Hier in Bayern wird mal wieder herumexperimentiert, wie weit man sich der dunklen Seite der Macht nähern darf, bis sie alles verschlingt. Die Zeitung deckt einen Vorfall auf aus der Vergangenheit des Regierungszweiten, von dem wird erst mal alles abgestritten und dann bekennt der Bruder, daß dieses unsägliche antisemitische Geschreibsel, dessen braune Soße aus der Schultasche des damals 17 jährigen Hubert A. getropft ist, eigentlich von ihm verfasst wurde. Ob es reicht, das Ganze als Jugendstreich abzutun ist fraglich, vor allem, wenn man sich den weiteren politischen Lebensweg des H.A. ansieht und vor allem, was er so an Hetzsprüchen von sich gibt. Die Meute der Ewiggestrigen erteilt die Schuld an allem der Süddeutschen Zeitung, die dieses Schlamassel ja angerichtet hat, derweil die Luxuslimousine mit Fahrer darauf wartet, den Vize zum nächsten Einsatzort zu bringen. Eine dunkle Wolke legt sich über den Landesvater und seine Regierungsgeschäfte, es bleibt zu wünschen, daß er sie sieht und handelt.
milch tilgt
die nacht
über deinem gesicht
harfen
noch sterne
die mondenden
augen
taumeln
in finsternissen
wimmert der wolf. (Tom Riebe)
Um mich herum ist seit Monaten von Krankheit die Rede. Menschen, die mir nahestehen, müssen viele Stunden in Wartezimmern sitzen, über Diagnosen zittern, sich vor Therapien ängstigen und sie doch erhoffen, unzählige Untersuchungen über sich ergehen lassen und sich wie in der Kfz-Werkstatt Ersatzteile einbauen lassen und den Preis dafür zahlen. Ich kann nichts tun außer da sein, trösten, fragen, stützen, beten, Kerzen anzünden und hoffen, daß man gemeinsam die Lasten tragen kann. Das alles kostet nebenbei auch sehr viel Kraft, nimmt mich mit und macht mich müde. Leute sagen zu mir, ich sei sehr empathisch. Das Wort Empathie ist erst seit ein paar Jahren im Umlauf und hört sich an wie eine Mischung aus Apathie und Enphysem und ich habe immer ein komisches Gefühl, wenn es jemand über mich verhängt, meist mit einer anerkennenden Geste, die mir nicht behagt. Viele Jahre meines Lebens war ich überzeugt davon, daß jeder Mensch sein Gegenüber in seinen Empfindungen spüren und sich selbstverständlich in die Gefühlswelt der/des anderen automatisch hineinversetzt, wenn man miteinander spricht. Die extreme Durchlässigkeit ist ein Geschenk, gleichzeitig ziemlich anstrengend und manchmal ein Fluch. Niemand sucht sich das aus, man wird mit dieser „dünnen Haut“, wie mein Vater es nannte, geboren.
wenn der wind um dein haus streicht
bin ich sein tiefster ton
fürchte dich nicht
ich singe nur
ein lange vergangenes lied
schrill kommt es dir vor
bedrohlich –
dabei klagt es nur leise
und weint für sich selbst
einsam bricht es an allen winkeln
damit du es nicht mehr hören musst
stille wird sein
und singen
immerdar
fürchte dich nicht! (Tom Riebe)
Das Licht hat sich in den letzten Wochen schon verändert, der Himmel wuchs tiefer in seine blauen Unendlichkeiten hinein, die Hitze verlor nach und nach ihren aggressiven Unterton und wurde zur wärmenden Umarmung. Jetzt ist seine baldige Ankunft schon zu riechen, er schickt im Wald Geruch nach Harz, Pilzen und moosige Erde voraus. Und wenn er kommt, schüttelt er die Bäume, Äpfel und Nüsse fallen ins Gras. Er, der Herbst, wird Schwaden hinter sich herziehen und das Nebelmeer wird sich im Tal ausbreiten und dann werde ich spazieren gehen auf dem Meeresboden.
wenn der mond mir
den arm langsehnt
rundet er
winziggroß
in meiner achselhöhle
enge ihn aus
es gibt keine zeit
des verweitens. (Tom Riebe)
Diese wunderbaren Gedichte und noch viele mehr stammen aus dem Buch: „herzwelk“, von Tom Riebe, illustriert von Marcel Herms. Das Buch ist bei Molokoprint erschienen. Eigentlich ist das Buch eher ein etwas fülligeres Heft und reiht sich bescheiden und ohne großes Tamtam, wie es Toms Art zu sein scheint, in die lange Reihe ein von Versensporn, Hefte für lyrische Reize.
Ich versuche seit Stunden herauszufinden, wer Tom Riebe ist … er trägt seine Vita nicht gerade auffällig vor sich her, gebe auf, sag nur das, was ich weiß und alles andere erfährt man zumindest teilweise auf der Seite von Versensporn. Ich weiß, daß es einen von ihm gegründeten Verein in Jena gibt: „Poesie schmeckt gut“. Und es gibt eine Musikkneipe, in der eine Ausstellung von Toms Bildarbeiten hängt. Wenn die Kneipe in Jena nicht über 500 km entfernt wäre, dann hätt ich mir das schon längst angesehn im Alster
Ich bin auf Tom Riebe in Facebook aufmerksam geworden, da sind immer die neuen Hefte abgebildet. Wunderschön gemacht, mit Gedichten von längst vergessenen oder sonstwie verlorenen KünstlerInnen, deren Arbeiten er viel Zeit für Recherche und Klärung der Rechte widmet und ihnen Biographie und eine berührende, liebevolle Würdigung schenkt. Wer schon mal alleine nur Rechte abklären wollte, weiß, was für Arbeit da dahintersteht. Ich wollte mal unbedingt ein bestimmtes Bild von Edgar Ende für meinen Blog haben … eine unglaubliche Prozedur, Verhandlungen mit Erbengemeinschaft und deren Vertretung, meine Güte, und dann noch immense Kosten … ich habe aufgegeben und mir geschworen, nur mehr eigenes Material zu veröffentlichen, oder halt in Absprache mit einem noch lebendigen Künstler. (Danke Tom!)Reich wird er davon nicht, die Hefte kosten 4,00 Euro. Es scheint ein Herzensprojekt zu sein und wer es unterstützen möchte, dem kann ich es nur empfehlen!
„herzwelk“ liegt neben mir am Tisch. Die Gedichte wollen nichts sagen. Möchte ich sie beschreiben, werden sie unsichtbar. Meine Suche führt nicht in sie hinein. Aber sie halten sich längst auf in meinen Innenräumen. Dort lehnen sie an den Wänden. Im Vorübergehen streifen sie meine Seelenhaut.
wie eine alte rose ist mein sein
ganz aufgefächert
und vom rande her welk
nacheinander fallen die blätter
das ist schön zu nennen
und gut. (Tom Riebe)
Dank an Dich, lieber Tom!
Da schreibt die Kraulquappe