Archiv für den Monat: Februar 2015

im Zug

Ich sitze im Zug, rings herum die Stützen der Gesellschaft mit ihren Laptops auf den Knien, die Stirnen angestrengt zerfurcht, die Finger klackern Wichtigkeiten in die Tastaturen, in den Ohren Stöpsel zum Empfangen geheimer Notwendigkeiten. Eine Horde kichernder Schulmädchen, zusammengerottet auf wenigen Sitzen scheint damit beschäftigt, sich über Neuigkeiten von Smartphone § Co auszutauschen.

Mein Gegenüber und ich halten unsere Bücher in den Händen und verschwinden in den Geschichten, abwechselnd klappen wir die Buchdeckel zu und schauen kurz aus dem Fenster, manchmal treffen sich zufällig unsere Blicke…was für helle Augen…manchmal dösen wir, für einen Augenblick, oder so. Irgendwann hält der Zug, mein Gegenüber schreckt auf, verstaut das Buch, packt schnell alles zusammen, zieht im Gehen den Mantel an, dreht sich nochmal um…welch helle Augen…und ruft mir was zu, ich verstehe nur: “ – veilchenblau, nicht wahr?“ Wie bitte? „Veichenblau!“ – und ist verschwunden.

Schade, daß ich nicht verstanden habe, was denn mit veilchenblau gemeint war,  der Zug fährt schon wieder los, an den dahineilenden Menschen vorbei,  ich schaue hinaus und habe so ein Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben…da sehe ich diese hellen Augen, so helle Augen..und alles verfliegt so schnell, ich sehe nur noch eine Hand, die nach oben deutet und schon ist alles vorbei.

Schade.

Ich setze mich wieder und döse vor mich hin, die Hand deutete nach oben, warum?

Und endlich sehe ich hinauf:  Der Himmel war gemeint! Der Himmel ist heute veilchenblau…ja, so sehr veilchenblau

„Paradiesghetto“

Vor mehreren Wochen, um mich nicht ganz in den düsteren Welten von Ole Knausgard zu verlieren („Es hat alles seine Zeit“), wollte ich zwischendurch was anderes lesen und griff zu dem Buch: „Das Paradiesghetto“ von Eberhard Rathgeb. Kein dickes Buch, 235 Seiten. Es geht mir nicht mehr aus dem Kopf, es geht mir nach, verfolgt mich, nein, nicht bedrohlich, leise und unauffällig ist es in meinem Leben aufgegangen und ich sehe es in meinen Augen, wenn ich in den Spiegel schaue. Es ist die völlig unspektakuläre Geschichte einer alten Frau, Mutter von vier erwachsenen Töchtern und Witwe, die alleine in ihrem Haus lebt, ihren täglichen Verrichtungen nachgeht und über ein Leben, ihr Leben, nachdenkt. Und sie sinnt nach über Fragen, auf die sie keine Antworten bekommt…oder sollte ich sagen, daß sie über Antworten nachsinnt, zu denen sie nie die richtigen Fragen gestellt hatte? Ich ahne Geheimnisse und ich ahne, daß sie sie auch ahnt, warum wurden denn soviele Dinge nicht angesprochen, frage ich mich. Eine müßige Frage und nicht zu beantworten.
Ein Buch voller Melancholie, Lebensüberdruss, Einsamkeit, einem alten, lästigen Körper, Schrulligkeiten, fixen Ideen, einer ungeklärten Schuld…nein, nicht zu viele Worte machen…es ist die einfache Geschichte einer alten Frau, deren Leben zu Ende geht, erzählt von einem, dem ich sie glaube.

„Sie hatte das Glück nicht gemocht und war mit ihrem Unglück alt und einsam geworden. Sie wusste, dass sie nicht in Frieden sterben würde. Die Unruhe blieb, der Zweifel, das Mißtrauen, die Empörung und eine ungewisse Sehnsucht. Das Leben zog sich aus ihr zurück, müde und schwermütig, wie nach einer Niederlage, ganz so, als sei ihr nicht zu helfen gewesen.

Sie saß im Sessel, die Beine ausgestreckt auf dem niedrigen Tisch vor sich, und schaute in die Leere zwischen den Dingen, die sie überleben würden.“

Das Paradiesghetto
Eberhard Rathgeb
Carl Hanser Verlag
2O14

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…voll der Gnaden…

Gleich zwei Seiten Todesanzeigen in der Lokalzeitung. Januar/Februar sterben die Leute, die Weihnachten so grad noch überleben konnten.
Für kürzlich Verstorbene in der Nachbarschaft knie ich mit schmerzenden Beinen in der eiskalten Pfarrkirche und bete den „schmerzhaften Rosenkranz“, weil es halt so der Brauch ist. Ich muß aufpassen, daß ich mitkomme, denn obwohl in jüngster Zeit öfters gezwungenermaßen gebetet, verzähle ich mich bei den Stationen und muß deshalb auf meine Nachbarin hören, die kann´s. Insgesamt hört sich alles ein wenig wie eine Kakophonie an, die Vorderen sind langsamer, die Hinteren rennen davon, ich habe von früher einen monotonen Leiergesang im Ohr, das hörte sich zwar wenigstens synchron an, verstanden hat man aber auch nichts von dem, was da gebetet wurde.
Daheim im alten Haus in der Stube, mit den Knieen auf dem nackten Holzboden wurde an Weihnachten und an Lichtmeß auch der Rosenkranz gebetet, solang mein Großvater noch einigermaßen klar im Kopf war, als er „verkalkte“ haben sie den Brauch ganz schnell abgeschafft.
Ich sitze in der Kirche und es fällt mir ein, daß ich als Kind völlig ratlos war, was denn diese Zauberworte bedeuteten: „Gähgrisszeistdemariadubistvolldergnade – derherristmitdir, dubistgewehnedeitunterdenweibern – ungewehnedeitistdieFruchtdeinesleibesjesus“…vorallem diese unerklärliche „ungewehnedeitefruchtdeinesleibes“…lange, lange habe ich darüber gerätselt, was das wohl sein könnte und erst viele Jahre später habe ich begriffen, daß es natürlich keineswegs „ungebenedeit“, sondern „…und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“ heißt!
„…heilige Maria, bitte für uns Sünder…“ ja, heilige Maria, da bist Du gelandet, denke ich, Du, die ehemalige Göttin sollst für uns was erbitten beim Alten und seinem Sohn dort oben, die sollen es richten, was bei uns schiefläuft…“jetzt und in der Stunde unseres Todes…“, ja vor allem, wenns ums Sterben geht, soll sie die unerbittliche Chefetage weichkochen für uns.
“ und laß ihn in Frieden ruhen. Amen. Vater unser im Himmel…“ aha, es geht eine Station weiter… Am Altarblatt heilige Abbildungen der wichtigsten Vorkommnisse, Adam und die sündige Eva mit der bösen Schlange und daneben gleich, weil Namenspatron der Kirche, der Hl. Georg, der blutrünstig und mit leidenschaftlicher Geste den bösen Drachen ersticht. Immer schon habe ich dieses Bild gehasst, noch nie habe ich geglaubt, daß der Drache wirklich böse ist. Und es ärgert mich heute immer noch, daß es nötig war, ihn abzuschlachten, wo doch meine Namenspatronin, die Hl. Margarete, ihn mit weicher Hand gezähmt hat und er an einem langen lockeren Band brav neben ihr hergetrottet ist…das Bild einer Frau, neben der die Urkraft tänzelnd einherschreitet, die sie also locker handhaben kann, die sogar mit ihr tanzt – nein, das war so nicht vorgesehen, da musste einer mit dem Schwert her, um es zu zerschlagen.
„…und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus, – der für uns gegeißelt ist worden ist…oje, ich hab ein „ist“ zuviel gebetet, so nämlich, wie es der Großvater immer gebetet hat. Und ich habe im Ohr, wie es geklungen hat, früher, in unserer Stube, als beim Beten auf dem Boden unser junger Hund Lumpi, ein kleiner, etwas bissiger Spitz, der halt auch mal wieder bei uns gelandet war, weil ihn sonst niemand haben wollte, den schafwollenen Socken vom Opa als Spielzeug ins Maul nehmen wollte und ihm deshalb ständig in die Zehen biß: „der für uns gegeißelt ist worden ist..Herrgotsakramentkruzifix, beißt mir der Hundskrüppi an Söcki(Socken) eini…gägriszeistemariadubistvolldergnade…“!

„…Herr, gib ihm die ewige Ruhe…“ – an was die anderen wohl alle grad denken? Mir fällt „Das Buch des Vaters“ vom geliebten, viel zu früh verstorbenen Urs Widmer ein und daß ich ihn so gern gefragt hätte, ob es das Dorf des Vaters irgendwo in den Schweizer Bergen tatsächlich gegeben hat, wo vor jedem Haus ab Geburt der Sarg stand, solang, bis er gebraucht wurde, vor manchen Häusern aufgestapelt viele Jahrzehnte viele Särge…was für ein wunderbares Buch, vorne drauf das Bild von Heiri Strub vom Vater Walter Widmer, mit dem ich mich gleich so seelenverwandt fühlte…diese Bücherstapel überall…ach, was für eine Geschichte, was für ein Erzähler, mein Herzensdank hinauf zu den Sternen…“und das ewige Licht leuchte ihm…“ja, Ihnen lieber Urs Widmer, Ihnen möge es auch leuchten in alle Ewigkeit…!

„…der für uns gekreuzigt worden ist…“ – aha, das letzte Kapitel muß noch abgebetet werden und dann kommt noch das Glaubensbekenntnis, wo wieder alle „die heilige, katholische Kirche“ beten werden und nur ich laut „christliche Kirche“ sagen werde und natürlich wieder alle schauen. Bin ich in dieser Kirche daheim? Wenn Erinnern auch eine Art Heimat ist, dann schon, aber ich fühle mich nicht zugehörig und leide unter Einsamkeit, da hat sich nichts in den letzten 5O Jahren geändert, auch damals fühlte ich mich schon einsam, als beim Kommunionsunterricht vom Pfarrer gesagt wurde, daß die Oblade der Leib Christi sei und man ihn keinesfalls kauen durfte und mir dann bei der Kommunion der Leib Christi am Gaumen festpappte und ich mir nicht zu helfen wusste, wie ich ihn denn da wieder runterbringen sollte, denn mit dem Finger am Leib Christi herumkratzen war unter Androhung von Sünde strengstens verboten. Was mache ich hier, in dieser Kirche? Hinter mir der Beichtstuhl, in dem man so unerklärliche Fragen abarbeiten musste wie „Unkeusches gedacht“, ohne überhaupt zu wissen, was denn das überhaupt war, dessen man sich schuldig gemacht hatte.
Und draussen das Familiengrab, eisiger Schneewind.
Ach ich weiß auch nicht. Ein Satz ist mir aus dem Wenigen, das mir meine Mutter hinterlassen hat in Erinnerung geblieben, sie sagte, ich solle niemals denen glauben, die sagen, daß Gott in der Kirche wohnen würde! „Er ist in den Margariten!“ – sagte sie. Ich bin geneigt, ihr zu glauben.