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# 43 Der Alfons, der Bussard und die Buschwindröserln.

In der Laterne vor dem alten Haus brennt schon die Kerze und die Türe ist offen, wir freuen uns auf Besuch. Der Alfons kramt noch ein bisserl im Auto herum und als er mit Gastgeschenk im schwarzen Stoffbeutel aufs Haus zu geht, da lächelt er und mir ist, als würde das Haus auch lächeln und seine Arme ihm entgegenstrecken. Meistens tut das Haus gar nichts, wenn es jemand betritt, zumindest merkt man ihm nichts an. In seltenen Fällen scheint es jemand, der oder die es betreten, nicht zu mögen, dann verhält es sich kalt und abweisend und eine Art Düsternis kriecht aus den Ecken und es wird dunkel, auch wenn das Licht brennt. Und manchmal, da lächelt es aus allen Ritzen und ein warmer, goldener Schimmer der Freude legt sich über die Dinge und über die Menschen, die um den Tisch herum sitzen..

Ja, und so war dieser Abend dann auch. Der Alfons ist ein lieber Mensch, wir verstehen uns gut und aus diesem Kontakt ist im Lauf der Jahre immer mehr eine Herzensfreundschaft geworden. Wir sitzen da, essen und trinken und lassen die Geschichten kommen und gehen. Es gibt soviel zum Erzählen, so viele Fragen, so viele Antworten, ein wohltuendes Reden, so, als würden wir schon hundert Jahre hier sitzen und die nächsten hundert dazu.  Und wir sind umarmt von meterdicken Mauern, selten, daß ein Gast und das Haus sich so mögen. Und wir gehen in den großen Raum hinaus, in dem früher die Schmiede meines Vaters war. Auf dem Weg zum hinteren Teil des Hauses hängen unzählige alte Schlösser und Hellebarden lehnen an der Wand … übriggeblieben von einem Auftrag einer Burg. Alfons schaut alles mit glänzenden Augen an, sein Vater war auch Kunstschmied und Musikant, genau wie meiner. Die ehemalige Schmiede hat Herr Graugans umgebaut zu  Fotostudio, Buchbinderwerkstatt etc. und zu seinem Firmenbüro, wir sagen aber nach wie vor Werkstatt dazu. Als wir wieder ins Vorderhaus gehen, fällt mir auf, wie schön die Dinge werden, wenn jemand sie im Vorbeigehen mit liebevollem Blick streift. Sogar die Spinnweben sind nicht wegzudenken, sie gehören zum Ensemble und runden es erst so richtig ab.

Das Allerschönste ist ja, wenn man so beieinander sitzt, wenn man die gleiche Sprache spricht und dann hin und wieder lachend feststellt, daß es doch nicht dieselbe ist, weil die ca. 15 km, die zwischen unseren Heimatorten liegen, tatsächlich zu wörtlichen Unterschieden in den Regionaldialekten geführt haben. Es tut unglaublich gut, mal einen Abend lang die ganz normale hiesige Alltagssprache zu hören, ohne die ständige Anpassung an das, wie ich es nenne „Nordsprech – Syndrom“, das krampfhaft verhindern soll, daß man der Sprache das Südliche anhört. Das angestrebte, weil intellektuell höherstehend vermutete nördlich angehauchte Hochdeutsch scheint umso leichter erreichbar, je mehr man Wörter wie „mega“ und „lecker“ benutzt und nicht mehr schauen, sondern nur noch „kucken“ darf und was sonst noch an „unfassbar“ gescheiter Sprachvielfalt so daherkommt.

Wir hatten es schön mit dem Alfons und haben geredet, wie uns der Schnabel gewachsen ist und wir werden das sicher bald wieder so machen. Nachdem wir uns um Mitternacht verabschiedet hatten, lag auf dem Sofa der vergessene schwarze Stoffbeutel mit dem Aufdruck „Chor“ herum … wie war das … man läßt was liegen, dann kommt man bald wieder zurück, oder? Wär schön, freu mich schon!

Beim Radlfahrn kommen kalte Windböen und jagen mir Regentropfen wie Eiskugerln ins Gesicht. Ich mag dieses Wetter im März, ich brauch nicht immer Sonnenschein und ich liebe es, durch den Sturm zu sausen und mich von der wilden Kraft der Elemente tragen zu lassen.

Auf der Eberesche, ganz oben, sitzt der Bussard. Ich sehe ihn jetzt täglich. Heute schaut er zu mir runter, schaut mir direkt in die Augen und bleibt sitzen, während ich an ihm vorbeifahre.

 

Auf der Streuwiese heute:

Buschwindröserl (Anemone nemorosa)

 

Da schreibt die Kraulquappe.

# 42 Himmelaufsperren

Die frühjahrsmäßige Verprimelung hat bereits begonnen, landauf landab stehen sie in Töpfen und Schalen tonnenweise herum und sollen mit ihren grellen Farben angeblich gute Laune machen.  Ob das was nützt bei denen, die von früh bis spät über einfach alles schimpfen müssen? Man könnte einen Container voller bunter Primeln über sie ausschütten, es würde nichts nützen. Und ein scheußliches Haus bleibt immer ein scheußliches Haus, auch tonnenweise Wegwerfblumen machen es nicht schöner. Was ich auch noch nie verstanden habe ist das sofortige Wegwerfen nach Absolvieren der angezüchteten Blühpflicht. Manchmal bekomme ich abgeblühte Exemplare, man sagt dann, ich hätte ja einen grünen Daumen. Oder weil ich doch am Land lebe und soviel Grund ums Haus herum, da gäbe es ja mehr Möglichkeiten als in der Stadt, wo man nur einen Balkon hätte usw. Also, mein Daumen ist keineswegs grüner als der von der übrigen Spezies und ich sage dann: geh halt spazieren und vergrab die Primeln unter irgendwelche Büsche oder im Wald, Du brauchst dazu nur eine kleine Schaufel. Es macht mich traurig, wenn lebendige Wesen in die Abfalltonne geworfen werden, nur weil sie nicht mehr blühen.

Manchmal sprechen mich alte Menschen an und sagen: Du sammelst doch Geschichten, mir ist da was eingefallen, was früher immer so erzählt wurde, Du kannst es bewahren, bevor es verschwindet. Ich höre sie mir gerne an, die alten Geschichten, aber bewahren kann ich sie nicht, und ich sage immer wieder, erzählt sie Euren Enkelkindern, denn Geschichten werden bewahrt, indem man sie weitererzählt. Ich höre immer wieder, daß „die Jungen“ nur in ihr Handy starren, die würden nicht zuhören. Meine Erfahrung mit jungen Menschen ist eine ganz andere. Abends, an einem knisternden und funkensprühenden Feuer, da verschwinden die Handys ganz schnell, weil sie beim Zuhören stören und beim Singen.

Das Bewahren ist eine zweischneidige Sache: Ein altes Bauernhaus bewahrt man nicht, indem man es abträgt und in irgendeinem Bauernhofmuseum wieder aufbaut, sondern, indem man drin lebt. Ein schönes altes Geschirr hat keinen Sinn hinter Glas in der Vitrine, sondern, wenn eine köstliche Speise von fröhlichen Menschen bei festlichem Mahle daraus gegessen wird.

Tiere bewahrt man nicht, indem man ihre Natur bricht und ihnen ihre wilde Würde nimmt und sie in Käfige sperrt, mögen diese auch noch so groß sein. Und Sprache wird nicht bewahrt, indem man sie in Wörterbüchern zur Erinnerung verliert, sondern ausschließlich nur dann, wenn man sie spricht.

Auf der Straße rollt wieder mal mit grauenhaftem Getöse eine lange Kolonne Panzer. Ein Geräusch, das mir durch Mark und Bein geht. Ich sitze auf dem Radl und versuche zu entkommen, auf dem Feldweg hin zum Wald, in die Gegenrichtung. Und ich sehe vor mir den Bussard, der oben auf dem noch nicht eingesammelten Schneezeichen am Wegrand sitzt, ganz still und bewegungslos. Beim Anblick dieser Majestät steigen mir die Tränen in die Augen … wie schön dieses Land ist, wie dankbar ich bin, daß ich eine Heimat habe und wie gut doch unser Leben hier ist … und wie schnell alles vorbei sein kann, wenn erst mal die Panzer nicht nur durchs Tal rollen, sondern auch schießen.

Der Bussard sieht mich kommen und hebt sich lautlos hinauf und schwebt mit ausgebreiteten Schwingen, von der Luft getragen, in den Himmel. Im Wald ist ein Geräusch, das sich wie Husten anhört, wahrscheinlich ein Reh.

Als ich an der saueren Wiese entlang radle, beschließe ich, heuer dort eine Jahresuhr zu gestalten, indem ich gleichzeitig zu den Mittwochsbeiträgen hier im Blog ein Foto veröffentliche, das zeigt, was grade so wächst auf dieser Wiese. Da sie anscheinend nur im Spätherbst gemäht wird, kann man gut die dort heimische Flora im Jahresablauf bestaunen. Darauf freue ich mich sehr und mache auch gleich ein Bild von diesem geliebten Zauberwesen, das mit seinen Blüten den Himmel aufsperrt.

Sei willkommen und gegrüßt, Himmelsschlüsserl!

 

Und da streift die Kraulquappe durch die Welt!

# 40 unter der Sonne

Den uns selbst erstellten Auftrag, uns zu einer beliebigen Zeit an einem beliebigen Tag hinzusetzen und darüber zu schreiben, was grad ist, das ist keineswegs so einfach, wie es sich anhört. Ich denke an ein Zitat aus einer Rezension über den Essayband „Die Würde ist antastbar“ von Ferdinand von Schirach. Darin geht es in etwa darum, daß die Leute meinen, man würde sich hinsetzen, schreiben, aufstehen und das Gedicht sei fertig. So einfach ginge das aber nicht, das Schreiben, man ist nicht nur einsam, sondern es macht auch innendrin was mit einem Menschen. Grade noch bin ich in der Sonne gesessen auf der Hausbank vor dem alten Haus, um mich herum die eigenen Katzen und ein Kostgänger, der sich weigert, heimzugehen, was auf Dauer nicht ganz unproblematisch bleiben könnte für die nachbarliche Harmonie.

Um mich herum wächst alles und bald werden in dieser Wärme die Knospen aufspringen, viel zu warm, viel zu früh… einem hochaktuellen wissenschaftlichen Forschungsergebnis zufolge verlangsamen sich die Wasserströmungen im Ozean bedenklich, wenn der Golfstrom zum Erliegen kommt, dann ist der Kipp-punkt erreicht und man kann nur ahnen, was dann passiert, Eiszeit oder Wüste in Europa. Und wenn wir so weiterleben, wie wir das derzeit tun, dann wird es schon die nächsten Jahre passieren. Es verunsichert mich zutiefst, warum da nicht mehr darüber gesprochen wird und vor allem, was es für uns zu tun gibt, jetzt, um das Ganze noch aufzuhalten. Klimawandel ist nicht nur ein Wort, sondern die Vernichtung unserer Existenz hier auf Erden. In Spanien vertrocknet das Land, aber wir kaufen jetzt im Februar die Erdbeeren und den Salat und die Zucchini von dort  und dann werfen wir auch noch die Hälfte davon weg, weil wir die Form des Überkonsumierens gewöhnt sind und jegliche Einschränkung als bedrohliche Freiheitsbeschneidung empfinden. Auch die Urlaubsfliegerei wird eher immer mehr, am Abend sehe ich über Salzburg so viele Flieger aufsteigen, daß es mir vorkommt wie ein überdimensionales Tontaubenschießen, die werden auch im Minutentakt in die Luft gejagt.

Aber wir hoffen halt, daß die Wissenschaft sich irrt und übertreibt und es wird schon alles gutgehen oder?

Ich bin froh, daß noch gutes Wasser aus der Leitung fließt, wir genug zum Essen haben und daß uns keine Bomben um die Ohren fliegen. Aber wenn ich mich so umschaue, was an Sorgen und Problemen um mich im Gras zwischen den Winterlingen und den heraustreibenden Tulpen  so herumliegt … möcht ich manchmal gerne einfach davonlaufen. Es gibt für jedes Problem eine Lösung, man muß sich nur trauen, sie zu finden. Ich lerne in kleinen Schritten, Alter und den Verfall des Körpers anzunehmen, weil das Dagegensein ja auch gar nichts besser macht, sondern nur unglücklicher. Dinge annehmen, wie sie sind … in Demut … eine Lebensaufgabe.

Viele Probleme haben damit zu tun, daß man das Geld, das für ihre Bewältigung nötig wäre, nicht hat. Wenn ich daran denke, wie es mit Haus und Hof weitergehen soll und auf welche Lösung es immer deutlicher hinsteuert, dann fängt solidarisch mit dem kaputten Dach auch mein Herz an, zu bröckeln.

Josef Hader hat einen Film über das Land gemacht, erzählt er im „Kulturjournal“, im Radio auf Ö 1. Er sagt, daß das Land immer nur so dargestellt wird, wie die Stadtmenschen sich vorstellen, daß es zu sein hat. Normalerweise schau ich mir keinen Film an, der grad überall beworben wird, aber hier werde ich eine Ausnahme machen. Hader sagt, die Menschen in der Stadt sind weder besser noch schlechter wie die am Land, sowohl hier wie dort werden sie von ihrer Umgebung deformiert. Der Unterschied : In der Stadt kann man sich besser verstecken, das ist am Land nicht gut möglich. Und in seinem Film kommen Menschen vor, die alle nicht so sind, wie man sich am Land eine Frau oder einen Mann vorstellt … sie passen nicht dazu. Das möchte ich mir ansehen, denn dieses Thema Stadt/Land ist auch mein Thema und ich freue mich sehr, wenn es jemand , den ich schätze aufgreift und mit seinen Mitteln was draus macht. Der Film heißt: „Andrea läßt sich scheiden“ und läuft ab Anfang März auch in deutschen Kinos.

Gestern war der Tag der Muttersprachen. Hans Kratzer hat für die SZ einen außergewöhnlich guten Artikel darüber geschrieben, wie es in Bayern mit der  Landessprache  so ausschaut! Das Land und seine Sprache, ein enorm weites Feld und eine inzwischen sehr traurige Geschichte. Eine Frage treibt mich um, die mir niemand wirklich zufriedenstellend beantworten konnte bisher: warum flüchten Menschen panisch aus ihrer Muttersprache, ihrer Mundart, der Sprache ihrer Region, versuchen sie aus sich heraus zu brennen und verbieten ihren Kindern sie zu sprechen? Warum wollen so viele Menschen nicht mehr, daß man hört, woher sie kommen? Wie gesagt, ein weites Feld und muß einen ganz eigenen Platz demnächst hier bekommen! Land und Sprache hängt in enger Verbindung zusammen. Ich liebe die verschiedensten Mundarten, jede ist gut auf ihre Weise, ihre Melodie.

Im bairischen Fernsehen ist so ziemlich der einzige Ort, wo man zumindest in einer Art Kunstbairisch noch ein bisserl oberbairisch, niederbairisch, fränkisch und oberpfälzerisch hört,  die Serie: „Dahoam is dahoam“. Ja, das ist Trash, ich hab dafür ein Faible, deshalb kann ich den zugegebenermaßen großen Schmarrn überhaupt aushalten, aber es wird tatsächlich von manchen SchauspielerInnen eine einigermaßen normale Alltagssprache gesprochen. Ansonsten dürfen in Filmen hauptsächlich Verbrecher, mehr oder weniger depperte Hausmeister oder den HauptdarstellerInnen untergeordnete geistig minderbemittelte Handwerker oder, die Steigerung, dicke und dumme Kellnerinnen oder Hausfrauen etc. die Mundart der Region sprechen. So schauts aus.

Seit Tagen geht mir dieser Bibelvers nicht mehr aus dem Kopf:

Was geschehen wird,
wird wieder geschehen.
Was man getan hat,
wird man wieder tun.
Es gibt nichts Neues
unter der Sonne.

Kohelet 1,9

Liebe Kraulquappe, vielen Dank an Dich und R. für den Kratzer-Artikel, der Herr Graugans, selbst SZ-online- Jünger,. hätt ihn doch glatt übersehen!

# 39 Memento homo …

… daß du Staub bist und zum Staub zurückkehrst.( Gen.3, 19)

Heute, zu Beginn der magischen 40 Tage bin ich selber überhaupt nicht verkatert, obwohl drei der nämlichen Exemplare der Fellbande (zwei eigene und ein Kostgänger) um mich herumsitzen. Gestern war Faschingsdienstag. An mir ist der Fasching leider spurlos vorübergegangen. Früher machte immer irgendwer einen Hausball, „Tanz in allen Räumen“, zum Essen gab es Nudelsalat, belegte Brote und den Käse-Igel, eiin großer Weißkrautkopf wurde in Alufolie gewickelt und dann mit Trauben und Käsewürferln gespickt. Dazu gab es Ananasbowle und Bier und um Mitternacht gabs scharfe Gulaschsuppe. Und es wurde selber Musik gemacht , gesungen, Platten aufgelegt und getanzt. Alle waren irgendwie kostümiert, da war nichts Gekauftes dabei, sondern aus alten Gewändern was zusammengenäht. Und es gab immer ein Motto und es waren immer zuviele Leute in zu kleinen Räumen, man mußte beim Tanzen aufpassen, daß man nicht den anderen auf die Füße trat. Unser letzter Hausball war vor etlichen Jahren  und lange vor dem schrecklichen Krieg, die „Russendisco“. Und da waren kaum zehn Leute da. Jetzt macht niemand mehr einen Hausball, weil kein Mensch mehr daheim ausgelassen feiern mag, anscheinend. Der Fasching scheint nicht mehr stattzufinden, zumindest nicht mehr im privaten Umfeld, die Realität oder was sonst, erlaubt es nicht mehr, sich Masken aufzusetzen und sich in jemand anderen zu verwandeln. Schade, ich würde gleich wieder zu einem Ball einladen, wenn es Leute gäbe, die Lust drauf haben.

Bei der besten aller Faschingsveranstaltungen, in Veitshöchheim,  waren die Narren los, so wie es sich gehört. Und mittendrin im bunten Treiben mit Musik und lustigen Sprüchen setzten die Narren den als Reichskanzler und Maurer verkleideten Landesvater samt Assistenz zu und sagten ihnen, bitterernst und gnadenlos die Meinung, wie es sich zumindest einmal im Jahr auch gehört, auch dafür sind die Narren gut und völlig richtig am Platz. Da war dann mal für kurze Zeit niemandem mehr zum Lachen zumute.

Als Schulkinder haben wir uns das ganze Jahr über auf den Faschingsdienstag gefreut, wir durften verkleidet in die Schule kommen, „Maschkeragehen“ haben wir das genannt und auf dem Gesicht hatten wir eine „Larve“, wir durften lustige Filme anschauen und später sind alle Klassen mit ihren LehrerInnen in einem langen Faschigzug durch das Dorf gezogen. Ich kann mich so gut erinnern, daß ich mal zwischen einem Koch mit großer Haube und einem Rauchfangkehrer mit schwarzem Gesicht gegangen bin. Meine Freundin und ich waren „Feine Damen“ aus der Stadt, stöckelten Po wackelnd herum, das Gesicht aus dem Farbkasten bemalt und wir redeten ziemlich gespreizt nach der Schrift … so wie wir uns halt die feinen Damen vorstellten. Schade, daß man den Kindern diese Freude heute nicht mehr gestattet.

Am Rosenmontag hätten wir gerne die Nachbarsfreundin mit ihrem Mann zu einem heute altmodischen Fondue eingeladen, aber beide sind furchtbar an einer Grippe erkrankt und ich koche Hühnersuppe, der ich einen Heilungszauber untermische, weil ich das kann,  und mache Ingwerwasser und Fischstäbchen mit Kartoffelbrei und habe die Hoffnung, daß es ihnen bald wieder besser geht.

Mit den Schneeglöckerln ist es mein ganzes Leben lang immer das Gleiche: erst geht der Schnee weg, dann ist länger nichts und ich bin traurig, daß wohl keine mehr wachsen. Und irgendwann steht ein einzelnes Schneeglöckerl da und dort und sonst nichts.  Und auf einmal, sozusagen über Nacht, sind plötzlich ganze Flecken weiß, als hätte eine riesige Kraft erstmal ein paar Späher losgeschickt, um die Lage zu sondieren, um dann mit voller Kraft anzuschieben und sich selbst zu gebären und sich in einem Blütenrausch über die Wiesen zu werfen. Lauter weiße Glöckerln mit grünen Tupfen und wie betörend gut sie riechen. Unter dem Nußbaum geht der Specht spazieren mit edler Garderobe. In weißem Gefieder mit schwarzen Punkten und einem blutroten Wams und einer blaugrün schillernden Ausgehjacke stakst er herum und pickt hierhin und dorthin mit langem rasiermesserscharfem Schnabel. Bald wird er den Stamm hinaufgehen in eleganter Haltung und dann hört man sein Tocktocktock.

Im Fernsehen wird der Opernball in Wien übertragen. Der über 90 Jahre alte „Mörtel“ Lugner hat die 79 Jahre alte „Priskilla Präsli“, wie er sie nennt, als diesjährige Begleitung ausgewählt. Eine überraschend liebenswürdige und eher leis und zurückhaltende Frau wird da vorgestellt. Sie scheint sich echt zu freuen, hier dabei sein zu dürfen und bedankt sich freundlich vor den Kameras und beantwortet geduldig die immergleichen Fragen höflich und guterzogen. Sie spricht selbstverständlich von Elvis als der größten Liebe ihres Lebens. Sie steht da, heruntergehungert auf die Größe ihres Modellkleides, hinter dicker Schminke und den Machenschaften diverser operativer Verjüngungsreparaturen ist von dem, was mal ihr Gesicht war, nicht mehr viel vorhanden. Sie ist reich und berühmt, hat einen Mund, der in starrem Dauerlächeln auf eine weiße Porzellanmaske gemalt zu sein scheint, und in ihren kleinen schwarz ummalten Augenschlitzen ist es dunkel. Sie tut mir leid, die kleine, magere alte Frau, die sie nicht sein darf.

Und so schauts bei der lieben Kraulquappe aus am Aschermittwoch.

# 38 Seasick Every Day

Der Eiszapfen am Zeiger der Kirchturmuhr ist lange schon geschmolzen, er hat die Zwischenzeit angezeigt … die müssen wir jetzt wieder selber suchen.

Der rote Kater Willie liegt in der grellen Frühlingssonne vor dem Haus auf dem Tisch. Als ich mich hinsetze kommt er gleich näher und lehnt sich schnurrend an meinen Arm. Kater Herbert sitzt vor mir auf dem Boden und entscheidet nach längerem Nachdenken, daß er nicht auf den Tisch springt, weil da der Andere liegt. Er bleibt am Boden und lehnt sich an mein Bein. So sitzen wir und schauen vor uns hin.

Langsam geht die Arbeit voran, all das, was von den Bäumen gefallen ist, einzusammeln. Das Kreuz tut mir weh vom ständigen Bücken. Halbe Wälder haben Schneedruck und die Stürme abgeknickt und ausgerissen. Wir haben so um die zwanzig Obstbäume, drei große Birken, eine Kiefer und allerlei Gebüsch und überall, wirklich von jedem Baum ist  was runter gefallen oder abgeknickt und liegt in größerem Geäst und Gezweig irgendwo in den Wiesen herum. Dazu noch soviel Laub wie nie, so erscheint es mir zumindest. Das Laub könnte man normalerweise liegen lassen, aber nicht das ganze Holz, denn es muß ja gemäht werden. Unter dem Nußbaum werden die Haufen immer größer, die ich zusammenreche und herumschiebe. Und dann, als mir alles zu viel wird und das Verzagen mir über den Rücken kriecht, denke ich an Beppo Straßenkehrer: … ein Schritt ein Atemzug, ein Besenstrich …  und auf einmal unter dem ganzen Laub verborgen strahlen die blühenden wilden Schneeglöckerln heraus, was für eine große Freude!

Zum ungünstigsten Zeitpunkt, heute um 16.30 Uhr Termin mit Kater Herbert im Tierärztezentrum.  Der Herbert schreit und maunzt ab dem Zeitpunkt, wo er in den Transportkorb muß. Dummerweise muß ihm ein zweites Mal  Blut abgenommen werden, weil irgendwas schiefgelaufen ist mit irgendwelchen Utensilien oder mit unklaren Angaben, ich höre ihn laut schreien und jammern und rege mich solidarisch mit ihm auf. Wir fahren heim und Herbert ist sofort ruhig, als wir im Auto sitzen. Im Gepäck das teure Medikament und den Verdacht vom freundlichen, aber ziemlich gestresst wirkenden Arzt, daß wahrscheinlich dagegen eine Allergie vorliegt. Ja, die Vermutung hatte ich auch schon, aber leider gibt es kein anderes Schilddrüsenmedikament in flüssiger Form. Tabletten akzeptiert Herbert auf keinen Fall und so bleibt es erstmal bei dieser Medizin. Ja, natürlich wäre alles leichter, wenn der Herbert ein Hund wäre, dem Menschen bedienungsfreundlich und entgegenkommend domestiziert, dann  täte er brav den Mund aufmachen und sich die Tablette geben lassen. Nicht so aber der Herbert, der ist ein Katzenwesen und entscheidet nach eigener reiflicher Überlegung in seinem Tempo, was die Wildnatur an Akzeptanz erlaubt und was nicht. Die flüssige Medizin ist süß, sonst wär da nichts möglich. Ich erkläre dem Doktor, daß ich das sehr genau weiß, wie sich auch schon der kleinste Verdacht  einer  Fremdbestimmung auf das Gemüt einer Raubkatze auswirkt, ich hätte schließlich auch eine Löwin in meinem Inneren…

Als wir wieder daheim sind und die Verbände abfallen von den lädierten Pfoten, hat  der Herbert erstmal die Schnauze voll und verschwindet.

Vor ein paar Tagen geisterte eine Nachricht durch die Medien, die mir sehr zu schaffen macht. Irgendwer hat irgendwo und irgendwann aufgedeckt, daß Otfried Preußler nicht nur in der Hitlerjugend war sondern auch in der NSDAP und auch noch zu allem Verdruß nicht nur ein begeisterter Nazi war, sondern auch noch ein Buch darüber geschrieben hat, damals, mit ungefähr 18 Jahren. Er ist 1923 geboren, zwei Jahre älter als mein Vater, der auch mit 18 in den Krieg musste. Ich hatte Glück mit meinem Vater, der war ideologisch nicht gefährdet und er hat ein Leben lang gegen alles diesbezügliche braune Gedankengut gekämpft, vor allem bei seinen Freunden. Die waren mit ihm im Krieg und haben behauptet, daß es keine KZ gab.

Es sind immer die gleichen Fragen, warum jemand da anfällig ist und jemand anderes nicht.

Für mich ist es einfach unverständlich, warum Preußler ein ganzes langes Leben bis zum Tod  geschwiegen hat. Ich halte es für absolut richtig, daß das Otfried Preußler Gymnasium in Pullach bei München seinen Namen sofort ändert.Und ich hoffe, es wird noch viel diskutiert und aufgedeckt darüber. Es gibt einen Film von Thomas von Steinäcker : „Ich bin Krabat“, und ich werde versuchen, diesen irgendwo zu finden. „Krabat“ ist eines der drei Bücher, die ich im Leben am öftesten gelesen habe, meist dann, wenn ich in einer hoffnungslosen Situation am Abgrund gestanden bin. Meisterhaft ist das, was Preußler da aus dieser alten sorbischen Sage geschaffen hat. Ich liebe dieses Buch, unzählige Male war es mir Retter aus der Not. Es könnte sein, daß er es auch für sich selbst geschrieben hat, als Erklärung … ist es seine eigene Geschichte?

Es ist deprimierend und ich muß noch viel darüber nachdenken. Alles sehr schwierig.  Die Frage, ob es das Werk eines Menschen losgelöst von ihm und seiner Gesinnung gibt, existiert es in einem anderen Raum?

Wie schon gesagt, ich hatte Glück mit meinem Vater.

 

Aus den Tiefen des Netzes fällt mir ein Zitat entgegen:

„If you don’t become the ocean, you’ll be seasick every day.“ (Leonard Cohen)

 

Und da zieht sie ihre Bahnen

 

# 37 Manifest

So vieles schon gewesen, Gedanke und Körper, Blut und Gedärm, Flügel und Schuppe, Schnabel und Maul.

Ein Lied im Abendwind, eine Woge im Ozean, ein lautes und ein leises Wort. Eine Hand auf einem Kinderkopf und auf einem Totenschäel. Ein Pfad im Gebirge und ein Weg durch das Moor.

Ein Flüstern und Schreien, ein Männliches und Weibliches, eine schillernde Seifenblase und ein Speer aus Eisen. Ein Adler und ein Molch, ein Hin und Wegfliegen und ein Gespräch mit einem Wurm. Eine Höhle voll Erz für die Schubkarren der Zwerge.

Ganz wenig und ganz viel, ganz jung und ganz alt und weich und hart und ein kleines Birkenblatt in der Morgensonne, ein Glitzern auf dem Schnee im Mondenlicht. Die Silberspur der Schnecken.

Eine leuchtende Welt, vom Großen Geheimnis in das schwarze Nichts geträumt, hat sich in mir manifestiert und ist Stein geworden.

In meinen Achselhöhlen wachsen die Kristalle, Eis in meinen Höhlen und in meinen Adern fließt das Blut der Zeit. Ich werde immer da sein und in meinen Träumen spreche ich mit Füchsen und Wölfen und manchmal mit Menschen. Ich bin, was ich bin, was ich war und was ich sein werde. Nichts geht verloren, ich liege ruhig und trotzdem bewege ich mich ständig und ändere meine Gestalt. Nichts ist wie es scheint, auch das Gegenteil nicht.

Alles ist.

 

 

und da ist die Kraulquappe unterwegs…

# 36 Schrift der Steine …

Nach Schnee und Eis und bitterer Kälte kam der Regen und jetzt bläst ein viel zu warmer Sturmwind übers Land. Ein Föhnsturm, der die Wolken zusammenschiebt und sie in dramatischer Choreographie über den Himmel treibt. Durch das alte Haus läuft ein Zittern und Beben, die Geister verziehen sich in die dunklen Winkel, unter die Balken, zwischen die Spalten, in die Ritzen und halten sich aneinander fest, um nicht davon zu wehen, als ich das Fenster kurz aufmache. Der Brief, handgeschrieben von einem freundlichen Menschen, über den ich mich sehr gefreut habe, kann gerade noch beschwert werden, bevor er davon segelt. Ich stehe vollkommen neben mir, bin verlangsamt und kann keinen klaren Gedanken fassen. Dieser Föhn jetzt im Januar macht das, was er immer macht: er dreht das Innere nach außen und bringt alles durcheinander. Sogar ein einzelnes Schneeglöckerl steht plötzlich voll aufgeblüht da unterm Birnbaum, etwas zerzaust, wie einer anderen Welt entstiegen und verirrt auf dem Weg. In der überlaufenden Regentonne schwimmt noch ein Teil der dicken Eisplatte, auf der sich manchmal Vögel zum Trinken niederlassen.

Den Findling werde ich jetzt erstmal nicht mehr besuchen, denn er liegt mitten in einem Acker, der nun mit Wasser so vollgesogen ist, daß ich schon nach ein paar Metern einsinke und ich mich nur mehr mühsam mit schweren Erdklumpen an den Schuhen vorwärts bewegen kann.

Auf die Frage, was ich denn da suche, bei so einem Stein, der sich nur als Felsplatte aus dem Boden hebt und an dem doch gar nichts Besonderes ist, sage ich: Nichts. Ich suche nichts, es zieht mich einfach hin. Es  hat mich immer schon zu Steinen hingezogen und ich frage auch jeden Stein, ob er damit einverstanden ist, daß ich ihn aufhebe und mitnehme. Und meistens sagt mir dann mein Gefühl, ob ich eine Art Erlaubnis bekomme oder nicht. Oft gibt es gar kein Gefühl dafür, dann lasse ich ihn liegen.

Gestern bin ich vor ihm gestanden und er sah wieder anders aus oder ich entdecke immer genauer seine Feinheiten, die Kanten und Rillen, die kugelrunden Löcher und seine Adern. Und je nach Lichteinfall scheint er die Form zu verändern. Und ich würde es nicht wagen, ihn zu betreten, auch wenn das Eis restlos weggeschmolzen wäre. Ich habe großen Respekt vor diesem Steinwesen. An einer bestimmten Stelle leuchteten im Hintergrund die Steinberge der Alpen und vor mir strahlte dieses helle Gestein des Findlings und seine Form ähnelte der Silhouette der Berge. Und seine steinerne Mimik … wie oben so unten, wie im Großen, so im Kleinen. Was musste passieren, daß dieser Felsbrocken hier gelandet ist. Ihn mit Menschensprache zu fragen, bringt nichts. Aber Steine kommunizieren auch. Die Freundin sagt, Steine sprechen auch, aber gaaaanz langsam, ja, da hat sie Recht. Sie zu verstehen erfordert einen völlig anderen Umgang mit dem Begriff Zeit. Einfach ausgedrückt und doch oft schier undenkbar heißt das: Hingehen, sitzenbleiben und still sein, nichts weiter … ohne Begrenzung.

Ich gehe gerne auf alten Pfaden, auch als Kind schon war das so. Und jetzt im Drachenjahr werde ich der Spur der Hl. Margarete folgen, der ja ein Drache gefolgt ist, zahm wie ein Schoßhündchen. Ganz in der Nähe des Findlings steht diese kleine alte Kirche mitten im Gelände, deren Entstehungsgeschichte sich im Dunkel der Zeit verliert. Am Altar diese wunderschöne Frau, lose hält sie ein goldenes Band, daran führt sie den riesigen Drachen, sie lächeln beide. Vor dem Eingang fand man im Boden versunken einen römischen Grenzstein, unerklärlich, wie er dahin gekommen ist.

 

Roger Caillois: Die Schrift der Steine:

„Die Steine sind alt:sie gehen dem Leben, dem Menschen voraus…
Es scheint mir alsdann keine Genauigkeit in der erdachten Wissenschaft,
keine Phantasie in dem künstlich erzeugten Delir, keine Harmonie oder
Kühnheit in der eifrig betriebenen Kunst zu geben, zu deren Figuren, Formen,
Zeichnungen die Steine nicht den Keim, die Idee, wenn nicht gar die untrügliche
und feierliche Vollendung liefern.“

Eigentlich sind wir doch steinreich, sage ich. Ja, das sind wir. Und Du bist auf Deine ganz spezielle Art eine Lebenskünstlerin, sagt Herr Graugans.

Und diese Spur führt zur Kraulquappe

# 35 Pfad der Tiere

Unser Kater Herbert ist jetzt 14 Jahre alt, ein gutes Alter für einen so absoluten Freigänger. Er mag nicht mehr rausgehen, sondern verdöst und verschläft an einem warmen Plätzchen den Winter. Ob er im Frühling wieder jagen geht, ist ungewiß, auch, ob er den Frühling überhaupt noch erleben wird. Solange er atmet, lebt er und wenn es Zeit ist zu gehen, dann wird er sterben. Er ist ein Einzelgänger, jemand hat mal gesagt, er sei ein „Solitär“. Es reicht ihm der Kontakt zu zwei Menschen, jeglichem weiteren Kontakt weicht er aus. Er  hat in seiner Weisheit erkannt, daß es bei uns nötig ist, zu sprechen, weil wir dann seine Bedürfnisse besser erkennen. Und so hat er mit verschiedenen Tönen eine Art Kommunikationshilfe entwickelt, die wir zumindest teilweise verstehen können. Mit anderen Katzen unterhält er sich, wenn überhaupt, komplett nonverbal, da gibt es unzählige Austauschmöglichkeiten, die sich menschlicher Vorstellungskraft nicht erschließen. Und da wir also darauf nicht wie gewünscht reagieren, mußte er sich Übersetzungshilfen ausdenken. Er tut das, was er für richtig hält, nur manchmal muß ich ihn zwingen zum Tieraztbesuch. Das mag er nicht und regt sich furchtbar auf, zittert und schreit kläglich. Ich vermeide diese Besuche, so lang es geht und ich sein Leiden ertragen kann. Wenn ich sehr aufmerksam bin, und gut zuhöre, dann kann ich erfahren, wie das geht mit dem Leben und dem Sterben und er sagt mir, wie wenig wir darüber wissen und wie einfach es doch ist: irgendwann mag man nicht mehr soviel jagen, man rollt sich hinter dem Ofen zusammen, schnurrt, bis man einschläft, dann isst man ein wenig und schläft wieder und so weiter. Alles geht seinen Gang, nichts bleibt stehen. Er nimmt alles so, wie es kommt und manchmal schaut er mich lange an mit sehr alten und wissenden Augen und dann spüre ich, daß er Recht hat und wir noch viel lernen können auf unserem Weg.

Ich habe für die nächsten Monate eine „Karte der Kraft“ gezogen und um die spirituelle Begleitung eines Tieres gebeten und so kam der Wal , um mir mit seiner Medizin Beistand und Ratgeber zu sein und mich zu lehren, meiner Bestimmung näher zu kommen. Er fordert mich auf, mich an uralte Erinnerungen anzuschließen und die Gesänge derer anzuhören, die die ursprüngliche Sprache sprechen. Und er hilft mir dabei, die Geschichte meiner Seele zu verfolgen und mich mit ihm, der die Geschichten von uns allen in sich trägt, zu verständigen…

Ih lese wieder in dem Buch „Karten der Kraft“ von Jamie Sams, einer Medizinfrau aus dem Wolf Clan der Seneca – Teaching Lodge und David Carson, Choktaw, erschienen 1988. Dort heißt es, daß in längst vergangenen Zeiten Menschen, die Führung und Einweihung brauchten, zu den Ältesten gehen konnten. Das waren drei alte Männer und drei alte Frauen, sie saßen am Feuer und hatten Rat und gaben Hilfestellung und wenn man sie verließ, dann war man gestärkt und fühlte sich ganz.

Heute ist alles anders, die Alten werden in Altersheimen verwahrt und wir leben in einer Zeit, in der wir von Natur und Magie abgeschnitten sind. Ob die Karten der Kraft mit dem Pfad der Tiere die Weisheit der Alten übernehmen können, muß jeder selber entscheiden, mir sind sie sehr nahe und ich höre sehr gerne auf den Rat der Tiere, die hier zu mir sprechen und mir helfen, meine Medizin zu finden.

Jamie Sams widmet dieses Buch ihrer geliebten Großmutter Twylah, „Ya-we-node“ : Sie, deren Stimme auf dem Wind reitet. Und da fällt mir meine eigene Großmutter ein, die mich in ihre Liebe eingewickelt hat wie in eine warme Decke und die mir das uralte Lied gesungen hat, dessen Text ich zum Teil vergessen hab, aber die Töne sind in meinen Ohren und im Herzen geblieben.

Großmutter Franziska, Du lehrtest mich Deinen Gesang, sei gegrüßt.

Bei meinen Recherchen über dieses Buch und seinen Einweihungsweg erfahre ich, daß Jamie Sams vor ein paar Jahren gestorben ist. Und ich stoße auf ein Buch, das sie mit ihrer Großmutter zusammen geschrieben hat: „Die Ratsfeuer der Sieben Welten – eine indianische Schöpfungsgeschichte“ , erzählt von Twylah Nitsch, Älteste der Seneca Indianer und Hüterin des Steingeheimnisses und ihrer Enkelin Jamie Sams. Es geht darin um die Steine. Steine, die so alt sind wie die Welten. Meine Güte, wie ich mich freue auf dieses Buch!

„Alle Dinge haben ihre vollkommene Zeit und ihren vollkommenen Ort im Leben.“

„Das Medizinrad ist Leben, Leben nach dem Tode, Wiedergeburt und die ehrfürchtige Haltung gegenüber jedem einzelnen Schritt auf diesem Weg.“

„Da nāho! Wi:yo:h!“
(Es ist gesagt! Es ist gut!)

So sei es.

 

Und da ist die liebe Kraulquappe zu finden!

 

# 34 Lichtspiele

Zu meinem vorherigen Text kommentiert Gerhard:  „warme Worte“! Das freut mich. Ja, warme Worte verschenke ich gerne und bekomme sie auch gerne geschenkt. Es ist kalt derzeit, und das nicht nur, weil der Januar so ist, wie er sein soll! Und wahrscheinlich trage ich auch deshalb dieses Buch immer mit mir herum, es ist klein, hat nur 168 Seiten und ist ganz leicht in der Tasche. Als es vor Monaten im Briefkasten lag, kam ich grad von der Arbeit herein und stand in schlammbespritzten Gummistiefeln im Hausgang und konnte nicht aufhören zu lesen: „Herzschlagkino, 77 Filme fürs Leben“, von Andreas Pflüger. Als ich bereits auf der ersten Seite einen neuen Lieblingssatz fand, und A. Pflüger sofort fragte, ob er mir erlaubt, ihn und womöglich noch weitere Lieblingssätze zu zitieren, sagte er sofort zu und schien sich zu freuen. Dieser erste Satz allein sagt schon aus, warum ich ins Kino gehe: „Wenn der Vorhang aufgeht, will ich überwältigt werden, vom Sound, der Musik, von Bildern zu groß für die Leinwand.“

Als ich voreilig fragte, wußte ich noch nicht, daß dieses kleine Büchlein fast ausschließlich aus Lieblingssätzen besteht und daß ich sicher keine Rezension schreiben will, weil ich auch keine lesen mag. Auch Film- oder sonstige Kritisiererei mag ich nicht.

Auf Facebook ist mir immer mal wieder einer aufgefallen, der so ganz anders über Filme geschrieben hat. So, wie der viel zu früh gestorbene Michael Althen, dessen Texte über Filme, die er mochte, ich geliebt habe; las ich die Texte dieses Andreas Pflüger. Ich wusste  damals zu meiner Schande überhaupt nicht, daß er ein begnadeter Drehbuchautor ist und längst bekannt und berühmt für seine spannenden extrem scharfen Politthriller. Meine Güte, wie peinlich, grade hat er großen Erfolg mit dem neuesten Buch: „Wie Sterben geht“. Aber hier ist die Rede von diesem kleinen Büchlein, das parallel dazu erschienen ist, und das außer der Tatsache, daß es exzellent geschrieben ist, nur wenig von den beschriebenen Filmen, dafür aber viel, sehr viel preisgibt über die inneren Notwendigkeiten, sie anzuschauen … immer und immer wieder anzuschauen. Und auf knapp bemessenem Platz mit wohl dosierten Sätzen gibt er nicht nur das, was für ihn die Essenz der Filme ist, preis, sondern erzählt von Freundschaft, Sehnsucht, Liebe, Einsamkeit, Enttäuschung, Begierde und über die unendliche Lust, die Ewigkeit will. Und über die Besessenheit, „die Opfer erfordert; was das bedeutet, wissen nur die, die sie besitzen“.

Bei seinen Filmen fürs Leben sind sind welche dabei, die ich auch sehr liebe, manche kenne ich nicht und werde sie auch nie anschauen, und ein paar kommen sicher dazu, die möchte ich auch kennenlernen. Er spricht von jeweils einem Fehler bei „Taxi Driver“ und bei „North by Northwest“, die muß ich selbstverständlich herausfinden bei nächster Gelegenheit.

Er sagt, daß es Filme gibt, die mitten ins Herz treffen, aber man das nicht erklären kann, warum. Und er sagt: „Manche Filme verdrehen dir von der Aufblende an den Kopf. Du verknallst dich, mit Herzklopfen bis zum Hals. Die allerbesten geben dir dieses Gefühl jedes Mal, wenn du sie siehst. Bei anderen wird es dir heiß und kalt, und du verstehst es nicht.“

Und obwohl er Geschichten nicht mag, die ihn ohne Hoffnung lassen, sieht er einen bestimmten Film, da ist er still und „fällt durch die Bilder wie ein Stein“. Und er spricht von Travis Bickle, der die 47. Straße in Manhattan runtergeht, „steif vor Einsamkeit“.

Ich trage dieses Buch mit mir herum, weil ich diese Zärtlichkeit spüre, diese unglaubliche Liebe zum Kino und zu den Geschichten, die beginnen, wenn das Licht ausgeht und der Vorhang auf. Alles, was da drinsteht, und auch das, was sich zwischen den Worten verborgen hat spricht mir aus der Seele. Auch wenn wir ganz unterschiedliche Filme mögen, das spielt keine Rolle, es geht um die Begeisterung und um das Glück, das Herzschlagglück. Dieses Buch gehört unbedingt dazu. Es ist ein leises kleines Meisterwerk.

Mit allem bin ich einverstanden, bis auf eine Bemerkung: daß George Clooney Cary Grant am nächsten kommen sollte, das bestreite ich vehement. Für mich bleibt er und sein Lächeln unerreicht.

Vor ein paar Tagen, es hatte noch nicht geschneit, begaben wir uns wieder auf die Suche nach dem steinernen Findling. Beinahe hätten wir ihn trotz genauer Koordinatenangabe wieder nicht gefunden, da lag auf einmal irgendwo auf dem riesigen Acker eine große gelbe Plane oder irgendeine Papierverpackung.  Und als ich noch dachte, wer denn sowas auf den Acker wirft, rief schon Herr Graugans: Da ist der richtige Punkt. Ja, und da lag er dann, der Stein. Im Hintergrund war dieses Abendrot über den Bergen, das Licht schien überirdisch schön auf diesen Felsklotz im Boden. Sein Gestein ist von roten Adern durchzogen und auf der einen Seite sieht er aus, als läge ein Drachen da, den Kopf zur Seite gedreht. Nein, kein Foto jetzt, die Welt ertrinkt schon genug in Bilderfluten. Eine wundervolle steinerne Begegnung wurde uns geschenkt.

Hinterher waren wir im Kino und sahen „Perfect Days“ , ein Film, den ich sicher noch unzählige Male anschauen werde. Das Glück tropfte Szene für Szene zwei Stunden in mich hinein, löste alle Beschwernisse auf und hätte  nicht doch noch ein gewisses Maß an Schwerkraft meine Füsse am Boden gehalten, dann wäre ich geflogen!

Da treibt sich die Kraulquappe herum