Früher dauerte die Fastenzeit in der katholischen Kirche von Philippus (15. November) bis zur Mitternachtsmette am 24.Dezember. Vierzig scheint eine magische Zahl zu sein, Jesus hat 40 Tage in der Wüste gefastet und die Seelen der Verstorbenen brauchen nach alter Lehre vierzig Tage, um sich aus dem irdischen Dasein zu lösen und ihre ewige Heimat zu finden. Das hat sich schon lange geändert, der Advent beginnt mit dem ersten Adventssonntag und wer da vom Fasten redet, wird laut ausgelacht oder zumindest leise belächelt. Wir leben in einer Konsumgesellschaft und die lebt von der Gier, die ja bekanntlich immer größer und unstillbarer wird, je mehr man sie füttert. Der weihnachtliche Verkaufsmarathon beginnt je schon Ende August und läuft dann ab 1. Dezember nochmal zu seiner Höchstform auf. Die Beliebigkeit kennt keine Grenzen, in den Supermärkten liegen Berge von Lebkuchen neben den gefärbten Eiern, die um diese Zeit „Brotzeiteier“ heißen. Was für ein Wahnsinn, was für eine Verschwendung, denke ich mir, als ich durch die Reihe der überquellenden Regale beim Aldi gehe und muß mich beherrschen, um nicht auch zuzugreifen. Hinter mir schreit ein kleines Kind in Augenhöhe mit Schokonikoläusen, ein paar seiner Geschwister rennen kreuz und quer herum und scheinen ganz und gar außer Fassung zu sein, die jungen Eltern beachten sie nicht weiter und bewegen sich in Zeitlupe durch die Gänge. Am anderen Ende brüllt wieder ein Kind , der Mutter ist das sichtlich peinlich, der Vater dreht sich weg. Und dann schreit noch ein Kind, so jämmerlich, es ist kaum zum Aushalten, endlich nimmt es ein junger Vater auf den Arm und tut das einzig Richtige in dieser Situation: er geht mit dem Kind hinaus und verläßt diese Stätte des Kaufwahnsinns. Und ich denke mir, daß es ja mir schon schwerfällt, mich diesem Überangebot zu widersetzen, wie muß es denn einem dreijährigen Kind gehen. Kleine Kinder reagieren mit Gebrüll auf dieses Habenwollen und nicht sofort Kriegen und die Erwachsenen laden ihre Einkaufswägen voll und schleppen wie im Rausch das ganze Zeug nachhause, was nach Übersättigung dann übrigbleibt, wird weggeworfen.
Ringsherum hängen schon diverse Lichtschnüre in Bäumen, über Fenstern und bunte Kugeln schauen hinter Tannenreisig hervor und künstliche Christbäume lehnen herum, und über den Straßen wird die obligatorische Weihnachtsbeleuchtung hinüber und herüber gespannt. Von allen Seiten weht die Werbung durch Zeit und Raum und Schaufenster und Fernsehen, es geht um das teuerste Geschnk, das leckerste Essen und überhaupt alles, was das sehnsüchtige Herz verlangt und was es jetzt bekommt. Kauft Leute, alles, alles ist käuflich. Seid gierig Leute, kauft ein, dann wird ein Event daraus. Noch scheint es diesbezügliche Firmen hier noch nicht zu geben, in Japan wendet man sich an die Family Romance Agentur und mietet sich Freunde, je mehr Geld man hat, umso mehr Freunde sitzen dann um den festlich gedeckten Tisch und dann macht man Selfies im riesigen Freundeskreis und postet in die Welt, wie beliebt man doch ist, denn nur sehr Beliebte haben so viele Freunde, nicht wahr?
Es ist aber noch gar keine Weihnachtszeit und auch kein Advent, sondern vorgestern war Volkstrauertag und nächsten Sonntag ist der Totensonntag.
Den Tod wollen wir nicht in unserer Nähe haben, wir vergraben ihn unter Marzipankartoffeln und Lebkuchen und schütten Glühwein darüber. Vielleicht ist der Tod spürbarer in einer kargen Zeit des Fastens? Was um Himmelswillen bringt uns denn diese Gier nach allem und immer mehr und zwar sofort, auf der Stelle, wenn ich was sehe, was ich will, dann hol ich es mir. Ist es eine Art innerer Leere, die in einer Konsumgesellschaft zu immer mehr, immer schneller, immer höher, besser, aktiver, schöner gesünder führt. Ach ich weiß es auch nicht.
Ich möchte mich wieder auf die Mandarinen freuen, nach denen ich als Kind ein ganzes Jahr lang mich sehnte. Die lagen dann an Nikolaus in einem alten Strumpf vor dem Fenster. Zwei, drei Stück, viele Kerne hatten sie und manchmal ist mir so eine Köstlichkeit vertrocknet, weil ich sie mir so lange aufgehoben habe, um sie zu bewahren, bis sie nicht mehr eßbar war. Und ich möchte mich auf Plätzchen freuen, die vor Weihnachten nicht gegessen werden. Und ich werde am ersten Adventsonntag eine Laterne vors Haus stellen, da brennt durch jede Nacht eine Kerze, um uns auf dem Weg zu leuchten. Auf dem Weg nach innen will ich sein, in Stille und Einkehr. Was für ein schönes Wort. Und ich denke jetzt an meine AhnInnen, die hier im alten Haus gefastet haben, obwohl sie eh ein karges Leben hatten, und die sich am strengsten Fasttag, am 24. Dezember den ganzen Tag über auf die Nudelsuppe gefreut haben um Mitternacht, nach der Mette. Da sind sie um unseren Tisch gesessen und haben die Mettensuppe gegessen.
Vor ein paar Tagen habe ich in dem Stück „Der Tor und der Tod“ von Hugo von Hofmannsthal einen Satz gefunden, der den Tod in dieses alles Irdische durchdringende Föhnlicht tauchte, das heute hinter den Bergen aufgeflammt hat und aus dem Inneren Urgrund unseres Seins zu stammen scheint und alles in einem großen Lächeln auflöst.
Der Tod
…
Steh auf! Wirf dies ererbte Graun von dir
Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe!
Aus des Dionysos, der Venus Sippe,
Ein großer Gott der Seele steht vor dir.
…
Hugo von Hofmannsthal
Und hier schreibt die Kraulquappe
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