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Fische im Nebel

Der Nebel umschließt mich und das Rad, nur langsam trete ich mich hindurch.

Warum hörte mich wieder niemand, obwohl ich doch laut schrie vor Verzweiflung? Und warum hörte niemand in dem ganzen Gequatsche, daß wir uns nichts, gar nichts, zu sagen hatten? Viele Worte wurden gemacht, um darüber hinwegzutäuschen, daß es nichts zu sagen gibt, oder wir das, was wir  eigentlich sagen sollten, nicht sagen wollten. Viel lautes Gelächter obwohl uns nicht zum Lachen war. Die Luft knirschte wie beim Gehen über Glas.

Jetzt gibt es nur noch Nebel, weit und breit niemand, große Einsamkeit streicht mir mit naßkalten Fingern über das Gesicht.

Warum hört man meine Verzweiflung nicht?

„Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn in der Engel Ordnungen…“(Rilke)

Wahrscheinlich, weil ich zwar rede und doch stumm bin wie ein Fisch.

Der Fischeteil meiner Natur, jetzt fällt er mir ein. Ja, ich wäre gerne unter meinesgleichen. Das Dilemma der Fische: Alles Hören, alles Spüren, auch das noch nicht Vorhandene, alles, alles, auch das, was nicht gesagt wird, laut, laut…die andren hören es nicht und die anderen hören mich nicht, die anderen sind taub und ich bin stumm…im Meer möchte ich sein, unter meinesgleichen brauchen wir nichts zu erklären, wir verkehren in immerwährender Spürung miteinander, wir gleiten aneinander vorbei und wechseln die Farben zum Gruß…jederzeit können wir verschwinden, wir haben das große, unendliche Meer zur Verfügung.

Der Nebel wird immer dichter, kaum mehr fünf Meter sehe ich, meine Einsamkeit entpersonalisiert sich, als ich akzeptiere, daß sie da ist, alle haben sie, wir leben zusammen und sind doch alleine und so ist es einfach. Hab Dank, Nebel, die Konturen verschwimmen, ich verschwimme, alles verschwimmt, unter uns der Meeresgrund.

„Seltsam, im Nebel…“

Einmal im Jahr haben auch wir das Meer sozusagen vor der Haustür. Von den steinigen Moränenhängen, auf denen sich die Altvorderen ansiedelten, weil der Gletscher, der das Tal ausschob, nach seinem Rückzug Sumpf und Morast hinterlassen hatte, sehen wir im Herbst auf das Tal hinunter, das sich mit wabernder, nebliger Ursuppe gefüllt hat.

Gar nicht weit muß ich gehen. Dieses Meer ist wie ein unendlich weiter Raum und man kann ihn betreten, es gibt nirgendwo eine Schwelle, ein Ufer oder eine Pforte und doch weiß man plötzlich, wo er beginnt. Ich lasse mich hineingleiten…ein merkwürdiger Zustand, Raum und Zeit verschwimmen, Konturen lösen sich auf im Wasserdampf. Schwaden umhüllen mich, nur langsame Bewegungen, wie in Zeitlupe, wie Gehen auf dem Meeresgrund. Ich verliere völlig die Orientierung, es ist alles so anders, aber ich kann doch gar nicht weit weg sein…da vorne taucht schemenhaft eine Hütte auf…wo kommt die plötzlich her, da war doch gar nichts, bevor das Meer gekommen ist. Vor der Hütte sitzt eine Gestalt, die in der Luft herumfuchtelt. Meine Güte, ich war wohl zu lang im „Murimoos“, dieser Schauergeschichte, die mich ratlos zurückließ, weil der Autor am Schluß auch nicht mehr sicher war, wo er da hingeraten ist.

Es wird mir unheimlich, denn diese Hütte erinnert mich eher an das Haus von Wassilissa im Märchen,  aber wer sitzt dann vor diesem Haus?  Der Nebel wird immer dichter.

Auf einmal stehe ich vor ihr. Da sitzt eine verschrumpelte alte, kleine Frau auf der Hausbank. Sie trägt eine graues Kleid und hat lange graue Haare. In den Händen hält sie eine Art Webrahmen aus Ästen und grade ist sie dabei, die Fäden zu spannen, die sie aus ihren Haaren herauszieht, silbern glänzen sie und dann greift sie in die Luft  und verwebt es sehr schnell, sehr geschickt..

Grüß Gott, sage ich, was webst Du denn da? Was hängt da in der Luft? Bist Du DIE mit den tausend Namen, von der die Alten sagten, daß sie irgendwo sitzt und alles verwebt, ihren Faden mit unseren Träumen und unserer Sehnsucht und unserer Angst, bist Du denn die Frau Holla , die Frau Percht…

Da sieht sie mich an, so tief und dunkel wie die Augen von Neugeborenen und Sterbenden…ich sehe in die unendlichen Tiefen des Universums, es wird mir schwindlig. „Papperlappapp“ sagt sie und springt auf, wirft ihren Webrahmen in die Luft und hinkt davon, plötzlich macht sie einen Luftsprung und lacht und lacht und verschwindet.

Der Nebel lichtet sich, das Meer zieht sich vorerst zurück, die Sonne trocknet den Meeresboden.

Dieses glockenhelle, fröhliche Lachen eines jungen Mädchens…