Archiv der Kategorie: Dienstag Nacht 23.12 Uhr

# 77 Ein strenges Geschäft.

„Nun ist Einsamkeit an sich schon ein strenges Geschäft.“  (Andreas Glumm)

Mit dem heutigen Beitrag, der die magische Zahl 77 trägt, beenden die Kraulquappe und ich unser Projekt des Schreibens überkreuz. Kaum zu glauben, aber wir machen das jetzt schon über eineinhalb Jahre! So nervig wie das oft war, daß wir praktisch auf Knopfdruck schreiben mußten, so sehr hat es auch für das Schreiben Struktur und Disziplin gebracht. Wir haben uns sozusagen zu einer Disziplin verpflichtet. Aber irgendwann ist es halt auch wieder vorbei, so ein Projekt. Es war ein wundervoll unkompliziertes Zusammensein mit der lieben Kraulquappe, in absolut freier und doch verbundener Arbeit, ein geglücktes und glücklichmachendes gemeinsames Tun.

Und wie das nach jedem erfolgreichen Projekt halt so ist: ich bin froh, wenn die gemeinsame Verpflichtung weg ist, aber gleichzeitig gerate ich in eine Art wehmütige Leere und bin erstmal mit meiner Einsamkeit alleine, wie immer, wenn das Alte weg ist und das Neue noch nicht in Sicht. Vielen lieben Dank an die mutige Kraulquappe, die sich einfach so in dieses Projekt reingeschmissen hat. Wir bleiben uns gewogen und in Verbindung, eh klar, schaumamal, was die Zukunft so bringt. Jetzt heißts erstmal:
Aus is und gar is und schad is, daß wahr is.

Ich wollte mir heute den letzten Bundestag vor der Wahl anschauen, hab es aber nicht lange ausgehalten, die Gemeinheiten, die Häme, die Hetze, dieser offene Haß und der spürbare gegenseitige Vernichtungswille, all das, was man sich gegenseitig an den Kopf warf … keine Spur von Freundlichkeit und Zuversicht, nach der Wahl, wenn auch nicht gleicher Meinung, so doch in die gleiche Richtung blickend die Regierung zu gestalten, sondern nur Gehacke. Unglaublich. Nur wenige behielten die Fassung, einer davon Robert Habeck, der in seiner Rede ruhig blieb und das sagte, auf was es ihm ankommt und sich nicht dazu verleiten ließ, trotz der Ärgernisse Stil und Kinderstube zu verlieren. Ich schätze ihn sehr, und das, was er sagt und was er tut und auch seine Partei entspricht  sehr  meinem Denken und ich fühle mich absolut gut von ihnen vertreten. Fehler gestehe ich zu, es sind Menschen.

Jetzt wird es wohl nochmal ziemlich schlimm werden in den nächsten eineinhalb Wochen. Mit dem ganzen Geschimpfe und dieser ewigen Kritisiererei und diese andauernden Schuldzuweisungen mag ich nichts mehr zu tun haben, ich habe schon gewählt in Respekt und Achtung vor denen, die mich im Bundestag vetreten sollen und im Vertrauen darauf, daß sie ihr Bestes geben.

Und überhaupt mag ich nicht ständig darauf warten, daß der Staat alle Probleme löst, der Staat sind wir selbst und wir müssen halt die Hände aus den Hosentaschen nehmen und selber was tun, und es gibt viel zu tun für jede n von uns. Wir können uns organisieren und in die Altersheime gehen, und uns um das Wohlergehen der dort Vergessenen kümmern, um die Kinder, die keiner braucht und die in den Heimen verlorengehen, wie die Tiere in den Tierheimen oder wenn wir einfach zum Nachbarn gehen, der seine kranke Frau pflegt und kleine Kinder hat und in die Arbeit gehen muß … was wäre dabei, zu sagen: ich habe Zeit, was kann ich tun?

Jedesmal, wenn ich im Altersheim bin, denke ich mir, daß sich über kurz oder lang das Heim verändern täte, wenn wir viele wären, die sich um Menschen kümmerten, auch wenn sie ihnen erstmal fremd sind … “ es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ … ist es nicht so, immer noch und immer wieder? Es wurde mir schon oft vorgeworfen, ich sei so eine arme irre unverbesserliche Humanistin, so würde es auf der Welt nun einfach nicht funktionieren.  Niemand kann aus seiner Haut, ich auch nicht und wenn ich ein paar Leute finden täte, die mitmachen, dann würde ich so eine Art Besuchskreis gründen für alle Einrichtungen, in denen lebende Geschöpfe verlorengehen … ich habe schon so viel gegründet in meinem Leben. Mit manchem bin ich jämmerlich bis grandios gescheitert, aber mancherort habe ich Spuren hinterlassen, immerhin, und direkt verloren war kein Versuch, die Welt zumindest ein bisserl zu einem besseren Ort zu machen, auch wenn in meinem löwischen Größenwahn immer die Komplett – Rettung geplant war.

Oje, es ist schon weit nach Mitternacht, das Dorf schläft lange schon, nur bei mir ist noch Licht. Allen, die grad verzagt sind oder einfach einen schönen und liebenswürdigen Film sehen möchten, der leicht und hell ist und doch Seelentiefe hat, ich hab ihn heute zum fünften Mal angesehen und werde es sicher noch öfters tun:

„Glück auf einer Skala von 1 bis 10“  ist der Titel des franz./schweiz. Films , er läuft noch bis zum 3. März auf auf ARD – Mediathek!

„Es war mild, der Kaffee hatte mich aufgewärmt, und durch die offene Tür drang ein Duft von Nacht und von Blumen.“   ( Albert Camus: Der Fremde)

 

Und hier schreibt die Kraulquappe

 

# 76 Songlines

Abschied
Eines Nachts, als der Sommer am tiefsten war, zog ich die Tür hinter mir zu und ging los, so geradeaus wie möglich nach Osten. Berlin war ganz still an diesem frühen Morgen. Alles, was ich hörte, war das Pochen der eigenen Schritte auf den Dielen, dann auf Granit. Eine Süße lag in der Luft, das waren die Linden, und Berlin lag wach, aber es hörte mich nicht. Es lag wach wie immer und wartete wie immer und hing wirren, gewaltigen Träumen nach, die aufblitzten wie das Wetterleuchten dort über dem Häusermassiv. Es hatte geregnet die Nacht, ein Bus fuhr vorüber, seine Rücklichter zogen rote Spuren über den nassen Asphalt. Verkehr kam auf, in den Alleen schrieen die Vögel, zitternd sprang die Stadt an, bald würden Angestellte in breiter Formation in ihre Büros fahren. Damit hatte ich nichts mehr zu tun.

aus: „Berlin – Moskau
Eine Reise zu Fuß“
von:   Wolfgang Büscher
rororo 2003

Das Buch kam heute mit der Post, ich habe es ausgepackt und aufgeschlagen und wusste nach den ersten Zeilen, daß ich auch auf diesem Weg, den Wolfgang Büscher vor zwanzig Jahren abgeschritten hat, hinter ihm hertrotten würde wie ein streunender herrenloser Hund, der einer Fährte folgt. Und ich folge dabei nicht erstrangig seinen Stiefeln auf fremden Straßen, nicht den Abenteuern, die er erlebt, wahrscheinlich nicht mal seiner Person. Ich kann das nicht näher beschreiben, aber es ist die Poesie seiner Sprache, der ich folge. Mit dem ersten Satz beginnt der Weg, der sich Wort für Wort weiter fortsetzt wie Lichtzeichen von einem fremden Stern oder wie eine Melodie, die sich von selbst weiterspielt. Ich sehe es nicht und höre auch keine Musik und trotzdem ist es so. Bruce Chatwin hat über die Traumpfade geschrieben, niemand kann sie erklären und doch sind sie da. Ich folge den Traumpfaden der Sprache, des geschriebenen Wortes schon lange. Ich kann sie  weder sehen noch riechen oder hören, aber ich spüre sie. Ich habe mit W.G. Sebald England mit Linien überzogen, bin J.L.Borges ins Labyrinth gefolgt, mit Bruce Chatwin nach Patagonien, wo in dieser Höhle das Fell von einem uralten Wesen verborgen war und bin mit Werner Herzog nach Paris gegangen, eine Linie, die den Tod überwinden konnte.

Von Wolfgang Büscher habe ich „Ein Frühling in Jerusalem“ gelesen und irgendwann mitten in seinem Text habe ich sie gespürt: die Songline der drei Frauen, oder waren es mehr und seitdem möchte ich genau dorthin, wo sie waren und noch sind …  diese Frauen.

Seit diesem Buch bin ich seiner Sprache gefolgt und mit ihm durch Deutschland gegangen und um das Holzhaus im Wald geschlichen und jetzt werde ich ihm folgen nach Moskau, lange bevor der schreckliche Krieg so viele Menschen in Tod und Verderben gestürzt hat. Und dann werde ich nach Amerika reisen, durch das Hartland und durch Asien und … nicht zu vergessen, das neue Buch über seinen Weg durch die Wüste.

Auf meinem Tisch liegen mindestens zwanzig ungelesene wunderbare Bücher, die Lettre mit einem hochinteressanten Text über Patti Smith und W.G.Sebald, es wird langsam eng, kaum haben noch Teekanne und Tasse Platz, aber alles muß warten, denn ich bin unterwegs nach Moskau mit Wolfgang Büscher, dem ich hiermit nochmal herzlich danke, daß ich aus dem Buch zitieren durfte!

Ihr könnt es gerne Leidenschaft für Sprache nennen oder auch sagen, daß ich spinne, beides würde ich nicht ausschließen, aber ich sage, ein paar wenigen gelingt es, mit ihrer Sprache Songlines zu schaffen, auf denen man reisen kann, wenn man den Mut hat, sich treiben zu lassen. Da ich eine Träumerin bin …

 

Und hier schreibt die Kraulquappe

# 75 „Bin ich der einzige der so lebt?“ (Charles Bukowski)

Der Föhn, der mit seiner falschen Wärme in den letzten Tagen verlogene Frühlingsgefühle in Mark und Bein säuselte, hat sich in kalten Sturm verwandelt und ist zusammengebrochen. Sturzbäche fallen vom Himmel, die genauso grau daherkommen wie die  darauffolgenden Schneeflocken und wie überhaupt der ganze Tag.

Ich liebe diese grauen, naßkalten Tage im Januar und daß sie so schonungslos wahrhaftig die ehrliche Häßlichkeit ringsherum zeigen, bevor die Welt wieder mit dem sogenannten Schönen geschmückt wird, das aus großen Containern farbenprächtige Wegwerfblumen über dem Land auskippt und allerorten für Verhübschung sorgen soll.

Ich lasse mich treiben, tief in das Grau hinein und wären da nicht meine roten Strümpfe, so würde ich mit dem Hintergrund verschmelzen und verlorengehen.

Neben mir liegen „439 Gedichte“ ( Zweitauseneins) von Bukowski. Als ich das Buch betrete wie eine seltsam vertraute und doch fremde Welt und herumgehe in den Geschichten aus seinem Leben ist es früher Nachmittag, mit Müh und Not finde ich wieder heraus bei völliger Dunkelheit. Es ist Nacht geworden darüber. Ich kann jetzt verstehen, warum dieses Buch bei Menschen auf dem Nachtkästchen liegt, um jederzeit in schweren Nächten sich aufrichten zu lassen von dieser schonungslos ehrlichen Poesie der Straße, der Existenz nicht nur am Abgrund sondern mittendrin im Dreck … und dann dieser leise Humor, der genau dort, wo es absolut nichts mehr zum Lachen gibt, sich darüber erhebt und, so gut es halt geht, den Rücken aufrichtet und sich einen Jux macht aus dem ganzen Wahnsinn dieser Welt. Ja, lieber Mr. Bukowski, selbstverständlich müsste man Gott dringend fragen, warum er in München herumhockt und grünes Bier trinkt!

 

Und hier schreibt die Kraulquappe

# 74 Aquarius

Steinbock übergibt Wassermann den Stab und einen kleinen Kristall mit einer eingeschlossenen Sehnsucht.

Sternkundige der alten Zeit berichten von einer Vision: Die Gottheiten verlangten nach dem Wasser des ewigen Lebens und fragten, wer den größten Mut habe, es ihnen zu bringen. Nur einer nahm den Krug und ging hinauf auf den Olymp und weiter, bis dahin, wo keine Materie mehr existiert … dort überreichte er den Gottheiten den Krug mit dem Wasser des ewigen Lebens, und so sind sie unsterblich geworden.

 

 

Und hier schreibt die Kraulquappe

# 73 Wesentlich werden

Noch ist Steinbockzeit.
Das Land ruht in Winterstarre.
Eisig kalt weht der Wind herab von den Bergen.
Im Hochgebirge auf ausgesetztem Felsbrocken steht
regungslos und einsam der strenge Wächter.
Eine große Verantwortung trägt er.
Er kennt den geheimen Schatz
und
er weiß, wo er wächst,
der Bergkristall.

 

 

Und hier schreibt die Kraulquappe

# 72 Abgesang

Jetzt haben sie es also abgerissen, das Moorbad. Vor 100 Jahren konnte man sich dort warme Wickel machen lassen und darin baden in diesem schwarzen Moorschlamm, den sie hinter dem Haus ausgegraben haben. Ich kenne dieses Gebäude schon mein ganzes Leben lang und es waren mir Haus und Ort lebenslang immer ein wenig unheimlich. Es stand, umringt von alten, finsteren Tannen, direkt an der Bundesstraße, und in den Jahrzehnten wuchs es immer mehr zu mit wilderndem Gebüsch. Niemand wusste so recht, was sich in diesem Haus abspielte, nie sah man irgendjemand auf dem Balkon oder um das Gebäude herum gehen oder sitzen. Es standen immer ein paar Autos auf düsterem Parkplatz, ja, düster war es dort. Irgendwann hieß es dann „Tannenhof“ und war angeblich eine Frühstückspension für Vertreter und allerlei Gestalten, die vorübergehend eine Bleibe brauchten. Manch einer vermutete rote Laternen im Fenster.

Man kann die Straße nach Osten nicht benutzen, ohne an diesem Ort vorbeizukommen. Und jedes Mal, wenn ich dran vorbeifuhr, unterstellte ich ihm ein Geheimnis, oder sogar mehrere und manchmal dachte ich an den „Tanz der Vampire“, an schön gekleidete Menschen, die im Walzertakt über das glänzende Parkett eines Saales gleiten, beleuchtet von tausend Kerzen in tausend Spiegeln, in denen sonst nichts zu sehen ist …

In den letzten zehn Jahren verfiel das Gebäude zusehends, hin und wieder war abends noch ein einziges Licht in einem einzigen Fenster zu sehen. Das endgültige Sterben begann, als der Parkplatz zu einer Art Gebrauchtwagendeponie umfunktioniert wurde. Abgestellte Autos bedeuten den unumgänglichen Tod eines Ortes.
Als der Besitzer vor zwei Jahren gestorben ist, hat die Gemeinde das Anwesen gekauft und dann wurde der Abriß geplant, um den Ort einer Neubebauung zuzuführen, zuvor muß aber der Moorboden untersucht werden.

Jetzt ist alles weg, nur ein großer Bagger steht noch am Rand. Sehr sehr leer ist es dort. Abgeschnittene Baumstümpfe stehen im Halbkreis um diesen so furchtbar leeren Platz. Ein paar vom großen Aufräumen vergessene Tannenäste ragen wie spitze Knochen an einem Gerippe aus dem Schneematsch, der an etlichen Stellen vom Blut der alten Hagebutten durchtränkt ist. Wäre ich doch eine Dichterin, dann würde ich diesem Ort ein Gedicht schenken. Einen poetischen Abgesang für einen sehr merkwürdigen Ort würde ich schreiben, an dem jetzt eine Stille herrscht, die so laut ist, daß sie den Lärm der Straße übertönt. Ich wollte den Platz betreten, an dem Haus und Bäume standen, aber es ging nicht, die Luft darüber ist so verdichtet wie unsichtbare Wände, an diesem verlorenen Ort mit dem verlorenen Haus und den verlorenen Menschen und ihren verlorenen Geschichten.

Ja, vielleicht sind es die Geschichten, die noch über dem leeren Platz hängen und die Zeit wiegt sich noch in den Tannenwipfeln und die Hoflaterne schwankt im Wind und die Schicksale stöhnen in den Menschen und eine Türe geht auf und man hört leises Lachen … bald, bald wird auch das vergangen sein.

Und hier schreibt die Kraulquappe

# 71 Wenn du Märchenaugen hast

In ein paar Stunden beginnt ein neues Jahr. Von allen Seiten kreuz und quer flattern Grußbotschaften herum und man wird förmlich überschüttet mit Lawinen von Glücks- und Gesundheits-  und Wohlergehenswünschen.
Es gibt jetzt so viel Rück- und Vorschau und Vorhaben und nicht endenwollendes Geschimpfe auf das Bestehende, was auch immer es ist und wer auch immer schuld ist an persönlichen Miseren; und es gibt Unkenrufe in die nächste Zukunft, was uns jetzt Schlimmes passieren wird. Ich mag da nicht mitmachen. Es gibt für mich keine guten oder schlechten Jahre. Es ist immer das Gleiche: Irgendwo ist immer Krieg, irgendwo weinen Menschen und gleichzeitig wird woanders gelacht. Man wird älter, Krankheiten kommen, mit manchen wird man fertig, mit anderen muß man sich halt arrangieren. Immer ist alles möglich und man weiß doch nie, was im nächsten Augenblick passiert. Alles in allem ist das Leben halt so, nicht wahr?
Ich freue mich auf das Feuerwerk, das durchs ganze Tal und hinüber bis Salzburg die Nacht überstrahlt und ganz schnell wieder vorbeigeht, genau wie das Leben. Alle gehen nach draußen und schauen zum Himmel, auch die wankenden Gestalten, die gestrandet irgendwo an einem Tresen herumhängen.
Wer viel Geld verpulvern möchte, soll es doch als Feuerblütenzauber zum Himmel hinaufschicken, von wo es dann als bunte Sterne herabregnet. Es gibt wahrlich Schlimmeres, was mit Geld passieren kann.

Dieser Sternenzauber kostet viel Geld, macht Dreck, Krach und ist reine Illusion … ja ich weiß, ich liebe ihn trotzdem.

Habt alle eine gute Nacht heute, gönnt Euch ein wenig Magie, auch wenn’s fauler Zauber ist, egal. Tanzt heulend alleine den Walzer um Mitternacht oder schnappt Euch auf der Straße irgendwem und tanzt mit einem fremden Menschen und lacht, wenn Ihr Euch traut, lacht aus vollstem Herzen und solang, bis Euch die Tränen herunterlaufen, ich lach mit Euch. Und Ihr, die einsam Gestrandeten, Euch gehört meine Zärtlichkeit am meisten. Ich gehe auch oft verloren in den Nächten.

Seid mir alle gegrüßt, wir gehen in das Neue Jahr hinüber und leben einfach weiter, mit allem was dazugehört, Verdruß wird nicht ausbleiben, aber wir haben da ja ein ganz wunderbares Gegengewicht: DIE FREUDE! –  dafür müssen wir gar nichts tun, wir müssen sie nicht erarbeiten, wenn wir unser Herz aufmachen, bekommen wir sie geschenkt … jederzeit und überall und sie wird nicht weniger, wenn wir sie weiterreichen an Hungernde.

Laßt uns zärtlich sein.

Leg’s dem Leben nicht zur Last,
dünkt sein Wert dir Plunder!
Wenn du Märchenaugen hast,
ist die Welt voll Wunder.
Victor Blüthgen

In diesem Sinne:

EIN GUTES NEUES JAHR 2025

und hier schreibt die Kraulquappe

 

 

# 70 „Hier, wo wir uns begegnen“

Ich stehe in der Küche und räume weg, was sich angesammelt hat, um ja keine kostbare Gesprächszeit zu vergeuden, während ein lieber Freund zu Besuch war. Unser Freund M. ist gerade wieder heimgefahren, nicht ohne vorher mitten in der Stube, an der Haustüre, vor dem Auto und dann auch noch mit schon laufendem Motor den Abschied hinauszuschieben, um das Beisammensein noch bis in die allerletzte Sekunde zu genießen … ja, bis auf bald, um Weihnachten herum, jaja, wir telefonieren bald. Servus, schön wars. Ja, schön wars. Wir haben gut gegessen und kannenweise Tee und Espresso getrunken und geredet und gelacht und geredet und sind irgendwann nachts ins Bett gefallen und haben beim Frühstück da weitergeredet, wo wir in der Nacht aufgehört hatten. Unsere Gesprächsstoffe sind ausufernd und ohne Begrenzung, es kommt alles darin zur Sprache, Kunst, Philosophie, Politik, Krankheit, Tod, Leben. Ich teile mit ihm die nahezu fanatische Liebe und den Kampf gegen Windmühlen für die Erhaltung der bairischen Sprache mit ihren unzählbaren örtlichen Dialekten und unser Herz schlägt für die Mundart, wo sie auch gesprochen wird. M. ist einer der letzten Menschen, die noch den leidenschaftlichen Mut aufbringen, in München, der bairischen Landeshauptstadt, münchnerisch zu reden, die Stadtsprache im bairischen Deutsch.

Herr Graugans teilt mit ihm die Passion für die Fotografie, für M. ist es noch mehr, sie ist sein Leben und schon deshalb steht sie mit allem, was gerade an Projekten läuft, im Mittelpunkt all unserer Begegnungen. Er spricht über sein neues Buch und Herr Graugans über seine neuesten Experimente mit Cyanotypie und wie er sich diese Technik angeeignet hat . Auch das Projekt 24 T. das ab 1. Dezember hier auf meinem Blog zwischen Himmel und Erde stattfindet, kommt zur Sprache. Herr Graugans und ich zeigen ab nächsten Sonntag bis zum 24.12. täglich unsere Arbeiten.

Müde bin ich, so ein intensives Zusammensein ist freudig, aber auch anstrengend. Als M. dann lächelnd und winkend seine Heimreise antritt, denke ich an Carsten, der heute einen Brief an seinen Freund geschrieben hat, einen letzten Brief hat er ihm nachgeschickt auf seine letzte große Reise. Ein Herz voller Liebe hat er hineingelegt, um dem Freund den Weg leicht zu machen und ein Licht der Dankbarkeit für das Glück, ihm begegnet zu sein hat er ihm angezündet, damit es hell ist, dort, in dieser anderen Welt.

Es liegt alles so nah beieinander. Wir können glücklich sein über Begegnungen, die uns Freude bringen und das Leben reich machen. Und es berührt mein Herz und mir ist, als wäre noch nicht alles verloren, solange es Menschen gibt, die ihren Freunden Dank und Liebe nachschicken, wohin auch immer sie gehen.

Und jetzt fällt mir ein, daß ich vergessen habe, M. einen Lieblingsspruch aus dem Buch eines seiner Lieblingsschriftsteller, das ich grade lese, mitzuteilen:

(Er trifft in diesem Roman in Lissabon auf irgendeinem Platz seine Mutter, die aber schon 10 Jahre tot ist.)

Etwas, John, darfst du nicht vergessen, und du vergißt ja so schnell. Die Toten bleiben nicht in ihrem Grab, das mußt du wissen.“

aus: John Berger: „Hier, wo wir uns begegnen“

 

Und hier schreibt die Kraulquappe

# 69 Ein großer Gott der Seele

Früher dauerte die Fastenzeit in der katholischen Kirche von Philippus (15. November) bis zur Mitternachtsmette am 24.Dezember. Vierzig scheint eine magische Zahl zu sein, Jesus hat 40 Tage in der Wüste gefastet und die Seelen der Verstorbenen brauchen nach alter Lehre vierzig Tage, um sich aus dem irdischen Dasein zu lösen und ihre ewige Heimat zu finden.  Das hat sich schon lange geändert, der Advent beginnt mit dem ersten Adventssonntag und wer da vom Fasten redet, wird laut ausgelacht oder zumindest leise belächelt. Wir leben in einer Konsumgesellschaft und die lebt von der Gier, die ja bekanntlich immer größer und unstillbarer wird, je mehr man sie füttert. Der weihnachtliche Verkaufsmarathon beginnt je schon Ende August und läuft dann ab 1. Dezember nochmal zu seiner Höchstform auf. Die Beliebigkeit kennt keine Grenzen, in den Supermärkten liegen Berge von Lebkuchen neben den gefärbten Eiern, die um diese Zeit „Brotzeiteier“ heißen. Was für ein Wahnsinn, was für eine Verschwendung, denke ich mir, als ich durch die Reihe der überquellenden Regale beim Aldi gehe und muß mich beherrschen, um nicht auch zuzugreifen. Hinter mir schreit ein kleines Kind in Augenhöhe mit Schokonikoläusen, ein paar seiner Geschwister rennen kreuz und quer herum und scheinen ganz und gar außer Fassung zu sein, die jungen Eltern beachten sie nicht weiter und bewegen sich in Zeitlupe durch die Gänge. Am anderen Ende brüllt wieder ein Kind , der Mutter ist das sichtlich peinlich, der Vater dreht sich weg. Und dann schreit noch ein Kind, so jämmerlich, es ist kaum zum Aushalten, endlich nimmt es ein junger Vater auf den Arm und tut das einzig Richtige in dieser Situation: er geht mit dem Kind hinaus und verläßt diese Stätte des Kaufwahnsinns. Und ich denke mir, daß es ja mir schon schwerfällt, mich diesem Überangebot zu widersetzen, wie muß es denn einem dreijährigen Kind gehen. Kleine Kinder reagieren mit Gebrüll auf dieses Habenwollen und nicht sofort Kriegen und die Erwachsenen laden ihre Einkaufswägen voll und schleppen wie im Rausch das ganze Zeug nachhause, was nach Übersättigung dann übrigbleibt, wird weggeworfen.

Ringsherum hängen schon diverse Lichtschnüre in Bäumen, über Fenstern und bunte Kugeln schauen hinter Tannenreisig hervor und künstliche Christbäume lehnen herum, und über den Straßen wird die obligatorische Weihnachtsbeleuchtung hinüber und herüber gespannt. Von allen Seiten weht die Werbung durch Zeit und Raum und Schaufenster und Fernsehen, es geht um das teuerste Geschnk, das leckerste Essen und überhaupt alles, was das sehnsüchtige Herz verlangt und was es jetzt bekommt. Kauft Leute, alles, alles ist käuflich. Seid gierig Leute, kauft ein, dann wird ein Event daraus. Noch scheint es diesbezügliche Firmen hier noch nicht zu geben, in Japan wendet man sich an die Family Romance Agentur und mietet sich Freunde, je mehr Geld man hat, umso mehr Freunde sitzen dann um den festlich gedeckten Tisch und dann macht man Selfies im riesigen Freundeskreis und postet in die Welt, wie beliebt man doch ist, denn nur sehr Beliebte haben so viele Freunde, nicht wahr?

Es ist aber noch gar keine Weihnachtszeit und auch kein Advent, sondern vorgestern war Volkstrauertag und nächsten Sonntag ist der Totensonntag.

Den Tod wollen wir nicht in unserer Nähe haben, wir vergraben ihn unter Marzipankartoffeln und Lebkuchen und schütten Glühwein darüber. Vielleicht ist der Tod spürbarer in einer kargen Zeit des Fastens? Was um Himmelswillen bringt uns denn diese Gier nach allem und immer mehr und zwar sofort, auf der Stelle, wenn ich was sehe, was ich will, dann hol ich es mir. Ist es eine Art innerer Leere, die in einer Konsumgesellschaft zu immer mehr, immer schneller, immer höher, besser, aktiver, schöner gesünder führt. Ach ich weiß es auch nicht.

Ich möchte mich wieder auf die Mandarinen freuen, nach denen ich als Kind ein ganzes Jahr lang mich sehnte. Die lagen dann an Nikolaus in einem alten Strumpf vor dem Fenster. Zwei, drei Stück, viele Kerne hatten sie und manchmal ist mir so eine Köstlichkeit vertrocknet, weil ich sie mir so lange aufgehoben habe, um sie zu bewahren, bis sie nicht mehr eßbar war. Und ich möchte mich auf Plätzchen freuen, die vor Weihnachten nicht gegessen werden. Und ich werde am ersten Adventsonntag eine Laterne vors Haus stellen, da brennt durch jede Nacht eine Kerze, um uns auf dem Weg zu leuchten. Auf dem Weg nach innen will ich sein, in Stille und Einkehr. Was für ein schönes Wort. Und ich denke jetzt an meine AhnInnen, die hier im alten Haus gefastet haben, obwohl sie eh ein karges Leben hatten, und die sich am strengsten Fasttag, am 24. Dezember den ganzen Tag über auf die Nudelsuppe gefreut haben um Mitternacht, nach der Mette. Da sind sie um unseren Tisch gesessen und haben die Mettensuppe gegessen.

Vor ein paar Tagen habe ich in dem Stück „Der Tor und der Tod“ von Hugo von Hofmannsthal einen Satz gefunden, der den Tod in dieses alles Irdische durchdringende Föhnlicht tauchte, das heute hinter den Bergen aufgeflammt hat und aus dem Inneren Urgrund unseres Seins zu stammen scheint und alles in einem großen Lächeln auflöst.

 

Der Tod


Steh auf! Wirf dies ererbte Graun von dir
Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe!
Aus des Dionysos, der Venus Sippe,

Ein großer Gott der Seele steht vor dir.

Hugo von Hofmannsthal

 

Und hier schreibt die Kraulquappe

 

# 68 Das Maul der Zeit

 

An der Wäscheleine hängt der zerknitterte Mond aus Alufolie.

Immer noch.

An zerfetzten Schnüren baumelt hier und dort ein Stern.

Die goldene Sonne ist lange schon heruntergefallen.

Im Nebel verschwimmen Tag und Nacht.

Stunden und Jahre werden zu Schlieren auf der Fensterscheibe.

Das Maul der Zeit hat keine Zähne.

 

 

Und hier schreibt die Kraulquappe