Archiv der Kategorie: Drachenwege

#33 Wer suchet…

Die extrem scharfsichtige Sonne scheint durch die offene Balkontüre, leuchtet jeden Winkel aus und zeigt ihn, der auf allen Flächen, in allen Ecken, auf allen Büchern des alten Hauses faul herumliegt. Überdeutlich zeigt er sich bei jedem Schritt, aufgewirbelt und tanzend in den Strahlen der Sonne. Servus, staubiger Bruder, sage ich, ich denk gar nicht dran, dich wegzuwischen, du gehörst dazu, wie die alten Balken und die Löcher im Dach. Der staubige Bruder ist normalerweise ein Schimpfwort, aber ich bin mir sicher, daß es die Bezeichnung auch im Rotwelschen gibt, dieser alten Geheimsprache der Vagabunden, der Fahrenden und der Gauner. Ich forsche seit Jahren um sie herum, vor allem in ihrer Verbindung mit der hiesigen Landessprache, dem bairischen Deutsch. Beide Sprachen sind miteinander verwachsen und bisher hat mir noch niemand glaubwürdig erklären können, welche zuerst da war.

Den staubigen Bruder, sowie jegliche Putz- und Räumarbeit hinter mir lassend, fahre ich heute am Nachmittag einem Hinweis nach, der im Jahresbuch des Heimatvereins steht und mich zu einem riesigen Findling führen soll, der vor einiger Zeit in einer Wiese entdeckt wurde. Über sieben Meter lang soll er sein, es gibt Fotos davon und eine Wegbeschreibung. Der Bauer, auf dessen Wiese er im Boden versunken daliegt, hat ihn ca. einen Meter tief ausgegraben, niemand weiß, wie groß er wirklich ist. Nach der pflichtgemäßen Meldung wurde ihm von der maßgeblich zuständigen Behörde mitgeteilt, daß für Ausgrabung und Erforschung des Steinbrockens kein Geld zur Verfügung stünde und man könne ihn gern wieder zuschütten. Kein Interesse also an diesem riesigen Stein, der von irgendwoher an diesen Ort gerollt war. Ich bin losgefahren und das schon zum zweiten Mal, und habe ihn trotz genauester Herumsucherei nicht gefunden. Das ist nichts Neues, manche Orte, und vor allem Steine verbergen sich und ziehen sich vor allzu intensiver Suche in sich zurück und werden nahezu unsichtbar. Manchen Ort habe ich dann durch Zufall entdeckt, als ich längst aufgegeben hatte. Und dann stellte sich heraus, daß der Ort ganz in der Nähe war und ich nur die Blickrichtung ändern hätte müssen. Das heißt, es hätte genügt, nur zu schauen, ohne den Vorsatz, etwas finden zu müssen. Ich werde es also ihm überlassen, ob er sich finden lassen will, der Findling.

Das alte Jahr haben wir denkbar schön beendet, mit zwei wunderbaren Filmen: „Fata Morgana“  von Werner Herzog und „Dialog mit meinem Gärtner“.

Grad um Mitternacht hörte der Regen auf und wir konnten ein wenig Richtung Salzburg spazieren und zum Himmel schauen. Ich liebe Feuerwerk und kann das große Geschimpfe darüber gar nicht verstehen. Ja, freilich wird viel Geld in die Luft geschossen, ja und? Es wird auch viel Geld versoffen und verraucht oder für sonstwas ausgegeben. Ja, es passiert auch immer was, wenn Menschen mit Raketen herumspielen. Ja, es gibt viel Unglück auf der Welt und es ist schlichtweg einfach nur unvernünftig, für ein paar Minuten ein Vermögen in die Luft zu schießen.  Aber ich liebe es, was Unvernünftiges zu tun und es ist einfach so wunderbar, diesen bunten Sternen zuzusehen, die es vom Himmel regnet. Ein Feuerwerk ist für einen Augenblick pure glitzernde Seligkeit. Es ist so schnell vorbei wie das Leben, nichts bleibt übrig, aber für einen Moment zeigte sich das Glück.

Jetzt haben wir nach dem chinesischen Horoskop das Jahr des Drachen. Der Drachen ist auch mein Zeichen und ich freue mich auf dieses Jahr. Was immer es auch bringen mag, ich möchte es mit Freude durchschreiten und nach Lust und Laune leben. Und ich höre sofort meinen Vater sagen: was wäre, wenn das jeder täte …ja, was wäre dann?

Ich werde das Löwenfeuer in mir schüren und mich vom Drachen begleiten lassen, neue Wege suchen, alte pflegen, Menschen die Hand reichen, über Blödsinn lachen, mir weiterhin nichts sagen lassen, meine eigenen Wege gehen und meine eigenen Gedanken denken … ich bin zuversichtlich – mit dem Drachen an meiner Seite werden wir uns schon irgendwie durchschlagen.

Ihr Lieben da draußen: Bleibt mir hier gewogen, laßt uns weiterhin die Freundlichkeit pflegen miteinander, umeinander und uns weiterhin Geschichten erzählen. Ich wünsche Euch allen ein gutes Jahr, gute Begegnungen, schöne Musik, Arme, in die Ihr Euch hin und wieder fallen lassen könnt und trotz des ganzen Wahnsinns , der uns umgibt, am Morgen aufzustehn und festzustellen, daß uns die Erde immer noch trägt. Alles Liebe für Euch!

 

Hüte dich und bleibe still; fürchte dich nicht, und dein Herz sei unverzagt.
Jesaja 7,4

Die liebe Kraulquappe hat auch sicher schon vor Stunden was geschrieben!

ach ja … „a sigh is just a sigh“ …

Automassen wälzen sich von der ständig verstopften Autobahn über alle Bundesstraßen durch das Tal, Tag und Nacht. Seit April schwebt die Idee des Jahrhundertsommers über dem Land und erzeugt massiven Wohlfühl – Leistungsdruck. Ich stehe stundenlang im Stau und blicke in mißmutige, abgehetzte Gesichter, denen dort, wo sie herkommen das Glück weggelaufen ist und die wohl meinen, wenn sie ihm möglichst schnell hinterher rasen,  könnten sie es einholen … man bewegt sich einfach mal in Richtung Süden, und wenn man der Autobahn München – Salzburg folgt, dann wird schon irgendwann das Mittelmeer auftauchen, da wird es dann an die Strände gespült … das Glück … und mit ihm die Leichen von den Ertrunkenen, die  über´s Meer gekommen sind, auch sie getrieben von der irren Hoffnung, es könne ein wenig Glück für sie am Strand übrig sein. Alle paar Tage schwemmt es tote Babies an, wer kann das noch aushalten ohne schreiend durch die Gegend zu laufen.

Ich lebe in einem sehr schönen und sehr reichen Bundesland. Täglich wird in Bayern eine Fläche von ca. 14 Fußballfeldern zubetoniert mit Gewerbeparks, die kein Mensch braucht und mit unzähligen Einfamilienhäusern mit beheizten Doppelgaragen mit Blick auf die Berge. Den Kühen werden die Hörner weggebrannt, die saftiggrünen Wiesen sorgen mit fünfmal Mähen im Jahr für gleichbleibende Milchleistung, die unnütz ist und mies bezahlt.  Das Land ist reich an Industrie, florierendem Massentourismus, Schneekanonen , Alpenglühen, man pflegt sorgfältig die Klischees, trägt Dirndl, spricht charmantes südliches Hochdeutsch und fliegt im Winter auf die Seychellen. Nachbarshäuser haben Sprech- und Alarmanlagen, weil es  doch seit Jahren irgendwo paar Flüchtlinge gibt, die bedrohlich viel Geld kosten und von denen man nicht weiß, wo sie sich herumtreiben. Die Internetversorgung ist schlecht, deshalb verspricht der aktuelle Ministerpräsident, ganz viel Glasfaser nachschieben zu lassen. Im Herbst ist Wahl. Die einen behaupten, sie hätten zurecht Recht und fürchten sich davor, daß das Volk den anderen noch vielmehr Recht gibt, weil die noch viel mehr zurecht Recht haben. Deshalb strengen sich alle recht an und stellen ihre Kraft zur Schau. Das politische Schmierentheater spielt eine lang geprobte Posse, ein Lehrstück aus dem Inneren des patriarchalen Tempels: ein ausrangiertes Alphamännchen, das sich für Gottvater hält, neidet seinem Nachfolger dessen an sich gerissene Macht und rennt wie Rumpelstilzchen um die Chefgöttin herum, die es seiner Ansicht nach nur gibt, weil ER sie erschaffen hat, die aber undankbar viel zu wenig auf ihn hört und ihn auch noch Kraft ihres Amtes falsch eingeparkt hat … die Handlung ist zäh, irgendwann kapiert niemand mehr, um was es eigentlich geht und warum das alles so ein Drama sein soll, die Rollen sind nicht sehr glaubhaft, am ehesten noch die der Chefgöttin, die in all dem Tohuwabohu aufgeregter Männchen und deren Speichelleckern bewundernswert die Contenance bewahrt.

Und während das Volk gebannt auf die Bühne starrt, treiben die Toten auf dem Meer und ein Schiff voller Menschen darf nirgendwo einlaufen, denn wir wollen es denen jetzt mal richtig zeigen, wenn sie nicht daheim bleiben, da wo sie herkommen, dann sollen sie halt ersaufen, gell, liebe Regierung, so soll es sein, so sichert man die Grenzen unseres geliebten deutschen Vaterlandes. Meine Güte, wie ich mich schäme für all das,  ich verneige mich in großer Achtung vor dem Kapitän dieses Schiffes, der sich jetzt kriminalisiert vor Gericht befindet …

Endlich dieser warme Regen, er läßt die Last dieser Schwüle sanft zu Boden sinken.  Der Sommer ist eine Illusion, er hält nie, was er verspricht …  wenn er beginnt, hat er gleichzeitig schon seinen Höhepunkt überschritten und alles wird rückläufig … le petit mort … die Bezeichnung für den Liebesakt und die Sommersonnenwende … alles genauso flüchtig wie die Kirschen … kaum sind sie reif, geht alles ganz schnell, sie werden immer dunkler und süsser und noch süsser und schon sind sie eingetrocknet und es ist, als wären sie nie gewesen. Vier große alte Bäume voller Kirschen. Die Elstern hatten viel zu tun. Der Mond der reifenden Beeren wird sich bald zeigen und mit ihm wird mein Leben auf die Route 66 zusteuern.  Kaum haben wir in der längsten Nacht die roten Röcke fallenlassen und in wilder Nacktheit die Sonnenwende betanzt, kichernd die Gesichter geheimer Liebschaften im Wasser spiegeln gesehen und das Kräutlein, das unsichtbar macht gesucht … schon ist wieder alles vorbei und doch hat es soeben erst begonnen.

Selber alt geworden gehe ich herum im alten Haus, ich bin nicht alleine, viele Dagewesene  gehen mit mir, und ich freue mich auf die Kommenden, die bald die Räume mit Lachen und Plaudern füllen, viel ist noch vorzubereiten, aufzuräumen, um Platz zu schaffen. Ich finde einen großen Sack voller Zöpfe aus Flachs, Jahrzehnte lagern sie irgendwo, sind sie 50 oder 100 Jahre alt? Ihr Duft nach Stroh und Getreide steigt mir in die Nase und Bilder steigen in mir auf und überfluten mein Herz. Ich erinnere mich an Strohgarben, mit diesen ganz speziellen Stricken geschnürt, die am Ende so Holzklöppel hatten, blaue, rote, gelbe … ich rieche den Staub und den Sommer und den Schweiß meines Vaters, der sich sehr plagen mußte, um die Strohballen nach oben unters Dach zu werfen. Plötzlich spüre ich den Stoff seines Hemdes und seine kitzelnden Bartstoppeln, wenn er mich immer wieder hochhob, mich an sich drückte und mir ein großes „Zwickerbussi“ gab, weil er sein kleines Dirnderl einfach so liebhatte. Viele Spuren in die bäuerliche Vergangenheit führen durch Haus und Hof, viele Relikte künden von schwerer Arbeit , nehmen Platz weg, versperren den Weg und verstauben … und es gibt immer Menschen, die sagen: verkauft doch alles bei Ebay, das alte Zeug ist sehr gefragt oder werft doch den ganzen alten Krempel weg. Es gibt Dinge, wenn ich die in irgendeinen Container werfen täte, dann würde mein Herz mit hineinfallen.

Zur Bearbeitung von Flachs wurde in den Wintern in einem „Brechelbad“ gut eingeheizt, Wasser erhitzt und alten Geschichten nach gab es dann so eine Art Sauna und es wurde sich vergnügt und manch eine Lustbarkeit wurde ausgetauscht, diesen alten Geschichten zufolge, denn es wurde nicht nur Flachs, sondern auch Hanf gebrechelt … solange, bis die Kirche einschritt, dem Vergnügen ein Ende machte und die Kräuter- und liebeskundigen Frauen auf die Scheiterhaufen warf. Ganz in der Nähe unseres Hofes gibt es diesen Platz, wo das Brechelbad in ganz alten Zeiten stand, man erzählt sich, daß die Erde dort deshalb so schwarz ist, weil sie im Winter soviel einheizen mussten für das „Haar“! Wenn der Flachs von den hölzernen Stengeln befreit war, wurde er über solche Eisenraffeln gezogen, die noch bei uns herumhängen, er wurde gekämmt und hieß anschließend „Haar“.  Ich lasse die Zöpfe durch meine Hände gleiten und denke an die Königin im Märchen, die aus Flachs Gold spinnt  und an eine im Norden, die ich sehr mag , ich erinnere mich an ihren langen goldenen Zopf und an ihr Feenkleid … wie schön muß es sein, zusammen mit ein paar Frauen im Winter in der Stube zu sitzen und das Haar zu Fäden zu verspinnen und dann das rupfene Tuch daraus zu weben … begleitet von Lachen und Weinen und unzähligen Geschichten … die Zeit, wo kommt sie her, wo geht sie hin … geh ich neben ihr her, laufe ich ihr davon oder stecke ich sie in mein großes blaues Tuch, verknote die Zipfel und hänge es an meinen Wanderstab und gehe einfach weiter über Stock und Stein …

Wieviele Wege sich doch kreuzen in so einem Leben, denke ich, Menschen kamen auf mich zu, gingen an mir vorüber oder blieben ein wenig stehen, gaben mir die Hand, lehnten sich an, manche brausten mit Getöse in mein Herz vorne hinein und hinten wieder hinaus, manche ließen was da, manche nahmen alles wieder mit, manche blieben ein Weilchen, manche sorgten für Aufruhr und manchmal passiert es, daß sich jemand in meinem Herzen in einem Winkel zusammenrollt, ganz still ist, nichts tut und nichts verlangt, aber dann, wenn kalte Winde mich frösteln lassen, eine warme Decke hervorzaubert … ja, es wird nichts leichter, wenn man alt wird, der Körper verfällt zusehends und immer mehr erkenne ich, daß das Leben aus Abschiednehmen und Loslassen besteht, und ob das mit der Weisheit was wird bei mir ist bis jetzt nahezu ungeklärt, ich bin eine unverbesserliche alte Löwin, immer auf der Jagd nach Drachen, Sonne und Mond und dem Meer dazwischen und nach Musik, Worten und vor allem und immer wieder nach Menschen, von denen ich einfach nicht genug bekommen kann …  und ich bin immer hungrig, denn meistens hab ich auf halbem Wege Mitleid mit der Beute …

Und als jetzt mal ein lieber Freund einfach so sagte: „Du bist so wunderbar, hat Dir das eigentlich heute schon wer gesagt?“ … da hab ich mir gedacht: ich werde weiterhin Drachen jagen, schräge Musik hören und Menschen nerven mit unmöglichen Ideen … was kann mir denn schon passieren, solange es jemand gibt, der sowas sagt zu mir?

Und letztendlich ist es ja so: Herzensangelegenheiten kommen und gehen und manchmal bleiben sie.

 

 

 

 

 

Im Weg …

Es ist schon finster, als ich durch den Wald zum Dorffriedhof radle, um die Blumen am Grab zu gießen. Vor über fünfzig Jahren, welchen Weg hat sie eingeschlagen damals, auf ihrem grünen Damenfahrrad, das ihr mein Vater geschenkt hatte? Sie muß in der Nacht losgefahren sein, denn am Morgen war sie nicht mehr da. Noch heute träume ich manchmal davon und werde wach mit Herzklopfen, von trockenem Schluchzen und Entsetzen geschüttelt, mit der gleichen Angst wie damals, als sie verschwand.

Die Schwanenjungfrau im Märchen wird von einem Mann eingefangen, und ihr Federkleid kommt an einen geheimen Ort, hinter Schloß und Riegel in eine Truhe. Als sie nicht mehr wegfliegen kann, ergibt sie sich, läßt ihre Wildnatur zähmen, wird eine brave Ehefrau, eine  treusorgende Hausfrau und liebevolle Mutter …

… manchmal kommt sie zur Morgendämmerung aus dem Wald zurück und bringt eine Schürze voller Pilze mit. Sie ist unglücklich und keiner merkt es, denn sie ist gut gelaunt, erzählt alte Theatergeschichten und sie hat dieses glucksende, ansteckende Lachen. Sie kann über alles lachen, auch über sich selbst. Sie kommt aus einer anderen Welt, sie passt nicht hierher und sie kann die Anforderungen an sie nicht erfüllen …  Sehnsucht bleibt.

Eines Tages findet sie den Schlüssel zur Truhe und fliegt weg.

Eine Art, die Geschichte weiterzuerzählen ist, daß die Schwanenfrau eine Zeitlang nachts kommt, um ihr Kind zu versorgen und zu trösten … eine weitere Variante wäre, daß der Mann sich auf den Weg macht, seine Frau zu suchen, und sie nach vielen Abenteuern auch findet, den wilden Zauber von ihr nimmt und sie heimholt und dann leben alle glücklich bis an ihr seliges Ende.

In unserer Variante hat sie der Vater auch gefunden, ziemlich weit oben in den Berchtesgadener Bergen, er hat sie lachend und scherzend bei der Heuarbeit  angetroffen, bei Bekannten mit einem Bauernhof am ziemlich wilden und verwahrlosten Rande der Zivilisation. Er hat sie mitsamt ihrem grünen Rad in den VW Bus gepackt und wieder heimgebracht.

Ein, zwei Jahre später ist sie gestorben, meine notdürftig domestizierte wilde Mama.

Nie hat sie mit mir gesprochen über ihr Verschwinden und im Nachhinein erscheint mir ihr Tod nur als die letzte Konsequenz ihres damals eingeschlagenen Weges …Mir ist heute, als hätte ich sie damals unwiederbringlich verloren und womöglich suche ich sie schon mein Leben lang, wer weiß das schon so genau. Ein lieber Freund sagt mir, mein Lachen sei unwiderstehlich und ich täte immer so fröhlich glucksen dabei … ich achte  darauf und auf einmal höre ich sie in mir lachen … sie lacht durch mich hindurch.

Ich plane eine Reise, dahin, wo sie herkommt und verjagt wurde, ich werde keine Spuren finden können, trotzdem werde ich hinfahren an diese verlorenen Orte in Böhmen, in die Vergangenheit, oder in eine Parallelwelt zwischen den Steinen und in den Schatten der Gräser, auf die Strassen und in die Augen der Menschen … irgendwo dort wird irgendwann durch eine Laune der Geschichte eine junge Frau auf einen Weg ins Unbekannte geschickt, sie folgt ihm, notgedrungen, und dann, als sich ihr Weg irgendwo im Süden mit einem Fremden kreuzt, entstehe ich. Und ich bin unsicher, was mich erwartet, wonach soll ich denn suchen, alle Wege führen in dunkle Vergangenheiten, Namen verhallen im Nichts, die Geschichte meiner Mutter , ihrer und somit meiner Familie … lauter lose Enden wehen im Wind … eine leise Wehmut schlängelt sich durch mein Herz und mir ist, als wäre meine Sehnsucht auch ihre gewesen … Spürungen schleichen sich an, Angst vor der großen Verlorenheit … was kann ich denn finden, wenn ich nicht mal weiß, wonach ich suche?

Ein freundlicher Reisender kommt vorbei und macht Rast auf halber Wegstrecke im alten Haus. Zwischen zwei Flügelschlägen sitzen wir am Stubentisch und unsere Geschichten setzen sich lächelnd dazu, stellen Fragen und geben Antwort. „Geh einfach los, und Du wirst sehen, es ist ganz egal, welchen Weg Du nimmst, jeder ist richtig!“ Ich höre es und schaue in kluge und sanftmütige Augen … Als wir uns verabschiedet haben, durchziehen noch lange unsere Stimmen und das gemeinsame Lachen das Haus, eine Art Vertrautheit, die entsteht, wenn aus Fremden Freunde werden …

Ja, ich werde einfach losgehen und abwarten, was passiert.

Hab Dank, lieber Zeilentiger!

Der alte Kirschbaum hat soviele Früchte, daß ihm ein Ast abgebrochen ist.
Aus den Kakteen quellen unzählbar viele Knospen und schicken sich zum Blühen an
und ich habe endlich herausgefunden, wo der Tatzelwurm (die bayrische Variante des Drachen) hausen soll: in der Gumpe unterhalb des Wasserfalls nämlich, dies gilt es demnächst, genauer zu erforschen.

 

 

 

Full Moon…

Kaum über Salzburg aufgetaucht hängt er auch schon im Birnbaum und zeigt sich heute Nacht als reife, pralle Orange.

So schön ist er, der gute Mond, ich kann mich nicht sattsehen an ihm und ich laufe hinaus, um ein wenig zu „strawanzen“…so nannte man früher in der alten Sprache das Herumtreiben und Streunen…

Ich wiege mich im Tanz am Platz der wilden Frauen, ein kleines laues Vorfrühlingslüftchen verfängt sich in meinen Haaren und mein Begleiter, der weisse Kater streicht um meine Beine und spielt Verstecken in meinem langen Rock.

Das Meer hinter Hamburg…

Der Vollmond scheint, als ich mit meinem Trolley und den anderen Passagieren, mir kommt vor, viel zu vielen für die kleine Maschine, über die Rollbahn gehe. Der Salzburger Flughafen ist klein und nach ein paar Metern sind wir auch schon an der Treppe. Nach dem Verstauen von Taschen und Mänteln und der eigenen Leiblichkeit in den gebuchten Sitzen sollen wir also mit diesem kleinen Blechvogel nach Hamburg fliegen. Alle, auch solche, die weitaus weniger üppig sind als ich, wirken in die engen Sitze hineingequetscht…nur einer nicht, der junge Mann von gegenüber ist so dünn wie ein dürrer Ast und passt mindestens zweimal in den Sitz. Während des Fluges sehe ich oft zu ihm hinüber und denke mir, daß dies wohl der erste richtige Nerd ist, den ich sehe…sehr blass;  hochkonzentriert und pausenlos huschen seine Finger über das Tablet, keine Ahnung, was der da tut, aber er tut es pausenlos ohne aufzusehen. Alle hier drinnen husten, schneuzen, niesen, schniefen…und dann heben wir ab…jedes Mal ist es wie ein Wunder und ich lege mein Leben in die Hände des Piloten eines Billigfliegers.

Und dann: Ankunft in Hamburg und die Frage, wie ich mich einer riesengroßen fremden Stadt in zwei Tagen so nähern könnte, daß ich hinterher auf die obligatorische Frage:  „Na, und wie war´s in Hamburg?“ – auch was zu sagen hätte.

Der Grund der Reise war ein jährlich im Fasching stattfindendes Spektakel, venezianischer Maskenzauber an der Alster, von dem ich im Vorjahr im Blog  Irgendwas ist immer  so wundervolle Fotos gesehen hatte, daß ich spontan beschloß, beim nächsten Mal hinzufahren. Im Laufe des Jahres verschob sich der Schwerpunkt und ich wollte hauptsächlich Christiane kennenlernen und bei dieser Gelegenheit dem Karneval zusehen.

Und als ich am Montag in aller Frühe wieder in den Flieger stieg, war ich randvoll mit Erlebnissen, war einer liebenswürdigen Bloggerin begegnet und hatte das Gefühl, vier Wochen unterwegs gewesen zu sein.

Mir war  das Allerschönste passiert, was es nur gibt, ich wurde am Flughafen abgeholt, ins Auto gepackt und durfte schon mal eine nächtliche Runde durch die Stadt drehen. Von einer Hamburgerin herumgefahren zu werden und die Stadt sozusagen aus ihrem Blickwinkel zu sehen und dabei Interessantes sowohl über die Stadt als auch über die Reiseleiterin zu „erfahren“…wenn es dann noch viel zu plaudern und noch mehr zu lachen gibt und die Chauffeurin darüber hinaus auch noch eine absolut gelassene Autofahrerin ist, dann werden diese Erkundungen zum reinsten Vergnügen! Ich wäre am liebsten gar nicht mehr ausgestiegen. So eine wunderbare Stadt, weitläufig, großzügig, vom Wind durchgeblasen, der von der See kommt…vom blanken Hans…so hatte ich mir das zurechtgelegt! Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber für mich lag Hamburg am Meer, wenigstens bis vor kurzem…

Unter Zuhilfenahme ihrer Freunde, zwei smarten Hamburger Jungs mit Schalk in den Augen und so einem kleinen spöttischen Lächeln, versuchte Christiane, mir oberbayrischem Landei jenen Sachverhalt zu erklären, daß zwar das Meer 100 km entfernt sei, aber trotzdem Salzwasser in den Hamburger Hafen „gepresst“ würde…achja…und daß die Elbe …was weiß ich… als alle meine offensichtlich geistige Überforderung bezüglich des Vorkommens von Salzwasser mit Ebbe und Flut, unter  gleichzeitiger Meerlosigkeit sahen, wurde dem ein gütiges Ende bereitet:

„Weißte was, wenn Du nächstes Mal kommst, dann fahren wir nach Cuxhafen, dann erledigen sich alle Deine Fragen!“ Ja, okay.

Neben der Alster liefen unter kreischendem „Möwengedöns“ wunderschöne Masken herum und als ich, weil ich mir die Chance nicht entgehen lassen konnte, die grandiose Ausstellung von Paula Modersohn-Becker zubesuchen, aus dem Fenster sah, ging dort grad ein Baum auf hohen Stelzen vorbei, der mich plötzlich mit himmelblauen Augen in knorrigem Gesicht ansah…

Alles so bezaubernd, sehr freundliche und redebereite Menschen, unglaublich viele schöne Frauen, diese angenehme hanseatische Sprachmelodie…und nicht zuletzt am Ufer der Alster unzählige wunderschöne Graugänse, die auf einem Bein schliefen, im Hintergrund das Rot der untergehenden Sonne…

Dann, eine letzte Fahrt zum Bestimmungsort dieser Stadt, dem Hafen…jaja, ich weiß, ich habe eine wildromantische Ader, aber wer würde in Angesicht dieses großen Hafens mit seinen Kränen nicht an Freiheit und Abenteuer und „Seemann, Deine Heimat ist das Meer…“ denken , wen würde es da nicht hinausziehen…?

Und dann noch, aufgehoben bis zum Schluß, die Speicherstadt, wo alles gelagert wird, was aus der großen weiten Welt in Schiffsbäuchen kommt, Kaffee, Tee, Gewürze…und als meine wunderbare Stadtführerin mir sagt, daß ich mir da schon was einfallen lassen müsse beim nächsten Besuch…denn die Fahrt durchs Alte Land zum Meersuchen nach Cuxhafen, die Hafenrundfahrt mit der Barkasse und die Speicherstadt mit dem Einkauf von Tee und Gewürzen…also, ob da zwei Tage reichten?

Ja, da werd ich mir was einfallen lassen, liebe Christiane!

Es war ein wundervolles Wochenende und eine sehr gute Begegnung und es hätte nicht schöner enden können als mit dem Satz:

„Es war schön mit Dir, komm bald wieder!“

Ja, ganz sicher! Und herzlichen Dank für dieses warme Willkommen in kalten Wintertagen in einer fremden Stadt, die mir so fremd nicht mehr ist, genau wie die Stadtführerin!

Tschüüüüß dann, bis bald im Sommer!

 

Von einer, die auszog…

Ein paar Tage bin ich nun wieder daheim. Auf dem Bauernhof, da, wo alles anfing. Ein „Gütel“ nennt man so ein Anwesen wie das unsrige, wenn es zum „Gut“ nicht reicht, wenn es zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel ist. Das Weideland konnte grade so zwei Kühe ernähren und von der wenigen Milch trotzte die Großmutter noch so oft es ging ein wenig Butter ab, die sie dann zwölf km mit dem Fahrrad in die Kreisstadt auf den Markt brachte, um ein paar Pfennige für den Haushalt zu bekommen. Sieben waren es, zwei Mädchen und fünf Buben, die sie hier geboren und großgezogen hat.

Der Älteste wollte den Hof nicht, er und die zwei Schwestern heirateten woanders ein.  Einer war krank und ging zugrunde und zwei blieben im Krieg, gefallen an irgendeiner Front. Der Jüngste, mein Vater, übernahm den Hof.

Der Zweitälteste, der ihn kriegen sollte, ließ eine Frau und einen kleinen Sohn zurück, als er den Heldentod starb, meinen Cousin, den ich endlich, nach so vielen Jahren am Rhein besuche.

Ich werde liebevoll willkommen geheissen, jeder Wunsch wird mir von den Augen abgelesen, ich bekomme ein ausgeklügeltes Besichtigungsprogramm serviert, ich stehe auf der Fähre über den großen Fluss, flaniere durch wunderschöne alte Städte, werde ins Elsaß kutschiert und stundenlang durch die Churpalz gefahren, durch hügeliges Weinbergland,  viel plaudernde Freundlichkeit ringsherum, ich werde als die Cousine aus Bayern herumgezeigt. Ich bekomme Einführungen über russische Raumgleiter im Museum und über Kernkraftwerke, zu denen man niemals Atomkraftwerk sagen darf.

Über mir im offenen Verdeck des Wagens ein Himmel, der mir höher und weiter erscheint als im  Voralpenland, P. freut sich und legt ihn mir zu Füssen.

Und in allen Besichtigungspausen, beim Essen und am Abend in der Wohnung reden wir über früher…eigentlich reden wir pausenlos über früher. Und als ich im Dom zu Speyer an eine romanische Säule gelehnt dastehe, denke ich, wie weit man doch manchmal herumfahren muß, um zu erkennen, daß die ganze Reise nach draußen nur das eine Ziel hat, innen anzukommen.

Merkwürdig, P. fährt mich mit großem Aufwand in seiner Heimat herum und zeigt mir alles, gleichzeitig reden wir aber über meine Heimat, die wohl auch mal seine war. Und, obwohl er ein glückliches Leben hatte, zieht sich durch alles Erinnern eine kleine Wehmut, ich spüre sie in allen Antworten, die er mir auf meine Fragen gibt, aber vor allem in den Antworten, nach denen ich gar nicht frage.

Er hätte den Hof geerbt, wenn sein Vater nicht verschwunden wäre. Diese Tatsache sitzt zwischen uns im Auto und ich ahne die Zeichen einer alten Verbindung zwischen uns, wir teilen den Schmerz von verlassenen Kindern. Ein Hauch von Glück , durch dunkle, traurige Geschichten unserer Abstammung zu gehen und uns im hier und jetzt über alle Ungereimtheiten hinweg die Hände zu reichen.

Wir sitzen im Auto und fahren durch unsere Erinnerungen.

Auf dem Michaelsberg erfahre ich von einer geheimnisvollen Geschichte über einen ehemals dort hausenden grausligen Drachen und ich freue mich so darüber, an diesem Ort gelandet zu sein, weil Drachen älter als die Welt sind und ich ihre Spur verfolge…P. versteht zwar nicht, was ich meine, aber plötzlich weiß ich, er würde mich beschützen vor allem Bösen. Und ich weiß, daß ich den großen Bruder, den ich mir so gewünscht hätte, ein Leben lang schon hatte, ohne es zu wissen. Ich sehe seine Hände an und sehe die Ähnlichkeit. Alle in unserer Familie haben diese eher großen Hände, warm und trocken. Arbeitshände, die zupacken können. Ich mag unsere Hände, auch meine, die ein wenig zu weich sind um ständig zuzupacken.

Und als wir zum Auto gehen auf dem Drachenpfad, da hätte sich beinahe die Hand der kleinen Schwester in die des großen Bruders geschoben.

Ich treffe dann auch noch den Stiefvater meines Cousins und irgendwann verabschieden wir uns, nicht ohne die feste Zusage, doch nochmal in die „alte Heimat“ zu fahren, ja, gerne , bei uns ist die Türe offen, wir sind auch in der Seele verwandt. Vollbepackt mit vielen Geschichten und noch mehr offenen Fragen, mit Umarmungen und guten Wünschen und ein paar Tränen im Augenwinkel mache ich mich auf den Weg.

Am Ende meiner Reise verfahre ich mich total im Gewirr unbekannter Straßen und stehe vor einer verschlossenen Pforte. Ein freundlicher Fremder bittet mich herein, führt mich in ein kleines verzaubertes Gärtchen und überläßt mich für ein paar Stunden  einem goldenen Nachmittag und meinen Gedanken, die durch mich hindurchziehen wie die weißen Wolken über mir am blauen Himmel.

Märchenhafte Geschichten von zwei Kindern und dem Verschwinden seines Vaters, ihrer Mutter…der gemeinsame Großvater, der die eine Mutter vertreibt und die andere anspuckt, der große Krieg, die weinende Großmutter…die Hand im Butterfass…und zwei , die alt geworden sind und sich liebhaben wie Brüderchen und Schwesterchen…

aus einem kurzen Schlummer erwacht sehe ich rings um mich herum wunderschöne Rosen, die sich duftend in einem Sommerlüftchen wiegen…

ja, es war eine schöne Reise, weit hinaus und doch hinein und wohin man auch fährt und was man auch sucht…ich glaube, letztendlich findet man immer nur sich selbst…

bedächtig nicken die Rosen ihre Zustimmung, ich danke dem freundlichen Fremden für das Glück in seinem Garten und dann fahre ich heim.

 

Canzun de Sontga Margriata

Drachen seien älter als die Welt, hat mal wer geschrieben, ja, das glaube ich sofort.
Auf der ganzen Welt gibt es Drachen. Auch hier, in Oberbayern, sollen sie vorkommen, dachte man wenigstens in alten Zeiten und erzählte sich Geschichten. An mehreren Orten soll es den „Tatzelwurm“ gegeben haben und wenn man mal den ganzen romantischen Monsterkitsch weglässt, der ihm aus Gründen der Touristenbegruselung angedichtet wurde, dann wird dahinter in Drachengestalt eine mächtige, Alte Kraft sichtbar. Über das Land ist ein dichtes Netz von Kirchen gespannt, die der Hl. Margarete geweiht sind, und die führte den Drachen an lockerer Leine. Die Hl. Margarete, eine der Drei Ewigen, mächtige Zauberin, Fee, Hüterin der Alten Wilden Kraft, die zwar gezähmt, aber an sehr lockerer Leine an ihrer Seite tänzelt, ja, Margarete, die mit dem Drachen tanzt! Kirchen wurden nur an Orten mit besonderen Kräften gebaut. Wie alles zusammenhängt: Linien der Kraft, heilige Orte, die Drachenspur…niemand kann heute mehr sagen, um was es da genau geht, das, was an Wissen über die Mysterien der Alten Kräfte übrigblieb, nachdem unzählige weise Frauen und Männer im Mittelalter verbrannt oder förmlich abgeschlachtet wurden, das haben die Winde der Gezeiten verweht.
Heute können wir nur noch behutsam die sogenannten Orte der Kraft aufsuchen und versuchen, zu spüren und zu horchen und uns nicht dem reisserischen Erlebnisdrang hingeben…denn wir finden nur uns selbst und wir bekommen das, was wir mitbringen…und doch…es gibt schon sehr besondere Orte, wo wir die Chance bekommen, ein wenig genauer zu spüren, was ist…es ist nicht zu erklären, was genau da passiert. Ich ahne es mehr als ich es weiß, ich muß der Spur der Margarete folgen, oder ist es die Spur des Drachens und ich weiß nicht einmal, wo es mich hinbringen wird…im Höchstfall zu mir, so hoffe ich.
„Erkenne dich selbst“, stand im Orakel von Delphi und soll die Antwort auf die Großen Mysterien sein.
Auf der Spur der Margarete bin ich zur uralten Geschichte der Sontga Margriata gestossen, in vorchristlicher Zeit soll sie auf einer Alm am Kunkelspass in der Schweiz gelebt haben und es gibt dieses geheimnisvolle Lied über sie in rätoromanischer Sprache…da arbeitet eine „Diale“ (räroroman. für ein feenartiges, nichtmenschliches weibl. Wesen), eine mächtige Zauberin verkleidet als Sennbursche auf einer Alm ganz hoch droben und weil sie nicht respektiert wird verschwindet sie…alles Glück geht mit ihr fort…