Archiv für den Monat: Juli 2018

ach ja … „a sigh is just a sigh“ …

Automassen wälzen sich von der ständig verstopften Autobahn über alle Bundesstraßen durch das Tal, Tag und Nacht. Seit April schwebt die Idee des Jahrhundertsommers über dem Land und erzeugt massiven Wohlfühl – Leistungsdruck. Ich stehe stundenlang im Stau und blicke in mißmutige, abgehetzte Gesichter, denen dort, wo sie herkommen das Glück weggelaufen ist und die wohl meinen, wenn sie ihm möglichst schnell hinterher rasen,  könnten sie es einholen … man bewegt sich einfach mal in Richtung Süden, und wenn man der Autobahn München – Salzburg folgt, dann wird schon irgendwann das Mittelmeer auftauchen, da wird es dann an die Strände gespült … das Glück … und mit ihm die Leichen von den Ertrunkenen, die  über´s Meer gekommen sind, auch sie getrieben von der irren Hoffnung, es könne ein wenig Glück für sie am Strand übrig sein. Alle paar Tage schwemmt es tote Babies an, wer kann das noch aushalten ohne schreiend durch die Gegend zu laufen.

Ich lebe in einem sehr schönen und sehr reichen Bundesland. Täglich wird in Bayern eine Fläche von ca. 14 Fußballfeldern zubetoniert mit Gewerbeparks, die kein Mensch braucht und mit unzähligen Einfamilienhäusern mit beheizten Doppelgaragen mit Blick auf die Berge. Den Kühen werden die Hörner weggebrannt, die saftiggrünen Wiesen sorgen mit fünfmal Mähen im Jahr für gleichbleibende Milchleistung, die unnütz ist und mies bezahlt.  Das Land ist reich an Industrie, florierendem Massentourismus, Schneekanonen , Alpenglühen, man pflegt sorgfältig die Klischees, trägt Dirndl, spricht charmantes südliches Hochdeutsch und fliegt im Winter auf die Seychellen. Nachbarshäuser haben Sprech- und Alarmanlagen, weil es  doch seit Jahren irgendwo paar Flüchtlinge gibt, die bedrohlich viel Geld kosten und von denen man nicht weiß, wo sie sich herumtreiben. Die Internetversorgung ist schlecht, deshalb verspricht der aktuelle Ministerpräsident, ganz viel Glasfaser nachschieben zu lassen. Im Herbst ist Wahl. Die einen behaupten, sie hätten zurecht Recht und fürchten sich davor, daß das Volk den anderen noch vielmehr Recht gibt, weil die noch viel mehr zurecht Recht haben. Deshalb strengen sich alle recht an und stellen ihre Kraft zur Schau. Das politische Schmierentheater spielt eine lang geprobte Posse, ein Lehrstück aus dem Inneren des patriarchalen Tempels: ein ausrangiertes Alphamännchen, das sich für Gottvater hält, neidet seinem Nachfolger dessen an sich gerissene Macht und rennt wie Rumpelstilzchen um die Chefgöttin herum, die es seiner Ansicht nach nur gibt, weil ER sie erschaffen hat, die aber undankbar viel zu wenig auf ihn hört und ihn auch noch Kraft ihres Amtes falsch eingeparkt hat … die Handlung ist zäh, irgendwann kapiert niemand mehr, um was es eigentlich geht und warum das alles so ein Drama sein soll, die Rollen sind nicht sehr glaubhaft, am ehesten noch die der Chefgöttin, die in all dem Tohuwabohu aufgeregter Männchen und deren Speichelleckern bewundernswert die Contenance bewahrt.

Und während das Volk gebannt auf die Bühne starrt, treiben die Toten auf dem Meer und ein Schiff voller Menschen darf nirgendwo einlaufen, denn wir wollen es denen jetzt mal richtig zeigen, wenn sie nicht daheim bleiben, da wo sie herkommen, dann sollen sie halt ersaufen, gell, liebe Regierung, so soll es sein, so sichert man die Grenzen unseres geliebten deutschen Vaterlandes. Meine Güte, wie ich mich schäme für all das,  ich verneige mich in großer Achtung vor dem Kapitän dieses Schiffes, der sich jetzt kriminalisiert vor Gericht befindet …

Endlich dieser warme Regen, er läßt die Last dieser Schwüle sanft zu Boden sinken.  Der Sommer ist eine Illusion, er hält nie, was er verspricht …  wenn er beginnt, hat er gleichzeitig schon seinen Höhepunkt überschritten und alles wird rückläufig … le petit mort … die Bezeichnung für den Liebesakt und die Sommersonnenwende … alles genauso flüchtig wie die Kirschen … kaum sind sie reif, geht alles ganz schnell, sie werden immer dunkler und süsser und noch süsser und schon sind sie eingetrocknet und es ist, als wären sie nie gewesen. Vier große alte Bäume voller Kirschen. Die Elstern hatten viel zu tun. Der Mond der reifenden Beeren wird sich bald zeigen und mit ihm wird mein Leben auf die Route 66 zusteuern.  Kaum haben wir in der längsten Nacht die roten Röcke fallenlassen und in wilder Nacktheit die Sonnenwende betanzt, kichernd die Gesichter geheimer Liebschaften im Wasser spiegeln gesehen und das Kräutlein, das unsichtbar macht gesucht … schon ist wieder alles vorbei und doch hat es soeben erst begonnen.

Selber alt geworden gehe ich herum im alten Haus, ich bin nicht alleine, viele Dagewesene  gehen mit mir, und ich freue mich auf die Kommenden, die bald die Räume mit Lachen und Plaudern füllen, viel ist noch vorzubereiten, aufzuräumen, um Platz zu schaffen. Ich finde einen großen Sack voller Zöpfe aus Flachs, Jahrzehnte lagern sie irgendwo, sind sie 50 oder 100 Jahre alt? Ihr Duft nach Stroh und Getreide steigt mir in die Nase und Bilder steigen in mir auf und überfluten mein Herz. Ich erinnere mich an Strohgarben, mit diesen ganz speziellen Stricken geschnürt, die am Ende so Holzklöppel hatten, blaue, rote, gelbe … ich rieche den Staub und den Sommer und den Schweiß meines Vaters, der sich sehr plagen mußte, um die Strohballen nach oben unters Dach zu werfen. Plötzlich spüre ich den Stoff seines Hemdes und seine kitzelnden Bartstoppeln, wenn er mich immer wieder hochhob, mich an sich drückte und mir ein großes „Zwickerbussi“ gab, weil er sein kleines Dirnderl einfach so liebhatte. Viele Spuren in die bäuerliche Vergangenheit führen durch Haus und Hof, viele Relikte künden von schwerer Arbeit , nehmen Platz weg, versperren den Weg und verstauben … und es gibt immer Menschen, die sagen: verkauft doch alles bei Ebay, das alte Zeug ist sehr gefragt oder werft doch den ganzen alten Krempel weg. Es gibt Dinge, wenn ich die in irgendeinen Container werfen täte, dann würde mein Herz mit hineinfallen.

Zur Bearbeitung von Flachs wurde in den Wintern in einem „Brechelbad“ gut eingeheizt, Wasser erhitzt und alten Geschichten nach gab es dann so eine Art Sauna und es wurde sich vergnügt und manch eine Lustbarkeit wurde ausgetauscht, diesen alten Geschichten zufolge, denn es wurde nicht nur Flachs, sondern auch Hanf gebrechelt … solange, bis die Kirche einschritt, dem Vergnügen ein Ende machte und die Kräuter- und liebeskundigen Frauen auf die Scheiterhaufen warf. Ganz in der Nähe unseres Hofes gibt es diesen Platz, wo das Brechelbad in ganz alten Zeiten stand, man erzählt sich, daß die Erde dort deshalb so schwarz ist, weil sie im Winter soviel einheizen mussten für das „Haar“! Wenn der Flachs von den hölzernen Stengeln befreit war, wurde er über solche Eisenraffeln gezogen, die noch bei uns herumhängen, er wurde gekämmt und hieß anschließend „Haar“.  Ich lasse die Zöpfe durch meine Hände gleiten und denke an die Königin im Märchen, die aus Flachs Gold spinnt  und an eine im Norden, die ich sehr mag , ich erinnere mich an ihren langen goldenen Zopf und an ihr Feenkleid … wie schön muß es sein, zusammen mit ein paar Frauen im Winter in der Stube zu sitzen und das Haar zu Fäden zu verspinnen und dann das rupfene Tuch daraus zu weben … begleitet von Lachen und Weinen und unzähligen Geschichten … die Zeit, wo kommt sie her, wo geht sie hin … geh ich neben ihr her, laufe ich ihr davon oder stecke ich sie in mein großes blaues Tuch, verknote die Zipfel und hänge es an meinen Wanderstab und gehe einfach weiter über Stock und Stein …

Wieviele Wege sich doch kreuzen in so einem Leben, denke ich, Menschen kamen auf mich zu, gingen an mir vorüber oder blieben ein wenig stehen, gaben mir die Hand, lehnten sich an, manche brausten mit Getöse in mein Herz vorne hinein und hinten wieder hinaus, manche ließen was da, manche nahmen alles wieder mit, manche blieben ein Weilchen, manche sorgten für Aufruhr und manchmal passiert es, daß sich jemand in meinem Herzen in einem Winkel zusammenrollt, ganz still ist, nichts tut und nichts verlangt, aber dann, wenn kalte Winde mich frösteln lassen, eine warme Decke hervorzaubert … ja, es wird nichts leichter, wenn man alt wird, der Körper verfällt zusehends und immer mehr erkenne ich, daß das Leben aus Abschiednehmen und Loslassen besteht, und ob das mit der Weisheit was wird bei mir ist bis jetzt nahezu ungeklärt, ich bin eine unverbesserliche alte Löwin, immer auf der Jagd nach Drachen, Sonne und Mond und dem Meer dazwischen und nach Musik, Worten und vor allem und immer wieder nach Menschen, von denen ich einfach nicht genug bekommen kann …  und ich bin immer hungrig, denn meistens hab ich auf halbem Wege Mitleid mit der Beute …

Und als jetzt mal ein lieber Freund einfach so sagte: „Du bist so wunderbar, hat Dir das eigentlich heute schon wer gesagt?“ … da hab ich mir gedacht: ich werde weiterhin Drachen jagen, schräge Musik hören und Menschen nerven mit unmöglichen Ideen … was kann mir denn schon passieren, solange es jemand gibt, der sowas sagt zu mir?

Und letztendlich ist es ja so: Herzensangelegenheiten kommen und gehen und manchmal bleiben sie.