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24 T. – Erkundungen der fernen Nähe … Tag 14

Immer liegt diese unsichtbare Bedrohung in der Luft und zehrt an Kräften und Nerven. Überall waren viel zu viele Menschen unterwegs, um einzukaufen für Weihnachten. Geschenke für die Lieben. Konsum gegen Angst. Konsum gegen Einsamkeit. Konsum gegen den Tod. Und jetzt wird also alles runtergefahren, was man mit Geld kaufen kann. Was könnte man schenken, ohne was einkaufen zu müssen? Ein paar liebe Worte auf Karte oder in einem Brief vielleicht? Und wenn man selber keine Worte findet, kann man Gedichte abschreiben und verschicken. Ich erinnere mich an früher, da schickten wir uns Briefe mit Worten von Trakl oder Hölderlin oder sogar manchmal Selbstgedichtetes … ich kenne kein anderes Medium, mit dem man einen Menschen so persönlich ansprechen kann und zeigen, daß man ihn wertschätzt und nur ihn meint. Ich habe großes Glück, meine Freundin B. schickt mir unermüdlich wundervolle Briefe.

Wir hoffen, daß die schlimmen Zahlen sich wieder etwas bessern. Wir bleiben jetzt daheim. Keine Fahrten mehr vorerst irgendwo in der Gegend herum und von Abend bis Morgen ist Ausgangssperre. Mein Radius wird kleiner, meine Reise ist nicht das geworden, was ich dachte, sondern geht immer mehr den inneren Häuslichkeiten zu. Einkehr halten in sich selbst … er -innern, sich verlieren dort, wo es immer dunkler wird, und die Dämonen lauern. Wir wollen das Ungemach nicht, auf dem Weg durch den dunklen Advent könnten wir lernen, es auszuhalten. Es ist ein Ringen um Zuversicht. Das ewige Karussell dreht sich immer weiter und bald werden die Tage wieder länger und alles beginnt von vorn. Immer öfter erscheint die Frau mit der Katze und sagt merkwürdige Dinge. Ich denke mir, sie wird schon ihre Gründe haben und versuche erst gar nicht, sie zu dechiffrieren, sondern schreib sie einfach auf.

Und kürzlich hab ich bei Bludgeon ein Lied gefunden, das so wahnsinnig schön ist, daß ich es immer wieder höre.

Ernten werdet ihr, was ihr …

Das Fest Allerheiligen dürfe selbstverständlich so gefeiert werden, wie die Kirche es vorsieht, also wird es auch den üblichen Gräberumgang geben. Das sind wir schließlich unseren Toten schuldig, sagen Landesvater und Landrat in den Pressekonferenzen im neu verhängten Lockdown. Ob sich dieser Respekt vor den Toten halten läßt, wird man sehen, wenn der Wert die 300 überschritten hat, heute liegt er bei 292,6. Der Inzidenzwert war bereits am Montag  über 250 und deshalb schnelles Handeln vonnöten, die üblichen Regeln wurden verschärft, die Wohnungen dürfen jetzt nur noch aus triftigen Gründen verlassen werden. Was darunter zu verstehen ist, kann jeder mehr oder weniger selber für sich auslegen. Verboten sind zumindest für die nächsten 14 Tage alle (be-)rauschenden Festivitäten in- und aushäusiger Art in Berghütten, Zelten, Gärten und Wirtshäusern, überall da, wo sie jetzt seit Monaten längst wieder praktiziert wurden. Zweitausend Gäste werden heimgeschickt, das sorgt für großen Ärger in der Tourismusbranche, ansonsten ist alles ruhig. Ich spüre sie wieder, diese gläserne Wand um uns herum, wie vor Monaten schon und schaue auf das, was mich umgibt, mit einem Blick wie durch ein Vergrößerungsglas. Ich schaue auf das Leben, das wir in dieser Welt führen.

Eine Schar Leute schlendern auf der Gemeindestraße vor unserem Haus vorbei, im Schlepptau etliche unleidlich blickende Kinder und ein paar leinenlose Hunde … unsere Katzen wahren Contenance, verziehen sich auf die Bäume und blicken verächtlich auf das vorbeischlurfende Geschehen.

Der ehrwürdige alte Nußbaum hinterm Haus hat seine Walnüsse abgeworfen.

Reicher Ertrag auf der Streuobstwiese muß verarbeitet werden, es gibt viel zu tun, manchmal versagen meine Kräfte und ich spüre, daß ich alt werde, und dann lehne ich mich vorsichtig an den uralten Baum mit den Goldperminer Äpfeln und weine ein wenig in seine Borke. Große Pilze wachsen schon an ihm, und die Ameisen erweitern ihr Straßennetz an seinem Stamm, der Prozeß der Verwandlung hat eingesetzt … alles eine Frage der Zeit …  aber noch hat er alle Kräfte zusammengenommen und soviele kleine, aromatische Äpfel bekommen wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Im Keller steht ein 100-Liter Ballon mit Apfelmost, er blubbert schon leise vor sich hin. Gerne würde ich im Spätherbst Gäste empfangen und mit ihnen in der Stube Most trinken und Speck und Käse und frischgebackenes Walnußbrot essen. Die Gäste sind rar geworden am Hof, das liegt nicht nur an den derzeitigen Regularien zur Seuchenbekämpfung. Die Art und Weise wie unsere Gesellschaft lebt, erfordert Terminisierung überall und mit genauer Zeitplanung … da bleibt kaum Freiraum für Gespräche, so wie ich sie mir wünsche … dieses Miteinanderreden über Gott und die Welt mit offenem Ende, solang man sich halt was zu sagen hat. Immer wieder stelle ich fest, daß das Gespräch zwischen Menschen, die sich wohlwollend begegnen, der Mittelpunkt meines Lebens ist. Ich leide darunter, daß es weniger wird. Auch Freundschaften verschwinden … erst dachte ich, das würde an dieser Krise liegen … aber mit dem geschärften Blick stelle ich fest, daß vieles, was jetzt verschwindet, auch schon vor der Seuche gebröckelt hat. Ja, auch die Vermutung, daß  man erst dann weiß, ob man Freunde hat, wenn man in Not ist, birgt mehr Wahrheit als mir lieb ist. Mehrere Menschen, die sich jahrelang so verhielten, als stünden sie mir nahe, brechen wortlos den Kontakt ab. Ach, die Gefühle sind wahrscheinlich ähnlich wild und gefährlich, weder steuer- noch lenkbar wie die Viren auch, sie bevölkern den Innenbereich und sorgen für Verwirrung und Tumult … sind sie gut, lassen sie uns vor Freude hüpfen, sind sie schlecht, werden wir verzagt. Wenn wir vor ihnen davonlaufen, kommen sie hinterher, und wenn wir uns auf sie verlassen, sind sie plötzlich weg und dann sind wir traurig.

Die 89jährige Nachbarin klopft am Vormittag an die Haustür und sagt : Grete, hast Du schon für´s Mittagessen was angetragen(vorbereitet), wenn nicht, hätt ich paar Nudeln für Euch! Ja, sehr gerne wollen wir welche … sie ist eine wundervolle Köchin und die letzte, die sie noch so macht, wie früher meine Großmutter und schnell treffe ich die Vorbereitungen, denn wir essen sie nach altem Ritual. Bevor die Vanillesoße auch zu uns herschwappte und sich als pappsüß angedickte Milch, gelbgefärbt mit Puddingpulver über alle Mehlspeisen ergossen hat, weil man halt auch mit der Zeit gehen wollte und so sein wie „die in der Stadt“; da haben die Dampfnudeln einfach nur Nudeln geheißen. Im Unterschied dazu gab es die „geschnittenen Nudeln“ , für die meine Oma auf dem Nudelbrett mit dem „Nudelwalgler“ Teigplatten auswellte und Bandnudeln daraus schnitt, die dann zum Trocknen herumlagen. Es gab sie dann als Nudelsuppe oder in der Pfanne gebraten, das waren Festtage für mich und immer, wenn ich selber Bandnudeln mache denke ich an meine Oma und ein Leben lang ist es mir nicht gelungen, mich dieser Köstlichkeit von damals auch nur anzunähern.

Für das alte Ritual beim Verspeisen der Dampfnudeln brauche ich ein speziell gekochtes Sauerkraut als Vorspeise und ein Apfelkoch(dickes Kompott), das noch warm sein muß. Das Dampfnudelessen ist immer ein kleiner Festtag und ein Gedenken an die Ahninnen im alten Haus, die in großer Armut mit Nudeln und Knödeln ihre vielen Kinder ernährten und dank selber eingestampftem Sauerkraut einigermaßen gesund über den Winter brachten. Das weiße Mehl war kostbar und der Weizen teuer. Ich höre meinen Vater noch sagen: alle wollten nur die weizenen, ich hab aber auch die roggenen Nudeln mögen, die waren dunkler und wurden in der Milch gekocht und hatten einen ganz speziellen Geschmack. Ich glaube, mein Vater hatte kein gutes Verhältnis zu seiner  Mutter, in der Vergötterung des Erstgeborenen war für ihn als Jüngsten von sieben nichts mehr übriggeblieben an Mutterliebe. Vielleicht war ihr Herz irgendwann nach Not und Elend, Krankheit und zwei im Krieg verlorenen Söhnen ausgeschöpft und leer.  Immer wieder einmal sagte er: also mir ist es ein Rätsel, wie die Mutter das geschafft hat, daß wir nie hungern mussten … dann war so ein trauriges Glänzen in seinen Augen.

Kater Herbert hat einen schlimmen Abszess am Bauch bekommen nach einer nächtlichen Rauferei und wir mußten ihn behandeln lassen, heute ist Herr Graugans mit ihm in der Tierklinik, natürlich maskiert … aber bei dieser bedrohlichen Lage im verseuchtesten Landkreis Deutschlands, jeder Kontakt ist riskant … mir ist mulmig. Permanent liegt eine diffuse ängstliche Verunsicherung in der Luft. Ein verzweifelter Anruf, bitte komm sofort, der Herbert ist abgehaun! Er war (klugerweise vor der Behandlung!) aus dem Auto gesprungen und im Gebüsch verschwunden. Als ihn der Gatte fast wieder eingefangen hätte  kommt eine Frau dahergerannt , fuchtelt mit einem Ast herum und will ihn zum Auto treiben, daraufhin verkriecht er sich unter einem Haufen Altholz, wo überall die rostigen Nägel herausstehen. Herbert, dessen kätzisches Naturell weder von irgendwelchen banalen Leckerlis oder sonstwas bestechlich ist und dessen Charakterfestigkeit sich so äußert, daß er  – und nur er –  selbst entscheidet, wann er geruht, den Scherben – und Dreckhaufen wieder zu verlassen, wartet erstmal ab, bis alle Menschen und Hunde weg sind und auch der Bauer über der Straße seine höllisch laute Kreissäge wegpackt, das ist ca. nach zweieinhalb Stunden. In der Zwischenzeit hat Herr Graugans eine wichtige Videokonferenz absagen müssen …  wir sehen jetzt zumindest ein wenig weißes Fell in den Zwischenräumen von Latten und Gittern und  verhalten uns so, als hätten wir alle Zeit der Welt. Und nach einer weiteren halben Stunde taucht ein weißer Fellkopf unter dem Gerümpel auf und sagt: „Mmmrrreeeh.“ Es dauert dann noch ein Weilchen, bis er beschließt, aus der Deckung und anmutig an Scherben und spitzen Nägeln vorbei herauszuklettern. Alle drei sind wir ziemlich erledigt und fahren nach drei Stunden mit unbehandeltem Abszeßgeschehen wieder heim, froh, daß es so schnell ging , ich hatte durchaus mit einer halben Nacht Wartezeit auf dem Parkplatz der Tierkinik gerechnet.

Der Sohn der Nachbarin, ein sehr freundlicher und hilfsbereiter Mensch, der vor Freude strahlt, wenn er seine kleine Enkeltocher auf dem Arm hat, sagt: Du, wir lassen uns da mit dieser Seuche jetzt nicht verrückt machen, gell! Wie schauts denn bei Euch aus, habt Ihr Eure Äpfel gut unter Dach und Fach gebracht? Solltet Ihr noch  welche haben, da kommt morgen einer, der schüttelt die Reste herunter…

Wie die Krummetvögel, denke ich, die waren jetzt auch ein paar Tage auf Zwischenstopp in den Süden in großen Scharen vom Himmel direkt in unsere verwilderten Gesträuche gefallen, und haben die Reste des Sommers weggepickt, Trauben, Hagebutten, Brombeeren und sind dann mit vollen Vogelbäuchen ab nach Süden weitergeflogen.

Im Gottesacker stelle ich aufs Grab eine Schale voller kleiner, bunter Hornveilchen … ganz unscheinbar sehen sie aus  inmitten des unglaublich perfekten Grabesgestaltungsdesign ringsherum … ich habe einfach überhaupt kein Talent zum Dekorieren … aber wenn ich mich so umschaue, was die Frauen da mit Hilfe der Gartencenter veranstalten …  für wen ist das alles? Nur zur Ehre der Toten … wirklich?

Langsam wird es Abend, der Mond steht kerzengerade mit seiner Sichel am Himmel, die Viren sind nicht weniger geworden, aber die Blüte der Rose leuchtet so flammend auf, daß hinter ihr das Abendrot verblassst.

Himmelwasser

Schon ist der langersehnte Höhepunkt überschritten. Unglaubliche Freude über die ersten Kirschen, ein ganzes Jahr davon geträumt, den Mund zu voll, Klebriges tropft von den Lippen am Hals entlang und versickert im Rot der Bluse.  Die Kerne ins Gras gespuckt, dann den kleinen weißen Wolken nachgesehen, wie sie durch das obszön blaue Himmelwasser davonsegeln. Nichts bleibt, aus Blüten werden Früchte und die fallen zu Boden. Der Sommer ist ein Gefühl von früher. Damals hat sich die Zeit ausgedehnt in die Unendlichkeit staubiger Langeweile. Jetzt ist es anders. Ich fahre mit dem Rad durch Wald und Hochsommer, auf der Straße flirrende Hitze, nirgendwo sind Kinder zu sehen. Uns war es früher oft sehr fad in den Großen Ferien und dann immer der gleiche Spruch: Papa, mir ist sooo langweilig! Und alle Erwachsenen gaben zur Antwort: Ach, hast Du es schön, ich wollte, mir wäre langweilig. Und wenn ich nicht gewußt habe, wohin mit mir, dann bin ich zu meiner Freundin geradelt und wir haben Musik gehört, einfach nur Musik aus dem Radio oder später von den Singles oder noch später von den mühsam zusammengesparten LPs. Aber da war dann schon eine neue Zeit angebrochen, der Ernst des Lebens, sozusagen, hat die Musik auf Nebenschauplätze verwiesen.

Heute sehne ich mich manchmal danach, einfach Dich oder Dich oder Dich anzurufen, wir treffen uns irgendwo daheim und dann sitzen wir am Boden neben dem Plattenspieler und hören unsere Lieblinge und lachen über manches Machwerk, das uns früher gefallen hat … natürlich „Nights In White Satin“ und was halt alles so jeder mitgebracht hat … und wir essen Erdnüsse und dazu gibt es Cola mit irgendwas drin und alles andere ist vergessen, es gibt nur noch Musik, Musik, Musik und plötzlich ist Morgengrauen und alle müssen heim und dann stehen wir mit glänzenden Augen an der Tür, noch einen Schluck Kaffee und dann fällt noch jemand diese ultimative, erste Schwermetallscheibe in seinem Leben ein, und dann müssen aber wirklich alle los…

Niemand macht sowas mehr … schade eigentlich, nicht wahr … es wäre so einfach, man müsste nur die alten Platten suchen und den Hörer in die Hand nehmen …

 

Kein großes Hoffest heuer zum Beginn meiner „Route 67“, kein Wilder Westen (naja, Südosten) am Fuß der Blauen Berge mit viel Lieblingsmusik von Willie Nelson und Konsorten, lassowerfenden Cowboys, versprengten Dakotas, Rauchzeichen und schwingenden Saloontüren … nein, dafür wochenlanges Sitzen am Krankenbett, in dem der Rancher mit „Bauchschuß“ liegt, Zeiten mit Hoffen und Bangen und Auseinandersetzen mit fragwürdigen Diagnosen, Meßwerten und Prognosen und einem entmenschlichten Krankenhaussystem. Vorsichtiges Durchschnaufen und den Sommer dahinziehen lassen, dankbar freuen über Musik und gute Worte in der Geburtstagsnacht, über Geschichten mit Menschen, immer sind es Menschen, die über alle Distanzen hinweg eine Hand ausstrecken und ihren Herzschlag hörbar machen.

Am Stubenfenster ist ein architektonisches Meisterwerk entstanden. Auf einer alten Kalebasse, seit Jahren zwischen Stange und Fenster zum Trocknen vergessen, wurde in wackeliger Schräglage ein Stil aus zerkauter Holzfaser geklebt, auf ihm ein Haus gebaut, vertikal, ohne schützende Hülle. Die Waben darin offen und frei. So machen sie das immer, die wilden gallischen Feldwespen. Eine der überwinterten Jungköniginnen beginnt,  es kommen dann andere Frauen dazu, und in poligyner Gemeinschaftsarbeit bauen sie das Nest, nach Ende der Bauzeit wählen sie eine zur Königin, die anderen werden zu Arbeiterinnen und betreuen die Brut. Wenn es zu heiß ist, dann sitzen sie da und flattern kühlend mit den Flügeln, wenn es abkühlt, liegen alle ausgebreitet wärmend über den Waben. Ein sehr friedliches Volk, es werden schwere Tropfen Blütenwasser angeschleppt und Unmengen von kleineren Insekten. Alle wissen, was zu tun ist und wer welche Aufgabe hat, wie gebaut, gelebt, begattet wird, wer sterben muß und wer den Winter überleben wird. Alles geht seinen Gang, solange kein Mensch die absolute Harmonie zerstört.

Der Mond der reifenden Beeren, wie diese Zeit im indianischen Medizinrad genannt wird, geht seinem Ende zu und verwandelt sich langsam in den Mond der Ernte. Nichts bleibt stehen, alles ist immer in Bewegung, die Sterne kreisen um uns und wir um die Sterne. Kein Anfang, kein Ende, der Höhepunkt des Jahres ist überschritten, Kreisen im ewigen Tanz von Werden und Vergehen.

Wie alle mit Löwenfeuer Geborenen, habe auch ich als Lebensaufgabe, Freude in die Welt zu bringen und den inneren Glutstock gut zu pflegen, um Frierende zu wärmen. Aber wenn ich vergesse, rechtzeitig nachzuladen, dann ist auch bei mir der Akku leer.

Und dann dieses Lied, genau zum richtgen Zeitpunkt …

hab Dank, Freund!

Vom guten Bedenken

Mein Papa hat oft davon erzählt, wie sie als Kinder mit dem Schlitten vom Gang (Balkon) herunter gefahren sind, weil soviel Schnee da war. Der Mutter hatte das nicht gefallen, weil sie natürlich mit dem Schlitten und waschelnass unten durch die Tenne ins Haus hinein und oben zur Gangtür wieder hinausgesaust sind. Bei dieser Gelegenheit haben sie dann auch gleich den „Gendarm“ eingegraben. Der Gendarm war eine von ein paar Handpuppen für´s Kasperltheater, mit denen sie gern gespielt haben, aber der Gendarm war ihnen zuwider. Wenn er im Frühling unter dem Schneehaufen wieder zum Vorschein kam, dann wurde er so lange den Sommer über im Wassertrog ertränkt, bis er eines Tages verschwunden ist.

Das Haus meiner Väter schmiegt sich ganz elegant an den Nordhang des Tales. Es hat kleine Fenster, durch die man die Sonne vom Aufgang über den Bergen hinter Salzburg ums Haus wandern sieht, bis sie im Westen als roter Ball ihrem Untergang entgegensinkt. Den Sonnenuntergang sehen wir leider nicht mehr, seit der Nachbar vor sein altes Bauernhaus einen Klotz hingestellt hat, der alles überragt.

Das Haus meiner Väter ist über 250 Jahre alt und wurde so gebaut, daß es bisher aller Wetterunbill getrotzt hat. Der Dachstuhl ist immer noch gut in Ordnung, schwer und behäbig, aus Holz gebaut, das zum richtigen Zeitpunkt geschlagen und gelagert wurde und das Dach hat ausgehalten, auch in schweren Zeiten und unter großen Lasten. Die roten Schindeln waren irgendwann kaputt und der Vater hat in den Siebzigerjahren beim Neueindecken einen großen, folgereichen Fehler gemacht, er hat sich zu einem Eternitdach überreden lassen. Das war die günstigste Möglichkeit und von Giftstoffen hat auch noch niemand gesprochen damals. Jetzt sind die  Eternitplatten mehr oder weniger porös und deshalb darf auch niemand raufgehen zum Schneeräumen. Die ganze Dachangelegenheit , es handelt sich da immerhin um ein paar hundert qm, kostet mit allem Drum und Dran und Entsorgung des Eternits nach neuer Berechnung um die 100000,- Euro. Und es tritt der Fall ein, daß das Haus verkauft werden muß, um es zu retten. So schaut´s aus. Selbstverständlich steht es unter Denkmalschutz, aber es gibt so gut wie kein Geld mehr zum Renovieren, die Kassen sind angeblich leer.

Manchmal träum ich davon, daß es womöglich irgendwo einen Menschen gibt, der sein vieles Geld nicht auf die Bank tragen will, sondern für seine Kinder altes Kulturgut erhalten will, dort, wo es entstand und bewohnt wird und nicht als leere Kulisse im Bauernhausmuseum. Naja, gut geträumt, wir werden sehen, wie es weitergeht. Wenn wir verkaufen, dann nur auf Leibrente, denn wir wollen in diesem wunderbaren und ehrwürdigen Haus wohnen bleiben.

Der Winter ist lang noch nicht vorbei, aber wenn von einer derzeitigen leichten Entspannung im großen Chaos gesprochen werden kann, dann ganz sicher nicht nur deshalb, weil es jetzt paar Tage geregnet hat, sondern hauptsächlich, weil viele liebe Menschen warme Gedanken geschickt haben, die zwar das Dach nicht reparieren, aber alles alles leichter machen in der Not einer existentiellen Bedrohung. Habt meinen Herzensdank dafür, daß ich so manch einem von Euch in stets löwischer Dramatik mein Herz ausschütten durfte und Ihr auch meine dunkle Seite ertragen habt.

Der Winter ist wahrlich noch nicht vorbei, in den Landkreisen ringsherum herrscht immer noch der Katastrophenfall, es wird dringendst gewarnt, den Straßen in die Berge hinein fernzubleiben, überall gehen die Lawinen ab oder werden künstlich ausgelöst, es gibt Hubschraubereinsätze und Evakuierungen … und gleichzeitig wollen aber die Skigebiete auf ihre Kosten kommen und werben mit sicheren Pisten und es gibt natürlich trotzdem die Weltmeisterschaft im Bobfahren in Königsee und den ganzen Partyzauber drumherum … was für eine verrückte Welt, nicht wahr?

Ich täte am liebsten zur Nation sagen: „Bleibt halt einfach mal zuhause, meidet die oberbayrischen Straßen und geht weitläufig den Bergen aus dem Weg, denn die Bergwacht ist nicht nur dazu da, unter Einsatz ihres Lebens leichtsinnige Touristen unter Lawinen auszugraben … spielt was mit der Familie oder lest die Zeitung oder bleibt einfach mal sitzen und tut gar nichts!“

Das Element bleibt letztendlich fremd in seiner unglaublich schönen und unbezähmbaren Wildheit, deren Gesetze wir nicht mehr begreifen, weil wir uns als außerhalb der Natur verstehen. Wir sind aber Natur und alles folgt dem großen Ein- und Ausatmen …

Berühre …

„Ich bin überzeugt, daß wir viel zu wenig langsam sind“. Robert Walser

Unter einer gelben Staubschicht läuft uns die Zeit davon …

Ostern so schnell vergangen, die Ausführlichkeit der Leidensgeschichte führt zum großen Höhepunkt, aber die Auferstehung, als Erlösung aus Tod und Verderben angekündigt, hält nicht, was sie verspricht und läßt mich alleine mit Worten, deren Bedeutung mich verunsichert. Die Frau aus Magdala geht zum Grab, um ihn zu salben, ihm einen letzten Liebesdienst zu erweisen, das Grab ist leer. Er steht vor ihr, aber sie erkennt ihn nicht, denkt, es wäre der Gärtner. Erst als er ihren Namen sagt: „Maria!“,  da spürt sie plötzlich, daß er es ist und sie wendet sich ihm zu, möchte … voller Liebe? … ihn berühren? … ihn gar küssen? … aber er weist sie streng zurück und sagt: „Noli me tangere“ (me mou haptou) … berühre mich nicht, halte mich nicht zurück, denn ich bin noch nicht zum Vater aufgefahren … ja, das sollen in etwa seine Worte gewesen sein … dann verschwindet er wieder. Ich fühle ihr Herz schlagen.

Eine merkwürdige Begegnung, zwischen Leben – Tod – Leben; einer war drei Tage und Nächte begraben, dann erhebt er sich und ist weder tot noch lebendig, sein Körper darf nicht berührt werden, sonst … ? Ein Rätsel bleibt dieser Zustand, daß man einen Menschen vor sich hat, der nicht da ist, aber weg ist er auch nicht.

Das erinnert mich an dieses Koan: Du kennst das Geräusch, das zwei klatschende Hände machen … wie hört sich eine Hand an?

Eine Geschichte mit verschiedenen Ebenen, Jahrtausende hindurch wurde je nach Bedarf in ihr herum gedeutet, heraus- und hinein interpretiert, falsch übersetzt und Manches, Vieles, den Vorlieben der jeweiligen Herrschaft bis zur Unkenntlichkeit angepasst und verstümmelt, dessen bin ich sicher. Und trotzdem ist was geblieben, diese tiefe Erkenntnis, daß die Großen Mysterien in Wahrheit ganz einfach sind und förmlich vor meinen Füssen liegen … Der Dalei Lama hat mal gesagt, er würde sich wundern, warum die Menschen zu Tausenden  aus Europa nach Tibet kämen, um dort die Wahrheit zu finden, obwohl sie doch zu Hause Meister Eckardt hätten …

Der Weg geht weiter auf Pfingsten zu, da wird selbst mir, die alles Zauberische und Geheimnisvolle liebt, die Geschichte zu abstrus und ich freue mich auf weitere tiefe Gespräche miteinander und zueinander, mit wunderbaren Menschen quer durch alle Medien. Ich bleibe eine alte Agnostikerin, hungrig nach Wahrheit, nach Erkenntnis … und ich möchte wissen, was Pfingsten außer einem freien Tag mehr noch bedeuten könnte.

Ein paar Tropfen Regen, dem alten Wolf ist nach Heulen zumute, der Vollmond streut ein paar Kristalle in sein Fell.

Berühr mich, ich bin da. Der Mai streicht über unsere Haut. Küsse schmecken nach Blütenstaub.

 

„Was kann süsser sein als einen Freund zu haben, mit dem du alles, was in deinem Herzen ist, besprechen kannst wie mit dir selbst? Das ist wahr. „( Meister Eckhart, 1260 – 1327 )

 

es ist…

„Jung, datt Leben geht weita“, hatte  Oma Frieda von Mick zwo gesagt.

Die tiefste Weisheit ist ganz einfach.

Ja, weiter gehts, die nächste Runde auf dem Karussell. Laßt die Toten die Toten begraben, heißt es irgendwo, ich glaube, in den vom Klerus ungeliebten Apokryphen. Dieser Spruch ist wie ein Koan, so einfach und doch völlig unverständlich, ein Leben reicht nicht, ihn zu entschlüsseln!

Ich weiß nur, daß es gut ist, wenn die Toten endlich begraben sind und das Loch in der Membran, die die Welten voneinander trennt, sich wieder schließen kann. Ja, endlich war die Beerdigung, fassungslos stehe ich vor der Urne und kann es nicht begreifen, wie ein Mensch so total verschwindet , und nichts mehr außer ein paar Krümel bleiben übrig. Ein letzter Blick in das lebenslang so vertraute Gesicht auf dem Foto … Du bist schon so weit weg, ich kann Dich nicht mehr spüren … hast Du gehört, Euer Pfarrer hat einen kleinen Sprachfehler, schade Joe, daß Du es bist hier in der Urne, wir hätten sonst nach der Beerdigung gewitzelt und gelacht drüber und dazu ein paar Weißbier getrunken …

Wieder daheim sehe ich, daß das rote Samtherz meines kleinen dicken Plüschkönigs , der gerade noch mit einem Bein im Bücherregal hockt, herausgerutscht ist und an einer Schnur herab baumelt…ich nehme es und stopfe es in seine Hemdenbrust, wo es hingehört.

Ich setze mich auf die Hausbank, Freundeswort im Ohr:  … „der Verlust sei Gewinn für sich“ … ja … und schaue den wilden Rosen zu, die täglich ihre Triebe bogenförmig weiterwachsen lassen und plötzlich sehe ich, daß sich überall Tore gebildet haben…unglaublich…sie wachsen zum Hollunder und sie treiben und treiben, bis sie den nächsten Rosenstrauch erreichen und die Korkenzieherweide, mit der ich ganz was anderes vorhatte, beugt sich schon wieder zur kleinen Rose hinunter und bildet mit deren zarten kleinen Fingerchen ein Tor… irgendwann werden sie beide umfallen … oder doch nicht?

Die Entscheidungen werden eigenmächtig getroffen im Großen Raum und in Freiheit.

In den verwilderten Hochbeeten wachsen Walderdbeeren, Rucola, Himbeeren, Spitzwegerich, ums alte Haus herum schleicht der kriechende Günsel.

Und die Katzen gehen von da nach da und machen, was sie wollen.

Zwei Maikäfer möchten sich partout in die heißen Pfannkuchen am Herd setzen, ein wenig angeröstet und berauscht vom Zucker torkeln sie schließlich brummend ins Freie.

Im Transformatorenhäuschen nisten Turmfalken.

Es ist was es ist  … hat doch die Liebe gesagt, oder?

 

 

 

Chris Cornell, 1964 – 2017
Ruhe in Frieden!