Wir gehen „für Gangsteig“, so heißt der alte Weg nach Osten ins Dorf, zur Schule, zur Kirche. Meine Freundin Irm besucht mich, wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Normalerweise würden wir jetzt ein paar Kannen Tee trinken am Tisch in der Stube und uns reden lassen. Da dies nicht möglich ist, gehen wir halt ein Stückerl spazieren, ziemlich nah nebeneinander, mit Mundschutz und mit extremer Freude über das Zusammensein. Zwischendurch bleiben wir stehen, um ein wenig Luft in die Maske zu holen und zu lachen. Es gibt viel zu erzählen, was halt grad so anfällt im Leben und daß wir irgendwann mal wieder auf die Autobahn müssen, nachts losfahren und frühstücken im Nirgendwo, Freiheit spüren, Wind um die Nase wehen lassen … und wenn wir Mitte des nächsten Jahres noch nicht geimpft sind, egal, dann fahren wir halt mit Mundschutz.
An den Totenbrettern kommen wir vorbei, sie sind schon ziemlich alt, den Zacherlbauern, der einzige, dessen Namen man noch lesen kann, kannte ich nicht mehr. Die Namen der Schwestern vom alten, auch längst verstorbenen Nachbarn, die der jungen Bäuerin das Leben schwergemacht haben, sind auch lange verschwunden. Richtig böse Schreckschrauben sollen sie gewesen sein, so hat das mein Vater erzählt, beide nicht verheiratet und haben im Haus das Regiment geführt, die eingeheiratete Bäuerin durfte nichts bestimmen, sie war wohl nur für die Feldarbeit da usw. Mir stellen sich da schon Fragen, aber niemand kann mehr antworten, alle längst zu Staub zerfallen und vom Wind weggeweht. Ganz früher hat man die Toten auf diesen Brettern aufgebahrt und nach dem Begräbnis wurden die Bretter als Andenken am Wegesrand aufgestellt. Mancherorts wurde gesagt, wenn die Bretter eines Tages von Wind und Wetter so zerstört wären, daß man nichts mehr von ihnen sieht, dann wären die Seelen erlöst. Und es soll auch manchmal „umgegangen“ sein, das ist, wenn eine Seele keine Ruhe findet und herumwandert. Ich bin früher oft auf diesem Weg zu meiner Schulfreundin. Nie hatte ich Angst, bis zu der Geschichte, die die Frau Kittl erzählt hat. Das war eine weitschichtige Tante meiner Freundin, die im Winter am Hof gelebt hat und bei Näharbeiten half. Wir haben sie immer so lang angebettelt, bis sie eine ihrer Schauergeschichten erzählt hat. Und nach dieser Geschichte , in der ein großer dunkler Mann an den Totenbrettern wartet und mit jedem nachts mitgeht, der vorüberkommt … seit damals gehe(laufe) ich abends nur mit Schaudern an den Brettern vorüber.
Unterm Gesträuch fast unsichtbar verborgen, steht die kleine Madonna, vor Jahren hat sie die alte Nachbarin dort hingestellt. In liebender Verbundenheit gelingt Mutter und Kind lächelnd der Ausgleich der Kräfte.