Archiv der Kategorie: Mittwoch Nachmittag 16.35 Uhr

# 48 Rilke, Katzen und die Eigenart der Dinge

Auf der Straße kommen mir große Lastwägen entgegen, dahinter etliche Panzer und als Nachhut ein paar Jeeps, tarnfarbig wie alles Übrige und bedrohlich. Immer öfter rollt Kriegsgerät über die Bundesstraße, so oft und so selbstverständlich, daß man sich schon daran gewöhnt. Nein – ich nicht – niemals!

Die Straße führt durch immer dichter besiedeltes Gebiet. Kaum noch eine leere Wiese, eine freie Zone sozusagen, an deren Rändern nicht schon das neue Industriegebiet geplant ist oder die Siedlung nebenan sich weiter ausbreitet, mit immer denselben Einfamilienhäusern, die sich allein schon mit der  banalen Scheußlichkeit der Eingangstüren gegenseitig überbieten. Dazu kommen die derzeit hochmodernen schwarzumrahmten Fenster, die ausschauen wie die Augenlöcher von Totenschädeln. Und drumherum Rasen, aufgehübscht mit ein paar Containerpflanzen. Und um die vom Gartencenter vorgeschlagene Choreografie noch stimmungsvoll abzurunden, werden hie und da ein paar weiße Gesteinsbrocken plaziert. Oder es wird einfach alles mit Steinen aufgeschüttet, auf denen dann ein Blumentrog thront. Die schneebedeckten Berge im Hintergrund würden beim Anblick dieser  Gärten des Grauens gerne davonlaufen, aber sie schaffen es ja nicht mal, die Plage der unangenehmsten Spezies, nämlich die der urlaubenden Menschen abzuschütteln. Und so stehen sie halt einfach weiterhin da und hüllen sich in den Mantel des Schneefalls und des Schweigens.

Ein Haus, an dem ich oft vorbeifahre, ist anders, ganz und gar anders. Manchmal sehe ich Licht in einem Fenster, also scheint wer darin zu wohnen. Der große Garten davor ist verwildert. Bei seinem Anblick schlagen strukturierte Menschen mit Ordnungsprinzipien die Hände über dem Kopf zusammen und Gartenprofis könnten so einen „Zugang“, wie wir die verschiedenen Stufen der Verwahrlosung nennen, überhaupt nicht aushalten und würden sofort aufräumen. Ich liebe diesen Ort. Er ist anscheinend so gut wie völlig sich selbst überlassen und gestaltet aus sich heraus die ganz spezielle Ordnung der Dinge. In der Mitte des Grundstücks steht ein Apfelbaum in voller Blüte und schenkt dem wilden Garten das Höchstmaß an Schönheit und Schmuck, was bräuchte es mehr? Ganz egal zu welcher Jahreszeit und in welcher inneren Verfassug ich daran vorbeifahre, wird mir ums Herz warm und licht und weit beim Anblick dieser sich selbst ordnenden Wildheit. Ja, ich liebe das Brachland, das überall dort entsteht, wo sich der Mensch mal heraushält mit seinen Kosten/Nutzen – Strukturen.

Beim Heimfahren vorhin lief schnell noch, ungefähr einen halben Meter vor meinem Auto eine Katze über die Straße, sie konnte nicht warten, hatte wohl einen wichtigen Weg zu machen. Es ging alles gut und sie verschwand im Gebüsch. Zuhause angekommen wurde ich schon erwartet und kaum hatte ich den Motor abgestellt, sprangen sie zu zweit auf die Motorhaube, liefen mit Schlammpfoten über die Windschutzscheibe oben drüber über das Autodach, klack klack klack … klärten die Machtverhältnisse, indem ein Kater dem anderen eine runterhaute und sich dann als Chef der Lage gemütlich auf der warmen Motorhaube niederließ.

Sie leben ganz nah an uns, haben uns immer im Blick und tun nur das, was und wie sie es für richtig halten. Ihrem kätzischen Naturell entsprechend kommen sie, wenn sie wollen und nicht unbedingt, wenn man sie ruft, wenn man sie anschaut, schauen sie erstmal weg, sind ganz nah und schnurren und streichen um die Beine und verschwinden plötzlich und sind wie vom Erdboden verschluckt. Sie hängen mehr am Ort als am Menschen, hassen jegliche Art von Fremdbestimmung, wechseln alle paar Wochen ihren Schlafplatz, gehen gerne nachts auf die Jagd, sind großflächig streunend unterwegs, wollen am Morgen was essen und sich dann ungestört zum Schlafen hinlegen.

Herr Graugans sagt, es gäbe da seines Erachtens durchaus gewisse Parallelen…

Vorhin kam eine Mail, geschickt von einem Freund, der mir ein Zitat schickte, von dem er annimmt, es könnte mir gefallen. Das tut es, lieber M. vielen Dank!

Das Leben und dazu eine Katze, das gibt eine unglaubliche Summe.
(wahrscheinlich von Rainer Maria Rilke, keine Quellenangabe aufzufinden)

…und da läuft die Kraulquappe durch die Stadt…

# 47 Wüstenstaub, Borges, Schygulla und ich

Als ich vor ein paar Tagen vom Einkaufsmarkt zum Parkplatz gehe, steht da ein einziges, kleines Auto, das so gelb bepudert ist, daß man kaum mehr seine ursprünglich schwarze Farbe erkennt. Am Tag zuvor sah ich die Wolke über dem Hügel stehen, schwefelgelb  und sonderbar. Der Löwenzahn sorgt um diese Jahreszeit auch für gelben Staub, den der Wind von unten nach oben wirbelt. Aber der Staub, den eine Wolke von oben herunterbröselt, ist eine andere Kategorie. Wüstenstaub aus der fernen Sahara wurde angekündigt und jetzt ist mein Auto gelb und ich träume von dem Märchenland hinter den Pyramiden, uferloser Sand, nichts wie Sand und ich höre den ägyptischen Guide, der mir erklärt, wo die libysche Wüste beginnt und „wo Gaddafi wohnt“. Ich denke an den Sichelmond, der wie eine Barke über den Nachthimmel segelte, und überhaupt an diesen Himmel, der über der Wüste viel höher zu sein scheint als daheim, und ich sehe die zerschossene Nase der Sphinx … von so weit her kommst Du also, Wüstenstaub. Ich wische die Windschutzscheibe ab, damit ich was sehen kann, der übrige Staub darf bleiben, irgendwann wird ihn der Regen abwaschen. Aber warum ist mein Auto das einzige, das gelb ist.? Entweder hat der ganze Fuhrpark auf dem Parkplatz eine Garage oder es haben alle von gestern auf heute ihre Autos gewaschen, denn alle sehen wie frisch poliert aus!

Warum werden eigentlich die Autos ständig geputzt? Über Ostern fuhr sicher außer meinem kein einziges ungewaschenes Auto durch die Gegend. Warum wird überhaupt so viel geputzt? Warum putzen Frauen ständig die Wohnung und die Männer ständig die Autos? Warum ist ständig und überall die Sauberkeit in und um Räume so ein raumgreifendes Thema, alle schimpfen über diese ständige Putzerei, räumen ihr aber trotzdem soviel Lebenszeit ein. Am schlimmsten ist für mich das Geräusch des Staubsaugers, ich beschränke es auf höchstens einmal im Monat. Und ich putze erst, wenn es wirklich dreckig ist und nicht nahezu ständig, damit es nicht dreckig wird. Und je älter ich werde, umso weniger verstehe ich, warum Dreck schlecht ist und Sauberkeit gut. Ich sitze ganz bestimmt lieber in einer Wohnung, der man nichtaufgeräumte Lebensspuren ansieht, mit Menschen plaudernd am Tisch als in frisch polierter und durchstrukturierter Umgebung, wo man nicht wagt, sich zu bewegen, weil man sonst die Ordnung stört.

Draußen schneit es riesige Flocken und ein kalter Wind weht übers Land. Ich mag dieses Wetter, weil das viel mehr zum April gehört als sommerliche Temperaturen.

Das Buch, aus dem ich vorhin aufgetaucht bin und das neben mir liegt, ist die Autobiographie („Wach auf und träume“) von Hanna Schygulla. Sie hat sie in dem Alter geschrieben, in dem ich jetzt bin. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen und sie hat die 80 überschritten. Ich mag sie heute als alte Frau mehr denn je. In einem Film mit ihr über ihr Leben ging ein Strahlen von ihr aus, das ich nur mit einer zärtlichen Weichheit beschreiben kann, in den Bewegungen ihres Körpers, ihrer Stimme und in diesen sanft glänzenden Augen einer Träumerin.

Ein Buch hat sie geschrieben, voller Poesie, in dem sie vieles aus ihrem Innersten offenbart und doch nichts  verrät, von den Geheimnissen, mit denen und für die sie lebt. Merkwürdigerweise kommt mir auch in diesem Buch ein Schriftsteller entgegen, der durch alle möglichen Wege in anderen Büchern in mein Leben hineinleuchtet, meine Nähe zu suchen scheint und auf sich aufmerksam macht: Jorge Luis Borges. Schygulla bekommt irgendwann bei Dreharbeiten in Argentinien einen Zettel zugesteckt, auf dem die folgenden Worte stehen:

„Alles ist ein stummer Buchstabe einer unentzifferbaren Schrift“. (Borges)

Und sie schreibt dazu: „Sichtbar werden hinter diesen Worten die Wasserzeichen des Geheimnisvollen, das ich brauche wie das täglich Brot, um gern zu leben.“  Und ich  … ich habe sofort das Gefühl, daß ich jetzt auch von ihr diesen Zettel zugesteckt bekomme, auch ich suche und brauche das Geheimnisvolle, um zu leben.

Ich hätte gerne ihr Programm gesehen „Borges, der Tango und ich“, das sie in den 90er Jahren auf der Bühne spielte. Sie sang alle Lieder auf spanisch. Komponiert und mit dem Klavier begleitet hat sie ein inzwischen weltbekannter Künstler, mit dem zusammen ich in jungen Jahren noch vor seiner Karriere über längere Zeit im gleichen beruflichen Umfeld gearbeitet habe. Schon damals schätzte ich ihn sehr, obwohl wir in unseren Auffassungen ziemlich getrennt voneinander agierten und ich ihn sehr viel besser kannte, als ihm lieb war. Das Leben geht seltsame Wege, um nicht zu sagen: wir wandeln in „Gärten, deren Pfade sich verzweigen“ (Borges)

Hab Dank, Freundin, daß Du mir von dieser Autobiographie erzählt hast und Hanna Schygulla danke ich, daß sie darüber schreibt, wie sie ihr Leben in ihre weichen Hände nimmt und es in Güte und Zärtlichkeit betrachtet … was könnte dem Leben Schöneres widerfahren? Ich hab es erst zur Hälfte gelesen und freue mich auf alles, was noch kommt.

Und ich liebe es sehr, wenn ich in einem Buch zu einem anderen Buch gelenkt werde, so wie jetzt, da ich in den „Fiktionen“ wieder einmal  „Die kreisförmigen Ruinen“ lese, von dem Mann, der so lange seine Figuren träumt, bis sie wirklich sind und an einem Schicksal tragen. Diese flirrend geheimnisvolle Welt … der Spiegel im Spiegel im Spiegel … kein unwirkliches Verstehen, aber wirkliches Erspüren möglich, für eine Träumerin wie mich.

„Lassen Sie mich ein, ich werde für Sie träumen“ (H.Schygulla)

Ja.

 

Und diese Region durchträumt die Kraulquappe

 

# 46 Der kriechende Günsel

Vorgestern hatte es 30 Grad, heute ist es kalt. Schnell und unerwartet springen die Temperaturen von einem ins andere Extrem. Im Gartencenter quellen die Einkaufswägen über, vollbeladen mit sommerlicher Containerware, frisch geliefert aus den Massenzuchtanlagen. Auch in der Giftabteilung wird fleißig eingekauft, Ameisentod, Schneckentod, Wühlmaustod, Bemoosungstod für Gartenfliesen, Fruchtfliegentod, Silberfischtod,  Mückentod, Läusetod und was noch so alles kreucht und fleucht und vernichtet werden muß, weil es sich nicht an die jeweiligen Zucht- und Ordnungsregeln hält. Die Packung billigster Rosendünger kostet 10 EUR, das erschreckt mich anscheinend so, daß ich nicht merke, daß die kleine Stachelbeerstaude, die ich kaufe, gar keine Stacheln hat. Ich merke es erst beim Verladen ins Auto und auf dem Zettel wird beschrieben, daß man die Stacheln weggezüchtet hat. Meine Güte, jetzt haben wir also Stachelbeeren ohne Stacheln, was für eine merkwürdige Welt.

Auf der Straße liegen die ersten zerquetschten Igel und am Haus vorbei rast der Jungbauer und Großpächter mit dem vollen Güllewagen, den er über den Nachbarswiesen ausleert. Er fährt etliche Male, wieviel Gülle wird er hinterlassen … 100000 … 200000 … 300000 Liter? Man sieht auf den Wiesen die Ausbeutung, je gelber die Grasflächen sind und je mehr Löwenzahn dort wächst, umso schlimmer ist die permanente Überdüngung. Gottseidank sind unsere Wiesen bei weitem nicht so gelb, wie die umliegenden, unser Pächter hat weniger Tiere und deshalb auch nicht soviel Gülle.

Wenn diese stinkenden Transporte vorbeirasen, dann liegt bald darauf ein Geruch in der Luft, der so gottserbärmlich stinkt, daß es mich würgt.

Ums Haus herum fliegen wieder die kleinen Fledermäuse, der aufgewachte Igel schiebt den laut scheppernden leeren Katzenteller mit der feuchtglänzenden kleinen Schnauze vor sich her übers Pflaster, keine Ahnung, was er damit vorhat.

Zu meiner großen Freude reckt der kriechende Günsel bereits seine Köpfe aus der Erde und wird in den nächsten Tagen und Wochen alles ums Haus herum mit blauer Blütenpracht überziehen. Ein paar fleißige Hummeln schleppen bereits schwere Taschen mit gelbem Löwenzahnstaub und machen sich beladen und leicht torkelnd auf den Weg heim in den Bau, um die Nachkommenschaft mit süßem Kraftstoff zu füttern.

Jetzt dämmert es in die blaue Stunde hinein. Die Zeit läßt sich Zeit und bleibt bewegungslos  auf den Ästen und in den Zweigen der Birke sitzen und pflegt den Stillstand. Niemand fällt das auf, nur die weisen Katzen, die vor der Küchentüre sitzen und dösen, heben manchmal ganz langsam die Köpfe und schauen blinzelnd hinauf ins Birkengeäst.

Es wird Nacht, aber der Himmel behält sein magisches Blau, das immer heller ist  als die Dunkelheit hier unten.

Wie schön doch die Welt ist.

Und da schreibt die Kraulquappe

# 45 Fallhöhe

In einem meiner Lebens-Lieblingslieder singt der Wolferl Ambros auch heute noch, daß es ihm wie dem Jesus geht, weil ihm auch das Kreuz so weh tut. Mir gefällt es heute fast noch besser, weil die Stürme des Lebens seine Stimme ausgefranst haben und sein Gesicht ausschaut wie der Wald nach dem großen Schneedruck im Winter. Alle Versuche, da was zu retten, würden nur noch tiefere Gleise im Boden hinterlassen. Er ist alt und das merkt man und trotzdem sitzt er auf der Bühne mit der Gitarre und spielt, wie es jetzt klingt, echt und unverfälscht, er könnte nichts Besseres tun.

Der Unfall passierte eine Woche vor Ostern und es passierte genauso blöd, wie halt sowas passiert und ich konnte es nicht vermeiden, das Umfallen. Ich bin ziemlich schnell mit dem Radl gefahren über Stock und Stein und bin wohlbehalten daheim angekommen. Vor der Garage habe ich angehalten, war schon mit beiden Füssen auf dem Boden und bin mit dem Rad umgefallen, weil ich mit dem Schuh auf unerklärliche Weise an der Stange hängenblieb, das Gleichgewicht verlor und mitsamt dem Rad in den Schlamm stürzte. Wie in Zeitlupe konnte ich zusehen, wie es passierte, keine Chance, das Ganze aufzuhalten. Blöderweise bohrte sich dabei der Lenker in meine Brust, das tat so weh, daß ich dachte, ich muß sterben. Machen kann man da nichts außer Quarkwickel, ich muß einfach abwarten, bis der schreckliche Bluterguß von alleine wieder vergeht. Inzwischen kann ich schon wieder halbwegs schmerzfrei einen Wäschekorb tragen. Unseren freundschaftlichen Osterbesuch konnte ich noch nicht umarmen, weil mein alter Leib im wahrsten Sinne des Wortes noch an schmerzhafter Hinfälligkeit leidet. MIt dem Radlfahren muß ich erstmal pausieren, hoffe aber, daß ich mich wieder losfahren traue, irgendwann.

Die Karwoche und Ostern war durchzogen von täglicher Freude über die Briefe der Frauen. Ich sehe es als großes Geschenk, daß dieser „Transfer“ möglich war  und daß sich Frauen auf dieses „Erinnern“ mit unglaublicher Ernsthaftigkeit eingelassen haben und so mutig waren, ihre Traurigkeit, Sehnsucht und Liebe zwischen den Zeilen zu verströmen. Es kam ja diesmal nicht darauf an, besonders gute Texte zu verfassen, sondern einfach nur, sich zu öffnen, bereit zu machen für das, was da kommt. Es ist gelungen. Ich danke denen von dort und denen von hier für das Glück dieses Versuchs einer Annäherung. Es hat mich durch die Osterzeit getragen und es wirkt in mir nach, immer noch und intensiv. Seid mir herzlich gegrüßt und laßt uns in Verbindung bleiben.

Bei einer Suche im Graugans – Archiv habe ich mit Erstaunen festgestellt, daß es diesen Blog seit Februar 2014 gibt, also schon zehn Jahre. Meine Güte, und ich erinnere mich noch ganz deutlich, wie ich mich gefreut habe, als die „Mützenfalterin“ mir damals  ein liebevolles Herzlich Willkommen geschickt hat. Ein fremder Mensch in einem für mich damals extrem fremden Universum hält mir seine virtuelle Hand zum Gruß hin! Wie schön. Liebe Elke, das werd ich Dir niemals vergessen!

Heute war die Firma da, die unsere Dachrinnen reinigt, wenn wieder mal der altehrwürdige Nußbaum, die Ebereschen und die wilden Rosen ihre Finger nach überall ausstrecken und leider ihre Blätter mit Vorliebe dort aufstauen, wo dann das Wasser nicht mehr abfließen kann und sonstwohin rinnt. Gottseidank gibt es so eine Firma, es kommen immer dieselben sehr freundlichen Männer, die dann riesige Leitern anlehnen und in Windeseile, so mirnix dirnix in der Luft hängend die Dachrinnen ausräumen. Mir wirds schon schwindlig beim Hinschauen.

 

Und da schreibt die Frau Kraulquappe

 

 

 

#44 Ranunculus ficaria und der Kikeriki

Heute um 4.06 Uhr war Frühlings-Tag-und Nachtgleiche. wir gehen auf Ostern zu.

Auf der Bundesstraße liegt schon wieder ein plattgefahrenes graubraunes Fell … ein Feldhase, jetzt ist er nur noch ein kleines Häuflein Elend. Beim Weiterfahren sehe ich in einiger Entfernung auf der Wiese rechts von der Straße fünf lebendige Hasen sitzen. Beim Näherkommen steigen drei davon als Bussarde senkrecht in die Luft, ein weiterer  entpuppt sich als Katze vor einem Mausloch und der fünfte der Gruppe hoppelt schließlich als Hase nach irgendwohin in Richtung Gebüsch.

Um den alten Nußbaum herum wächst in großen Mengen „der Kikeriki“, auch Gefingerter Lerchensporn genannt, wie ein Teppich breitet er sich um den Baum herum aus. Man kann ihn mit etwas Geschick langsam aus der Erde ziehen, er hat eine einzige, lange weiße Wurzel, die uns als Kinder sehr faziniert hat, schaut sie doch aus wie ein langer Wurm. Große Sträuße haben wir damit gebunden.

Unter unserer Kiefer entdecke ich eine Kolonie Veilchen. Mein ganzes Leben lang kamen immer am gleichen Platz im Frühling die Veilchen, man konnte sie schon paar Meter vorher riechen. Dann blieben sie jahrelang aus und ich suchte vergebens nach ihnen, denn ein Frühling ohne sie war mir nicht vorstellbar, aber jetzt sind sie wieder da und im Verströmen ihres Duftes senkt sich ein tiefer Frieden in mein Herz.

Ich liebe den Fernseher und wenn genug Geld da wäre, dann hätten wir längst den  mit dem größten Bildschirm, den es gibt! So viele Spielfilme,  Dokumentationen, Reportagen  und interessante Gespräche hätte ich ohne Fernseher niemals gesehen.  Und ich stimme Werner Herzog zu, der sagt: „Ich sehe ab und zu Trash-TV… ich will wissen, in welcher Welt der Sehnsüchte ich lebe.“ Ja, so geht es mir auch.

Natürlich ist ein Fernseher kein Ersatz für das Kino und manche Filme leiden unter dem kleinen Format, in das sie gezwängt werden, aber so viele Filme, die mich interessieren, hätte ich nie gesehen, weil sie in den erreichbaren Kinos nicht gezeigt werden. Auch DVDs sind keineswegs ein Ersatz, aber: in der Not frißt der Teufel Fliegen, nicht wahr!

Nächste Woche kommt auf ARD eine Serie über Kafka, Regie führt David Schalko und der Kameramann ist der großartige Martin Gschlacht und die Besetzung aller Rollen ist so grandios, das kann nur gut werden, ich freue mich sehr darauf! Filme, in denen Martin Gschlacht die Kamera führt, will ich alle sehen, weil es immer besondere Filme sind. Erst kürzlich hat er den silbernen Bären auf der Berlinale bekommen. Ob ich mir den Film „Des Teufels Bad“ anschauen werde ist noch nicht sicher. Allein die Ausschnitte, die ich bisher gesehen habe, sind mir so unter die Haut gegangen und lösen Reaktionen in meinem Innenleben aus, die ich kaum ertrage. Es geht um Frauen, um das Weinen der Frauen, um die Qual von Frauen, was ihnen angetan wird und was sie sich gegenseitig und selber antun und das ist nicht einfach so eine Geschichte von früher, einer anderen Zeit, die man sieht und froh ist, daß es heute anders ist. Das Schlimme daran ist, daß es um die Wahrheit und die Wirklichkeit  eines  Lebens als Frau geht und das es uns jetzt betrifft … wenn wir es wagen, uns zu er – innern.

Es gibt im bairischen Deutsch einen alten Ausdruck, fast vergessen ist er schon:  das „Innerwerden“.  Wie immer kann man das nicht gut übersetzen, es bedeutet ungefähr sowas wie : man erfährt was Neues, aber es ist wichtig und intensiv gemeint.

Wenn ich also sage, daß ich in diesem Film was innerwerde, daß wir was innerwerden, was deshalb so schmerzt, weil es an etwas rührt, was wir als eine Art Kollektivschmerz schon in uns tragen … dann weiß ich nicht, ob ich diesen Film aushalte. Der Kameramann sagte, er hat weinen müssen.

Ein unglaublich schöner Tag ist heute und ich lege die geliebte alte Platte von Reinhard Mey auf und spiele das Frühlingslied

„…die Mädchen tragen ihre Mäntel offen
und Männer wagen einen schnellen Blick.
In allen Augen blüht ein neues Hoffen,
auf Liebe und ein kleines Stückchen Glück…“

 

Heute auf der Streuwiese:
Das Scharbockskraut

 

und da blühts bei der  Kraulquappe

# 43 Der Alfons, der Bussard und die Buschwindröserln.

In der Laterne vor dem alten Haus brennt schon die Kerze und die Türe ist offen, wir freuen uns auf Besuch. Der Alfons kramt noch ein bisserl im Auto herum und als er mit Gastgeschenk im schwarzen Stoffbeutel aufs Haus zu geht, da lächelt er und mir ist, als würde das Haus auch lächeln und seine Arme ihm entgegenstrecken. Meistens tut das Haus gar nichts, wenn es jemand betritt, zumindest merkt man ihm nichts an. In seltenen Fällen scheint es jemand, der oder die es betreten, nicht zu mögen, dann verhält es sich kalt und abweisend und eine Art Düsternis kriecht aus den Ecken und es wird dunkel, auch wenn das Licht brennt. Und manchmal, da lächelt es aus allen Ritzen und ein warmer, goldener Schimmer der Freude legt sich über die Dinge und über die Menschen, die um den Tisch herum sitzen..

Ja, und so war dieser Abend dann auch. Der Alfons ist ein lieber Mensch, wir verstehen uns gut und aus diesem Kontakt ist im Lauf der Jahre immer mehr eine Herzensfreundschaft geworden. Wir sitzen da, essen und trinken und lassen die Geschichten kommen und gehen. Es gibt soviel zum Erzählen, so viele Fragen, so viele Antworten, ein wohltuendes Reden, so, als würden wir schon hundert Jahre hier sitzen und die nächsten hundert dazu.  Und wir sind umarmt von meterdicken Mauern, selten, daß ein Gast und das Haus sich so mögen. Und wir gehen in den großen Raum hinaus, in dem früher die Schmiede meines Vaters war. Auf dem Weg zum hinteren Teil des Hauses hängen unzählige alte Schlösser und Hellebarden lehnen an der Wand … übriggeblieben von einem Auftrag einer Burg. Alfons schaut alles mit glänzenden Augen an, sein Vater war auch Kunstschmied und Musikant, genau wie meiner. Die ehemalige Schmiede hat Herr Graugans umgebaut zu  Fotostudio, Buchbinderwerkstatt etc. und zu seinem Firmenbüro, wir sagen aber nach wie vor Werkstatt dazu. Als wir wieder ins Vorderhaus gehen, fällt mir auf, wie schön die Dinge werden, wenn jemand sie im Vorbeigehen mit liebevollem Blick streift. Sogar die Spinnweben sind nicht wegzudenken, sie gehören zum Ensemble und runden es erst so richtig ab.

Das Allerschönste ist ja, wenn man so beieinander sitzt, wenn man die gleiche Sprache spricht und dann hin und wieder lachend feststellt, daß es doch nicht dieselbe ist, weil die ca. 15 km, die zwischen unseren Heimatorten liegen, tatsächlich zu wörtlichen Unterschieden in den Regionaldialekten geführt haben. Es tut unglaublich gut, mal einen Abend lang die ganz normale hiesige Alltagssprache zu hören, ohne die ständige Anpassung an das, wie ich es nenne „Nordsprech – Syndrom“, das krampfhaft verhindern soll, daß man der Sprache das Südliche anhört. Das angestrebte, weil intellektuell höherstehend vermutete nördlich angehauchte Hochdeutsch scheint umso leichter erreichbar, je mehr man Wörter wie „mega“ und „lecker“ benutzt und nicht mehr schauen, sondern nur noch „kucken“ darf und was sonst noch an „unfassbar“ gescheiter Sprachvielfalt so daherkommt.

Wir hatten es schön mit dem Alfons und haben geredet, wie uns der Schnabel gewachsen ist und wir werden das sicher bald wieder so machen. Nachdem wir uns um Mitternacht verabschiedet hatten, lag auf dem Sofa der vergessene schwarze Stoffbeutel mit dem Aufdruck „Chor“ herum … wie war das … man läßt was liegen, dann kommt man bald wieder zurück, oder? Wär schön, freu mich schon!

Beim Radlfahrn kommen kalte Windböen und jagen mir Regentropfen wie Eiskugerln ins Gesicht. Ich mag dieses Wetter im März, ich brauch nicht immer Sonnenschein und ich liebe es, durch den Sturm zu sausen und mich von der wilden Kraft der Elemente tragen zu lassen.

Auf der Eberesche, ganz oben, sitzt der Bussard. Ich sehe ihn jetzt täglich. Heute schaut er zu mir runter, schaut mir direkt in die Augen und bleibt sitzen, während ich an ihm vorbeifahre.

 

Auf der Streuwiese heute:

Buschwindröserl (Anemone nemorosa)

 

Da schreibt die Kraulquappe.

# 42 Himmelaufsperren

Die frühjahrsmäßige Verprimelung hat bereits begonnen, landauf landab stehen sie in Töpfen und Schalen tonnenweise herum und sollen mit ihren grellen Farben angeblich gute Laune machen.  Ob das was nützt bei denen, die von früh bis spät über einfach alles schimpfen müssen? Man könnte einen Container voller bunter Primeln über sie ausschütten, es würde nichts nützen. Und ein scheußliches Haus bleibt immer ein scheußliches Haus, auch tonnenweise Wegwerfblumen machen es nicht schöner. Was ich auch noch nie verstanden habe ist das sofortige Wegwerfen nach Absolvieren der angezüchteten Blühpflicht. Manchmal bekomme ich abgeblühte Exemplare, man sagt dann, ich hätte ja einen grünen Daumen. Oder weil ich doch am Land lebe und soviel Grund ums Haus herum, da gäbe es ja mehr Möglichkeiten als in der Stadt, wo man nur einen Balkon hätte usw. Also, mein Daumen ist keineswegs grüner als der von der übrigen Spezies und ich sage dann: geh halt spazieren und vergrab die Primeln unter irgendwelche Büsche oder im Wald, Du brauchst dazu nur eine kleine Schaufel. Es macht mich traurig, wenn lebendige Wesen in die Abfalltonne geworfen werden, nur weil sie nicht mehr blühen.

Manchmal sprechen mich alte Menschen an und sagen: Du sammelst doch Geschichten, mir ist da was eingefallen, was früher immer so erzählt wurde, Du kannst es bewahren, bevor es verschwindet. Ich höre sie mir gerne an, die alten Geschichten, aber bewahren kann ich sie nicht, und ich sage immer wieder, erzählt sie Euren Enkelkindern, denn Geschichten werden bewahrt, indem man sie weitererzählt. Ich höre immer wieder, daß „die Jungen“ nur in ihr Handy starren, die würden nicht zuhören. Meine Erfahrung mit jungen Menschen ist eine ganz andere. Abends, an einem knisternden und funkensprühenden Feuer, da verschwinden die Handys ganz schnell, weil sie beim Zuhören stören und beim Singen.

Das Bewahren ist eine zweischneidige Sache: Ein altes Bauernhaus bewahrt man nicht, indem man es abträgt und in irgendeinem Bauernhofmuseum wieder aufbaut, sondern, indem man drin lebt. Ein schönes altes Geschirr hat keinen Sinn hinter Glas in der Vitrine, sondern, wenn eine köstliche Speise von fröhlichen Menschen bei festlichem Mahle daraus gegessen wird.

Tiere bewahrt man nicht, indem man ihre Natur bricht und ihnen ihre wilde Würde nimmt und sie in Käfige sperrt, mögen diese auch noch so groß sein. Und Sprache wird nicht bewahrt, indem man sie in Wörterbüchern zur Erinnerung verliert, sondern ausschließlich nur dann, wenn man sie spricht.

Auf der Straße rollt wieder mal mit grauenhaftem Getöse eine lange Kolonne Panzer. Ein Geräusch, das mir durch Mark und Bein geht. Ich sitze auf dem Radl und versuche zu entkommen, auf dem Feldweg hin zum Wald, in die Gegenrichtung. Und ich sehe vor mir den Bussard, der oben auf dem noch nicht eingesammelten Schneezeichen am Wegrand sitzt, ganz still und bewegungslos. Beim Anblick dieser Majestät steigen mir die Tränen in die Augen … wie schön dieses Land ist, wie dankbar ich bin, daß ich eine Heimat habe und wie gut doch unser Leben hier ist … und wie schnell alles vorbei sein kann, wenn erst mal die Panzer nicht nur durchs Tal rollen, sondern auch schießen.

Der Bussard sieht mich kommen und hebt sich lautlos hinauf und schwebt mit ausgebreiteten Schwingen, von der Luft getragen, in den Himmel. Im Wald ist ein Geräusch, das sich wie Husten anhört, wahrscheinlich ein Reh.

Als ich an der saueren Wiese entlang radle, beschließe ich, heuer dort eine Jahresuhr zu gestalten, indem ich gleichzeitig zu den Mittwochsbeiträgen hier im Blog ein Foto veröffentliche, das zeigt, was grade so wächst auf dieser Wiese. Da sie anscheinend nur im Spätherbst gemäht wird, kann man gut die dort heimische Flora im Jahresablauf bestaunen. Darauf freue ich mich sehr und mache auch gleich ein Bild von diesem geliebten Zauberwesen, das mit seinen Blüten den Himmel aufsperrt.

Sei willkommen und gegrüßt, Himmelsschlüsserl!

 

Und da streift die Kraulquappe durch die Welt!

# 40 unter der Sonne

Den uns selbst erstellten Auftrag, uns zu einer beliebigen Zeit an einem beliebigen Tag hinzusetzen und darüber zu schreiben, was grad ist, das ist keineswegs so einfach, wie es sich anhört. Ich denke an ein Zitat aus einer Rezension über den Essayband „Die Würde ist antastbar“ von Ferdinand von Schirach. Darin geht es in etwa darum, daß die Leute meinen, man würde sich hinsetzen, schreiben, aufstehen und das Gedicht sei fertig. So einfach ginge das aber nicht, das Schreiben, man ist nicht nur einsam, sondern es macht auch innendrin was mit einem Menschen. Grade noch bin ich in der Sonne gesessen auf der Hausbank vor dem alten Haus, um mich herum die eigenen Katzen und ein Kostgänger, der sich weigert, heimzugehen, was auf Dauer nicht ganz unproblematisch bleiben könnte für die nachbarliche Harmonie.

Um mich herum wächst alles und bald werden in dieser Wärme die Knospen aufspringen, viel zu warm, viel zu früh… einem hochaktuellen wissenschaftlichen Forschungsergebnis zufolge verlangsamen sich die Wasserströmungen im Ozean bedenklich, wenn der Golfstrom zum Erliegen kommt, dann ist der Kipp-punkt erreicht und man kann nur ahnen, was dann passiert, Eiszeit oder Wüste in Europa. Und wenn wir so weiterleben, wie wir das derzeit tun, dann wird es schon die nächsten Jahre passieren. Es verunsichert mich zutiefst, warum da nicht mehr darüber gesprochen wird und vor allem, was es für uns zu tun gibt, jetzt, um das Ganze noch aufzuhalten. Klimawandel ist nicht nur ein Wort, sondern die Vernichtung unserer Existenz hier auf Erden. In Spanien vertrocknet das Land, aber wir kaufen jetzt im Februar die Erdbeeren und den Salat und die Zucchini von dort  und dann werfen wir auch noch die Hälfte davon weg, weil wir die Form des Überkonsumierens gewöhnt sind und jegliche Einschränkung als bedrohliche Freiheitsbeschneidung empfinden. Auch die Urlaubsfliegerei wird eher immer mehr, am Abend sehe ich über Salzburg so viele Flieger aufsteigen, daß es mir vorkommt wie ein überdimensionales Tontaubenschießen, die werden auch im Minutentakt in die Luft gejagt.

Aber wir hoffen halt, daß die Wissenschaft sich irrt und übertreibt und es wird schon alles gutgehen oder?

Ich bin froh, daß noch gutes Wasser aus der Leitung fließt, wir genug zum Essen haben und daß uns keine Bomben um die Ohren fliegen. Aber wenn ich mich so umschaue, was an Sorgen und Problemen um mich im Gras zwischen den Winterlingen und den heraustreibenden Tulpen  so herumliegt … möcht ich manchmal gerne einfach davonlaufen. Es gibt für jedes Problem eine Lösung, man muß sich nur trauen, sie zu finden. Ich lerne in kleinen Schritten, Alter und den Verfall des Körpers anzunehmen, weil das Dagegensein ja auch gar nichts besser macht, sondern nur unglücklicher. Dinge annehmen, wie sie sind … in Demut … eine Lebensaufgabe.

Viele Probleme haben damit zu tun, daß man das Geld, das für ihre Bewältigung nötig wäre, nicht hat. Wenn ich daran denke, wie es mit Haus und Hof weitergehen soll und auf welche Lösung es immer deutlicher hinsteuert, dann fängt solidarisch mit dem kaputten Dach auch mein Herz an, zu bröckeln.

Josef Hader hat einen Film über das Land gemacht, erzählt er im „Kulturjournal“, im Radio auf Ö 1. Er sagt, daß das Land immer nur so dargestellt wird, wie die Stadtmenschen sich vorstellen, daß es zu sein hat. Normalerweise schau ich mir keinen Film an, der grad überall beworben wird, aber hier werde ich eine Ausnahme machen. Hader sagt, die Menschen in der Stadt sind weder besser noch schlechter wie die am Land, sowohl hier wie dort werden sie von ihrer Umgebung deformiert. Der Unterschied : In der Stadt kann man sich besser verstecken, das ist am Land nicht gut möglich. Und in seinem Film kommen Menschen vor, die alle nicht so sind, wie man sich am Land eine Frau oder einen Mann vorstellt … sie passen nicht dazu. Das möchte ich mir ansehen, denn dieses Thema Stadt/Land ist auch mein Thema und ich freue mich sehr, wenn es jemand , den ich schätze aufgreift und mit seinen Mitteln was draus macht. Der Film heißt: „Andrea läßt sich scheiden“ und läuft ab Anfang März auch in deutschen Kinos.

Gestern war der Tag der Muttersprachen. Hans Kratzer hat für die SZ einen außergewöhnlich guten Artikel darüber geschrieben, wie es in Bayern mit der  Landessprache  so ausschaut! Das Land und seine Sprache, ein enorm weites Feld und eine inzwischen sehr traurige Geschichte. Eine Frage treibt mich um, die mir niemand wirklich zufriedenstellend beantworten konnte bisher: warum flüchten Menschen panisch aus ihrer Muttersprache, ihrer Mundart, der Sprache ihrer Region, versuchen sie aus sich heraus zu brennen und verbieten ihren Kindern sie zu sprechen? Warum wollen so viele Menschen nicht mehr, daß man hört, woher sie kommen? Wie gesagt, ein weites Feld und muß einen ganz eigenen Platz demnächst hier bekommen! Land und Sprache hängt in enger Verbindung zusammen. Ich liebe die verschiedensten Mundarten, jede ist gut auf ihre Weise, ihre Melodie.

Im bairischen Fernsehen ist so ziemlich der einzige Ort, wo man zumindest in einer Art Kunstbairisch noch ein bisserl oberbairisch, niederbairisch, fränkisch und oberpfälzerisch hört,  die Serie: „Dahoam is dahoam“. Ja, das ist Trash, ich hab dafür ein Faible, deshalb kann ich den zugegebenermaßen großen Schmarrn überhaupt aushalten, aber es wird tatsächlich von manchen SchauspielerInnen eine einigermaßen normale Alltagssprache gesprochen. Ansonsten dürfen in Filmen hauptsächlich Verbrecher, mehr oder weniger depperte Hausmeister oder den HauptdarstellerInnen untergeordnete geistig minderbemittelte Handwerker oder, die Steigerung, dicke und dumme Kellnerinnen oder Hausfrauen etc. die Mundart der Region sprechen. So schauts aus.

Seit Tagen geht mir dieser Bibelvers nicht mehr aus dem Kopf:

Was geschehen wird,
wird wieder geschehen.
Was man getan hat,
wird man wieder tun.
Es gibt nichts Neues
unter der Sonne.

Kohelet 1,9

Liebe Kraulquappe, vielen Dank an Dich und R. für den Kratzer-Artikel, der Herr Graugans, selbst SZ-online- Jünger,. hätt ihn doch glatt übersehen!

# 39 Memento homo …

… daß du Staub bist und zum Staub zurückkehrst.( Gen.3, 19)

Heute, zu Beginn der magischen 40 Tage bin ich selber überhaupt nicht verkatert, obwohl drei der nämlichen Exemplare der Fellbande (zwei eigene und ein Kostgänger) um mich herumsitzen. Gestern war Faschingsdienstag. An mir ist der Fasching leider spurlos vorübergegangen. Früher machte immer irgendwer einen Hausball, „Tanz in allen Räumen“, zum Essen gab es Nudelsalat, belegte Brote und den Käse-Igel, eiin großer Weißkrautkopf wurde in Alufolie gewickelt und dann mit Trauben und Käsewürferln gespickt. Dazu gab es Ananasbowle und Bier und um Mitternacht gabs scharfe Gulaschsuppe. Und es wurde selber Musik gemacht , gesungen, Platten aufgelegt und getanzt. Alle waren irgendwie kostümiert, da war nichts Gekauftes dabei, sondern aus alten Gewändern was zusammengenäht. Und es gab immer ein Motto und es waren immer zuviele Leute in zu kleinen Räumen, man mußte beim Tanzen aufpassen, daß man nicht den anderen auf die Füße trat. Unser letzter Hausball war vor etlichen Jahren  und lange vor dem schrecklichen Krieg, die „Russendisco“. Und da waren kaum zehn Leute da. Jetzt macht niemand mehr einen Hausball, weil kein Mensch mehr daheim ausgelassen feiern mag, anscheinend. Der Fasching scheint nicht mehr stattzufinden, zumindest nicht mehr im privaten Umfeld, die Realität oder was sonst, erlaubt es nicht mehr, sich Masken aufzusetzen und sich in jemand anderen zu verwandeln. Schade, ich würde gleich wieder zu einem Ball einladen, wenn es Leute gäbe, die Lust drauf haben.

Bei der besten aller Faschingsveranstaltungen, in Veitshöchheim,  waren die Narren los, so wie es sich gehört. Und mittendrin im bunten Treiben mit Musik und lustigen Sprüchen setzten die Narren den als Reichskanzler und Maurer verkleideten Landesvater samt Assistenz zu und sagten ihnen, bitterernst und gnadenlos die Meinung, wie es sich zumindest einmal im Jahr auch gehört, auch dafür sind die Narren gut und völlig richtig am Platz. Da war dann mal für kurze Zeit niemandem mehr zum Lachen zumute.

Als Schulkinder haben wir uns das ganze Jahr über auf den Faschingsdienstag gefreut, wir durften verkleidet in die Schule kommen, „Maschkeragehen“ haben wir das genannt und auf dem Gesicht hatten wir eine „Larve“, wir durften lustige Filme anschauen und später sind alle Klassen mit ihren LehrerInnen in einem langen Faschigzug durch das Dorf gezogen. Ich kann mich so gut erinnern, daß ich mal zwischen einem Koch mit großer Haube und einem Rauchfangkehrer mit schwarzem Gesicht gegangen bin. Meine Freundin und ich waren „Feine Damen“ aus der Stadt, stöckelten Po wackelnd herum, das Gesicht aus dem Farbkasten bemalt und wir redeten ziemlich gespreizt nach der Schrift … so wie wir uns halt die feinen Damen vorstellten. Schade, daß man den Kindern diese Freude heute nicht mehr gestattet.

Am Rosenmontag hätten wir gerne die Nachbarsfreundin mit ihrem Mann zu einem heute altmodischen Fondue eingeladen, aber beide sind furchtbar an einer Grippe erkrankt und ich koche Hühnersuppe, der ich einen Heilungszauber untermische, weil ich das kann,  und mache Ingwerwasser und Fischstäbchen mit Kartoffelbrei und habe die Hoffnung, daß es ihnen bald wieder besser geht.

Mit den Schneeglöckerln ist es mein ganzes Leben lang immer das Gleiche: erst geht der Schnee weg, dann ist länger nichts und ich bin traurig, daß wohl keine mehr wachsen. Und irgendwann steht ein einzelnes Schneeglöckerl da und dort und sonst nichts.  Und auf einmal, sozusagen über Nacht, sind plötzlich ganze Flecken weiß, als hätte eine riesige Kraft erstmal ein paar Späher losgeschickt, um die Lage zu sondieren, um dann mit voller Kraft anzuschieben und sich selbst zu gebären und sich in einem Blütenrausch über die Wiesen zu werfen. Lauter weiße Glöckerln mit grünen Tupfen und wie betörend gut sie riechen. Unter dem Nußbaum geht der Specht spazieren mit edler Garderobe. In weißem Gefieder mit schwarzen Punkten und einem blutroten Wams und einer blaugrün schillernden Ausgehjacke stakst er herum und pickt hierhin und dorthin mit langem rasiermesserscharfem Schnabel. Bald wird er den Stamm hinaufgehen in eleganter Haltung und dann hört man sein Tocktocktock.

Im Fernsehen wird der Opernball in Wien übertragen. Der über 90 Jahre alte „Mörtel“ Lugner hat die 79 Jahre alte „Priskilla Präsli“, wie er sie nennt, als diesjährige Begleitung ausgewählt. Eine überraschend liebenswürdige und eher leis und zurückhaltende Frau wird da vorgestellt. Sie scheint sich echt zu freuen, hier dabei sein zu dürfen und bedankt sich freundlich vor den Kameras und beantwortet geduldig die immergleichen Fragen höflich und guterzogen. Sie spricht selbstverständlich von Elvis als der größten Liebe ihres Lebens. Sie steht da, heruntergehungert auf die Größe ihres Modellkleides, hinter dicker Schminke und den Machenschaften diverser operativer Verjüngungsreparaturen ist von dem, was mal ihr Gesicht war, nicht mehr viel vorhanden. Sie ist reich und berühmt, hat einen Mund, der in starrem Dauerlächeln auf eine weiße Porzellanmaske gemalt zu sein scheint, und in ihren kleinen schwarz ummalten Augenschlitzen ist es dunkel. Sie tut mir leid, die kleine, magere alte Frau, die sie nicht sein darf.

Und so schauts bei der lieben Kraulquappe aus am Aschermittwoch.