auf die süßen Früchte in den Bäumen Auf alle großen Pläne Auf alle großen Träume Auf alle die feiern und singen Auf alle die suchen Und die vielleicht sogar finden Ein Glas auf die Liebe und eins aufs volle Leben und Eins auf all das was wir nicht halten können Ein Tor geht auf und ein anderes geht zu Du bleibst in meinem Herz (sogar dann noch) wenn es anfangt weh zu tun Auf alle die vergessen können Auf alle die vergeben können Auf alle die ein großes Herz haben Und sich das nicht nehmen lassen Auf einen grenzenlosen Himmel Auf ein grenzenloses Meer Und für immer auf dich Ein Glas auf die Liebe und eins aufs volle Leben und Eins auf all das was wir nicht halten können Ein Tor geht auf und ein anderes geht zu Du bleibst in meinem Herz (sogar dann noch) wenn es anfangt weh zu tun Ein Tor geht auf und ein anderes geht zu Du bleibst in meinem Herz (sogar dann noch) wenn es anfangt weh zu tun Auf Mutters Seele die heute Fort ist von der Erde Auf all die schönen Kinder Die heute Nacht geboren werden Auf all die Zeit die vergangen ist Auf all die Zeit die mir noch bleibt
Vielen herzlichen Dank an Patent Ochsner für den freundlichen Kontakt und die Übersetzungshilfe, und die Erlaubnis, alles hier veröffentlichen zu dürfen!
Der Film „Lucky“ ist mir unter die Haut mitten ins Herz gegangen. Schier unbeschreiblich, Handlung gibt es kaum, passieren tut nichts, eigentlich wirkt alles wie eine Momentaufnahme des Lebens in einem kleinen Nest irgendwo in Amerika. Die Straßen sind staubig, die Sonne scheint grell und ein alter Mann geht durchs Bild, wie durch die Kulissen einer Westernstadt.Er hat seine Verrichtungen, hat feste Regeln und Zeiten, wo er seinen Kaffee trinkt und Kreuzworträtsel löst, alles läuft nach Plan, er geht nachhause, um bestimmte Shows im Fernsehen anzuschauen und am Abend sitzt er in einer Bar und trinkt Tomatensaft und unterhält sich mit den immer gleichen Leuten.
Harry Dean Stanton(91) spielt seine letzte Rolle in diesem großen kleinen Film, einen 91 jährigen, kauzigen Eigenbrötler und er spielt in einer vollkommen unsentimentalen Wahrhaftigkeit, die kaum auszuhalten ist. Die Kamera geht erschreckend nahe an ihn heran, man sieht jede Falte an diesem alten, dürren Klappergestell von einem Körper und man sieht diesen schönen sinnlichen Mund, einen Schopf brauner, ungebändigter Haare und Augen …diese Augen, dunkel und so tief wie das Weltall und ich denke, daß ich diese Tiefe bis jetzt nur bei denen gesehen habe, die von weit her kommen und gerade geboren werden oder bei denen, die sich bald auf die Reise hinaus machen. Später erfahre ich, daß Harry Dean Stanton kurze Zeit nach dem Fertigstellen des Films plötzlich gestorben ist …
Irgendwann merkt Lucky, daß auch er sterblich sein wird, daran hatte er bisher noch nicht gedacht. Und er sagt zu jemandem: wenn Du mir versprichst, daß Du es nicht weitererzählst … ich hab eine Scheißangst! Und irgendwann sieht er diese Frau an und in ein paar Sekunden spielt sich zwischen ihnen eine Liebesgeschichte, für die andere ein Leben brauchen und dann singt er dieses Lied …
Schön ist das, nach dem Kino 35 km durch die Nacht zu fahren, über Land, auf kleinen leeren Straßen, achtzugeben auf die Krötenwanderungen, den Mond über den Bergen zu sehen und an diesen schönen alten Mann zu denken, der mit einem Lächeln einfach weitermachte egal, wie lang es noch dauern sollte.
Wir haben alle mal Angst, nicht wahr, eine Scheißangst sogar. Auch in dieser Geschichte damals, im Garten Gethsemane , da war einer mitten unter seinen Freunden und er wusste, er würde bald sterben, aber die Freunde schliefen. Dann hat er Blut geschwitzt vor Angst.
Er sprach nicht nur davon, er war ein Liebender, das verbindet mich mit ihm.
Es ist jetzt tatsächlich schon wieder zwei Jahre her, daß ich etliche Schreibende fragte, ob sie denn Lust hätten, sich eine Geschichte auszudenken, die auf einen von mir vorgegebenen Schlußsatz zuläuft und als Besonderheit auch noch jeder ihren/seinen Teil davon zu vertonen. Welch eine Freude, es wollten alle mitmachen und es entstand ein absolut ungewöhnliches Projekt: „Hört – Hört, Geschichte am Feuer“.
Es war für mich eine unglaublich beglückende Erfahrung, eine intensive Zusammenarbeit von Menschen, die sich noch nie begegnet waren und ich habe mich so gefreut darüber, daß jetzt Andreas Glumm seinen wundervollen Teil der Geschichte wieder hervorgekramt und damit an dieses Projekt erinnert hat. Er war damals zwar schreib- aber nicht lesebereit und so musste ich, um an seine Poesie zu kommen, sie selber vorlesen!
War das Projekt erfolgreich, die Geschichte stimmig?
Das soll entscheiden wer will, für mich liegt das größte Glück schon darin, daß es stattfinden durfte, daß wir uns begegnet sind und ein Erzählfaden von Hand zu Hand gereicht wurde.
Vielen Dank nochmal an alle Mitwirkenden, es war so schön mit Euch!
Womöglich hab ich ja mal wieder so eine Idee … dann werde ich mich melden!
„Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schloßberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.“ …Franz Kafka
Nach unzähligen gescheiterten Versuchen, mich Kafkas Fragment „Das Schloß“ lesend zu nähern, hatte ich längst aufgegeben.
Eine Begegnung mit Jaroslav Rudis und der „Kafka Band“, die er zusammen mit dem Zeichner Jaromir 99 mit Mitgliedern anderer tschechischer Bands (z.B. Priessnitz) ins Leben gerufen hatte, veränderte meine Sicht so total, daß ich zu diesem großen Text heute tiefe Verbundenheit fühle.
Eine ganz eigenArtige Magie entsteht durch das Zusammenwirken von Vorleser, Musik, SängerIn und animierter Zeichnung.
Und – ich liebe es, mir Geschichten erzählen zu lassen, von Menschen, die das mit so großer Spielfreude tun und mir Sinnenbalsam schenken.
Kafka Band:
Jaroslav Rudis, Jaromir 99, Dusan Neuwerth, a.m.almela, Iiri Hradil Zdenek, Iurcik Tomas Neuwerth Clad
„Zunächst war K. froh, dem Gedränge der Mägde und Gehilfen in dem warmen Zimmer entgangen zu sein. Auch fror es ein wenig, der Schnee war fester, das Gehen leichter. Nur fing es freilich schon zu dunkeln an, und er beschleunigte die Schritte.
Das Schloß, dessen Umrisse sich schon aufzulösen begannen, lag still wie immer, niemals noch hatte K. dort das geringste Zeichen von Leben gesehen, vielleicht war es gar nicht möglich, aus dieser Ferne etwas zu erkennen, und doch verlangten es die Augen und wollten die Stille nicht dulden. Wenn K. das Schloß ansah, so war es ihm manchmal, als beobachtete er jemanden, der ruhig dasitze und vor sich hinsehe, nicht etwa in Gedanken verloren und dadurch gegen alles abgeschlossen, sondern frei und unbekümmert, so, als sei er allein und niemand beobachte ihn, und doch mußte er merken, daß er beobachtet wurde, aber es rührte nicht im geringsten an seiner Ruhe, und wirklich – man wußte nicht, war es Ursache oder Folge -, die Blicke des Beobachters konnten sich nicht festhalten und glitten ab. Dieser Eindruck wurde heute noch verstärkt durch das frühe Dunkel; je länger er hinsah, desto weniger erkannte er, desto tiefer sank alles in Dämmerung.“ Franz Kafka
Aus dem „Mond der reifenden Beeren“ ist längst eine Sichel geworden, das Rad dreht sich weiter, nach dem 63. Geburtstag kommt das 64. Lebensjahr. Nichts bleibt, gar nichts, alles vergeht und ändert ständig seine Gestalt. Der Körper wird weiter verfallen, um sich irgendwann abzustreifen und davonzufliegen. Wilde Kräfte sind am Werk, der Feuerdrache bläst heisse Wüstenluft über das Land, das schon nach Herbst riecht. Aber „noch“ ist Sommer. „Noch“, nicht mehr abzuschütteln wie „Seniorin“ und so manche andere Gemeinheit. Wenn schon, dann müsste es „DENNOCH“ heißen! Dennoch tanzen, dennoch schreien, singen, jauchzen, spinnen, in den Wald laufen, die Dinge verwandeln, Freude in die Augen der Menschen zaubern, aufregen, trommeln und nicht aufgeben, weiterhin Didgeridoo zu lernen, grad extra! Ja, und „Schreiben als Dennoch“, wie es der versteckte Poet formuliert hat, der leider noch immer verstummt ist, ich vermisse ihn!
Und dennoch die Musik laut aufdrehen und einen dieser wilden jungen Männer mit den alten Gesichtern singen lassen.
Es gibt junge, wilde Männer mit jungen Gesichtern, die wunderbare Musik machen, in der ist die wilde, ungestüme Kraft des Aufbruchs, alles beginnt neu und sie stürzen sich in das Leben, das vor ihnen liegt, alles wird sich erst formen, alles ist noch möglich… lieben tu ich die jungen Männer mit den alten Gesichtern, denen man das Leben ansieht, das sie gelebt haben, und in deren Musik alles ist, was ein Mensch erleben kann, die ganzen Freuden, aber auch die Einsamkeiten und all die Schwere der Existenz. Alles, alles und dennoch!
Bei einem dieser alten, jungen Männer geschieht dieses Wunder, das nicht zu erklären ist, ein Phänomen, das ich nur Liebe nennen kann in Ermangelung jeglicher Begrifflichkeit, einer der so Musik macht, muß ein übervolles Herz haben!
David Gilmour rettet mir förmlich das Leben, sobald er den ersten Ton spielt!
Ich möchte dieses Erlebnis gern mit Euch teilen als Dank für die lieben Worte und Wünsche und was noch so alles daherkam, um mich trotz Melancholie in mein neues Lebensjahr hinüber zu schubsen, hab mich sehr gefreut darüber und überhaupt freue ich mich immer sehr über alles, was Ihr hier hinterlasst, auch über die bunten Bildchen, jeder Klick erscheint mir wie ein Lichtzeichen aus fernen Galaxien, herzlichen Dank an alle und Eure wertschätzende Beachtung!