Archiv für den Monat: November 2014

Zeit…

Ein paar Himbeeren immer noch, sehr rot, sehr kalt. Der Estragon klein und mickrig, wollte nicht recht wachsen; ob der einen Drachen anlocken kann? Die Geranien blühen, wie den ganzen Sommer nicht! Wollen sie draussen bleiben in der Gefahr, eines Nachts zu erfrieren oder möchten sie hinein, um im Haus zu verdorren? Jedes Jahr die gleiche Frage und wieder keine Antwort, die ich dechiffrieren könnte. Bei allen Nachbarn sind sie längst auf dem Misthaufen gelandet, längst, seit vielen Wochen ist in allen Gärten und um die Häuser herum alles abgeschnitten, aufgeräumt, weggeschmissen, damit Ordnung herrscht. Ich hab wieder alles hinausgeschoben wie immer, sehe dem Verfall zu. Ein paar Igel rennen und fressen um ihr Leben.

Das alte Haus schweigt.

Die prallen Knospen der Rosen bleiben einfach so hängen und tun gar nichts.

Die kleinen Katzen klettern hoch hinauf in den Hollerbusch.

Um mich herum ist das Jahr in die Knie gegangen. Ich fröstle am Rande des Daseins entlang, es wird blau vor den Fenstern.

 

Die Zeit wälzt ihren Tagesleib

Hinauf ins Haus der

Blauen Stunde

Bürstet sich den

Sand aus dem

Haar und fällt

Nachtblind im

Abendgewand

In den

Tintenschwarzen

Bach

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Gefahr ist mein Geschäft

„Als ich wieder zu mir kam, blendete mir das Licht aus den Fenstern gegenüber direkt in die Augen. Mein Hinterkopf schmerzte. Ich betastete ihn, und er fühlte sich klebrig an. Ich wälzte mich langsam herum, wie eine Katze in einem fremden Haus, brachte mich auf die Knie und langte nach der Flasche Scotch auf dem Taburett am Ende der Couch. Wie durch ein Wunder hatte ich sie nicht heruntergerissen. Ich war im Fallen mit dem Kopf auf den prankenartigen Fuß eines Sessels geschlagen. Das hatte mich weit schlimmer mitgenommen als der Schwinger des jungen Jeeter. Die Blessur an meinem Unterkiefer konnte ich zwar auch durchaus spüren, aber sie war doch nicht wichtig genug, als daß ich sie extra in mein Tagebuch hätte eintragen mögen.

Ich erhob mich auf die Füße, nahm einen soliden Schluck von dem Scotch und sah mich um. Es gab partout nichts zu sehen. Das Zimmer war leer. Es enthielt nur noch Stille und die Erinnerung an ein hübsches Parfüm. Eins von jenen Parfüms, die man erst bemerkt, wenn sie fast verschwundn sind, wie das letzte Blatt an einem Baum. Ich betastete erneut meinen Kopf, berührte die klebrige Stelle mit dem Taschentuch, kam zu der Überzeugung, es lohne sich nicht, deswegen groß Geschrei zu machen, und genehmigte mir einen weiteren Drink.“

Raymond Chandler:  Gefahr ist mein Geschäft

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Fische im Nebel

Der Nebel umschließt mich und das Rad, nur langsam trete ich mich hindurch.

Warum hörte mich wieder niemand, obwohl ich doch laut schrie vor Verzweiflung? Und warum hörte niemand in dem ganzen Gequatsche, daß wir uns nichts, gar nichts, zu sagen hatten? Viele Worte wurden gemacht, um darüber hinwegzutäuschen, daß es nichts zu sagen gibt, oder wir das, was wir  eigentlich sagen sollten, nicht sagen wollten. Viel lautes Gelächter obwohl uns nicht zum Lachen war. Die Luft knirschte wie beim Gehen über Glas.

Jetzt gibt es nur noch Nebel, weit und breit niemand, große Einsamkeit streicht mir mit naßkalten Fingern über das Gesicht.

Warum hört man meine Verzweiflung nicht?

„Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn in der Engel Ordnungen…“(Rilke)

Wahrscheinlich, weil ich zwar rede und doch stumm bin wie ein Fisch.

Der Fischeteil meiner Natur, jetzt fällt er mir ein. Ja, ich wäre gerne unter meinesgleichen. Das Dilemma der Fische: Alles Hören, alles Spüren, auch das noch nicht Vorhandene, alles, alles, auch das, was nicht gesagt wird, laut, laut…die andren hören es nicht und die anderen hören mich nicht, die anderen sind taub und ich bin stumm…im Meer möchte ich sein, unter meinesgleichen brauchen wir nichts zu erklären, wir verkehren in immerwährender Spürung miteinander, wir gleiten aneinander vorbei und wechseln die Farben zum Gruß…jederzeit können wir verschwinden, wir haben das große, unendliche Meer zur Verfügung.

Der Nebel wird immer dichter, kaum mehr fünf Meter sehe ich, meine Einsamkeit entpersonalisiert sich, als ich akzeptiere, daß sie da ist, alle haben sie, wir leben zusammen und sind doch alleine und so ist es einfach. Hab Dank, Nebel, die Konturen verschwimmen, ich verschwimme, alles verschwimmt, unter uns der Meeresgrund.

Geheimnis im Schrank

Geld hatten wir nie, sondern Schulden, Streit, jede Menge Sorgen und einen Bücherschrank. Den Geruch beim Öffnen der Tür habe ich noch heute in der Nase. Es war mir verboten, in diesen Büchern zu lesen. Das sei nichts für Kinder, hatte es geheißen. Sie schienen Recht zu haben, denn obwohl ich sehr gut lesen konnte und hungrig war, blieben alle Versuche vergeblich, die Geschichten in den Büchern haben sich mir nicht erschlossen und standen mit ihren Geheimnissen im Schrank herum.

Ein Buch hätte ich so gerne gelesen, weil es meinen Eltern für kurze Zeit ein strahlendes Glück ins Gesicht gezaubert hat. „Von neun bis neun“, von Leo Perutz. Sie nahmen es sogar mit aufs Klo und meine Mutter stand an einem Werktag vorgebeugt am Eßtisch, hatte die ganze Arbeit ringsherum vergessen und las, verschlang, dieses Buch! Dann, als sie es endlich beide ausgelesen hatten, erzählten sie sich von ihren Erlebnissen, aufgeregt über den Inhalt aber vor allem über den Schluß des Buches. Nicht oft habe ich sie so glücklich gesehen, anscheinend, denn sonst wäre mir diese Begebenheit nicht seit annähernd 50 Jahren so deutlich in Erinnerung geblieben.

Vor allem die Mutter, lesend am Tisch stehend, auf die Ellbogen gestützt, versunken in einer anderen Welt. Daneben das Sofa, auf dem sie ein paar Jahre später tot daliegen wird.

Ja, natürlich habe ich dieses Buch ergründen wollen. Unzählige Male habe ich es gelesen, die Geschichte ist dermaßen verschachtelt und rätselhaft, sein Zauber kaum nachzuerzählen. Ein erfolgreicher Student, der viele Kapitel lang seine Hände unter dem Paletot versteckt hält…man muß da hineintauchen und sich ausliefern bis zu einem Schluß, der so genial wie verwirrend ist, daß ich ihn von Mal zu Mal vergesse! Meisterhaft erzählt, spannend und nervenaufreibend.

Ich hatte Leo Perutz lange Jahre vergessen, anscheinend die übrige Welt auch. Erst in den letzten Jahren ist er wohl wieder ins literarische Bewusstsein gelangt, Jorge Luis Borges verehrte ihn, merkwürdig, welchen Weg Geschichten manchmal nehmen!

Leo Perutz, geb. am 2. Nov. 1882 in Prag, am 25. Aug. 1957 gest. in Bad Ischl.

Nach der Lektüre von : „Der schwedische Reiter“ u. „Der Meister des Jüngsten Tages“ hat er mich so in seinen Erzählbann gezogen, daß ich alles lesen werde, was ich kriegen kann, der nächste Roman wird sein: „Wohin rollst du, Äpfelchen…“ Sein Schreibstil wird manchmal als Phantastischer Realismus bezeichnet, Borges hat ihn auf seine Liste der besten Kriminalautoren gesetzt, Traumdeutung Freud könnte einfließen, was weiß ich alles…die Geschichten sind merkwürdig, rätselhaft. Man hat es nicht leicht beim Lesen, wird in Irrgärten herumgeführt und wenn man endlich weiß, wo der Ausgang ist, dann gibt es völlig unerwartete Wendungen und wenn es das Nachwort ist, das alles bisher Vermutete völlig in Frage stellt.

Und diese Sprache, für mich klingt sie nach Prag, Wien, Karlsbad und alles dazwischen und  nach verschwundener Familie, verblassten Bildern und viel Theater und nichts wirklich und doch …Erinnerung…an was? Heimat?

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Alte Kräfte

Bei Luisa Francia habe ich grade vom Einklang mit den alten Kräften gelesen. Die alten Kräfte, das ist nicht irgendein esoterischer Hokuspokus, sie meint, es ginge da um Leere, Klänge, Düfte, das Träumen etc. Ja, das kann ich auch spüren, daß die „alten Kräfte“ diese elementaren Kräfte sind, die uns umgeben, die in uns sind…eigentlich brauchen wir doch nur wirklich da – sein, das reicht. Das Gebirge ist in jedem Stein am Bach, das Meer in jedem Wassertropfen, das ganze Universum in den Augen einer Katze. Und in dem Zustand, den wir am meisten fürchten, die Leere, da ist Alles.

Wir haben Föhn.

Ein warmer Wind fällt irgendwo von den Bergen herunter und kehrt das Inwendige nach aussen, alles wird überdeutlich, wie unter einem Vergrößerungsglas entlarven sich alle falschen Absichten, unwahren Bemühungen, es wird überdeutlich, was nicht  „Authentizität der Gefühle“  bedeutet, wie es George Tabori formulierte.

Eigentlich ist gar nichts mehr möglich. Beim Blick auf die Berge, die mit einem Blau gefärbt sind, das man nicht fotografieren kann, weil es sich nur im eigenen Wahn zeigt, umweht von einem lüstern-penetrant-perversen warmen Wind, der sich in uns hinein schlängelt und schmatzend die Seele ausschlürft, kann man sich nur noch hinsetzen und alles lassen, alles, alles auf sich beruhen lassen. Sein.

Föhn, alte Kraft.

 

Hinunter

Foto

Bild:  Louwit

Da stehen wir nun, am Platz der Wilden Frauen, in der Nacht vor Allerheiligen. Halloween. Samhain. Eine Handvoll Frauen, nicht mehr die Jüngsten, vom Leben längst desillusioniert, von Alltagspflichten gestresst, haben wir noch Träume? Was suchen wir am Bach, in diesem finsteren, kleinen Gehölz? Die Membran zwischen drüben und hier soll durchlässig sein in dieser Nacht, sagten die Alten. Viele Geschichten spinnen Fäden um das Hier und das Dort, das Oben und das Unten, der dunkle Fluß, über den wir irgendwann müssen; Charon, der Fährmann, Skorpionmenschen, die uns begleiten…alles schwer verständlich. Wir entscheiden uns, einer Spur zu folgen, die der alten Göttin Inanna, die die Ohren spitzt und ihre Schwester hört, tief unten…

Wohin absteigen? Der Mythos rätselhaft, die Aufgabe, in uns hinunterzusteigen, um der dunklen Schwester zu begegnen, ach, schwierig, sehr schwierig, wo ist sie, wie höre ich sie denn überhaupt? Vor dem Abstieg in das Reich der Schatten opfern wir das Sprechen. Die Rassel begleitet eine Trancehaltung, wir versuchen, zu horchen. Das ist schwer, sehr schwer. Durch das Tal donnert der Verkehr. Um uns herum die Kalbinnen vom Nachbarn mit dem unsinnigen Glockengebimmel. Der Bach rauscht heute so laut wie nie. Am lautesten brüllt das immerwährende Geschwätz in den Köpfen von unerledigten Verantwortlichkeiten, von Familienversorgungen, wir sind zu ernüchtert für alte Mythen, die Rituale vergessen…wenn nicht diese Sehnsucht wäre, die es trotzalledem gibt in uns nach fremden Welten, nach Urmeeren und fernen Galaxien und einer wohlmeinenden Göttlichkeit, die es nicht im Reisebüro gibt. Und wir ahnen, daß diese Reise, soweit sie auch hinaus ins unendliche Universum führt, eigentlich eine Reise nach innen ist, da hinein reisen wir wirklich.

Der Eingang ist verborgen. So stehen wir da. Nebelfetzen umhüllen uns, ein fahler Sichelmond hängt im Buchengeäst. Wir ergeben uns.

Und, was haben wir erhorcht? Was hat sich gezeigt?

Nichts Konkretes. Aber eine Ahnung davon, daß es noch viel tiefer geht in uns, daß wir noch viel tiefer hinunter müssen und dabei weder was erwarten, noch was wünschen, und schon gar nichts fordern dürfen, dann vielleicht, aber auch nur Vielleicht und nur, wenn sie Lust dazu hat, wird die Dunkle Schwester uns das Wissen der Nacht lehren.

Es wurde irgendwann ziemlich still und plötzlich haben wir gejodelt, den „Alperer“.

Die  Antwort auf eine Frage, die wir gar nicht gestellt hatten.