Archiv der Kategorie: Rituale

Ernten werdet ihr, was ihr …

Das Fest Allerheiligen dürfe selbstverständlich so gefeiert werden, wie die Kirche es vorsieht, also wird es auch den üblichen Gräberumgang geben. Das sind wir schließlich unseren Toten schuldig, sagen Landesvater und Landrat in den Pressekonferenzen im neu verhängten Lockdown. Ob sich dieser Respekt vor den Toten halten läßt, wird man sehen, wenn der Wert die 300 überschritten hat, heute liegt er bei 292,6. Der Inzidenzwert war bereits am Montag  über 250 und deshalb schnelles Handeln vonnöten, die üblichen Regeln wurden verschärft, die Wohnungen dürfen jetzt nur noch aus triftigen Gründen verlassen werden. Was darunter zu verstehen ist, kann jeder mehr oder weniger selber für sich auslegen. Verboten sind zumindest für die nächsten 14 Tage alle (be-)rauschenden Festivitäten in- und aushäusiger Art in Berghütten, Zelten, Gärten und Wirtshäusern, überall da, wo sie jetzt seit Monaten längst wieder praktiziert wurden. Zweitausend Gäste werden heimgeschickt, das sorgt für großen Ärger in der Tourismusbranche, ansonsten ist alles ruhig. Ich spüre sie wieder, diese gläserne Wand um uns herum, wie vor Monaten schon und schaue auf das, was mich umgibt, mit einem Blick wie durch ein Vergrößerungsglas. Ich schaue auf das Leben, das wir in dieser Welt führen.

Eine Schar Leute schlendern auf der Gemeindestraße vor unserem Haus vorbei, im Schlepptau etliche unleidlich blickende Kinder und ein paar leinenlose Hunde … unsere Katzen wahren Contenance, verziehen sich auf die Bäume und blicken verächtlich auf das vorbeischlurfende Geschehen.

Der ehrwürdige alte Nußbaum hinterm Haus hat seine Walnüsse abgeworfen.

Reicher Ertrag auf der Streuobstwiese muß verarbeitet werden, es gibt viel zu tun, manchmal versagen meine Kräfte und ich spüre, daß ich alt werde, und dann lehne ich mich vorsichtig an den uralten Baum mit den Goldperminer Äpfeln und weine ein wenig in seine Borke. Große Pilze wachsen schon an ihm, und die Ameisen erweitern ihr Straßennetz an seinem Stamm, der Prozeß der Verwandlung hat eingesetzt … alles eine Frage der Zeit …  aber noch hat er alle Kräfte zusammengenommen und soviele kleine, aromatische Äpfel bekommen wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Im Keller steht ein 100-Liter Ballon mit Apfelmost, er blubbert schon leise vor sich hin. Gerne würde ich im Spätherbst Gäste empfangen und mit ihnen in der Stube Most trinken und Speck und Käse und frischgebackenes Walnußbrot essen. Die Gäste sind rar geworden am Hof, das liegt nicht nur an den derzeitigen Regularien zur Seuchenbekämpfung. Die Art und Weise wie unsere Gesellschaft lebt, erfordert Terminisierung überall und mit genauer Zeitplanung … da bleibt kaum Freiraum für Gespräche, so wie ich sie mir wünsche … dieses Miteinanderreden über Gott und die Welt mit offenem Ende, solang man sich halt was zu sagen hat. Immer wieder stelle ich fest, daß das Gespräch zwischen Menschen, die sich wohlwollend begegnen, der Mittelpunkt meines Lebens ist. Ich leide darunter, daß es weniger wird. Auch Freundschaften verschwinden … erst dachte ich, das würde an dieser Krise liegen … aber mit dem geschärften Blick stelle ich fest, daß vieles, was jetzt verschwindet, auch schon vor der Seuche gebröckelt hat. Ja, auch die Vermutung, daß  man erst dann weiß, ob man Freunde hat, wenn man in Not ist, birgt mehr Wahrheit als mir lieb ist. Mehrere Menschen, die sich jahrelang so verhielten, als stünden sie mir nahe, brechen wortlos den Kontakt ab. Ach, die Gefühle sind wahrscheinlich ähnlich wild und gefährlich, weder steuer- noch lenkbar wie die Viren auch, sie bevölkern den Innenbereich und sorgen für Verwirrung und Tumult … sind sie gut, lassen sie uns vor Freude hüpfen, sind sie schlecht, werden wir verzagt. Wenn wir vor ihnen davonlaufen, kommen sie hinterher, und wenn wir uns auf sie verlassen, sind sie plötzlich weg und dann sind wir traurig.

Die 89jährige Nachbarin klopft am Vormittag an die Haustür und sagt : Grete, hast Du schon für´s Mittagessen was angetragen(vorbereitet), wenn nicht, hätt ich paar Nudeln für Euch! Ja, sehr gerne wollen wir welche … sie ist eine wundervolle Köchin und die letzte, die sie noch so macht, wie früher meine Großmutter und schnell treffe ich die Vorbereitungen, denn wir essen sie nach altem Ritual. Bevor die Vanillesoße auch zu uns herschwappte und sich als pappsüß angedickte Milch, gelbgefärbt mit Puddingpulver über alle Mehlspeisen ergossen hat, weil man halt auch mit der Zeit gehen wollte und so sein wie „die in der Stadt“; da haben die Dampfnudeln einfach nur Nudeln geheißen. Im Unterschied dazu gab es die „geschnittenen Nudeln“ , für die meine Oma auf dem Nudelbrett mit dem „Nudelwalgler“ Teigplatten auswellte und Bandnudeln daraus schnitt, die dann zum Trocknen herumlagen. Es gab sie dann als Nudelsuppe oder in der Pfanne gebraten, das waren Festtage für mich und immer, wenn ich selber Bandnudeln mache denke ich an meine Oma und ein Leben lang ist es mir nicht gelungen, mich dieser Köstlichkeit von damals auch nur anzunähern.

Für das alte Ritual beim Verspeisen der Dampfnudeln brauche ich ein speziell gekochtes Sauerkraut als Vorspeise und ein Apfelkoch(dickes Kompott), das noch warm sein muß. Das Dampfnudelessen ist immer ein kleiner Festtag und ein Gedenken an die Ahninnen im alten Haus, die in großer Armut mit Nudeln und Knödeln ihre vielen Kinder ernährten und dank selber eingestampftem Sauerkraut einigermaßen gesund über den Winter brachten. Das weiße Mehl war kostbar und der Weizen teuer. Ich höre meinen Vater noch sagen: alle wollten nur die weizenen, ich hab aber auch die roggenen Nudeln mögen, die waren dunkler und wurden in der Milch gekocht und hatten einen ganz speziellen Geschmack. Ich glaube, mein Vater hatte kein gutes Verhältnis zu seiner  Mutter, in der Vergötterung des Erstgeborenen war für ihn als Jüngsten von sieben nichts mehr übriggeblieben an Mutterliebe. Vielleicht war ihr Herz irgendwann nach Not und Elend, Krankheit und zwei im Krieg verlorenen Söhnen ausgeschöpft und leer.  Immer wieder einmal sagte er: also mir ist es ein Rätsel, wie die Mutter das geschafft hat, daß wir nie hungern mussten … dann war so ein trauriges Glänzen in seinen Augen.

Kater Herbert hat einen schlimmen Abszess am Bauch bekommen nach einer nächtlichen Rauferei und wir mußten ihn behandeln lassen, heute ist Herr Graugans mit ihm in der Tierklinik, natürlich maskiert … aber bei dieser bedrohlichen Lage im verseuchtesten Landkreis Deutschlands, jeder Kontakt ist riskant … mir ist mulmig. Permanent liegt eine diffuse ängstliche Verunsicherung in der Luft. Ein verzweifelter Anruf, bitte komm sofort, der Herbert ist abgehaun! Er war (klugerweise vor der Behandlung!) aus dem Auto gesprungen und im Gebüsch verschwunden. Als ihn der Gatte fast wieder eingefangen hätte  kommt eine Frau dahergerannt , fuchtelt mit einem Ast herum und will ihn zum Auto treiben, daraufhin verkriecht er sich unter einem Haufen Altholz, wo überall die rostigen Nägel herausstehen. Herbert, dessen kätzisches Naturell weder von irgendwelchen banalen Leckerlis oder sonstwas bestechlich ist und dessen Charakterfestigkeit sich so äußert, daß er  – und nur er –  selbst entscheidet, wann er geruht, den Scherben – und Dreckhaufen wieder zu verlassen, wartet erstmal ab, bis alle Menschen und Hunde weg sind und auch der Bauer über der Straße seine höllisch laute Kreissäge wegpackt, das ist ca. nach zweieinhalb Stunden. In der Zwischenzeit hat Herr Graugans eine wichtige Videokonferenz absagen müssen …  wir sehen jetzt zumindest ein wenig weißes Fell in den Zwischenräumen von Latten und Gittern und  verhalten uns so, als hätten wir alle Zeit der Welt. Und nach einer weiteren halben Stunde taucht ein weißer Fellkopf unter dem Gerümpel auf und sagt: „Mmmrrreeeh.“ Es dauert dann noch ein Weilchen, bis er beschließt, aus der Deckung und anmutig an Scherben und spitzen Nägeln vorbei herauszuklettern. Alle drei sind wir ziemlich erledigt und fahren nach drei Stunden mit unbehandeltem Abszeßgeschehen wieder heim, froh, daß es so schnell ging , ich hatte durchaus mit einer halben Nacht Wartezeit auf dem Parkplatz der Tierkinik gerechnet.

Der Sohn der Nachbarin, ein sehr freundlicher und hilfsbereiter Mensch, der vor Freude strahlt, wenn er seine kleine Enkeltocher auf dem Arm hat, sagt: Du, wir lassen uns da mit dieser Seuche jetzt nicht verrückt machen, gell! Wie schauts denn bei Euch aus, habt Ihr Eure Äpfel gut unter Dach und Fach gebracht? Solltet Ihr noch  welche haben, da kommt morgen einer, der schüttelt die Reste herunter…

Wie die Krummetvögel, denke ich, die waren jetzt auch ein paar Tage auf Zwischenstopp in den Süden in großen Scharen vom Himmel direkt in unsere verwilderten Gesträuche gefallen, und haben die Reste des Sommers weggepickt, Trauben, Hagebutten, Brombeeren und sind dann mit vollen Vogelbäuchen ab nach Süden weitergeflogen.

Im Gottesacker stelle ich aufs Grab eine Schale voller kleiner, bunter Hornveilchen … ganz unscheinbar sehen sie aus  inmitten des unglaublich perfekten Grabesgestaltungsdesign ringsherum … ich habe einfach überhaupt kein Talent zum Dekorieren … aber wenn ich mich so umschaue, was die Frauen da mit Hilfe der Gartencenter veranstalten …  für wen ist das alles? Nur zur Ehre der Toten … wirklich?

Langsam wird es Abend, der Mond steht kerzengerade mit seiner Sichel am Himmel, die Viren sind nicht weniger geworden, aber die Blüte der Rose leuchtet so flammend auf, daß hinter ihr das Abendrot verblassst.

Blutmond

Drei Frauen sind wir und als wir oben am Hügel ankommen, stehen wir zwischen den beiden Himmelslichtern, die Sonne ertrinkt langsam im großen See und der Mond ist aufgegangen. Um uns herum ein Kreis von Bäumen, in Zweier- und Dreiergruppen stehen sie da, ihre Leiber ineinander verschlungen recken sie sich in den Himmel. Im Hintergrund die Silhouette der Berge. In den tiefen Geleisen der Lastwägen steht das Wasser und glänzt im Mondenschein, die  gefräßige Maschine, die tagsüber in der Kiesgrube den Sand ausspuckt, hält ihr riesiges Blechmaul verschlossen und schweigt. Von der Autobahn dröhnt der Feierabendverkehr, in der Siedlung leuchten die Fenster und die blauen Bildschirme. Und wir stehen in diesem kleinen Wäldchen herum … in unseren Augen schwimmen orangerote Kugeln … es ist Lichtmeß, die Rituale der letzten Jahre wurden lästig, wir haben sie zurückgelassen, in meinem Kopf geistern Phrasen und übriggebliebene Wörter herum …Kessel, Hüterin der Schwelle, Hexenmord, Vision, Neubeginn … was machen wir hier ohne Konzept und ohne Programm? Nichts. Und dann treibt es uns auseinander, das „wir“ löst sich auf. Jede ist allein.

Meine Gedanken laufen zurück, ich schaue nochmal auf mein Leben, wie vor ein paar Tagen, als ich die Unterlagen für die Rente zusammensuchte. Die Altersrente sozusagen, ich also jetzt auch, bald wird man mich Rentnerin nennen. Zwiespältige Gefühle bei dieser Bezeichnung. Eine Reise in die Vergangenheit, mein beruflicher Werdegang und dann auch noch die alten Schulzeugnisse … ich sehe ein wissbegieriges Kind, dann die plötzlichen Leistungseinbrüche, warum hat niemand nachgefragt? Ich spüre alte Schmerzen, Enttäuschungen, dieses Kind, das ich einmal war und das ich in mir trage, es sah und hörte Dinge, die andere nicht wahrnahmen und es war ständig voller Ahnungen … heute nennt man dieses Phänomen „Hypersensibilität“. Ich gehe auf dem Boden der Tatsachen herum und lasse mich in den Schutz einer Baumgruppe gleiten, ein glatter Stamm fängt mich auf … die Frage, ob ich denn pädagogisch wertvolle Arbeit geleistet habe, läßt sich kaum beantworten und Wehmut und Erinnerung an viele Fehler steigen auf aber auch die Situationen außerhalb der Planungen und Konzepte, die unzähligen Momente, wo sich Seelen mir anvertrauten, wo junge Menschen ihr Herz ausgeschüttet haben … ja, das war am schönsten, einfach nur dazusein  als Mensch unter Menschen und zur Verfügung zu stehen!  Und dann löst sich die Vergangenheit in Luft auf und fliegt weg. Leiser Gesang weht zu mir her und Rascheln im Unterholz. Ich gehe von Baum zu Baum und spreche die Worte aus, die sich mir in den Sinn schieben und ich höre mir dabei zu, wie ich von einem Ort spreche inmitten einer leuchtend gelben Sandwüste, an dem blutrote Felsbrocken herumliegen … ich erzähle von einer Reise, die ich nie gemacht habe …

Irgendwann stehen wir wieder beisammen, hier an diesem geheimen alten Ort, plötzlich liegt da ein leuchtend weißer Stein in unserer Mitte und wir halten uns an den Händen, einfach so, weil uns danach ist. Während wir den Jodler anstimmen für den „Alperer“, einem wilden Berggeist tief drinnen im Gebirge, löst sich im Osten aus dem Schatten des Untersberges der Riese Abfalter … mit großen Schritten geht er an der Salzach entlang, bis er auf der anderen Seite sein geliebtes Riesenfräulein findet und es in seinen Armen über den Fluß trägt, damit es keine nassen Füsse bekommt.

Hier, am Schnittpunkt der Welten, auf der Schwelle stehen wir, jetzt an Lichtmeß, mit einem Fuß in der Wildnis und mit dem anderen in der Zivilisation, die alte Zeit ist vorbei, die neue noch nicht da. Gut zu wissen, nicht alleine zu sein mit diesem Wahnsinn des Lebens und des Sterbens und weil wir jetzt voller Liebe sind zu uns und dem ganzen Universum, aber weil uns auch nichts so direkt heilig ist, greifen wir zum Himmel und blasen uns Sternenstaub ins Gesicht und tanzen lachend und singend nachhause.

 

 

…voll der Gnaden…

Gleich zwei Seiten Todesanzeigen in der Lokalzeitung. Januar/Februar sterben die Leute, die Weihnachten so grad noch überleben konnten.
Für kürzlich Verstorbene in der Nachbarschaft knie ich mit schmerzenden Beinen in der eiskalten Pfarrkirche und bete den „schmerzhaften Rosenkranz“, weil es halt so der Brauch ist. Ich muß aufpassen, daß ich mitkomme, denn obwohl in jüngster Zeit öfters gezwungenermaßen gebetet, verzähle ich mich bei den Stationen und muß deshalb auf meine Nachbarin hören, die kann´s. Insgesamt hört sich alles ein wenig wie eine Kakophonie an, die Vorderen sind langsamer, die Hinteren rennen davon, ich habe von früher einen monotonen Leiergesang im Ohr, das hörte sich zwar wenigstens synchron an, verstanden hat man aber auch nichts von dem, was da gebetet wurde.
Daheim im alten Haus in der Stube, mit den Knieen auf dem nackten Holzboden wurde an Weihnachten und an Lichtmeß auch der Rosenkranz gebetet, solang mein Großvater noch einigermaßen klar im Kopf war, als er „verkalkte“ haben sie den Brauch ganz schnell abgeschafft.
Ich sitze in der Kirche und es fällt mir ein, daß ich als Kind völlig ratlos war, was denn diese Zauberworte bedeuteten: „Gähgrisszeistdemariadubistvolldergnade – derherristmitdir, dubistgewehnedeitunterdenweibern – ungewehnedeitistdieFruchtdeinesleibesjesus“…vorallem diese unerklärliche „ungewehnedeitefruchtdeinesleibes“…lange, lange habe ich darüber gerätselt, was das wohl sein könnte und erst viele Jahre später habe ich begriffen, daß es natürlich keineswegs „ungebenedeit“, sondern „…und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“ heißt!
„…heilige Maria, bitte für uns Sünder…“ ja, heilige Maria, da bist Du gelandet, denke ich, Du, die ehemalige Göttin sollst für uns was erbitten beim Alten und seinem Sohn dort oben, die sollen es richten, was bei uns schiefläuft…“jetzt und in der Stunde unseres Todes…“, ja vor allem, wenns ums Sterben geht, soll sie die unerbittliche Chefetage weichkochen für uns.
“ und laß ihn in Frieden ruhen. Amen. Vater unser im Himmel…“ aha, es geht eine Station weiter… Am Altarblatt heilige Abbildungen der wichtigsten Vorkommnisse, Adam und die sündige Eva mit der bösen Schlange und daneben gleich, weil Namenspatron der Kirche, der Hl. Georg, der blutrünstig und mit leidenschaftlicher Geste den bösen Drachen ersticht. Immer schon habe ich dieses Bild gehasst, noch nie habe ich geglaubt, daß der Drache wirklich böse ist. Und es ärgert mich heute immer noch, daß es nötig war, ihn abzuschlachten, wo doch meine Namenspatronin, die Hl. Margarete, ihn mit weicher Hand gezähmt hat und er an einem langen lockeren Band brav neben ihr hergetrottet ist…das Bild einer Frau, neben der die Urkraft tänzelnd einherschreitet, die sie also locker handhaben kann, die sogar mit ihr tanzt – nein, das war so nicht vorgesehen, da musste einer mit dem Schwert her, um es zu zerschlagen.
„…und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus, – der für uns gegeißelt ist worden ist…oje, ich hab ein „ist“ zuviel gebetet, so nämlich, wie es der Großvater immer gebetet hat. Und ich habe im Ohr, wie es geklungen hat, früher, in unserer Stube, als beim Beten auf dem Boden unser junger Hund Lumpi, ein kleiner, etwas bissiger Spitz, der halt auch mal wieder bei uns gelandet war, weil ihn sonst niemand haben wollte, den schafwollenen Socken vom Opa als Spielzeug ins Maul nehmen wollte und ihm deshalb ständig in die Zehen biß: „der für uns gegeißelt ist worden ist..Herrgotsakramentkruzifix, beißt mir der Hundskrüppi an Söcki(Socken) eini…gägriszeistemariadubistvolldergnade…“!

„…Herr, gib ihm die ewige Ruhe…“ – an was die anderen wohl alle grad denken? Mir fällt „Das Buch des Vaters“ vom geliebten, viel zu früh verstorbenen Urs Widmer ein und daß ich ihn so gern gefragt hätte, ob es das Dorf des Vaters irgendwo in den Schweizer Bergen tatsächlich gegeben hat, wo vor jedem Haus ab Geburt der Sarg stand, solang, bis er gebraucht wurde, vor manchen Häusern aufgestapelt viele Jahrzehnte viele Särge…was für ein wunderbares Buch, vorne drauf das Bild von Heiri Strub vom Vater Walter Widmer, mit dem ich mich gleich so seelenverwandt fühlte…diese Bücherstapel überall…ach, was für eine Geschichte, was für ein Erzähler, mein Herzensdank hinauf zu den Sternen…“und das ewige Licht leuchte ihm…“ja, Ihnen lieber Urs Widmer, Ihnen möge es auch leuchten in alle Ewigkeit…!

„…der für uns gekreuzigt worden ist…“ – aha, das letzte Kapitel muß noch abgebetet werden und dann kommt noch das Glaubensbekenntnis, wo wieder alle „die heilige, katholische Kirche“ beten werden und nur ich laut „christliche Kirche“ sagen werde und natürlich wieder alle schauen. Bin ich in dieser Kirche daheim? Wenn Erinnern auch eine Art Heimat ist, dann schon, aber ich fühle mich nicht zugehörig und leide unter Einsamkeit, da hat sich nichts in den letzten 5O Jahren geändert, auch damals fühlte ich mich schon einsam, als beim Kommunionsunterricht vom Pfarrer gesagt wurde, daß die Oblade der Leib Christi sei und man ihn keinesfalls kauen durfte und mir dann bei der Kommunion der Leib Christi am Gaumen festpappte und ich mir nicht zu helfen wusste, wie ich ihn denn da wieder runterbringen sollte, denn mit dem Finger am Leib Christi herumkratzen war unter Androhung von Sünde strengstens verboten. Was mache ich hier, in dieser Kirche? Hinter mir der Beichtstuhl, in dem man so unerklärliche Fragen abarbeiten musste wie „Unkeusches gedacht“, ohne überhaupt zu wissen, was denn das überhaupt war, dessen man sich schuldig gemacht hatte.
Und draussen das Familiengrab, eisiger Schneewind.
Ach ich weiß auch nicht. Ein Satz ist mir aus dem Wenigen, das mir meine Mutter hinterlassen hat in Erinnerung geblieben, sie sagte, ich solle niemals denen glauben, die sagen, daß Gott in der Kirche wohnen würde! „Er ist in den Margariten!“ – sagte sie. Ich bin geneigt, ihr zu glauben.

Epiphanie: Erscheinung, Offenbarwerden (griech. epiphaneia)

Heute das Fest der drei Königinnen:

Die Werdende.

Die Gewordene.

Die Seiende.

 

Die, die das Leben gibt,

die das Geschick zuteilt,

und die beides wieder zerreißt!

 

Eine Krone aufsetzen, Rauch zum Himmel steigen lassen und ein wenig tanzen, Perchta zu Ehren, Strahlende Wandlerin…in uns!

Wenn drei Frauen sich zusammentun, sieht man die Sterne am lichten Tage.

Weisheit aus Indien

Innerer Kreis

Irgendwer hat gesagt: “ Die Vergangenheit ist nicht weg, sie ist nicht mal vergangen“. Manchmal ahne ich, daß die Zeit nichts ist, was vorwärts stürmt, sondern eher so was wie eine flächige Ausdehnung, kann es nicht erklären, nicht mal mir selber, aber manchmal weiß ich es einfach, daß alles gleichzeitig existiert. Weit hinabgestiegen diesmal, zur dunklen Schwester, an Sonnwend mit ein paar Freundinnen versucht, das neugeborene Licht zu finden, dort unten, im Großen Unten. Mit dem neugeborenen Licht und dem Wissen der Nacht wieder heraufsteigen und feiern. Während wir im kleinen Wäldchen stehen fällt mir plötzlich wieder ein, daß hier mal ein Ast war, mit einem Band umwickelt. Ein blau-weiß gemustertes Schürzenband, abgerissen bei dem vergeblichen Versuch meiner Mutter, sich aufzuhängen. Lange nach ihrem Tod hing es noch da, der alte Schmerz steigt auf in mir, wie oft bin ich weinend hierhergekommen, früher, vor 45 Jahren. Laut habe ich es in den Wald hineingeschrieen das Elend dieses Kindes, das nicht verstand, warum die Mutter, die doch so lachen konnte, sich zu Tode soff und vorher das Kind verflucht hatte, weil es die Flaschen zerbrach, um den Tod abzuwenden, um zu retten, was nicht mehr zu retten war. Eines Tages war das Schürzenband brüchig geworden und abgefallen.

Das Wissen der Nacht, sollte es das sein, anzunehmen, was unabänderlich scheint, weil alles dazugehört?

Später, beim Singen offenbahrt sich, daß die unteren Stimmen das Fundament legen für die hohe voranstürmende junge Lebensstimme. Die Magie ist in der dritten Stimme, die von unten kommt.

Erfahre vom  erneuten Ausbrechen der gefürchteten familiären Krankheitsneigung. Einen, den ich sehr mag, mit dem ich nicht nur „das gleiche Blut“ teile, sondern mit dem ich mich sowohl im Geist wie auch im Herzen verwandt fühle, hat es erwischt. Die Jäger sagen, ein Reh wird „aufgebrochen“, ja, so könnte man das hier auch beschreiben. Er wurde aufgebrochen und ausgeweidet und wieder zugenäht und muß mühsam lernen, den verbliebenen Rest als sein Menschsein anzuerkennen und weiter zu leben.

In der Stube sitze ich mit Gästen und sage, daß diejenigen, die eine schlimme Diagnose haben, um unsere Sterblichkeit wissen, alle anderen schieben die Tatsache weit von sich, dabei sitzt doch der Tod eh immer dabei, vielleicht sollten wir uns mit ihm anfreunden,  und ich deute auf einen leeren Stuhl. Später, als alle Gäste gegangen sind, sitzt der Tod immer noch da und lächelt mich an.

Warum das nur immer so ein Thema ist, diese Sterberei, sage ich, jetzt taste ich mich aus der Unterwelt mühsam herauf und weiß wieder nicht viel mehr und habe die gleiche Angst wie immer. Mein Körper wird schwerfälliger und schmerzhafter. Also, sagt der Tod, ich weiß es auch beim besten Willen nicht, was ihr meint, wenn ihr vom „Sterben“ redet! Ich kann nur immer wieder sagen, daß ich gerne auf warmen Steinen sitze und mich sehr gerne verwandle, schau! Und tatsächlich, da fliegt ein kleiner Vogel zum Fenster, ich mache es auf und weg ist er.

Ein seltsamer Traum verfolgt mich seit Tagen: ich gehe hinter jemand her, es scheint ein Kind zu sein, ein Mädchen, ich sehe nur ein wehendes Kleid und die Fußsohlen, trägt es Sandalen? Ich kann es nicht erkennen. Ich gehe hinter Füssen her, die vorwärts schreiten, Schritt für Schritt für Schritt, zielstrebig immer weiter…Ich habe Mühe, hinterher zu kommen…wohin rennen wir? Der Wind weht meine Fragen weg, ich höre Kinderlachen und rieche das Meer, sehen tu ich nichts außer diese Füsse…wir gehen auf Holzplanken und irgendwas rollt…da sehe ich es, das Kind läuft einer Blauen Kugel nach…am Ende des Stegs bleibt die Kugel stehen, direkt vorne an der Kante…das gibt es doch gar nicht! Niemand ist da, das Kind aber plaudert und lacht und als ich näher hingehe, läuft es weg. Allein stehe ich da, lehne mich ans Geländer und sehe hinaus aufs Meer. Dann passiert dieses Wunder: am Horizont erscheint ein leuchtend türkisfarbener Streifen…ist es Himmel, ist es Meer, ist es alles?

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Hinunter

Foto

Bild:  Louwit

Da stehen wir nun, am Platz der Wilden Frauen, in der Nacht vor Allerheiligen. Halloween. Samhain. Eine Handvoll Frauen, nicht mehr die Jüngsten, vom Leben längst desillusioniert, von Alltagspflichten gestresst, haben wir noch Träume? Was suchen wir am Bach, in diesem finsteren, kleinen Gehölz? Die Membran zwischen drüben und hier soll durchlässig sein in dieser Nacht, sagten die Alten. Viele Geschichten spinnen Fäden um das Hier und das Dort, das Oben und das Unten, der dunkle Fluß, über den wir irgendwann müssen; Charon, der Fährmann, Skorpionmenschen, die uns begleiten…alles schwer verständlich. Wir entscheiden uns, einer Spur zu folgen, die der alten Göttin Inanna, die die Ohren spitzt und ihre Schwester hört, tief unten…

Wohin absteigen? Der Mythos rätselhaft, die Aufgabe, in uns hinunterzusteigen, um der dunklen Schwester zu begegnen, ach, schwierig, sehr schwierig, wo ist sie, wie höre ich sie denn überhaupt? Vor dem Abstieg in das Reich der Schatten opfern wir das Sprechen. Die Rassel begleitet eine Trancehaltung, wir versuchen, zu horchen. Das ist schwer, sehr schwer. Durch das Tal donnert der Verkehr. Um uns herum die Kalbinnen vom Nachbarn mit dem unsinnigen Glockengebimmel. Der Bach rauscht heute so laut wie nie. Am lautesten brüllt das immerwährende Geschwätz in den Köpfen von unerledigten Verantwortlichkeiten, von Familienversorgungen, wir sind zu ernüchtert für alte Mythen, die Rituale vergessen…wenn nicht diese Sehnsucht wäre, die es trotzalledem gibt in uns nach fremden Welten, nach Urmeeren und fernen Galaxien und einer wohlmeinenden Göttlichkeit, die es nicht im Reisebüro gibt. Und wir ahnen, daß diese Reise, soweit sie auch hinaus ins unendliche Universum führt, eigentlich eine Reise nach innen ist, da hinein reisen wir wirklich.

Der Eingang ist verborgen. So stehen wir da. Nebelfetzen umhüllen uns, ein fahler Sichelmond hängt im Buchengeäst. Wir ergeben uns.

Und, was haben wir erhorcht? Was hat sich gezeigt?

Nichts Konkretes. Aber eine Ahnung davon, daß es noch viel tiefer geht in uns, daß wir noch viel tiefer hinunter müssen und dabei weder was erwarten, noch was wünschen, und schon gar nichts fordern dürfen, dann vielleicht, aber auch nur Vielleicht und nur, wenn sie Lust dazu hat, wird die Dunkle Schwester uns das Wissen der Nacht lehren.

Es wurde irgendwann ziemlich still und plötzlich haben wir gejodelt, den „Alperer“.

Die  Antwort auf eine Frage, die wir gar nicht gestellt hatten.

 

 

Wendekreis des Krebses

Den ewigen Tierkreis der Gestirne tanzen wir wie oben so unten, zwölf verschiedene Masken dürfen wir anprobieren, zwölf Räume und Gezeiten durchreisen und den Sehenden, die sich trauen, ins Große Nichts zu blicken, können sich zwölf Gesichter der Gottheit offenbaren.

Durch das Sternzeichen Krebs wandeln wir gerade und in den Nächten bittet Sie, die tausend Namen hat, als Mondgöttin Selene zum Tanz der Großen Mysterien.

Sie erscheint als Schöpferin der Zeit, eng verbunden mit den Wassern des Lebens, als strahlende Königin der Nacht lehrt Sie uns, daß alles Leben aus der Dunkelheit geboren wird und auch dorthin zurückkehrt. Auf Ihrer Stirn trägt Sie den Silberspiegel des Mondes. Im Reigen lehrt Sie uns den Krebsgang, langsam, eins vor, zwei zurück…Sie lehrt uns, den Panzer abzuwerfen,den eigenen Träumen zu folgen, zu wagen, immer weiter in das innerste Zauberreich unserer Seele zu tanzen und durch das Vertrauen in unsere Intuition zu Erkenntnis zu gelangen.

Es gibt keinen Anfang und kein Ende, alles fließt, von Dir zu mir, von mir zu Dir, ich spüre Dich, ich spüre mich.

Mond, Mond, ich liebe dein Silberlicht.

Ich fühle, also bin ich.

 

Maske

 

 

»La Petite Mort«

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Gestern, um 12.51 Uhr, hat sich die Sonne »gewendet«, der Höhepunkt ist überschritten, mehr Blühen als Blühen war nicht möglich, die Blätter fallen, die Frucht wird denkbar. Mit der Frucht kommt der Tod.

Alleine stehe ich am Platz der Wilden Frauen in der längsten Nacht des Jahres. Ich lausche auf den Wind, der in den Blättern raschelt, da höre ich sie, von Weitem und dann immer näher kommend, Frauenstimmen, lachend, singend, viele sind es. Auf der Nahtstelle zwischen den Welten brennt ein Feuer. Hände greifen nach mir und ziehen mich mit, lange Röcke flattern im Tanz, wir singen Lieder, deren Text ich nicht verstehe…wild und ausgelassen springen wir ums Feuer herum…mir ist, als wäre da ein besonderes Licht über dem Wald…

Der Reigen dreht sich und dreht sich in rasender Geschwindigkeit, fliegen wir schon? Da kommt noch eine dazu in einem leuchtend roten Kleid, der Kreis öffnet sich, sie wird hereingelassen, wie warm ihre Hände sind! Ich weiß, bis jetzt war nur das Vorspiel, jetzt geht der Tanz erst richtig los, denn jetzt sind wir komplett, die Dreizehnte ist da: „La Petite Mort.“

 

Weltenklang

Sich an einem bestimmten Termin zum Jodeln zu treffen  und das dann auch zu tun ist leichter als man denkt aber doch viel schwerer als man meint. Erst haben wir uns Mut angegessen und getrunken und viel geredet, aber keine traute sich, in der Stube einfach so loszusingen. Früher wurde in dieser Stube viel gesungen, meine Großmutter hatte eine wunderschöne Stimme, die hat sie allen sieben Kindern vererbt und am Abend saßen alle um den Tisch und haben gesungen. In diesem Haus war das Brauch, es war wohl ein existentielles Bedürfnis nach Klängen, denn üblich war das zur damaligen Zeit keineswegs,  die Not war groß, das „Sacherl“ warf keinen Ertrag ab und die Menschen am Hof plagten sich elendiglich, um das nackte Überleben zu sichern , da war kein Platz für romantisches Getue. Komisch, heut, wo die Welt voll ist von angebl. „traditioneller Volksmusik“, da ist es uns ein wenig peinlich, einfach so zu singen.

Irgendwann stehen wir auf und gehen in den Wald zum Platz der Wilden Frauen, da stehen wir nun im Schneeregen in dieser kalten Aprilnacht, der einzige Lichtschimmer am Himmel stammt wohl von der Stadt Salzburg, vom Vollmond ist nichts zu sehen. Alles anders als geplant, was tun wir hier? Eine muß beginnen, anders gehts nicht. Es entstehen Töne. Nein, nicht alle sind schön und harmonieren tut schon gleich gar nichts. Die Lauten plärren irgendwas herunter, die leisen halten vor Scham die Lieder zurück. Wir tun herum und herum und hören nicht auf, alles zu singen, was uns einfällt. Irgendwann scheint der größte Ballast hinausgeschrieen zu sein, Leiseres schlängelt sich empor und wird ein wenig lauter, das Laute nimmt sich ein wenig zurück und es entsteht der Anflug eines Gefühls, den Tönen vertrauen zu dürfen.

Und dann passieren plötzlich und unerwartet ein paar dieser raren Augenblicke, mit denen man nicht rechnen kann, die sich ergeben und für die es lohnt, zu leben. Völlig eigenmächtig, ohne irgendein willentliches Dazutun lösen sich Töne heraus, gehen auf die Reise, suchen Gleichgesinnte und vereinigen sich zu diesem: „Es singt!“ Und in diesen Momenten zerdehnen sich Raum und Zeit, der Himmel umfängt uns.

Einen Jauchzer tun wir zum verschwunenen Mond, sei gegrüßt junge Alte! Voller Freude laufen wir heim.