Archiv für den Monat: Juli 2016

Reich

Am 24. Juli um halb zehn Uhr abends, vor unglaublichen 64 Jahren, ist mein Vater mit dem Motorrad heimgekommen und hat glücklich und aufgeregt ins alte Haus hineingerufen:
„a Dirndl hamma, jetzt mog i a Halbe!“

Am Tisch sitzen zwölf Leute im alten Getreidekasten, mit vielen Kerzen, denn es gibt dort keinen Strom. Alle sind gekommen, um mit mir in mein neues Lebensjahr hineinzufeiern. Wir teilen alles, den Braten, den Wein, das Bier und unsere Geschichten. Mit vielen verbindet mich jahrzehntelange Herzensfreundschaft. Es wird durcheinander geredet, laut palavert über Sorg und Leid aber auch über die ganzen „wisst Ihr noch, als wir damals…“ und was wir alles schon miteinander erlebt haben, wo wir schon überall auf Exkursion waren, weil ich wieder einer geheimnisvollen Geschichte auf der Spur war, die in Radlkeller statt Kulthügel endete. Und auch darüber, daß überall auf der Welt sich die Menschen gegenseitig totschießen. Und wir sitzen hier und uns laufen die Tränen runter, weil wir so viel lachen. Ja, es gibt immer diese Gleichzeitigkeit. Irgendwo wird immer geschossen und woanders gelacht.
Ich fühle mich so beschenkt, ich sehe diese freundlich lachenden frohen Gesichter und ich frage mich:  Würden wir es erkennen, wenn einer von uns verlorenginge, depressiv würde und droht, abzustürzen…ja, ich bin sicher, wir würden uns suchen und da sein füreinander und uns halten.
Was für ein Glück, zu wissen, es sind Menschen da, auf die ich mich tausendprozentig verlassen kann.
Wir verändern die Welt nicht, wir sind nur wenige, aber  wir halten zusammen und wenn ein paar neue dazukommen, wird der Kreis einfach erweitert.  Wie selbstverständlich das junge afghanische Paar mit Baby dabeisitzt und mitlacht, wir sprechen nicht die gleiche Sprache und doch verstehen sich alle prächtig.
Augenblicke des Glücks. Irgendwann wird die Gitarre ausgepackt und die ersten Klänge jagen mir einen Freudenschauer über den Rücken. Heute darf ich mir aussuchen, was gesungen wird und wie oft und alle singen gutmütig mit, um mir eine Freude zu machen…unzählige Male mein Lieblingslied „an der Saale hellem Strande“, und nicht mehr zu zählen, wie oft wir  „Wilde Gesellen, vom Sturmwind umweht singen, weil mir
„…uns geht die Sonne nicht unter“ so gut gefällt…

…alles, alles wird gesungen, alles darf ich mir wünschen, meine Güte , wie reich ich doch bin!

„Whatever you want“…bis hin zum „Schuld war nur der Bossa Nova“…zwischendurch wird geblödelt bis zum Abwinken, manche Töne liegen nicht mehr ganz exakt, aber wir singen mit Inbrunst und aus Freude…aus purer Lebensfreude.

Beim vierstimmigen, magischen „Alperer“ – Jodler bekommen wir nasse Augen.

Und dann ist Mitternacht und Irm singt das wundervolle Lied: „Mir gehts ähnlich“ und da ich nicht genug kriegen kann davon, singt sie es halt mehrere Male.

Schade, ich hab es nirgendwo gefunden, sollte es jemand haben, tät ich mich so freuen, wenn ich es hier erklingen lassen könnte! Ich hoffe ja, daß der wunderbare Herr Ärmel das liest und…

Na, was sag ich denn, hier isses schon! (Herr Ärmel,Sie haben was gut bei mir! )

 

Ja, und irgendwann gehen alle heim oder liegen auf dem Sofa in der Stube und ich sitze vor meinen Geschenken und fühle mich vom Glück umarmt. Ich bin so reich beschenkt mit Gutscheinen für Ausflüge an geheimnisvolle Orte, Zaubergeschichten, Rosen, ein Freund schenkt in wissender Vorausschau eine Schachtel Blues vom Feinsten, um mich für das neue Lebensjahr musikalisch gut zu versorgen und stark zu machen für alles, was so kommt…einer schickt mir einen Wunsch durch die Nacht, der mir Glanz in die Augen zaubert und ein Seelenverwandter sagt, daß jetzt die beste Zeit wäre, um so richtig neu durchzustarten…soviele gute Wünsche fliegen durch alle Welten, analog und digital,

als ich um fünf Uhr am Geburtstagsmorgen ins Bett falle, bin ich nur noch dankbar und trunken vor Glück und ich denk mir, wenn ich in diesem Moment stürbe, tät ich es als reichste Frau der Welt!

Morgen werde ich zum Vater Rhein fahren, freue mich so sehr darauf, an den Großen Fluß zu kommen.

Aber heute gehe ich noch zu meiner wilden Mama und lege ihr meinen Herzensdank und eine rote Rose auf ihr Grab. Denn sie hat mir das allergrößte Geschenk gemacht:

Mein Leben.

Stockerl – Award

Ulli hat mir ein Stockerl zugeworfen, herzlichen Dank dafür!

1. Ihr Hauptcharakterzug?

Schwer, das bei sich selbst zu sagen. Was ich von anderen am meisten höre, ist, daß ich herzlich bin.

2.Was verabscheuen Sie am meisten?

Gewalt  und Gemeinheit in jeder Form

Geiz

Verrat

blödes Geschwätz zu vermeintlichen Schwächen von anderen

Die ominösen und militanten Regeln, von denen niemand weiß, wo sie eigentlich herkommen, die besagen, was eine Frau darf und was nicht und wie sie aussehen muß, damit sie eine gute Frau ist.  Am meisten ärgert mich an diesen Regeln, daß wir sie ungefragt akzeptieren!!!!

4. Wie möchten Sie sterben?

Irgendwo mitten im brodelnden Leben im Schatten eines Apfelbaums, wo ich zwischen den Zweigen den Himmel sehen kann, um mich herum lärmende Kinder,  geschäftige Menschen,viele Tiere mit Gebell und Gemuhe und Miauenund Gemecker, niemand soll sich großartig um mich kümmern, nur ab und an nach mir sehen, mir kurz über die Hand streichen und mich wieder allein lassen…mittendrin…so möchte ich langsam vergehen, wie die Wolken am Himmel weiterziehen.

4. Ihr Motto?

Wach sein, genau hinschauen, genau hinhören und in Bewegung bleiben und: no risk no fun!!!

5. Wie trinken Sie Ihren Kaffee/Tee/Milch morgens am liebsten?

Darjeeling mit Milch und Zucker

6. Wo möchten Sie leben?

Da wo ich jetzt lebe, im südöstlichsten Winkel der Republik, ist es gut. Ich brauche im Hintergrund in Sichtnähe die Berge.

7. Ihre Lieblingstugend?

Glaube Liebe Hoffnung und Humor!

8. Was ist für Sie das größte Unglück?

Jedes Unglück ist schlimm, aber das Leben hat mich gelehrt, daß aus jedem Unglück über kurz oder lang auch wieder das Glück herauswachsen kann irgendwann, wenn man sich aus der Erstarrung herausbewegt. Schlimmer empfinde ich die Gleichgültigkeit, dagegen scheint mir kein Kraut gewachsen zu sein.

9. Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück?

Ach, das Glück ist doch immer vollkommen, aber es ist halt ein Vogerl und setzt sich mal hier und mal dahin und kaum meint man, jetzt könnt man es fangen… dann fliegts auch schon wieder weg.Wenn man die Augen aufmacht ist es überall, aber immer nur einen Moment, es kann nur gefunden werden oder verschenkt. Und bei Glücksgeschenken ist mir das allerliebste, wenn jemand zu mir sagt:“Du, ich mag Dich!“

10. Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?

Das ist eine Frage, zäh wie Kaugummi. Das mit den Fehlern ist so eine Sache, wer beurteilt das zuverlässig, was ein Fehler ist…und manchmal werden durch Fehler ganz neue Sichtweisen und Bewegungen ins Leben gerufen…na ja, aber um auch diese Frage zu beantworten:
Fehler bei anderen entschuldige ich eher als meine eigenen.

11. Ihr wichtigster Lehrmeister, ihre wichtigste Lehrmeisterin?

Das Leben, in jeder Sekunde,

mit allen Hürden

und Umwegen,

die Steine im Weg,

der alte Kirschbaum,

die Blüte einer Rose

meine Mutter

die Löwin in meinem Herzen,

und die Liebe

immer wieder

die Liebe

12. Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?

Inzwischen bin ich mir sicher, daß ich alles in mir trage, um Freude, Glück und Liebe zu empfinden, was bräuchte ich mehr?

Sollte ich womöglich manchmal ein wenig mißtrauischer sein?

13. Wie groß ist unsere Willensfreiheit?

Das ist ein heikles Thema. Grundsätzlich denke ich, sowohl der Wille als auch die Freiheit sind grenzenlos und weit wie das Universum wären die Möglichkeiten. Aber wir beschneiden und begrenzen uns so sehr gegenseitig und graben uns das Wasser ab, um eine durchdesignete Welt zu kriegen…uferlos, da weiter zu denken…die Willensfreiheit scheint zweifelhaft zu sein.

14. Sagen Sie immer die Wahrheit, auch wenn Sie eine Person damit verletzen könnten?

Ja, vermutlich auch, wenn ich lüge.

15. Heilt die Zeit alle Wunden?

Nein, keineswegs. Die Zeit an sich macht gar nichts.

Wir sind es, die durch die Zeit rasen mit all unseren Verletzungen.

16. Sind Sie eine gute Verliererin?

Nein, leider ganz und gar nicht. Aber ich arbeite dran, heute mehr denn je.

17. Was ist wahr geworden, wovon Sie als Teenager geträumt haben?

Ja, inzwischen gibt es da ziemlich konkrete Hinweise, aber die sind streng geheim und viel zu intim, als daß ich sie hier verraten würde.

18. Welcher Geruch erinnert Sie sofort an früher?

Kümmel, meine Mutter hat mir Tee gekocht daraus

19. Welche Worte möchten Sie irgendwann von jemandem hören?

Daß ich ihm Glück schenken konnte.

 

Gerne gebe ich das Stöckchen weiter an:

Menachem

Crownbender

Bluedgeon

Riffmaster

Kaschpar

Die Springerin

Eulenschwinge

Ihr könnt diese Fragen hier übernehmen oder Euch selbstverständlich Eure eigenen ausdenken, wie Ihr wollt!

Liebe Grüsse an alle!

 

Zwischenstand

Die erste Hälfte des Jahres ist um, Mitsommer vorbei, ich befinde mich in der Einflugkurve zu meinem 64. Geburtstag in ein paar Wochen, ich sitze auf der Hausbank und  sehe, daß die Kakteen unzählige Knospen haben. Merkwürdig ist das schon mit diesen Stachelgeschöpfen. Früher habe ich mich wirklich um sie gekümmert, habe sie umgetopft, von Läusen befreit, Erde ausgewechselt, alles getan, damit es ihnen gutgeht und das alles immer mit blutenden Händen, von abgeschossenen Stacheln verletzt. Geblüht haben sie nie.

Seit ich sie in die pralle Südsonne gestellt habe, ihnen hin und wieder ein paar Tropfen Wasser gebe und sie ansonsten nicht beachte, wachsen und gedeihen sie prächtig.

Aus einem wächst eine große, hellgrüne Kugel heraus.

Seit ich einen Hinweis auf die eigene Sterblichkeit bekam, ist mir so klar wie nie zuvor, daß ich mir die Wünsche, die ich habe selber erfüllen muß, von alleine geht da nämlich gar nichts. Und so werde ich mein eigenes diesjähriges Lebensprojekt weiter vorantreiben: Im Land herumreisen, Menschen treffen und Stätten mittelalterlicher Kunst aufsuchen.

Eine aufregende Reise und der Besuch bei einer Bloggerin liegt hinter mir, und ich denke mit einem Lächeln an ein paar vergnügliche Tage im Café Weltenall, herzlichen Dank an dieser Stelle nochmals an Ulli für die liebenswürdige Gastfreundschaft! Wir hatten lange, intensive Gespräche miteinander bei bester kulinarischer Versorgung, und es wird sicher nicht bei diesem Treffen bleiben.

In ein paar Wochen werde ich wieder verreisen und meinen Cousin P. in der Nähe von Speyer besuchen, hab schon etwas weiche Knie vor so langen Autobahnfahrten, und finde mich mutig und sehr cool, daß ich es trotzdem mache…werd schon überall hinfinden, schließlich ist ja auch ein Navi mit an Bord!

Freu mich so sehr auf alle neuen Eindrücke, die mich erwarten, vor allem auf den Dom zu Speyer und all das, was für P. Heimat bedeutet, die er mir endlich, endlich zeigen möchte. Unsere Familie ist ja mit diesen Kriegstragödien so verwoben, wenn der Vater von P. , der Bruder meines Vaters also, nicht im Krieg gefallen wäre, dann hätte er unseren Hof übernommen, meine Mutter wäre nicht aufgetaucht und ich wäre nicht auf der Welt, mein Vater wäre sonst wo gelandet. Merkwürdige Zusammenhänge sind das im Leben.

Ja, eine Kriegsgeschichte, mein Cousin ist mit Mutter und einem neuen sehr lieben Vater in der Nähe von Speyer gelandet und hat dort sein Leben verbracht und endlich, endlich komme ich zu Besuch und werde sehnsüchtig erwartet!

Das ist ein sehr schönes Gefühl, jemandem so willkommen zu sein. Ich frag mich ja, warum ich erst jetzt…egal, bald fahr ich los, das allein zählt.

Später im Jahr wird es eine Reise nach Leipzig geben mit einer kleinen Reisegruppe, ob wir da  sakrale Bauwerke auf der „Romanischen Straße“ besuchen werden oder ob wir nur in Leipzig unterwegs sind, das wird sich zeigen, freue mich sehr, endlich mal in den sogenannten Osten zu reisen und hoffe auf viele interessante Begegnungen.

Ja, fühlt sich gut an, so als ängstliches altes Mädchen mutig loszufahren (so weit das Geld halt reicht) hungrig nach Wissen, Eindrücken, Erlebnissen, Menschen und dann neu zu überprüfen, was „heimkommen“ wirklich heißt, denn wenn man nie weg ist…

Und von den Menschen, werden welche dabei sein, mit denen was bleibt? Wer weiß das schon. Aber einen Versuch ist es doch immer wert, nicht wahr?

Immer.

Die Dunkelheit schleicht sich immer näher an die Hausbank und streicht mir um die Beine.

Die glänzende grüne Kugel am Kaktus verändert sich, um 23.45 Uhr platzt sie auf und vor mir steht die strahlende Königin der Nacht!

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