24 T. – Der Weg: Tag 9

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 9 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#09) – ©Michael Helminger

Das Haus II

Den Balken aufgetragen, hinaufgetragen, hinuntergetragen,
Hinaufgetragen die Kinder und das Essen für die Kranken,
Hinuntergetragen die Kinder und die Särge,
Geboren und gestorben wird oben
Hinunter ins Leben
Die Arbeit und in den Tod hinaus in die Fremde -Tür zu –
Nichts Fremdes hinein
Geduldet, nicht geliebt, das
Fremde vom Hoferben heimgebracht – nicht geliebt –
Das Fremde gebiert, pflanzt sich fort – das Fremde bleibt fremd –
Gehört nicht dazu – ausgespuckt an einen fremden Ort
Kann keine Wurzeln schlagen … das Fremde hat geboren, auch da
Bleibt das Fremde
Im Fremden fremd, auch das Geborene wird ein Fremdes unter
Fremden – obwohl – nein, es ist
Nicht möglich, es war allem Fremden zu fremd
Das Geborene bleibt fremd im inneren Gewand

Dem Haus ist es egal – es wurden ihm Balken aufgetragen,
Untergezogen, übergestülpt, aneinander genagelt und festgefügt
Es ist ineinander gefügt worden und es hat sich ineinander geschlossen
Die Fügungen verfremdet in der Fremde
Verdichtete Fugen
Gefügte Fremdheiten aufgetragen

Die Fuge frisst alles, was in sie hineinfällt
Die Fremde fügt sich nicht in die fremden Fügungen
Angst spuckt die Fremde in die Fugen
Die Fugen schließen ihre Fügung
Das Fremde ist sich fremd

Ist es dem Haus egal, wieviel Angst in seinen Fugen spukt?

Dem Haus ist es egal, wenn das ihm Aufgetragene nicht mehr hält,
Wenn die Fugen platzen
Und die Balken im Gras liegen,
Dann kommen die Schwämme, auch das ist dem Haus egal, aber dann
Heißt es nicht mehr Haus

Das Fremde ist fremd, weil es in ihm so fremd ist
Dem Haus ist es egal, was in seine Fugen gespuckt ist.

24 T. – Der Weg: Tag 8

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 8 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#08) – ©Michael Helminger

Das Haus  I

Was kann das Haus dafür, daß es in ihm spukt?
Kann das Haus was dafür?
Dafür,
Dafürhalten,
Das steht dafür,
was steht dafür,
daß es spukt?
Was spuckt ?
Was alles ausgespuckt wird
in diesem Haus.
Wie Kirschkerne die Generationen
ausgespuckt.

Aufgetaucht
Verschwunden
Ausgelöscht

Ausgespuckt in die Wiege,
herausgewachsen in die Betten hinein,
von den Betten in die Särge.

Aus einem Urmaul ins All gespuckt,
schaukelt die Wiege ein Weilchen,
kippt um,
hinein in den Sarg,
zugemacht der Deckel,
in die Grube,
Erde draufgeschaufelt,
geschmückt an Allerheiligen,
damit niemand sagen kann,
die kümmern sich nicht.

Wo ist die Liebe in diesem Haus?
Das Haus braucht keine Liebe.
Die Balken tragen sich und das Darüber,
weil es ihnen mittels Konstruktion auf
getragen worden ist.
Mehr gibt es da nicht zu sagen.
Wozu das alles, fragt es im November in
der bitteren Wahrhaftigkeit des Nebels.
Für nichts.
Für gar nichts, die Angst gibt ihm ein den tieferen Sinn, der den
Dingen innewohnen sollte, den
Zusammenhängen.

Großer Irrtum, zu glauben,
der Tod wäre wie der Baum,
der seine Blätter verliert im Herbst und stirbt,
aber nur scheinbar, um
im Frühling wieder auszutreiben.
Wenn der Sturm kommt oder der Besitzer – aus –
weg ist er, der Baum, ausgerissen
liegt er am Boden mit klaffenden Wunden.
Wenn er es noch schafft, Triebe in
den Boden zu jagen,
hat er Nachkommen gezeugt,
wenn nicht, gibt es ihn nicht mehr und womöglich
keinen seiner Art.

 Der Welt ist das egal.
Letztendlich wird sich alles in einer Art
Nebel wieder auflösen,
aus der es auch gekommen ist.
Dort wird alles in einer ewigen Spirale
sich drehen und drehen,
wie der Staub im Sonnenstrahl, der in das Haus scheint.
Und alles, was hier gelebt hat, wirbelt herum.

Dem Haus ist es egal, ob es
in ihm spukt,
glaube ich.

24 T. – Der Weg: Tag 7

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 7 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#07) – ©Michael Helminger

Wenn du in silbrigblauen Vollmondnächten unterwegs bist und Glück hast, kannst du den Kreis der Schafe beobachten. Du mußt leise sein und warten können.

Irgendwann steht ein Schaf von seinem Schlafplatz auf und geht zu einem Baum oder zu einer anderen, von ihm bestimmten Stelle und bleibt stehen. Andere Schafe folgen ihm und stellen sich daneben. Wenn ein Baum da ist bilden sie um ihn einen Kreis und lehnen die Stirn an seinen Stamm. Wenn sie keinen Baum finden, bilden sie auch einen Kreis, sie stellen sich sehr eng aneinander und ihre Köpfe sind zur Mitte gerichtet. So stehen sie völlig bewegungslos eine lange Weile da wie Gestalten aus Marmor in einem Tempel.

Niemand weiß, was sie da tun, denn sie sprechen nicht darüber. Ich glaube, sie lassen ihre Träume zirkulieren … von Kopf zu Kopf gleiten ihre Gedanken und formen sich zu Geschichten.

Irgendwann, wenn alles Wichtige dieser Nacht geträumt wurde, wird die Zeremonie aufgelöst und sie gehen wieder ihrer eigenen Wege, fressen ein wenig , liegen wiederkäuend auf der Wiese oder dösen im Mondenlicht.

24 T. – Der Weg: Tag 6

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 6 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#06) – ©Michael Helminger

Die Äpfel bewahren die Geschichten in ihren Vorratskammern. Sie erzählen von der Unendlichkeit im Blau des Himmels, von der Hitze der Sommer, vom Regen, der auf glatter junger Haut abperlt, von den Symphonien der Bienen und Hornissen, den Kompositionen der Hummeln, den Taktschlägen des Spechts und der narkotisierenden Zuckersüße unter verschrumpelter Haut. Die Weisheit der Göttlichkeit des Seins ist in ihren Kernen gespeichert und sie wissen, daß sie fallen müssen, um das Rad des ewigen Kreislaufs weiter zu drehen. Im innersten Kern ist der ganze Baum schon vorhanden. Das ist ihr Geheimnis.

Ich denke immer, wenn ich einen meiner roten Lieblingsäpfel esse, an die Rosi. Sie war eine Cockerspanielhündin, die einen vorübergehenden Pflegeplatz brauchte, weil ihre Menschen aus irgendwelchen Gründen für ca. vier Wochen nicht in der Lage waren, sich um sie zu kümmern. Wir haben sie selbstverständlich bei uns aufgenommen, wie so unendlich viele Tierwesen im Lauf der Jahrzehnte, für die es keinen Platz mehr gab. Aus den Wochen wurden Monate und als die Rosi endlich wieder zurück sollte, da blieb sie neben mir, an mich gelehnt, sitzen und rührte sich nicht vom Fleck. Also sind aus den vier Wochen 10 Jahre geworden, und die Rosi ist dann irgendwann hochbetagt mit 19 Jahren gestorben.

Wir hatten ein gutes Leben miteinander, sie bekam alles, was sie wollte, durfte auch am Tisch betteln und mit der Nase uns anstupsen, sie durfte Knochen vergraben, die sie dann nicht mehr gefunden hat und sie durfte als Wasserjägerin in jeden Tümpel und jede Pfütze. Wir waren als Besuch mit Hund nicht beliebt, weil wir leider immer wieder zuviel Dreck in blankpolierten Haushalten hinterließen.

In den Jahren mit der Rosie hatte ich auf den Spaziergängen immer zwei Äpfel dabei, einen für mich und einen für sie. Wir hatten da einen Lieblingsplatz vor einer alten Hütte oberhalb von uns auf dem Hügel. Da hockten wir und haben unsere Äpfel gegessen, ich auf einer alten Bank und sie neben mir.  Und dann sind wir einfach so dagesessen und haben beide über das Land geschaut in Richtung Salzburg und noch weiter zu den Bergen. Wir haben beide nichts gesagt, nur gehorcht und geschaut.

Die Hündin und ich, wir haben die Ewigkeit miteinander geteilt und dann sind wir wieder heimgegangen.  

24 T. – Der Weg: Tag 5

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 5 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#05) – ©Michael Helminger

Ich sitze auf der Hausbank, ein kleiner Wind streicht ums Hauseck, sonderbar warm für Dezember. Langsam kommt die Nacht. Blaue Tücher senken sich aufs Land. Ein paar Vögel auf dem Heimweg flattern in der Luft, dann ist Stille. Hinter dem Zwetschgenbaum ein leises Stöhnen. Etwas sitzt im Gras, mit dem Rücken an den Stamm gelehnt. Es ist größer als ich und blutet aus vielen Schrammen, eine davon zieht sich über das ganze Gesicht. Helle Augen, sehr helle, viel zu helle Augen sehen mich an. Ich bringe Dir eine Salbe, magst Du was essen oder trinken? Es will was sagen, aber die Stimme krächzt, ich verstehe nur schlecht, was es will … Cola? Meinst Du Cola? Es nickt.

Ich laufe ins Haus, komme mit Cola und Butterbroten und Salbentopf. Es trinkt gierig und mit seltsamem Schlürfgeräusch, dann streicht es sich die Ringelblumensalbe auf die Wunden, und bevor ich fragen kann, schaut mich dieses Wesen an und seine Augen werden schwarz, so schwarz wie der Himmel ganz weit draußen und ich sehe die Sterne darin …weg! krächzt es, hau ab!

Verwirrt laufe ich weg.

Am nächsten Morgen ist hinter dem Zwetschgenbaum alles wie immer, die Katze schleckt an einer Brotrinde, die im Gras liegt … ein paar Federchen liegen herum, wahrscheinlich aus einem alten Vogelnest gefallen.

Erst später fällt mir auf: wo ist eigentlich das Glas mit der Ringelblumensalbe?

24 T. – Der Weg: Tag 3

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 3 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#03) – ©Michael Helminger

Das Wilde ist wild. Und wild ist nur, was wild ist und sonst gar nichts.

Wild ist das Wilde nur in der Wildnis. Ist es nicht in der Wildnis, ist es also auch nicht wild.

Du kannst ein wildes Tier zähmen, ihm einen Maulkorb anlegen, das Fell abrasieren, die Krallen schneiden, es domestizieren – du brichst nur das Tier, nicht das Wilde.

Du kannst aus einem wilden Land eine Wüste aus strategischen Geschäftsplanungen machen, es mit Linien überziehen, in vernünftige Bahnen lenken – dem Wilden ists egal, ob du es siehst oder ob du es magst oder ob du es verloren hast. Das Wilde bleibt wild.

Vom Wilden gibt es nicht mal ein Gegenteil und es ist älter als die Zeit.

Die Liebe kann nur lieben, das Leben kann nur leben und der Tod sitzt gerne auf warmen Steinen.

Und das Wilde ist wild, solange es wild ist und nicht länger, alles klar, oder?

Keine Sekunde länger

Keine Sekunde länger

24 T. – Der Weg: Tag 2

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 2 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#02) – ©Michael Helminger

 

Alles hat eine Nummer, das ist für die Schlachtbank und für den Nachweis, daß die Kreatur, die zum Opferaltar geführt wird, gut gehalten wurde. Bei Opfertieren achtet man auf überprüfbare Biohaltung, die soll gewährleisten, daß sie ein gutes Leben hatten vor dem Schlachten.  Auch für das Danach ist das Biosiegel erwünscht, man fühlt sich einfach wohler, wenn das Tier gut gelebt hat. Wir mögen es lieber essen. Es verhält sich sein Fleisch dann angenehmer in Pfanne, Topf und Teller.

Menschen sind nicht verpflichtet, ihre Nummer, den Nachweis ihrer Herkunft und welcher Haltung sie entstammen, sichtbar herumzutragen, aber auf Verlangen vorzulegen. Ein Biosiegel ist noch nicht Pflicht, aber eine genaue Auflistung über Lebensweise und Gesundheitstests, diverse Ersatzteile und Medikamentengaben sollte verfügbar sein, damit im Danach alles gut verwertet und abgebaut werden kann.

Wie Menschen sterben, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Um nach dem Leben der jeweilig gewünschten Verarbeitung zugeführt werden zu können und in die richtigen Behältnisse zu kommen, ist es sinnvoll, irgendwo den Namen anzubringen.

Dem Anatomiediener, so nannte man denjenigen, der im Keller des Krankenhauses die Toten in Empfang genommen hat, die vom Pflegepersonal gebracht wurden, brauchte man das Bett mit der zugedeckten Leiche nur hinzustellen, alles weitere erledigte er selber. Der Raum war immer voller Rauch und auch ansonsten wenig einladend, der Anatomiediener wollte gerne ein wenig plaudern, aber alle wollten so schnell wie möglich hier wieder weg. Er selbst schien ein relativ entspanntes Verhältnis zu Leben und Tod zu haben. Er wusste, daß alle, egal wer oder was sie waren, irgendwann hier landen würden. Er machte die Tür zum großen Kühlschrank auf und holte zwischen bleichgekühlten Füssen, an deren großem Zeh ein Namensschild hing, eine Bierflasche heraus und sagte freundlich: „Magst einen Schluck?“

 

 

24 T. – Der Weg: Tag 1

Cyanotypie aus der Serie 24 T / Motiv 1 - ©Michael Helminger (michael-helminger.de)
Cyanotypie – Eisenblaudruck Serie 24T(#01) – ©Michael Helminger

Oben im Torturm des alten Klosters war eine Tafel eingemauert. Aus Untersberger Marmor, eingraviert der Name des römischen Stifters, zu Ehren von Mithras. Vor einigen Jahren hat man sie gefunden und gleich entfernt und ins Museum gebracht, nichts sollte an diesem Ort an einen alten Mysterienkult erinnern, mit dem wir nichts mehr zu tun haben wollen.

Mithras, einer der vielen Namen, die der Sohn des fremden Gottes über die Jahrtausende bekommen hatte. Er kam mit der Morgenröte aus dem Osten und strahlte wie die Sonne. Als ausgewachsener Mann war er von einer Felsenmutter geboren worden, war mutig und kampfbereit, sollte für Gerechtigkeit unter den Menschen sorgen und die Welt retten. Männer trafen sich an heiligen Orten und huldigten ihm mit streng geheimen Zeremonien. Irgendwann schienen sie seiner überdrüssig zu sein und vergaßen seinen Namen.

Der Sohn des fremden Gottes ging weiter über die Erde, er war menschenähnlicher geworden, eine Menschenfrau hatte ihn geboren, er sprach zu den Menschen, sie hörten ihm zu und glaubten ihm und sie beteten ihn an als Retter der Menschheit und Sohn des Großen Gottes und nannten ihn Jesus, den Christus. Er sprach zu ihnen über die Liebe und daß sie den anderen lieben sollten wie sich selbst.

Irgendwann brachten sie ihn um.  Aber er kam wieder.

Immer wieder kommt er mit der Morgenröte aus dem Osten und geht unter mit dem Abendrot und dazwischen geht er über die Erde und wir mit ihm. „Still und unerkannt“ heißt es im Lied. Unglaubwürdig ist er geworden, denen, die von ihm erwartet haben, daß er sie von ihrem Haß aufeinander befreit.

Er kommt mit der Morgenröte und geht über die Erde und wir mit ihm … immer…

immer und immer wieder

Die Sonne ist aufgegangen … liebe deinen Nächsten wie dich selbst, wie geht das, denke ich und sehe im Rauhreif die Diamanten funkeln und strahlen…

… wie dich selbst …

 

 

 

 


 

Ab morgen …

Mit dem 1. Adventssonntag beginnt morgen hier zwischen Himmel und Erde das Projekt „24 T. –  Der Weg.“  In diesem Jahr ist es eine Gemeinschaftsarbeit von Herrn Graugans und mir. Da Herr Graugans fotografisch immer in Serien arbeitet, liegt sein Teil des Projekts als abgeschlossene, in sich abgestimmte Bilderreihe vor. Ich erarbeite meine Texte aus dem Augenblick und werde Tag für Tag neben seinem Bilderweg hergehen und meine Spur verfolgen. Dies ist eine große Herausforderung, denn die Spur ist nicht immer gleich sichtbar, und nicht jede Fährte führt auf einen Weg. Ich ahne, daß ich durch manch unwegsames Gelände gehen muß, Schluchten durchqueren, durch Sümpfe waten, herabfallenden Steinen ausweichen und mich auf dunklen Pfaden verirren und verlieren werde. Ich werde es trotzdem wagen und mich morgen auf den Weg begeben, egal wohin er mich führt.

Vielen Dank, lieber Herr Graugans, daß Du Dich mit mir auf dieses Experiment eingelassen hast! Am Ende werden wir sehen, was daraus geworden ist!