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#5 Ruach

und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ Apg 2, 1-4

Ganz in der Nähe wird schon seit Tagen Pfingsten gefeiert, das Hochfest mit diesen außerordentlichen Begleiterscheinungen, die um das Kommen des Heiligen Geistes herumschwirren und die kein Mensch versteht, auch diejenigen nicht, die tatsächlich wissen, was „Glossolalie“ bedeutet.  Weil das alles so außerordentlich vergeistigt ist, gibt es Versuche, das Fest zu einer Art Corporate Identity zu machen und also den Geburtstag der Kirche zu feiern.

Am besten ist es wohl, daraus ein intensives gastronomisch/zwischenmenschliches Begegnungsangebot zu schaffen, eine Einladung, die alle verstehen und das scheint überaus gelungen zu sein. Also gibts ein riesiges Bierzelt, das aus allen Nähten zu platzen droht, weil so viele hinein wollen, viel Currywürste und Braten und viel, viel zum Trinken, es ist laut und lustig und berauscht und irgendwann könnt man sicher auch bei genauerem Hinhören die pfingstliche Glossolalie vermuten … eingegeben von der aus großen Metallfässern ununterbrochen frisch gezapften, kühlen Geistigkeit … Heute findet der Leonhardi Ritt statt,  wie schon vor vierhundert Jahren, viele geschmückte Rösser, viel Blasmusik, Trachtenverein und seligmachende Brauchtumspflege, dessen Ursprungsbedeutung sich längst im Nebel der Vergangenheit verloren hat. Viele viele Menschen kommen trotz Straßensperren, Umleitungen und kilometerlangem Stau mit Auto oder Radl von nah und fern und schauen auf den Zug, der sich von der Kirche, fahnenschwingend durch das Dorf und drumherum bewegt und irgendwann ganz in der Nähe des Bierzeltes zum Stillstand kommen wird. Rösser und Reitpersonal, einschließlich Pfarrer werden sich stärken und dann nimmt die Gaudi ihren Lauf. Bei Euch am Land ist die Welt halt noch in Ordnung, hat mal jemand zu mir gesagt und war völlig perplex, als ich gesagt hab, daß es kein „uns“ gibt und schon gar kein „am Land“, das haben die Städter erfunden, „das Land“ … aber bei Euch am Land sind doch die Beziehungen noch in Ordnung … ach ja?

Im Hintergrund läuft zum wiederholten Mal im Lieblingssender Ö1  die wunderbare Musiksendung „Spielräume“, im Andenken an Tina Turner. Eine meiner ersten LPs, mühsam zusammengespart, war Ike &Tina  Turner, ich hab sie so oft gehört, da war eine Kraft drin, die mich mitgerissen hat und tanzen ließ und die ging eindeutig von Tina aus, die sang um ihr Leben. Jetzt läuft Early in the morning  und da kann man es schon ganz deutlich hören, was paar Jahre später dazu führte, den prügelnden Ehemann zu verlassen, der es nicht ertragen konnte, daß sie ihn weit überragte. Niemand im damaligen Amerika hat zu ihr gehalten, alle waren auf der Seite von Ike und sie stand da, alleine mit nichts als ihrem unerschütterlichen und nahezu furchtlosen Mut und sie begann nochmal von vorne, ganz unten. Die Geschichte ist bekannt, viele Filme laufen derzeit über sie. Alle Widerwärtigkeiten des Lebens könne man zu Medizin verwandeln, sagte sie, und sie lehnte vehement ab, Opfer zu sein als Frau und ihren Tänzerinnen auf der Bühne verbot sie das Sexpüppchen Image, sie wollte starke Frauen um sich haben.

Sie hatte diesen unnachahmlich starken festen Schritt und ich frage mich, wie sie das machte, mit hohen Stöckelschuhen so sicher am Boden zu stehen ohne ein einziges Schwanken. Ach, man könnte ewig schreiben über sie, aber das tun jetzt noch kurze Zeit viele andere auch und dann wird sie vergessen sein mit ihrem Leben, nur  Musik wird bleiben und bei den Menschen, die sie gut kannten „eine Hinterlassenschaft der Liebe“, wie es eine junge Frau ausdrückte, die ihr nahestand.

Für mich zeigt sie mit David Bowie am besten, wer und was sie war und wie sie da einander begegneten, in  Achtung und dankbarer Wertschätzung auf Augenhöhe, umflossen von schier herzerreißender  Zärtlichkeit … ein Augenblick, der mich immer mit der Welt versöhnt. Hab Dank, Tina Turner.

Der große Kaktus ist übersät mit Blüten, eine hat sich soeben geöffnet, ich würde am liebsten hineinkriechen in diese Farbe, mich bemalen lassen, streicheln von den Staubgefäßen, hineingleiten, mich wälzen und berauschen am Rot … im Rot im Rot im Rot…

 

Hier ist die Tür zum  Reich der Kraulquappe:

 

 

#4 Lukas, die leuchtenden Männer, Drachen und der Herbert.

Es ist 12 Uhr, auf der nachbarlichen Baustelle ist es sehr still, alle machen Mittagspause, auch der Kran. Sein Arm ragt über unsere alten Bauernhäuser in den strahlend blauen Himmel hinein. Von weither segelt langsam eine weiße Wolke heran. Vor ein paar Tagen war Christi Himmelfahrt, ich habe die Versuche nahezu aufgegeben, über die Bedeutung dieses Festes zu sprechen, weil das eh keinen Menschen interessiert. Ganze Scharen von  Sportsmännern rasen durch die Gegend auf teuersten Rädern, die man nicht mehr Räder nennt, sondern Bikes, ausgestattet mit teurer Biker Uniform … die andere Gruppe fährt nicht lang herum, sondern hockt sich gleich zum Saufen in die Biergärten und zelebriert das, was man halt so leichthin unter Vatertag verstehen mag.

Ich lese den Bibeltext immer und immer wieder und werde nicht schlau daraus. Ab Ostern wirds schwieriger und unverständlicher, die Bildersprache der Bibel tut sich schwer, den Übertritt eines Menschen in die nächste Dimension darzustellen. Es geht um die magischen vierzig Tage, in denen einer lebt, obwohl er tot ist und erscheint, ohne noch eine Gestalt zu haben und dann entschwebt er in eine neue Dimension, in diese extrem schwer verständliche Geistigkeit ohne Form aber weiterhin mit Berührung … bloß vollkommen anders als wir es erdenken können … aber spüren können wir es trotzdem, auch wenn diese Art von Berührung nicht mehr erklärbar ist. Und dann gibt es ja noch diese geheimnisvollen Männer mit strahlenden Gewändern, die immer mal wieder auftauchen, sie stehen da und sprechen in Rätseln. Wer sind sie und woher kommen sie und was ist ihre Aufgabe?

“ …sahen sie, wie er emporgehoben wurde und eine Wolke ihn fortnahm vor ihren Augen. Und als sie zum Himmel starrten wie er auffuhr, siehe, da standen zwei Männer in leuchtenden Gewändern und sagten: ihr Männer aus Galiläa was steht ihr und schaut zum Himmel? …“
Luk24,50-53

Man kann es nachlesen.

Die weiße Wolke ist heran geschwommen, hat sich um den Arm des Krans gewickelt und ich sehe einen Drachen, aus Wolkenschaum  geformt , er liegt da, ganz lässig und entspannt und schaut zu mir herüber und ich schaue zurück und wir lächeln uns an. Dann springt durchs offene Fenster der rote Kater Willie auf den Schreibtisch und läuft über die Tastatur, um auf meine Schulter zu kommen. Als ich wieder aus dem Fenster schaue, ist die Mittagspause vorbei, der Kran geht leise scheppernd seiner Bestimmung nach und der Drachen ist  verschwunden.

Herr Graugans schleppt mich schwitzend und jammernd aus meiner erkältungsbedingten Lethargie heraus in ein asiatisches Lokal in Salzburg. Es ist am Stadtrand gelegen und deshalb auch für Geldbörsen Normalsterblicher erschwinglich. Die Freude über das gemeinsame Essen mit unserer Lieblingsnachbarin, die sich grade aus einer schweren Lungenembolie herausgearbeitet hat, und die wunderbaren Speisen, vor allem sehr viel eingelegter Ingwer,  lassen mich zusehends gesunden. Am Nebentisch sitzen zwei junge Leute die damit beschäftigt sind, alles, was sie sich Teller für Teller vom Buffet holen erstmal ausgiebig zu fotografieren und zu posten, dann ein paar Bissen zu essen, um gleich wieder nach den hoffentlich zahlreichen Kommentaren zu schauen, die sie dann natürlich auch wieder kommentieren müssen. Während des Kommentierens des Kommentierens des Kommentierens sprechen sie nicht miteinander, eigentlich sprechen sie überhaupt nicht miteinander  sondern nur mit denen, die irgendwo da draußen auch posten und kommentieren. Aufgelockert werden die Posts über das Essen am Teller durch Selfies, die zeigen sollen, wie es ausschaut, wenn sie grad chinesisch essen.

Gestern Abend habe ich die Wiesen abgesucht, der Kater Herbert war zwei Tage verschwunden und der Großbauer, der ringsherum die Gründe der aufgegebenen kleinen Landwirtschaften gepachtet hat war unterwegs und hat mit seinem acht Meter breiten Mähbalken alles abgemäht, da geraten Rehkitze und Katzen leicht in die scharfen Messer, wenn sie meinen, sie könnten sich drunter weg ducken. Der Herbert ist zwar schlau und vorsichtig, sonst wäre er nicht 13 Jahre alt geworden, aber nachdem er heuer schon dreimal mit verletzter Pfote heimkam und große Blutflecken auf der Sofadecke hinterlassen hat, bin ich immer in Sorge, wenn er sich nicht wenigstens einmal pro Tag sehen läßt. Die Suche war erfolgreich, ich sah ein kleines weißes Fellbündel irgendwo dort, wo jagdmäßig große Erfolge winken, da auf abgemähter Wiese die Mauslöcher sozusagen offen da liegen und man nur ein wenig warten muß. Als ich ihn rief, kam er sofort den Berg heraufgelaufen, ging plaudernd mit mir heim, nahm ein paar Brocken Katzenfutter und verschwand wieder auf vorläufiges Nimmerwiedersehen hinaus in die Nacht.

Bald ist es soweit, dann übernimmt Frau Akelei das Zepter hier um Haus und Hof herum, grade eben sehe ich die ersten ihrer Gespielinnen. Die Köpfe mit dunkelroten Feenhauben wackeln zart im lauen Wind. Und daneben liegt in ihrem Schatten der von nächtlichen Umtrieben völlig erschöpfte Herbert … da bist Du ja, Du Strawanzer, sage ich.

 

und da schreibt die Frau Kraulquappe

 

 

#3 Die kalte Sophie und der Desperado

 

Am Samstag ist ein Freund in Panik und Not plötzlich aufgetaucht und wir sind eine Stunde lang in kaltem Nieselregen gestanden und haben versucht, seiner Angst zumindest ein wenig die Schärfe zu nehmen, dabei wurde es aber immer kälter und die Füsse immer nasser. Heute die zweite Nacht, von Hustenanfällen geschüttelt, das Fieber macht wirre Träume, Braunbären streifen durch Wälder, jemand sagt: das sind alles Desperados, keiner will sie haben. Wie die Flüchtlinge, sie wandern und wandern auf der Suche nach einer Heimat … Dann zünde ich die Kerze an in der Laterne vor dem Haus, mein Kopf ist heiß. Eine halbe Stunde nach Mitternacht, der 15. Mai hat grad angefangen, die kalte Sophie lächelt mich an unter nassen Haarsträhnen aus einem Regengesicht, bevor sie ums Hauseck herum verschwindet. Weißt Du noch, Papa, vor 13 Jahren bist Du genau um diese Zeit gestorben. Du hast immer gesagt, mein Geburtstag ist leicht zu merken, lauter Fünfer: 15.5.25, am Tag der kalten Sophie. Ich lese grad „Das Leben meiner Mutter“ vom Oskar Maria Graf, und es zieht mich hinein in die Geschichte der Vorfahren, auch meiner, und ich spüre, wie sich die Sprache mit meiner vermischt und zu mir spricht, aber auch aus mir heraus. Eine Gratwanderung. Es war Dein Lieblingsbuch. Er war kein pflegeleichter Mensch, der Graf, kein Heimatschriftsteller mit Blut und Bodenromantik. Er hat nirgends hingepasst, auch nicht in seine Heimat, ein Outlaw war er. Meine Heimat ist die Sprache, hat er gesagt. Ja, meine auch, mehr als alles andere.

Jetzt ist 12 Uhr mittags, High Noon, wie oft haben wir den Film wohl gesehen, Papa, der Cooper Gary mit seinem weichen Gesicht, eigentlich zu weich der Zug um seinen Mund, um ein harter Kämpfer und Held zu sein. Und warum hat er nicht diese dunkle Schönheit geheiratet, sondern die andere, die ihn beinahe verraten hat?  Papa, durch welche Zeiten und Räume fliegst Du jetzt, hast Du endlich gefunden, was wir alle ein Leben lang suchen? Kannst Du die großen blauen Flecken sehen, die der kriechende Günsel , den ich so liebe, ins Gras malt?

Beim Nachbarn steht ein hoher Kran, auf seinem Arm trägt er den Himmel, auch schwarze Wolken und beim schlimmen Gewitter hat er gestern geschwankt. Sie bauen da jetzt ein Haus hin gegenüber vom alten Bauernhaus, die Jungen wollen lieber in einem neuen Haus wohnen, das alte mögen sie nicht. Sie möchten ein schönes, schmuckes Häuschen, mit ein wenig Rasen drumherum, eine wohldurchdachte Anlage, eine gestaltete Oase. Eigentlich wollen sie alle Siedlungshäuser, Siedlungsgärten, abgemessenes, umzäuntes Glück, so kommts mir vor. So ein Mittelding zwischen Stadt und Land.

Ich hab Deine Gärten verwildern lassen, Papa. Die Schnecken haben immer alles gefressen, was ich angebaut habe und ich wollte nicht soviel töten müssen, um zu ein paar Köpfen Salat zu kommen. Jetzt wachsen bunte, wilde Blumen und Gräser, es gibt Ameisenberge und ich freue mich über alles, was sich ansiedelt. Ich weiß nicht, ob dir das alles so gefallen täte, vielleicht würdest du sagen: du bist halt eine Träumerin. Ja. Der alte Flieder am oberen Garten wächst immer noch, ich werd ein paar Zweige holen, weil er so gut riecht. Und den Rhabarber gibt es auch noch, Papa, wie alt der wohl schon ist, ich kenne ihn ein Leben lang. Ich werde Marmelade daraus machen. Und jetzt werd ich mir eine Kanne Tee kochen und ihn „englisch“ trinken, wie Du früher, mit Milch und Zucker und paarmal den Song hören von Willie Nelson, der Dir auch gefallen täte und mich dann mit dem Buch vom O.M.Graf ins Bett verziehen. Und ich werd mich fragen, ob Du auch gern so einer gewesen wärst und Dich nur nicht getraut hast … aber weißt Du Papa … das Herz ist ein ganz besonderer Kontinent und da drinnen sind wir Desperados, glaub mir.

Hier gehts zur Frau Kraulquappe:

 

#2 Don Quixote

Nachts, im Licht der Hoflaterne stecken die einzelnen Grashalme wie glitzernde Glassplitter im Boden. Die Katze bewegt sich behutsam dazwischen, nur wenn man genau hinhorcht, ist leises Klirren zu hören. Jetzt habe ich es gemäht und es liegt da und ist das Gras des Tages, das auf dem Komposthaufen hinterm Haus darauf wartet, wieder Erde zu werden im Lauf der Zeit. Um Mitternächte herum werde ich wieder zuschauen, wie sich vor der Küchentüre eine neue Welt der gläsernen Stängel aus dem Boden herausschiebt und mir wünschen, so klein zu sein, um dazwischen herumgehen zu können, für einen Augenblick.

Im Hintergrund läuft „Don Quixote“.  

„Through the woodland, through the yalley
comes a horseman wild and free
tilting at the windmills passing…“

Ich hatte diese eine Platte von Gordon Lightfoot und ich hörte sie dauernd, immer und immer wieder. Seine Stimme war so schön, daß sie schmerzte. Die Lieder haben mich begleitet durch die Zeit, in der das Leben sozusagen vor uns lag in all seiner Fülle. Wir hörten die Lieder zur Zeit der großen Gefühle. Als ich mich dann getrennt habe, weil mir die Liebe abhanden kam, da hat er geweint, dieser zärtliche junge Mann. Was er wohl heute macht? Nach dem Ende dieser Beziehung konnte ich die Platte nicht mehr hören. Später hab ich Gordon Lightfoot total vergessen, und ich hätte auch mit den von romantischen Streichern etc. überfrachteten Aufnahmen nicht viel anfangen können. Damals sang er zur Gitarre, das war so schön, daß ich auch heute wieder beim Anhören weinen muß vor Freude und Traurigkeit über dieses kleine Lied mit diesem wilden und freien Reiter, der ein zerlesenes Buch aus der Satteltasche zieht und so gutmütig ist, daß er sogar die Windmühlen als Freunde betrachtet…

Der Wolf wurde jetzt zum Abschuß freigegeben. Der Ministerpräsident Himself und sein Gehilfe haben beschlossen, daß es eine „wolfsfreie Zone“ in Bayern geben muß. Der Wolf hat sich als „Problemwolf“ herausgestellt, denn er hat Tiere getötet, um sie zu fressen, jetzt muß er weg. Seitdem kracht es ständig im Wald, gestern dreimal hintereinander. Jetzt dürfen sie, die Jäger, und jetzt jagen sie ihn, unerbittlich und erbarmungslos. Und wenn er noch nicht tot ist, dann wird er bald sterben. Und dann wird der stolze Wolfstöter zu sehen sein auf einem Selfie mit blutender Beute. Und man wird ihm zujubeln. Es ist Wahlkampf und es ist zu befürchten, daß demnächst auch der verhasste Biber, der Fischreiher, der Fischotter und der, beträchtliche Autoschäden verursachende, weil nachts einfach so über die Bundesstraße spazierende Dachs zum Abschuß freigegeben werden. Das wäre durchaus im Sinne eines großen Teils der Landbevölkerung und bringt ihm und seiner Partei gewiß Stimmen, so meint der Landesvater. Bei jedem Schuß, der im nahen Wald fällt, greift eine kalte Hand nach meinem Herz und ich schäme mich vor den Tieren.

Die Igel sind verschwunden. Ich gestehe, ich war oft sehr wütend , weil sie zu fünft in der Nacht daherkamen, die Katzenteller leer gefressen, überall herumgekackt, aber alle Nacktschnecken verschmäht haben. Wurden sie von den Mährobotern vertrieben oder vom Schneckenkorn getötet?

Im Gartencenter gibt es jetzt große Packungen mit „Wildwiese“ teuer zu erwerben. In den Gärten des Grauens wird der Rasen so oft gemäht bis er tot ist, alle Wildblumen ausgerissen, um dann für viel Geld künstliche Inseln der gelenkten Wildheit zu schaffen. Und dabei wäre alles so einfach und vor allem kostenlos. Wenn man nur noch dreimal im Jahr mähen täte, käm die Wildheit von alleine und brächte haufenweise Blumen und Gräser mit.

Das Wilde läßt sich nicht zähmen, denn dann ist es nicht mehr wild. Wild ist das Wilde nur, wenn es wild ist, das muß man halt aushalten können.

Jetzt läuft wieder eine Platte im Hintergrund: „Solo“, Hinterlassenschaft eines Barden. Er hat sie mit 81 Jahren aufgenommen und jetzt, mit 84 ist er gestorben. Und erst durch seinen Tod habe ich sie entdeckt. Und heute Nacht, wenn ich dem gläsernen Gras beim Wachsen zuschaue, dann werde ich auch dem neuen Stern am Himmel zuwinken. Ganz sicher ist Gordon Lightfoot ein Stern geworden, ja, das geht, da bin ich sicher. Wir, und alles Übrige auch, sind aus dem gleiche Material, und dazu kann man Sternenstaub sagen und das wird als konzentriertes kleines Licht am Himmel hängen … so wie die Hoflaterne vor der Küchentüre.

Einfache leise Lieder sind es, ein alter Mann singt sie und begleitet sich dabei auf der Gitarre. So hat er einst angefangen und so hört er auf. Ich mag seine  alte Stimme, das Lied „return into dust“ berührt meine Seele. Sein Leben war sicher gefüllt mit Musik, Erfolgen und Niederlagen, Freude und Verdruß, wie alle Leben. Als ich heute über  den Dichter Giorgos Seferis las, daß er zeitlebens eine Sehnsucht in sich trug, die sich nie erfüllte … die Sehnsucht nach der wirklichen Berührung – öffnete sich ein neuer Blickwinkel auf meine  Sehnsüchte. Ob er sie wohl gefunden hat, er, der Barde mit dieser Herzstimme? Oder blieb ihm die Erfüllung auch verwehrt, so wie es mit Sehnsucht ja meist ist. Sie kann wahrscheinlich nie erfüllt werden, weil sie zu weit hinaus reicht …?

Zwischen dem Don Quixote und dem letzten Lied auf der letzten Platte liegt ein ganzes Leben mit all seinen Irrungen und Wirrungen, er hat es mir hinterlassen und es endet mit dem Satz:

„I just want to be me“

Danke, Mr. Gordon Lightfoot.

 

Und hier, bittesehr, schreibt die Frau Kraulquappe!

#1 Weit geht der Wolf

Vor unserem Haus bleibt am Samstag der große Traktor, der gerade im Anhänger die Kalbinnen auf die Weide transportiert plötzlich stehen, irgendeine Leitung, die mit der Hydraulik zu tun hat ist geplatzt, das Öl ergießt sich auf die Straße. Herr Graugans läuft, bringt unsere zwei besten Eimer, um den Rest noch aufzufangen … große Sauerei, großes Durcheinander, aber letztendlich kommt bald herbeigerufene Hilfe, der Schaden ist repariert, die Kalbinnen stehen auf der Weide und grasen friedlich vor sich hin. Zurück bleiben zwei ölverschmierte Eimer und ein ca. 50 m langer, vom Pulver rot gefärbter Ölstreifen auf der Straße.

Wie eine Blutspur, von  erlegter und weggeschleppter Beute, denke ich heute und es fällt mir der oft gebrauchte Spruch ein über die Idylle, in der wir doch hier  „auf dem Land“ leben und die Blutspur, die alles durchzieht und daß diese Idylle nur eine vordergründige Kulisse ist, hinter der das Land verseucht ist und kaputt  und was das überhaupt bedeutet, das Leben „am Land“ und es fallen mir alte Geschichten ein …  Dem Nachbarn erscheint das praktische Vorgehen sinnvoller als das Erfinden von Geschichten und er versucht, mit Besen, Schaufel etc. das Übel von der Straße zu kratzen, leider mit wenig Erfolg, die blutrote Spur wird bleiben.

Der Maibaum steht aufrecht da, gestern haben sie ihn unter Beteiligung des ganzen Dorfes aufgestellt und dabei wurde viel getrunken und gelacht. Heute sind die Spuren des Volksfestes bereits sorgfältig aufgeräumt. Bei uns steht kein Maibaum, unser Weiler mit vier Höfen ist zu klein für derartige Spektakel.

Wir reden über den Wolf. Alle reden über den Wolf. Der Wolf ist zugewandert. Manche, die dem bairischen Deutsch ein wenig ganghoferisch romantische Eleganz einhauchen wollen, werden sagen: der Wolf kommt aus dem Tirolerischen. Wir sagen ansonsten halt nur: von Tirol kommt er. Von ganz schön weit her. Aber für so einen Wolf sind ja 50 km nix. Ja, was macht man jetzt mit so einem Wolf? Zwei Schafe hat er gerissen und er wurde schon wieder gesehen mit der Wildkamera. Da war ja schon mal einer, letztes Jahr. Der Jäger hat damals gesagt, er könnte leider nichts unternehmen, denn er dürfte ihn nicht erschießen. Er wurde dann bedauerlicherweise durch einen Zufall an der Grenze nach Tschechien von einem Auto überfahren. Jetzt ist also wieder einer unterwegs. Am Abend fährt der Jäger zum Waldrand … wahrscheinlich fahren jetzt alle Jäger im Umkreis von 50 km an den Waldrand, um ihn auszuspähen. Der Wolf ist halt leider kein Vegetarier, Veganer schon gar nicht, er ist ein Fleischfresser wie der Mensch und das passt nicht. Da ist ein Zusammenleben nicht erwünscht, auch wenn klar ist, daß der Wolf scheu ist und dem Menschen aus dem Weg geht und der größte Feind des Menschen der Mensch ist, weil er alle Ordnungen durcheinanderbringt, der Wolf braucht halt was zum Fressen, sonst verhungert er. Und Schafe sind leicht zu jagen. Und es ist einfach so: wenn Hunderttausende kleine Milchlämmer von ihren Müttern weggerissen werden, um sie zu schlachten für den Osterbraten, dann macht das nichts.

Ich gehe durch den Wald und sage: lauf weg, so weit Du kannst, verlaß die Deckung nicht , Wolferl, und ich lege ihm meine Tarnkappe unter einen Baum, dahin, wo das Unterholz beginnt.

Ich habe in die Luft gegriffen und hatte eine Idee in der Hand. Auf die Frage, ob sie parallel zu mir immer zur gleichen Zeit im Lebensfluß sich hinsetzen mag, um zu erzählen, was ihr grad so durch den Kopf geht, und es zu veröffentlichen, sagt die wunderbare Kraulquappe, ja, mag ich! Und so haben wir jetzt beide eine Abmachung: Immer am Montagmittag um 12 Uhr schreiben wir über das, was genau an diesem Punkt im Leben gesagt und dargestellt werden will. Sie in der Stadt, in der sich der Regierungssitz über die bairische Provinz befindet, in der ich lebe. Zwei Stimmen, zwei Orte, zwei Leben, ein Kreuzungspunkt: Montagmittag, 12 Uhr.

Die Frage, warum wir das jetzt beginnen, läßt sich leicht beantworten: Wir haben einfach so große Lust dazu! Und ich freu mich sehr auf das Neben-/Miteinander und natürlich über jeden, die/der hier mitlesen mag!

Hier sind die Texte der Kraulquappe:

 

Hineni.

Alles vergangen, Ostern schnell schnell durchgehechelt, Osterhasen, Schokoladeneier, unzählige vorgefertigte Osterwünsche gelöscht, die zu Dutzenden leer und ohne den geringsten persönlichen Bezug alle digitalen Kanäle überfluten und verstopfen … früher haben wir uns kitschige Osterpostkarten geschickt  und damals hab ich mich über alles gefreut, was im Briefkasten lag und mit Füllertinte auf Karten stand, bei denen dann der Platz nie reichte, weil wir uns so viel zu sagen hatten. Manchmal wurden dann mehrere Karten beschrieben und in einen Umschlag gesteckt. Jetzt wird die ganze Wünscherei hauptsächlich digital erledigt … was bleibt von Ostern, dem ja die Karwoche vorausgeht, außer, daß halt paar arbeitsfreie Tage waren?

Ja, ich glaube diese alte Geschichte immer noch, weil ich guten Geschichten traue und dies ist die beste, die wir haben, sie ist der Mittelpunkt des Christentums und meiner Religion, in die ich hineingetauft wurde und die ich nicht einfach so ausziehen kann wie einen alten Mantel. Und ich streite mich nicht mehr herum mit Menschen, denen im Grunde genommen eh alles egal ist und die mir mit diesem jämmerlichen Beweis der Nichtexistenz des Göttlichen kommen, weil doch die Menschen sich gegenseitig abschlachten und überall dort, wo es Machtpositionen gibt, auch in der Kirche, diese aufs Übelste mißbrauchen und so weiter und weiter.

Ganz egal, als was man die Passionsgeschichte deutet, als Parabel, Märchen oder was weiß ich, an ihrem Ende steht, daß der Tod nicht das Ende von allem ist, weil es im ewigen Kreis des Lebens kein Ende gibt … der Kreis ist rund und das Ende hat den Anfang im Mund, dafür gibt es unzählige Beweise, die Passionsgeschichte ist der wahrhaftigste.  Ob sie  tatsächlich stattgefunden hat und ob ER der Kosmische Jesus ist und/oder eine historisch nachweisbare Gestalt, sagt gar nichts aus über den Wahrheitsgehalt. Wenn man sich noch ein wenig Phantasie bewahrt hat und daran glaubt, daß nicht alle Rätsel gelöst werden können und Geheimnisse bleiben und jede Antwort viele Fragen nach sich zieht, dann ist Ostern ein Wunder für die Seele, Christ ist erstanden, halleluja, jedes Jahr aufs Neue und immer wieder.

Aber was bleibt … das Karussell dreht sich schwindelerregend schnell, im Grunde ist alles nur Momentaufnahme … die Blütenteppiche des Frühlings, Sonne, Regen, Schnee, Wolken, alles fliegt vorbei und ändert ständig seine Gestalt, nichts bleibt und doch scheint in einer Art „inneren Welt“ ein Ort des Stillestehens zu existieren, da ertönt die Johannes-Passion und dann singt Leonard Cohen und dann sitze ich mit befreundeten Menschen am Gründonnerstagabend um den Stubentisch, wir essen Brennesselsuppe und brechen das Brot füreinander und wir brauchen es uns nicht zu sagen, denn alle wissen wir, in welchem Angedenken wir es tun … und wir teilen nicht nur das Brot, sondern auch die ganzen Sorgen und Ängste über Diagnosen und Prognosen und wir lachen gemeinsam und freuen uns darüber, daß wir uns kennen und gernhaben.

Und die  Freundin, die am Ostersonntag kommt und das Strahlen über ihr Gesicht und der dankbare Glanz in ihren Augen, als sie den festlich gedeckten Tisch sieht, das bleibt in dieser inneren Kammer, das weht nicht vorbei. Das ist das Wunder der Freude.

Ja, natürlich glaube ich an die leibhaftige Auferstehung, es gibt keinen Grund, es nicht zu glauben … sie ist passiert und sie passiert immer wieder … oft unbemerkt und irritierend einfach. Bestellbar ist sie nicht. Nicht mal bei Amazon.

 

 

 

 

For Free

Am Zeiger der Kirchturmuhr hängt ein langer Eiszapfen, er zeigt die Zwischenzeit an.

David Crosby ist gestorben, er hat Musik hinterlassen.

Auch mein Vater hat Lieder hinterlassen. Er hat sich das Spielen auf der diatonischen Zugharmonie (Ziehharmonika) selber beigebracht und er beherrschte es virtuos, auf seine unnachahmliche Art und Weise. Manchmal, wenn es ganz still ist außen und innen, höre ich ihn, die schnarrenden Bässe, die ich so liebte und den Satz: Das mußt du dir anhören, ich hab ein neues Stückl gelernt.  Der einzige Grund, warum er Musik machte: es gehörte zu seiner Existenz, wie die Luft zum Schnaufen und die Berge zum Anschauen. Er spielte aus Lust am Spielen  und da war immer diese Freude an Harmonien und den Klängen … auch das Üben war ihm Freude. Er brauchte kein Publikum und keinen Applaus und meistens spielte er umsonst, und die Musik und er sind zu einem einzigen Klangkörper der Freude verschmolzen.

Meine Mutter hat den Klang ihres Lachens hinterlassen. An sie kann ich mich kaum mehr erinnern, aber manchmal höre ich  ihr Lachen, es hörte sich an wie Perlen, die über den Tisch rollen.

Ich schaue mir unendlich viele Konzertausschnitte an mit David Crosby, solo oder in Zusammenspiel mit anderen Musikern, den besten und virtuosesten, die man sich nur vorstellen kann, alle standen mit ihm auf der Bühne. Und er schien sich nie hervorzutun, reihte sich stets bescheiden ein, ließ anderen den Vortritt und war doch immer der Mittelpunkt, um den sich alles drehte. All die Jahre stand er da mit der Gitarre, und wenn er nicht spielte, hatte er die Hände in den Hosentaschen, und unter seiner Mütze quollen weiße, lange Haare hervor. Es gibt Menschen, aus denen tropft förmlich die Musik heraus, egal wo sie sind und was sie auch tun. Ich glaube, er war so einer. Und man weiß nicht, woher die Musik eigentlich kommt, sie scheint eine der alten Kräfte zu sein und wenn sie da ist, sucht sie sich einen Resonanzboden in Menschen, die sich ihr hingeben, mit Haut und Haar. Man kann es erkennen, da ist dieser Blick, der aus der Unendlichkeit zu kommen scheint und in unbestimmbare Weiten führt. Neugeborene haben ihn und Sterbende und MusikerInnen. Und es kommt dieser Blick aus einem Körper, der sich diesem Strom hingibt und überfluten läßt. Meist ein leicht glasiger Blick aus einer anderen Welt. David Crosby hatte diese warmen, sanften Augen, die aufblitzten, wenn die Harmonien gelungen waren. In den letzten Jahren  liefen manchmal Töne heraus und neben dem Strom her, wie ein Rinnsal, das aber bald wieder zurück kehrt  und sich mit dem Fluß vereint. Fast meine ich, daß es gewollt war, denn er hatte auch in seinen späten Jahren als alter Mann eine wundervolle Stimme und spielte Gitarre wie ein junger Gott. Ich höre mich durch die Alben seines Lebens und bin immer noch überwältigt von diesen engelsgleichen Gesängen, es zieht mir immer noch den Boden unter den Füssen weg, wenn ich „Helplessly Hoping“ höre und die vielen Variationen von „Guinevere“, u.a. mit der kongenialen Band „Venice“, alle mit perfekten Gesangsharmonien. Wobei mir da die alte Version mit Crosby/Nash am meisten unter die Haut geht, wahrscheinlich auch wegen dieser liebevollen Verbundenheit, die sie miteinander teilten, wenn sie sich anschauten und diese unglaublich schwer zu singenden Harmonien bewältigt hatten.

Ich kenne dieses Lied bereits ein Leben lang und er hat es auch als alter Mann mit so einer Hingabe gesungen, daß ich heute genau wie früher zu träumen beginne und mit Guinevere in den Garten gehe  „in the morning after it rained“…

ES hat aus ihm gesungen ein Leben lang. Und das trotz größter zwischenmenschlicher Tragödien, Alkohol- und Drogenexzessen. Er war aufmüpfig, rebellisch und hat sich von keinerlei Gesetzmäßigkeiten in die Knie zwingen lassen, nicht mal von schwersten Krankheiten. Er ist immer wieder auf die Bühne und bis zum Ende seines Lebens hat er an neuen Songs gearbeitet. Aber jetzt ist er gegangen, der Tod läßt nicht mit sich reden.

Auch das letzte Album von David Crosby, vor paar Jahren aufgenommen, ist für mich ein Meisterwerk. Ich habe das Gefühl, da singt einer ganz entspannt ein paar Lieder, die ihm gefallen. Er muß niemandem was beweisen, er macht Musik, weil er das mag, weil er Freude daran hat, einfach so. Und da ist dieses wunderbare Lied von Joni Mitchell und das singt er von ihr und für sie und seine Platte nennt er auch so.

Und dann höre ich auch meinen Vater wieder, sie hätten nicht verschiedener sein können … und doch …

„He was playing real good,
for free.“

Die Sternenseite

Als ihm die Kerze trotz dicker Batzen Heißkleber auf den Händen ständig umgefallen ist, hat man sie ihm weggenommen. Die dünnen, langen Arme hält er starr nach vorne ausgestreckt, einer davon ist ein wenig länger als der andere. Seine leeren kleinen Kinderhände stecken in  Fäustlingen,  gegen die Kälte. Die Proportionen seiner Gestalt sind außergewöhnlich, ein kurzer Oberkörper geht über in ein langes Untergestell, er scheint extrem lange Beine zu haben, die sieht man aber nicht, denn  alles wird verborgen von einem bodenlangen  Gewand. Es ist weiß und hat ganz zarte, himmelblaue Tupfen, auf der einen Seite sind da auch noch viele große und bunte Sterne. Auf dem Rücken ist ihm ein Flügel herausgewachsen, so blau wie der Himmel an einem Sommertag. Seine sehr blonden leicht gewellten Haare trägt er als eine Art Pagenkopf, er hat sehr rote Backen und einen dunklen, etwas stechenden Blick.

Eins seiner Geheimnisse ist, daß man ihn nur von der Seite sieht, eigentlich von zwei Seiten, im Profil. Auf der einen Seite, der mit den Sternen, da scheint er ein wenig fröhlicher und redseliger zu sein, er hat den Mund offen, um was zu sagen …

Auf der anderen Seite schaut er so, als wäre er ziemlich genervt, die blonden Haare streng nach hinten gekämmt, und täte grad loslegen, um seine Meinung zu sagen, der Flügel ist aber auch auf dieser Seite himmelblau. Die Arme hat er entweder nach links oder nach rechts ausgestreckt, wohin er genau schaut, ist nicht feststellbar, denn er schielt ein wenig in alle Richtungen. Bei mir streckt er die Arme nach Osten, Richtung Salzburg also. Er ist zwar sonderbar, aber er scheint schon ein Engel zu sein … was wäre er sonst … ein Vogel hätte keinen so dicken Bauch, aber sicher zwei Flügel … und ein Mensch könnte zwar einen dicken Bauch haben, aber sicher keine Flügel, nicht mal einen, nicht wahr?

Die Katzen gehen nur mehr mit Abstand an ihm vorbei, seit er bei dem Versuch, sich an ihm zu reiben, zu wackeln begann und mit lautem Gepolter umgefallen ist.

In welcher Mission ist er hier gelandet, die Arme ausgestreckt, fluguntauglich und alleinstehend ohne Füsse mit einem offenen Mund, der nichts sagt?

„Unterste Charge“, wie H.M. Enzensberger seinem bösartigen Besucher einst andichtete, ist meiner sicher nicht, eines Tages war er einfach da und ist geblieben, wir pflegen keinerlei Konversation und sind uns zwar immer noch fremd, aber wir haben uns aneinander gewöhnt und seine Sterne leuchten so schön.

 

24 T. – Mutmaßungen … Tag 24: Über Wunder

Der gnadenlose Föhnwind streicht lauwarm ums Haus und durchs Herz und wirbelt die Gefühle durcheinander, Sehnsüchte, Hoffnungen, Irrsinn, Wahnsinn, Traurigkeiten, alles taucht auf und wieder unter … und im Radio bringt der Lieblingssender John Coltranes Platte:  A Love Supreme. Wer sich auf das Wunder dieser Musik einläßt, tut dies auf eigene Gefahr, irgendwann kommt eine Schwelle, wenn man die überschritten hat, gibt es kein Zurück mehr. Wahrscheinlich ist das mit allen Wundern so, auch mit dem Weihnachtswunder. Plötzlich taucht die Frau mit der Katze schon am Nachmittag um halb drei Uhr auf. Sie ist in den letzten Jahren eine Art Begleiterin geworden, sie ist ein wenig plemplem, aber auch sehr weise. Heute ist sie außergewöhnlich redselig zum Thema Wunder und ich lasse sie reden.

Ich schaue mit großer Freude auf das diesjährige Projekt der 24 T. – Mutmaßungen zurück und bedanke mich herzlich bei meinen beiden Mitgestalterinnen, Ulli Gau und Kraulquappe! Es war eine ganz Wunder – volle Zusammenarbeit, unkompliziert und in jeder Hinsicht bereichernd!  Wir sind Text für Text und Bild für Bild gemeinsam nebeneinander, vor-und hintereinander durch die Adventszeit gegangen und haben unsere Arbeiten hier zwischen Himmel und Erde in die  Welt hinausgeschickt. Über uns die Wilde Jagd und Frau Percht, die sagt: „Sei die, die Du bist … ich bin es auch.“

Liebe Kraulquappe und liebe Ulli, es war einfach schön mit Euch! Auch an alle, die mit gelesen und -geschaut und kommentiert haben : Vielen vielen Dank, was wären wir denn ohne Euch, seid aufs Herzlichste gegrüßt!

Uns Allen wünsche ich , daß wir es schaffen, lieb zueinander zu sein und um Mitternacht gemeinsam zu den Sternen hinaufzuschauen, was sonst sollten wir tun in dieser Heiligen Nacht.

Frohe Weihnachten!

Bild und Text:
Margarete Helminger