Archiv für den Monat: März 2016

sightSeeing I

Braunau

Foto: Tina Ribarits, O.T., C-Print, 2016, 110 x 170 cm
Mit freundlicher Unterstützung: Kulturförderung Oberösterreich, bka Österreich/Wien, Stadt Braunau, IKG, Teilnahme am Inn4tler Sommer 2016

sightSEEING I

FOTOFORUM BRAUNAU/ Stadttorturm, Stadtplatz, Braunau am Inn
2016

Foto- und Videoarbeiten von: Stefan Lux, Tina Ribarits und Fabio Zolly

Eröffnung: Freitag, 8. April um 19 Uhr
Begrüßung: Mag. Johannes Waidbacher, Bürgermeister der Stadt Braunau
Einleitende Worte: Dr. Petra Noll, Kuratorin
Die KünstlerInnen sind anwesend.
Dauer: 9.4. bis 8.5.2016
Öffnungszeiten: Fr 16–19, Sa–So 14–18 Uhr
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

In den beiden Ausstellungen „sightSEEING“ im Fotoforum Braunau 2016 geht es um das Thema „Sehen“. Meist wird das Sehvermögen als der für die Erkenntnis wichtigste menschliche Sinn verstanden. Dennoch können wichtige Phänomene
der Realitätseinschätzung – wie Zeit oder unser Inneres – nicht gesehen werden. Was wir als Bilder sehen, ist vor allem Resultat von Denkprozessen, Erfahrungen, Wissen sowie subjektiver Erfahrungen und Gefühle. Für KünstlerInnen gibt es viele Zugangsweisen zur Thematik; gemeinsam ist allen, dass sie Wahrnehmungsgewohnheiten untersuchen
und hier die Grenzen des Sehens bis aufs Äußerste ausreizen. Eine Strategie ist die Auseinandersetzung mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit mit den Mitteln der Dekonstruktion, Verfremdung, Neukontextualisierung oder mit anderen Realitäten wie beispielsweise der Dunkelheit. Es geht auch um die Auseinandersetzung mit dem grundlegenden Element des Sehens – dem Licht – und somit auch mit dem Medium des Lichts schlechthin, der Fotografie.

Das Fotoforum Braunau, im alten Stadtturm auf mehreren Etagen untergebracht, ist seit Jahren für mich ein Ort der Inspiration und Horizonterweiterung. Hier werde ich in eine Welt eingeführt, zu der ich sicher sonst keinen Zugang gefunden hätte: die zeitgenössische Fotografie.

Petra Noll, eine Kuratorin, die in ihrer Einführungsrede das jeweilige Thema präzise auf den Punkt bringt, gibt knappe aber äußerst dienliche Seh-Hinweise, liefert keine Erklärungen, aber bietet Hilfestellung beim eigenen Verstehen der zu betrachtenden Bilder.

Die Ausstellungen sind kleine aber sehr feine Hinweise, die Welt auch mal von ganz anderen Seiten zu betrachten, sich an Abgründe zu wagen, Grenzen der Wahrnehmung zu spüren, Herausforderungen anzunehmen und…sich zu trauen, sich einfach der Kunst zu ergeben und sich treiben zu lassen, neuen Welten und Horizonten entgegen.

Ein sehr interessiertes Publikum, eine kluge Kuratorin, die stets hinter den KünstlerInnen zurücktritt, aber unauffällig für diese gesprächsbereite und weite freigeistige Atmosphäre sorgt…alles in allem ist es einfach eine große Freude, dabei sein zu dürfen und immer noch genauer sehen zu lernen!

Und das völlig kostenlos.

 

 

Auferstehung

Eine lange Nacht des Geschichtenerzählens, als Abschluß einer kargen und mühseligen Passionszeit. Mit Zauberinnen am Feuer werfen wir uns Kugeln aus Klängen zu, flüstern uns Uraltes in die Ohren, schweben auf geheimnisvollen Pfaden und spielen ein zartes kleines Kinderspiel, erfahren einfachste Wahrheiten, die Wunden heilen…Gelächter ist Erlösung…der Schmerz ist vorbei…das Grab ist leer.

Wir dürfen auferstehen, immer und immer wieder.

Als ich durch den frühen Morgen fahre, liegt dichter Nebel auf dem Land.

Ein abgemagerter Mond hängt am Himmel und aus dem Radio trägt mich der Klang der Klarinette eines Wissenden dem neuen unschuldigen Tag entgegen.

 

Manchmal stehen wir auf

Stehen wir zur Auferstehung auf

Mitten am Tage

Mit unserem lebendigen Haar

Mit unserer atmenden Haut.

 

Nur das Gewohnte ist um uns.

Keine Fata Morgana von Palmen

Mit weidenden Löwen

und sanften Wölfen.

 

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken

Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.

 

Und dennoch leicht

Und dennoch unverwundbar

Geordnet in geheimnisvolle Ordnung

Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Marieluise Kaschnitz

Frohe Ostern an alle und Dank denen, die mir durch ihre freundliche und aufmerksame Begleitung Freude schenken!

Karwoche…Josef Z.

„Werdet Vorübergehende“ (Apokryphen)

Wenn ich an „Passion “ denke, fällt mir nicht nur die Leidensgeschichte  von Jesus ein. Ich denke an einen, der auch eine Passion hatte und der früher oft in unserem Haus ein- und ausging. Josef Z. war eine Art Hausfreund meiner Eltern und Limonadenfabrikant. Er fuhr mit einem kleinen Lastwagen herum und verkaufte seine  „Kracherl“, das waren diese wunderbaren, klebrigen Limonaden in der Bügelflasche, in überwältigendem Rot der Himbeeren und in einem grandiosen Grün für Waldmeister. So gut wie diese Kracherl hat niemehr in meinem Leben irgendwas Trinkbares geschmeckt! Wir konnten nicht genug kriegen davon. Da wir aber nie Geld hatten, nehme ich an, daß der Josef einfach manchmal ein Tragerl mitbrachte, wenn er auf seiner Fahrt bei uns vorbeikam.

Er fühlte sich zum Sänger berufen und fuhr einmal wöchentlich nach Salzburg zum Gesangsuntericht. Davor oder danach kreuzte er bei uns auf, sagte: “ Küss die Hand, schöne Frau“,  und sah mich mit eigenartig saugenden, samtigen Augen lange, zu lange an. Das war mir nie so ganz geheuer mit 12, 13 Jahren und auch seine Aussprache war irritierend, denn er machte so sonderbare Zischlaute beim Sprechen, irgendwie kam er mit Luftein- und Ausstoß nicht ganz zurecht und die Worte drohten mit Sprühregen mir ins Gesicht zu platschen.

Also, ich mochte seine Kracherl bedeutend lieber als seine Aussprache und seine etwas zu nahe Anwesenheit.

Manchmal, wenn er einen guten Tag hatte, sprang er plötzlich in die Mitte der Stube und schmetterte ein Schubertlied. Wenn der Josef weg war, hatte mein Vater große Bedenken, ob aus diesem „Krawatteltenor“ mit seiner Knödelstimme wirklich mal was würde. Jahrelang ist er nach Salzburg gefahren und immer stand „der große Durchbruch“ bevor und die wirklich wichtigen Kontakte für Auftritte waren angebahnt und immer, treu und ergeben, machte er Station bei uns, um den neuen Stand der Karriere bekannt zu machen.

Nie war er verdrossen oder schlecht gelaunt, nie hat er sich beklagt, denn nie gab es Auftritte, nie gab es Applaus, nie gab es den Durchbruch. Aber immer hatte er seine Passion, an die er mit Inbrunst glaubte.

Seine Frau war längst abgehauen mit den Kindern, die Fabrikation war eingegangen, von was er lebte, wusste niemand, aber er fuhr weiterhin nach Salzburg und sah sich auf den großen Bühnen der Welt.

Viele Jahre später fanden wir ihn in erneut dienender Mission, aber nicht mehr der Sangeskunst, sondern seinem Bruder, einem bigotten, in fragwürdige katholische Bruderschaft entglittenen pensionierten Pfarrer in dessen ebenso fragwürdiger Einrichtung um eine Hl. Philomena herum, die in Wachs gegossen, in jungfräulicher Schönheit in der Mitte einer Kapelle auf Kissen ruhte.

Auf dem Dach der Kapelle eine, von einem versteckten Motor angetriebene rotierende Marienfigur.

Josef, inzwischen um die achtzig, begrüßte uns herzlich, zischelte mir sofort ein : „Küss die Hand, schöne Frau“ entgegen, nahm meine Hand und ließ mich das Kästchen seines Herzschrittmachers spüren, erzählte die viel zu lange und arg frömmelnde Schnulze einer Erweckung durch diese Heilige und beim Abschied rief er mir noch nach, daß er bald einen sehr wichtigen Auftritt habe, auf den käme es an und dann ginge es so richtig los mit der Karriere als Sänger.

Ach Josef, ich bin froh um jeden Spinner und Träumer in dieser gnadenlosen Wirklichkeit, hab Dank für Deine Geschichten und : „Küß die Hand!“

Auf der Hausbank

Ich sitze auf der Hausbank vor dem alten Haus in der Sonne und der Himmel über mir ist so blau und weit und hoch und ein Hauch von Ewigkeit durchströmt mich, ein zartes leises Glück inmitten aller Flüchtigkeit läßt mich demütig werden und mich bedanken dort hinauf.

Es ist, wie es ist. Gestern ist vorbei, morgen weiß niemand, was kommt und heute kann gelebt werden.

Dieser Meinung bin ich auch, sagt die Graugans, die soeben gelandet ist  und ihr Gefieder putzt.

Ja, meine liebe Graue, wo warst Du denn so lang?

Polarwinde. Richtung verloren. Expedition abgebrochen. Sturzflug. Notlandung . Treiben im Eismeer. Bekomme mächtig eins vor´n Bug. Angeschossen. Rettung Eskimos. Zusammengeflickt. Nicht gebraten und gefressen. Glück gehabt! Dankeschön. Leidlich flugtauglich. Richtung wieder aufgenommen. Wind Richtung Süden abgepasst. Heimgeflogen. Pause. Wenn Löcher im Gefieder verheilt – Plan für neue Expedition liegt vor.

No risk no fun, nicht wahr?

Sagts, zieht das eine Bein hoch , steckt den zerzausten Kopf unter den Flügel und hält den Schnabel.

Ich liebe Dich, weißt Du das denn?

Ja ja, ich Dich auch, aber jetzt keine Sentimentalitäten, möchte mich sammeln.

Aber…

Auch keine Fragen, muß schlafen.

Aha, na dann ist ja alles…irgendwie…gut…oder?

 

Ich strecke die Hände weit hinauf, dem Himmel entgegen und der fließt an meinen Armen herunter und fließt und fließt und ich werde zur Frau in Blau…

wie schön.

Kafka Band…Schneeroman

„Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schloßberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.“ …Franz Kafka

Nach unzähligen gescheiterten Versuchen, mich Kafkas Fragment „Das Schloß“ lesend zu nähern, hatte ich längst aufgegeben.

Eine Begegnung mit  Jaroslav Rudis und der „Kafka Band“, die er zusammen mit dem Zeichner Jaromir 99 mit Mitgliedern anderer tschechischer Bands (z.B. Priessnitz) ins Leben gerufen hatte, veränderte meine Sicht so total, daß ich zu diesem großen Text heute tiefe Verbundenheit  fühle.

Eine ganz eigenArtige Magie entsteht durch das Zusammenwirken von Vorleser, Musik, SängerIn und animierter Zeichnung.

Und – ich liebe es, mir Geschichten erzählen zu lassen, von Menschen, die das mit so großer Spielfreude tun und mir Sinnenbalsam schenken.

 

 

Kafka Band:

Jaroslav Rudis, Jaromir 99, Dusan Neuwerth, a.m.almela, Iiri Hradil Zdenek, Iurcik Tomas Neuwerth Clad

 

 

 

„Zunächst war K. froh, dem Gedränge der Mägde und Gehilfen in dem warmen Zimmer entgangen zu sein. Auch fror es ein wenig, der Schnee war fester, das Gehen leichter. Nur fing es freilich schon zu dunkeln an, und er beschleunigte die Schritte.

Das Schloß, dessen Umrisse sich schon aufzulösen begannen, lag still wie immer, niemals noch hatte K. dort das geringste Zeichen von Leben gesehen, vielleicht war es gar nicht möglich, aus dieser Ferne etwas zu erkennen, und doch verlangten es die Augen und wollten die Stille nicht dulden. Wenn K. das Schloß ansah, so war es ihm manchmal, als beobachtete er jemanden, der ruhig dasitze und vor sich hinsehe, nicht etwa in Gedanken verloren und dadurch gegen alles abgeschlossen, sondern frei und unbekümmert, so, als sei er allein und niemand beobachte ihn, und doch mußte er merken, daß er beobachtet wurde, aber es rührte nicht im geringsten an seiner Ruhe, und wirklich – man wußte nicht, war es Ursache oder Folge -, die Blicke des Beobachters konnten sich nicht festhalten und glitten ab. Dieser Eindruck wurde heute noch verstärkt durch das frühe Dunkel; je länger er hinsah, desto weniger erkannte er, desto tiefer sank alles in Dämmerung.“ Franz Kafka

Die Bäume

Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee.

Scheinbar liegen sie glatt auf,

und mit kleinem Anstoß

sollte man sie wegschieben können.

Nein, das kann man nicht,

denn sie sind fest mit dem Boden verbunden.

Aber sieh,

sogar das ist nur scheinbar.

Franz Kafka

Damals im Altvatergebirge

Mindestens ein Jahr lang war ich auf der Suche nach dem Film:  „Alois Nebel“, einer Graphic Novel. Der Tailer allein hatte mich sofort in diese Geschichte eingesaugt, es gab kein Entkommen mehr.

Das einzige Kino in München, das ihn zeigte, nahm ihn sofort wieder aus dem Programm, nachdem nur ein einziger Mensch ihn sich ansah.

Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, da veranstaltete das Literaturhaus Salzburg ein deutsch-tschechisches Kulturfestival und endlich wurde der Film gezeigt und hinterließ nachhaltige Spuren und bis heute habe ich Bilder und Musik im Kopf.

Ich halte diesen Film für herausragend in jeder Beziehung, möchte aber kein Wort mehr darüber verlieren, denn Bludgeon, dem „Alois Nebel“ auch unter die Haut ging, hat dazu was erarbeitet.

Einen Text, der so dicht ist und schmerzend wahrhaftig – ach einfach so gut geschrieben, mit großem Wissen und aus dem Herzen, kann ihn nur empfehlen:

Bludgeon – Alois Nebel

Ja, in diesem Film geistert auch meine Mutter irgendwo durch den dunklen Wald. Bis heute weiß ich nicht, von welchem Ort genau sie „vertrieben“ wurde…war sie gerade in Karlsbad, oder wo wurde sie gepackt und in einen Viehwaggon gesteckt? Ich werde es wohl nie mehr erfahren, sie ist schon so lange tot.

Was ich aber mit erschreckender Klarheit weiß: Ich wäre ohne die Verteibung meiner Mutter nicht am Leben. Was für merkwürdige Fügung.

 

die Band, untrennbar mit dem Film verbunden

Herzensklänge

Die Erkenntnis, daß alles, aber auch wirklich ALLES aus Sternenstaub und Klang besteht, läßt die Frage entstehen, ob es denn überhaupt ein Niemandsland braucht.

Sie mag darüber nicht nachdenken, sondern sie legt sich auf den fliegenden Teppich der Musik und läßt sich tragen durch das Sein.

 

Niemandsland

Fischezeit – Auflösung ins Chaos

„Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können“ – lese ich bei Nietzsche

Die Zeit meiner schillernden, Verwirrung stiftenden, chaotischen und hypersensiblen Aszendenten, der nach außen gerichtete Teil meiner Natur, zwei Fische, einer schaut nach vorne, einer nach hinten, beide in der Mitte von einem Band aneinander gehalten.

Auftauchen aus digitaler Fastenzeitpause ins Niemandsland.

Vor genau einer Woche, nach genau einem Tropfen Blut zur falschen Zeit an falschem Ort, setzt sich eine analoge Maschine in Bewegung und führt zu Untersuchungsprozeduren, kleinerer Narkose und kleineren Schnitten durch viele Stunden in Wartezimmern einem Anruf am Morgen und einem Befund, der die Welt in ihr Gegenteil verkehrt: Positiv…das heißt: negativ für mich. Das Urteil also, ja das Urteil, das mit K beginnt…hat es sich schon auf meiner Stirn eingebrannt, sieht man es mir schon an…kann nichts erkennen im Rückspiegel, in den ich beim Heimfahren ständig starre…werden alle jetzt sagen: „Ach ja, Du siehst schon seit längerem so blaß aus…“?

Im vorläufigen Diagnosepapier wird darüber befunden, daß nach mikroskopischer Ansicht eines Blutstropfens von mir die vorläufige Beurteilung den Namen „G1“ zu tragen hat. Es wird mir gesagt, daß nach größerer Narkose und tieferen Schnitten, natürlich nur, wenn „nichts mehr hinzukommt“, und „alles entfernt“ ist, mit Heilung gerechnet werden könne. Wenn alles gutgeht, in einer Woche, OP – Termin am 10. März ist auch schon gemacht. Aha.

Und jetzt? Eine Woche warten auf die Schlachtbank, wo ich ausgeweidet werde? Ist das zynisch…sarkastisch? Wie damit umgehen? Verschweigen? Still sein und verschwinden, Absturz ins Bodenlose? Ja, selbstverständlich kriecht mir die Verzweiflung den Nacken hoch und ich schwanke unter diesem Schlag, der ja gar nicht wehtat, ein paar lächerliche Buchstaben auf einem Laborzettel…mit dem Hammer werde ich in meinem Leben in die dunkelste Ecke gestossen: mein Abscheu vor Krankheit und Tod und die große Angst, nicht mehr selbst bestimmen zu können und schlagartig wird mir bewusst, daß ich lernen werde, anzunehmen, was kommt und irgendwann mich hinzugeben, ja, auch dem Sterben. Ich weiß jetzt, daß ich sterblich bin.

Die Passion, sie hat was mit mir zu tun, das weiß ich schon lange, langsam verdichtet sich Nebulöses und ich glaube, auch diese Erkrankung wird dazu beitragen, als eine mögliche Spur zur Wahrheit zu führen, wenn ich sie lasse. Ich bin jedenfalls nicht bereit, auch nur grad eine einzige Zelle meines Seins als bösartig zu erachten, ich bin bereit, das, was nicht mehr bleiben soll, in Würde und Achtung gehen zu lassen und danach weiterzuleben, solange ich darf.

Ich lese „Die Antwort der Engel“ endlich, nach Jahrzehnten ganz zu Ende, dieses Buch ist eine eigene Geschichte, vielleicht werde ich auch darüber mal berichten, vorerst entnehme ich ihm die Anweisungen: „Streiche das Wort Warum! und: „Empfange das Leiden als einen Boten des Himmels, doch laß ihn weiterziehen, wenn er scheiden will! und: „Horchst du, so werden selbst die Steine sprechen!“ Ja.

Bei einem, dem ich sehr gewogen bin (@lz. „der versteckte Poet“) habe ich mir das Wort „Zäsur“ ausgeliehen und denke viel darüber nach.

Und – ich beende hiermit meine digitale Abstinenz, war sehr lehrreich, kann ich weiterempfehlen, wer wissen will, was passiert, soll einfach mal eine Zeitlang den Rechner ausmachen. Auch wenn alles verschwindet im schwarzen Bildschirm: Herznähe ist davon völlig unabhängig und dringt durch alle Fremdheit, Entfernung und digitalen Spielraum hindurch und ist analog spürbar. Das war und ist eine beglückende Erfahrung.

Ich hätte gern noch die Fastenzeit digitalabstinent zu Ende gebracht, aber jetzt ist eine neue Herausforderung angesagt und ich habe beschlossen, sie auch hier, zwischen Himmel und Erde anzunehmen und mich ihr offensiv zu stellen. Werde zwischendurch, je nach Stand der Behandlungen verschwinden und wieder auftauchen, denn ich liebe diesen Ort und ich freue mich so, wieder hier zu sein und mich mitteilen zu dürfen.

Kurz vorm Wegdämmern in die  Narkose am Montag ging mir durch den Kopf, was ich in meinem Leben unbedingt „noch“ machen möchte, und da war u.a. das Tangotanzen dabei und da fiel mir doch tatsächlich ein, ob wohl Frau Knobloch noch weiß, daß sie mich auf ihrer Tanzkarte eingetragen hat…und wenn ich sie mal im grandiosen Blumentempel besuchen täte…sie mit mir…tangotanzend…?

Beim Aufwachen lächelte die OP-Schwester…ich hätte wohl was von Knoblauchtango gemurmelt…ach, die Unwissende!

„Wer weiß, wer weiß“, diese Zauberworte leihe ich mir von der zauberhaften Cambra Skadé.

Seid gegrüßt Ihr Lieben alle in den nahen und fernen Galaxien, ich bin wieder da, ziemlich zerzaust, ein wenig verheult, nicht angstfrei, aber mit klarem blauen Blick, trotz Erdenschwere tanzbereit und dennoch – und trotzalledem durchaus bereit zum Fliegen!

Eure Graugans