Archiv der Kategorie: Weltenklang

Heimwärts

»Werdet Vorübergehende«  (Th. 42)

Früher, wenn es so mondhell war wie jetzt, dann konnte man nicht nur hören sondern auch sehen, wie er unten im Tal auf der nächtlich unbefahrenen Bundesstraße daherkam. Und auf der kleinen Brücke, da wo der Weg zu uns hinaufführt, da hat er sich kurz zum Rasten auf das Geländer gesetzt. Dann ist er weitergegangen immer Richtung Osten, heimzu. Eine spindeldürre Gestalt, einen Gehstecken in der Hand und auf dem Kopf einen Hut. Den hat er manches Mal übermütig  den Juchzern, die aus seiner Kehle zum Himmel flogen, hinterher geworfen. Es war so still damals in der Nacht, man hörte ihn schon von weither singen. Sein Repertoire bestand aus allem, was er in seinem bisherigen Leben gehört hatte, das Meiste „ein ziemlicher Schmarrn“, wie mein Vater es ausdrückte. Mit Inbrunst hat er das Kufsteinlied, den Schneewalzer und zum Leidwesen meines Papas das romantisierende „Alpenglühn“ gerne und oft gesungen.

Ich sitze auf der Hausbank, über mir der silbertropfende Mond, dem die wieder heruntergelassenen österreichischen Grenzbalken völlig wurscht sind, er ist einfach oben drüber geflogen, weil er das schon immer so gemacht hat und es auch in Zukunft so machen wird, ob mit oder ohne Viren. Es ist so unglaublich still, nur manchmal ein leises Flattern in den Bäumen, ein Nachterl(Käuzchen) ruft und die einzigen Flugobjekte sind ein paar kleine Fledermäuse, die blitzschnell und lautlos in den Tiefen der Nacht verschwinden.

Wie gern würd ich heute den Geislechner Miche wieder singen hören. Damals galt er als komischer Kauz, wer kam denn schon in der Nacht lauthals singend auf der Bundesstraße daher? Und am nächsten Tag sagten die Leute: hast es gehört, gestern war der Miche wieder unterwegs und: jamei, er ist halt nicht so ganz richtig im Kopf… von Zeit zu Zeit kam er durchs Tal, meist vor Feiertagen, so wie jetzt vor Ostern und man hörte seine Stimme, eine Art Tenor, aber so genau kann ich mich nicht erinnern, nur, daß er sehr laut gesungen hat in schwindelerregende Höhen hinauf und so grad noch am äußersten Rand der für die Lieder beabsichtigten Tonfolgen, manchmal auch ein bisserl, also haarscharf, daneben. Er hat die Liedfolgen abgesungen und dann fing er wieder von vorne an. Niemals wieder habe ich : „Schau das Alpenglühn überm Bergsee“ schmalziger und inniglicher singen gehört wie vom Miche … und auch wenn wir uns noch so anstrengten, würden uns die Jodler nie so herzergreifend aus der Brust springen wie die seinen und die Juchizer dazwischen.

Irgendwann hab ich ihn zum letzten Mal singen gehört und dann nie wieder. Irgendwann ist er zum letzten Mal an uns vorübergegangen, heimwärts …

Und irgendwann, es ist noch gar nicht so lange her, habe ich mit der alten Nachbarin geplaudert und sie hat mir erzählt, daß der Miche aus einem kleinen Häusl stammte, viele Kinder waren da, die taten sich schwer in der Schule und viel Geld hätte es sicher nicht gegeben. Der Miche hat in Adelhozen gearbeitet, da, wo das Heilwasser herkommt, das vor undenklicher Zeit der Hl. Primus als Quelle im Wald gefunden hat. Was er da gearbeitet hat, weiß man nicht und ob sie ihm viel Geld dafür bezahlt haben … aber wenn er am Wochenende mal frei hatte, ist er am Abend nach getaner Arbeit heimgegangen.  Das sind ungefähr 15 km, und da hat der Miche ganz laut singen müssen, weil er sich so arg gefürchtet hat im Finstern.

Ach, was gäb ich drum, wenn ich ihn hören tät heute … ich würd ihm zuwinken und mitsingen, ganz laut und das schmalzigste aller Lieder am Allerlautesten.

Das Lied ist für Dich, Geislechner Miche, Du kennst das Geheimnis:
wir sind alle Vorübergehende … heimwärts

 

 

 

 

 

»Andrea s’è perso …«

Dem fahlen Himmel haben die Berge die Farbe ausgeschlürft, an ihren Steilwänden läuft sie hinunter und versickert in den Falten. Blau sind sie jetzt, so blau wie damals das Cover der Platte „Blu“ von Fabrizio de Andre. Im Autoradio ein Feature zu seinem Geburtstag. 80 Jahre alt wäre er geworden, wenn ihn der Tod nicht schon vor 20 Jahren geholt hätte. Einer, der aus wohlhabender Familie stammend, es sich leisten konnte, für die am Rand zu singen, sagt die Sprecherin.
Einer, der immer ganz nah an den den Abgrund heranging und über den Rand schaute, zu den Verlorenen und Abgestürzten, der seine Poesie entgegenstellte dem hoffnungslosen Leid und zärtliche Lieder als Geschenke für die Huren in den Schlamm der Straßen fallen ließ, sage ich.
Aber was wissen wir schon … er hat Lieder gemacht, um zu überleben, auch über die Zeit der Gefangenschaft in den sizilianischen Bergen, er hat viel getrunken, um zu überleben und immer wieder kommen Rosen vor in seinen Texten als Geschenk für die, denen niemand mehr was schenkt.

Früher, in dieser Zeit, die man dann später als „Jugend“ bezeichnet, da hörten wir seine Lieder, deren Texte wir nicht verstanden, wir liebten seine schöne Stimme und ließen uns tragen von den Klängen, durch die Liebe waren wir leicht geworden, eine Zeitlang …
Wir waren jung, der Geliebte und ich und wir hatten es mit der Liebe zu tun, sie duftete nach Rasierwasser, Küsse schmeckten nach Wrigley , unsere Lippen waren weich, die Haut zitterte unter den aufgeregten Händen … für immer und ewig sollte er weitergehn, der Tanz ins Glück.

La canzone dell’amore perduto

Erinnere dich, die Veilchen erblühten
bei unseren Worten:
„Wir werden uns nie verlassen, nie und nimmer“.

Vorrei dirti ora le stesse cose
ma come fan presto amore
ad appassir le rose
così per noi

Die Liebe, die die Haare rauft,
Ist nun verloren,
Nichts bleibt außer ein wenig lustlosem Streicheln
Und etwas Zärtlichkeit.

Ma sarà la prima
che incontri per strada
che tu coprirai d’oro
per un bacio mai dato
per un amore nuovo

Viel später sagte der ehemals Geliebte: Du warst die erste, wirklich große Liebe in meinem Leben. Der Kuß war zu schwer von Verrat und sank zwischen unseren Mündern zu Boden.

Wie lange das alles schon vorbei ist, viele Jahre konnte ich die Lieder von damals  nicht mehr hören, jetzt ist der Schmerz blaß geworden wie der heutige Himmel, eine kleine Wehmut ist geblieben, und als ich das Lied „Andrea“ höre, da kriechen nochmal die Bilder von damals aus ihren Verstecken und lassen mich die Narben spüren … Es handelt von einem, der sich verlaufen hat und nicht mehr zurückfindet … ja, ich weiß, wie das ist. Ich weiß, wie man verlorengehen kann, immer und überall und in Menschen, in ihren Augen und Worten und in meinen eigenen Gefühlen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn eine Geschichte auserzählt ist und das pochende Herz das nicht glauben will. Die Liebe läßt sich nicht halten, weder beim Kommen, noch beim Gehen. Sie bietet keinerlei Sicherheit und schützt nicht vor Verrat. Sie kümmert sich weder um das, was ihr vorauseilt, noch was sie hinter sich herzieht. Das einzige, was die Liebe tut, ist lieben.

Andrea s’è perso
S’è perso
E non sa tornare
Andrea aveva
Un amore
Riccioli neri
Andrea aveva
Un dolore
Riccioli neri …

Andrea hat sich verlaufen und findet nicht mehr zurück. Er hat sich in einer schwarzgelockten Liebe verloren und jetzt in einem schwarzgelockten Schmerz … auf dem Papier steht, er wäre fürs Vaterland gefallen … abgeknallt haben sie ihn, in den Trentiner Bergen …

Dieses Lied war damals ein großer Hit in Deutschland, wahrscheinlich, weil alle dachten, es sei einer der üblichen SommerSonneStrandSchmachtfetzen … in den Eisdielen rauf und runtergespielt, wer kümmerte sich schon um den Text … auch ich beginne erst jetzt, zu begreifen, um was es eigentlich geht und warum Fabrizio de Andre es den „Kindern des Mondes“ gewidmet hat! Und erst jetzt verstehe ich, warum ich oft  weinen musste, wenn ich es gehört habe.

Einer, dem es wohl auch unter die Haut gegangen ist, war Sigi Maron, der österreichische Liedermacher, der mit seiner Anarchie und EigenArt auf der Beliebtheitsskala der Angepassten ziemlich weit unten gehalten wurde und zeitweise sogar im Radio gesperrt , weil er zu sperrig und wütend über die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten war. Ich glaube, er ist Fabrizio de Andre sehr nahe gekommen mit seiner Art, das Lied auf Österreichisch umzuverdichten.

Leider ist der wunderbare Sigi Maron vor vier Jahren gestorben. Und vor einem Jahr ungefähr wollten ihm ein paar Musiker nochmal eine Ehre erweisen und es gab einen Tributabend für Sigi Maron im Wiener Stadtsaal. Daß der Nino von Wien, Ernst Molden und  Robert Rotifer hochkarätige und grandiose  Musiker sind, wusste ich natürlich, aber was mein Herz zum Überlaufen bringt vor Freude das ist diese große Zärtlichkeit, mit der ein jeder von ihnen sich dem Werk von Sigi Maron und letztendlich auch von Fabrizio de Andre nähert. Ein jeder von ihnen ist unverwechselbar er selbst … Nino Mandl liest: „es gibt kaan Gott“, es ist sein Text und trotzdem ist klar, daß die Poesie von Sigi Maron kommt! Und dann das Lied , dieses kleine große Lied über den „Andreas“, der sich verrennt hat …und sehe, wie er die Veilchen und die schwarzen Locken in den Brunnen wirft und dann … langsam … sich selbst hineinfallen läßt … ganz leise werd ich da, höre zu und sehe sie alle auf dieser Bühne, auch die zwei, die schon gegangen sind.

Andrea s’é perso … Andreas hot se varrennt

 

 

 

 

Das Feenspiel – Epilog

Irgendwann sind auch die schönsten Spiele vorbei, die Gäste gegangen und man bleibt alleine zurück. Die Graugans hat mit der knappen Begründung, sie müsse jetzt ruhen, um sich wieder zu sammeln, das eine Bein ins Bauchgefieder hochgezogen, auf dem anderen steht sie. Der Kopf ist unter dem schützenden Flügel verschwunden. Ich beneide sie ein wenig, ich werde noch Zeit brauchen, um aus den Worten, den Stimmen, den Geschichten, in deren Zwischenräumen ich mich ein wenig verloren habe, herauszutreten und bereichert an meiner eigenen Geschichte weiterzuwirken.

37 Tage lang habe ich mir hier auf dieser winzigen Bühne zwischen Himmel und Erde Gäste eingeladen, um dem Thema „Das Fremde“ auf die Spur zu kommen. Viele hochinteressante Sichtweisen führten schließlich zu uralten Daseinsformen von ersehnten Hilfskräften, die nur noch in den Märchen und Sagen vorkommen und völlig fehl am Platz erscheinen in einer hochzivilisieren Welt, in der Wahrheit nur dann zu existieren scheint, wenn sie mit Fakten und Zahlen belegbar ist. Meine Ahnungen, die Suche nach etwas längst Verlorengegangenem und meine eigene Sehnsucht nach sowas wie einem Clan der 13 Frauen ließen mich die Spürung aufnehmen. Die einzige Möglichkeit, im Nebulösen zu forschen, konnte nur das einfache Spiel sein, so wie Kinder mit dem Nichtexistenten spielen und ihm dadurch ermöglichen, sich zu materialisieren.

Viele Fragen … wird sich da überhaupt jemand drauf einlassen, wieviel oder wie wenig Regieanweisungen braucht es … wie soll ich etwas erklären, was mir selbst ein Rätsel ist … ich entschied mich für größte Geheimhaltung und die eher dürre Aufforderung: »komm und sage, was Du zu sagen hast, egal, was es ist!« Und welche Freude, sie kamen!

13 Frauen, die einen, weil ich sie gerufen habe, die anderen sind einfach so aufgetaucht und dann noch welche, die sind erschienen. Unglaubliche Texte und Bilder haben sie mitgebracht, wundersame Poesie, Herzenskraft, Macht zur Verwandlung und Zärtlichkeit, soviel Zärtlichkeit … ja, und wie das so ist, wenn man alte Kräfte ruft in Nächten, in denen die Membran dünn ist zu anderen Wirklichkeitsformen … wer Ohren hat zu hören … hört auch zwischen den Zeilen die Not und die Pein durch die Jahrtausende, Verfolgung und die Schreie der Unzähligen, die auf den Scheiterhaufen brannten … und ich sah wieder diese nackten Füsse hinter einem Karren herlaufen … und auch die Einsamkeit in unseren heutigen Existenzen.

Was mich am meisten erstaunte: das Spiel nahm seinen eigenen Lauf und entwickelte eine eigene Dramaturgie.

Manch ein Geheimnis behalten die 13 Feen für sich, das ist auch gut so, vieles muß im Raum der Ahnungen bleiben, um es zu schützen.

Heute im Morgengrauen war das Fest vorbei und ich sehe, wie alle aus der Höhle kommen, die Kronen ein wenig schief vom ausgelassenen Tanzen … lachend und plaudernd, alleine oder in kleinen Gruppen schreiten sie aus in alle Himmelsrichtungen … fröhliche Zurufe und dann sind alle verschwunden. Der Vorhang meiner Bühne schließt sich. Feenstaub glänzt da und dort. Ein paar Glasperlen liegen auf dem Boden, eine hat ihren Zauberstab vergessen, sicher die Läuferin, die hatte es eilig … eine Krone liegt da, oh, das ist meine, gleich setze ich sie auf und ich fühle sofort: ich bin die Königin in meinem Reich.

Habt meinen Herzensdank, Ihr wundervollen Frauen, die Ihr den Mut hattet, das Nichtsagbare aus Euch heraussprechen zu lassen, Dank für Euer Kommen, wenn ich rufe, das Experiment ist gelungen … nicht deshalb, weil ein Traum Wirklichkeit geworden ist, sondern … weil Ihr mit mir meinen Traum weitergeträumt habt! Wir werden sehen, ob sich die Zauberfäden zu einem zarten Gespinnst verweben …

Vielen Dank auch an das Publikum, was wäre eine Bühne ohne Euch, die Ihr über so lange Zeit Eure Lichtzeichen hinterlassen habt! Nur Menschen, die es selber wagen zu träumen, zeigen wertschätzende Achtung vor den Träumen anderer … ich habe ein zärtliches Gefühl bei jedem »like«.

So, und jetzt möchte ich allen, die mir hier schon so lange treu sind aufs Herzlichste danken, denen, deren Namen ich kenne, aber auch den vielen, die immer wieder unerkannt hereinschauen … jaja, ich kenne auch die unverbindliche Flüchtigkeit in dieser virtuellen Welt … und doch schlägt hinter jedem Click ein Herz und oft hört man es sogar und auch hier hinterläßt ein liebevolles Wort das gleiche wie in der sogenannten »Wirklichkeit« : es tut einfach gut und wärmt die Seele, nicht wahr?

Uns allen wünsche ich ein gutes Neues Jahr, daß wir die Herausforderungen bewältigen, daß wir das Lachen nicht verlernen und daß wir niemals vergessen, daß wir nicht immer entscheiden können, ob wir gesund oder krank sind … aber ob wir trotzalledem glücklich sind, das können wir entscheiden! In diesem Sinne alles Liebe für Euch da draußen, bis bald mal wieder in diesem Theater!

Allen Mitwirkenden vom Feenspiel sei es selbst überlassen, ob sie sagen wollen, wer sie sind! Und allen, die eh schon  zu wissen glauben, wer sich hinter welcher Fee verbirgt, gebe ich zu bedenken … manchmal sind die Dinge nicht so, wie sie scheinen, und schon gar nicht bei 13 mächtigen Zauberinnen in der Rauhnachtszeit!

 

 

Mein Papa, die Zugharmonie und die kalte Sofie

Es wird schön langsam ein bisserl wärmer, immerhin haben wir schon 13 Grad vor der Küchentüre. Der Barometer zeigt „veränderlich“, und da ich nicht täglich nachschaue, weiß ich jetzt nicht, ob er runter- oder raufgeht. Du hast das immer gewußt, Papa, seltsam, was man vermisst, wenn ein Mensch nicht mehr da ist … ich weiß noch genau, wie es sich angehört hat, wenn Du am Abend vor dem Bettgehen kurz auf den Barometer geklopft hast, der im Hausgang neben der Stubentüre hängt. Jetzt sind die Eisheiligen vorbei, Pankraz, Servaz, Bonifaz haben uns schon wochenlang den verfrühten Sommer ausgetrieben und die kalte Sofie hat gestern noch den Rest vom Wintervorrat an Schneegraupeln um das Haus verteilt. Am Tag der kalten Sofie bist Du geboren und vor neun Jahren bist Du um 0.30 Uhr in Deinen 85. Geburtstag hineingestorben. Du hast geschlafen, ganz ruhig und leise habe ich Dich atmen gehört. Ich bin am Tisch gesessen und habe vor mich hingeschaut und dann hatte ich so ein Gefühl … und dann hast Du nicht mehr eingeatmet … und dann war es still, sehr sehr still. Ich habe das Fenster aufgemacht und dann war da so eine weiche Wehmütigkeit, die hat alles Schwere leicht gemacht und dann bist Du davongeflogen, in die Nacht und unendlich weit darüber hinaus.

Ich sitze in der Dunkelheit und lausche, aber es ist nichts zu hören. Weißt Du noch, Papa, wie ich manchmal in die Stube gekommen bin, weil ich Dich spielen gehört habe, und ich mußte erst mal das Licht anmachen, weil Du gar nicht gemerkt hast, daß es schon finster war. Und dann bist Du dagesessen im Arbeitsgewand und ich sehe noch so genau, wie die schwarzen Schmiedhände über die Tasten huschen, manche Tasten klappern ein wenig und ich höre sie schnaufen, die Zieharmonika. Du wirst immer in meinem Herzen bleiben, Papa, wie Du so dasitzt, ein Mensch mit seinem Instrument, in größter Wertschätzung werden sie zu einem einzigen Klang … wenn ich an Dich denke, Papa, dann ist meine Seele voller Musik.

Lange habe ich gesucht und dies hier gefunden, der Herbert Pixner ist sehr berühmt geworden und füllt große Hallen mit seiner Art, die Musik seiner Heimat zärtlich und behutsam in fremde neue Räume zu führen um sie, ohne ihre Herkunft zu verleugnen, weiten Horizonten zu öffnen. Als er die Alpler Polka gespielt hat, da war er noch unbekannt … wie er so dasitzt, diese Versunkenheit, dieses versonnene Lächeln, diese Hingabe …  das erinnert mich an Dich, Papa, und ich meine jetzt nicht die wundervoll schnarrenden Bässe und nicht die Virtuosität … sondern diesen Zustand, in dem einer durch das Spielen nichts anderes mehr sieht und hört, sich vergißt und selber zu Musik wird.

Ich liebe sie sehr, die Musik vom Herbert Pixner … aber was würde ich dafür geben, Dich wieder in der Stube spielen zu hören, so wie früher…

Papa.

Hedschebetsche

Ein wildes Geflatter, Tirillieren und Tschilpgesänge in den Obstbäumen heute , die Krammetsvögel sind also auch schon da … kleine schwarze Federwesen, ich glaube, es sind Drosseln, picken hoch oben das heraus, was von den ca. 20 Zentnern Obst noch an den Ästen hängt. Alle Katzen hocken unten und sehen in eine Richtung, im Blick förmlich die Sehnsucht nach zarten Vogelbrüstchen …

Die wilden Rosen bilden Tore, untereinander und zu allem, was sonst noch wächst und so lang an einem Fleck stehenbleibt, bis eine Ranke sich herumschlingen kann. Wer oder was soll hindurchschreiten oder sind es Brücken, damit eines das andere berühren kann? Die Hagebutten färben sich heftig mit obszönem Rot und bringen das Blut in Wallung bevor es der langen Dunkelheit entgegengeht. Rot, prall und hart mit schwarzen Kappen recken sie sich aus den stacheligen Zweigen. Im nahen Österreich heißen sie mancherorts „Hetschebetschen“. Auf unserer Seite der Grenze gibt es diesen Namen nicht, aber als Kinder sagten wir oft „hetschibetschi“, wenn wir schadenfroh waren, dabei rieben wir die Zeigefinger verkreuzt aneinander..

Viele Jahre ist es her, da fuhr immer um diese Zeit eine sehr kleine Frau mit einem großen Rad frühmorgens bei uns vorbei in Richtung Hügel. Sie ging hinauf zu den Hecken und pflückte den ganzen Tag Hagebutten. Man mußte ganz nah hingehen, um sie überhaupt zu sehen, sie war so verschmolzen mit den Büschen als wäre sie einer von ihnen. Auf die Frage, warum sie nie von den scharfen Dornen zerkratzt würde, gab sie eine geheimnisvolle Antwort … ich erinnere mich nur noch daran, daß es wohl mit der Haltung zu tun hatte, mit der man sich so einem Dornenstrauch nähern dürfte. Gesagt hat sie ansonsten nicht viel, nur, daß der Wein solang in den Ballons bleiben müsse, bis die Hagebutten dreimal auf- und dreimal abgestiegen seien, erst dann wäre er reif und man könne ihn trinken. Am Abend fuhr sie wieder bei uns vorbei, beladen vorne und hinten mit vollen Taschen und am Buckel einen großen Rucksack. Sie kam immer ein paar Tage hintereinander und das jahrelang. Irgendwann kam sie nicht mehr.

Eine, die ich kannte, ist gestorben. Ihr Bruder entsorgt den Nachlaß und verschenkt das Meiste, um es nicht in den Container werfen zu müssen. Ich komme in die Wohnung, als nur noch die Bücher übrig sind. Einige tausend stehen da, keiner will sie, nur mühsam leeren sich die Regale. Während der abgestorbene Leib von M. im Kühlschrank des Beerdigungsinstitutes auf die Einäscherung wartet, gehe ich in ihrer Wohnung an den Regalen entlang durch ein ganzes Leben. Ich nehme Schachteln mit leeren Postkarten mit und Briefpapier, viele Bücher und etliches, was sonst niemand will, nur damit es nicht weggeworfen wird, Marionetten, Kerzen etc. nichts Persönliches, keine Fotos oder Tagebücher, die Wohnung ist geputzt und aufgeräumt, nichts mehr erinnert direkt an M. und trotzdem überflutet mich beim Durchsehen der Bücher plötzlich eine Welle von Schamgefühl, als hätte ich unberechtigt die Tür geöffnet zu einem Raum, dem intimsten, den ein Mensch nur haben kann: die grenzenlose Einsamkeit.

Sehr warm ist es tagsüber, aber am Abend kommen schon die Nebelschwaden von Osten her in das Tal und bald werden sie ein Meer bilden.

Der Sommer ist vorbei und der Herbst ist gekommen. Waage geht über das Land und prüft, was zu leicht, was zu schwer, was es wert ist, in die dunkle Zeit mitgenommen zu werden und was wir besser zurücklassen sollten.

Das Leben ändert ständig seine Richtung und stellt sich immer mehr als eine nie endende Abfolge von Verlusten dar, eine ewige Übung, loszulassen … alles … und das Geheimnis: nur das, was wir verabschieden, können wir auch wieder begrüßen. Und manchmal ist auch Wehmut angesagt, finde ich, die gehört einfach auch zum Leben.

Die Riederinger Sänger, die diesen magischen und uralten Männerviergesang so beherrschten, daß es mir durch und durch geht, die gibt es in dieser Formation leider nicht mehr, aber das wie ich meine, allerschönste ihrer Lieder, das habe ich jetzt wieder gefunden, nachdem es jahrelang verschwunden war. Diese Art zu singen, in der Tradition der Alpenländer, hat ganz alte Wurzeln. Man muß nicht unbedingt „schamanisch“ dazu sagen, wie es jetzt modern ist, um zu erklären, daß es selbstverständlich schon in vorchristlicher Zeit Gesänge gab, die dazu dienten, sich mit guten Kräften zu verbünden und gegen die Angst anzusingen.

Versuch, zu „übersetzen“, was nicht zu übersetzen geht:

Der Sommer ist hinausgegangen
ich muß hinunter ins Tal,
Pfiati Gott (adjeu) meine liebe Alm (Sommerweide im Gebirge)
Pfiati Gott tausend Mal
schön still ist´s schon geworden, ja
kein Vogerl singt mehr, ja
und es weht schon der Schneewind
vom Wetterstein her (Hochgebirgsmassiv in den Alpen)

So hart, wie´s heut´für mich ist, ist es noch nie gewesen,
ganz so, als sollt ich meine Alm heut zum letzten Mal sehn
und müsst ich gar bald
schon zur Erd und zur Ruh, ja
dann deckt mich mit Felssteinen und Almblümerl zu, ja
dann deckt mich mit Felssteinen und Almblümerl zu.

 

Und dann kommt der Jodler, der mit dieser Magie des Hinauf- und hinübersingens die Verbindung herstellt zu einer anderen Welt für die, die gegangen sind.

 

Der Marxnhans

Auf dem Grabstein aus rotem Untersberger Marmor hat der Vater ein Kreuz aus Eisen geschmiedet, kunstvoll und schlicht, und ein paar Vögel hat er eingearbeitet, sie singen mit weitgeöffnetem Schnabel. „Marxn-Familie“ hat er darunter ins Eisenblech gestanzt in seiner typischen Schrift. Im Sturmwind versuche ich, eine Kerze anzuzünden, für ihn und alle, die mal waren auf unserem Hof.

Und dann hör ich es , es klingt in meinen Ohren, seit Jahren hatte ich es vergessen, dieses „Wischperl“, das mein Vater immer auf den Lippen hatte, so eine Art geflüstertes Vorsichhinpfeifen, ein „Wischpeln“ halt. Meistens war es ein neuer Landler oder Walzer, den er sich so oft auf Platte oder Cassette anhörte, bis er ihn pfeifen konnte, dann nämlich konnte er ihn auch über kurz oder lang auf der Ziehharmonika spielen.

Mein Vater war ein Ziacherer. Er selbst hat sich nie so bezeichnet, weil er viel zu bescheiden war , um sich die für diese Bezeichnung seiner Ansicht nach nötige Virtuosität und Perfektion zuzuschreiben. Er habe sich das Ziachspielen ja selber beigebracht, Lehrer gab es keine damals und Noten auch nicht, aber die hätte er ja eh nicht lesen können. Ich spiel´ eigentlich nur für mich, weil´s mich halt freut, hat er immer gesagt.  Gelernt hat er auf einer alten Chromatischen, die hat aber dann schon schwer geschnauft, die Knöpfe haben geklappert und ein paar blieben manchmal hängen. Irgendwann eines Tages kam von irgendwoher verbilligt ein Akkordeon und der Vater spielte sich durch das ganze Repertoire der Schlager, die man halt für Geburtstage und Gartenfeste so braucht … von La Paloma über den Affenrock, den Pferdehalfter an der Wand, das alte Haus von Rocky Docky und natürlich mit Gesang „der alte Schimmel ist im Himmel“ … Aber diese Zeit ging vorüber, er konnte sich mit den Tasten nie so ganz anfreunden. Im Lauf der Jahre kamen alle möglichen meist etwas ramponierten Instrumente zu uns und wurden bespielt nach mehr oder weniger fachmännischer Reparatur. Niemals mehr werden Tangos so wunderbar schräg und verwegen klingen wie die vom Papa, gespielt auf Bandoneon und Konzertina, aus denen Töne hervorpfiffen, mit denen niemand rechnen konnte, weil sie dem Nichts im Inneren der geklebten Blasebälger entsprangen, unvermittelt  und querliegend zur gängigen Melodie …

Auch ein Harmonium tauchte auf, das aber trotz heftigen Tretens nur schweratmig schnaufte und keinen Ton entließ.

Irgendwann in seinem Leben war es soweit, der Vater hatte soviel Geld zusammen, daß er nach Graz fahren konnte um sich dort endlich seinen Traum zu erfüllen und eine diatonische Steirer Ziehharmonika zu kaufen. Viele Jahre hörte er sich tagsüber in seiner Schmiedewerkstatt die Musikstücke an, die er sich dann nach der Arbeit, meist noch im Arbeitsgewand in der Stube  auf der Zugharmonie beibrachte, oft war er so versunken, daß er gar nicht merkte, daß es darüber dunkel geworden war …

Wenn Leute ihn fragten, wie das denn möglich sei, sich ohne Noten alles selbst beibringen zu können, dann sagte er stets: ja mei, wennst ein Gehör hast, dann ist das kein Kunststück, Du brauchst ja nur hinhören und dann mußt halt fleissig sein und üben. Das einzige Problem bei der Sache ist immer, ob ich´s mir dermerken kann …

Ja, er hatte dieses  „Gehör“, vielleicht nicht direkt das absolute, aber doch ein ganz besonderes. Er konnte einfach alles nachpfeifen und nachspielen, nachsingen und ich glaube, bei entsprechender Förderung wäre er ein Multiinstrumentalist und Musiker geworden. So blieb er einer, der nur so virtuos sein konnte, wie er imstande war, sich die Lieder zu merken. Manchmal , wenn ich heimkam, dann sagte er: Ich hab ein neues Stückl, das mußt du dir anhören, das wird dir gfalln! Und meist war es dann eines mit diesen tiefen, schnarrenden Bässen, die ich so gerne mochte. Und während er spielte, hat er gelächelt und dann sagte er: schön, gell! Und seine klitzeblauen Augen glänzten, wie sie das nur bei Menschen tun, denen die Musik eine Herzensangelegenheit ist.

Wenn er irgendwo bei Freunden eingeladen wurde, verstaute er „für alle Fälle“ die Ziehharmonika im Kofferraum. Gesagt hat er nie was, aber wenn er dann im Lauf des Abends ein paarmal gefragt wurde: Hans, hast Du die Musi dabei?, dann holte er sie und spielte auf.

Ach Papa, sage ich da am Grab, wir hatten es nicht immer leicht , weil wir so verschieden waren oder womöglich so ähnlich, ich weiß es nicht mehr … wir mussten uns sehr plagen miteinander und daß wir uns so sehr liebhatten, machte nichts einfacher. Für mich bist Du der beste Ziacherer gewesen, und im ganzen Internet hab ich keinen gefunden, der den „Gföller Marsch“ so gut spielt wie Du und ich bin so dankbar für „das Gehör“, das Du mir geschenkt hast und schon wieder fällt mir das Stückl nicht ein, weißt Du, das mit diesen schnarrenden Bässen, das ich so gern mag, schad, daß du jetzt nicht die Musi in der Stube  unter der Bank rausziehen kannst und mir vorspielst. Ich habe herumgesucht und nur einen gefunden, der annähernd so gespielt hat wie Du , der Schneider Willi, Du hast ihn sehr geschätzt, gell! Es gibt nur dieses einzige alte Video von ihm, vor ein paar Jahren ist er gestorben.

Nicht nur der eiskalte Sturmwind treibt mir die Tränen in die Augen am Grab. Was ist, wenn nichts mehr ist … was ist mir denn geblieben von meinem Papa, dem Marxn Hans?

Ich höre ihn spielen.

Einen besonderen Dank an den lieben Riffmaster, der in seinem Sammelsurium der Wunder eine Zeitung über Akkordeon präsentierte und mich mich in die Erinnerung an meinen Vater, den Ziacherer, führte!

Venus …

Manchmal kommt mir das Leben vor wie die Lobby in einem kleinen schäbigen Hotel, wer gerade nichts zu tun hat, sitzt herum in knirschenden Ledersesseln vor oder hinter verkümmerten Topfpflanzen … Musikberieselung  und manchmal Stimmengewirr im Hintergrund … manchmal geht wer hinaus … manchmal kommt wer herein … manche tun so, als wären sie enorm beschäftigt … und ein paar sitzen herum, denken über verpasste Chancen nach, nippen an Drinks und schauen der Zeit beim Verstreichen zu … ich sitze da und halte in der einen Hand ein leeres Blatt Papier und in der anderen einen warmen Martini … jetzt ein Gedicht schreiben können … denke ich … aber wo sind bloß die Wörter, wenn man ihrer bedürfte?

Angeblich hatte meine Mutter ein Kind mit einem Mann, den sie im Lazarett kennenlernte und mit dem sie ein paar Tage verheiratet war, bevor er wieder an die Front musste. Kann nicht sein, sagen meine Tanten … da war doch auch noch dieser Partisan … weißt du noch, Venus hieß er …was für ein merkwürdiger Name, nicht wahr, mit dem hatte sie auch was …

Ich habe so stark abgenommen, mir ist ein wenig flau, haucht der Mond mit dünner Stimme, und beugt sich durchs offene Fenster, darf ich mich kurz in Deinen Fauteuil setzen?

Na gut, sage ich und rücke ein wenig zur Seite.

Hinterm Tresen fragt mich einer, ob ich noch einen Martini möchte und schaut mit feuchten Augen durch mich hindurch.

Dann dreht er die Musik lauter.

„Das Europa der Muttersprachen“, Ukraine 1

Also, anstrengend ist ein Literaturfestival schon, auch wenn es so wunderbar gestaltet ist wie das diesjährige  Europa der Muttersprachen mit dem Schwerpunkt Ukraine! Ich weiß, daß ich nichts weiß über dieses Land, nicht mal so genau, wo es liegt. Und wer, bitteschön, soll sich noch auskennen in dem ganzen politischen Wirrwarr, den kriegerischen Auseinandersetzungen um ständig sich ändernde Abgrenzungen ? Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich nach diesen drei Abenden im Literaturhaus Salzburg besser die Hintergründe durchblicke, aber ich erfahre ein wenig, was heutige KünstlerInnen mit ihren Mitteln auf dem Hintergrund ihres Heimatlandes aus ihrem Leben preisgeben, wie sie ihre Erfahrungen verarbeiten…ja, ich mag es gerne, eine fremde Sprache zu hören, die immer vertrauter wird, aucch wenn ich sie nicht verstehe und ich liebe es, wenn es Menschen gelingt, dem, was sie zutiefst erregt und erschüttert eine künstlerische Gestalt zu geben…aus dem Unsäglichen formt sich Sprache, aus dem Unsichtbaren werden Bilder und aus unbegreiflichen Weiten am Rande jeglicher Existenz kommt das Unhörbare und schickt Töne bis in die Urgründe unserer Seele…

Gestern begann der erste Abend mit Kurzfilmen von ukrainischen FilmemacherInnen, die alle so um die dreissig Jahre alt sind. Nicht zu beschreiben diese Filme, weitestgehend tonlos, reine Bilder…Spürungen durchströmen mich, als ich die Plattenbaustädte sehe, ich denke an den Blick aus dem Fenster am Stadtrand von Leipzig, letzten November…eine Plattenbausiedlung, und auch an den Blick aus dem Hotelfenster erst kürzlich in Berlin. Da sah ich oft nachts über den Hinterhof auf die grauen Mietskasernen und dachte mir, daß man schon brutal einsam sein kann nachts in so einem Zimmer…

Bei der Eröffnung der Fotoausstellung mit der anwesenden politisch höchst aktiven und engagierten Fotografin Yevgenia Belorusets hätte ich nicht mehr zu sagen gewusst, was mir mehr unter die Haut ging: die Kunst, solche Bilderreihen herzustellen, die keines Wortes mehr bedürfen, die aus sich heraus Geschichten erzählen über die Arbeit im Bergwerk,  die Angst, die unglaubliche Hilflosigkeit, nicht das Geringste tun zu können, um die drohende Schließung zu verhindern, Existenznot und in der absoluten Hoffnungslosigkeit dennoch „Die Siege der Besiegten“ herauszuarbeiten, ohne, wie die Fotografin sagte, in irgendeiner Weise zu beeinflussen, wie sich die Menschen auf ihren Bildern darstellen wollten…

…oder das, was Yevgenia Belorusets insgesamt über ihre Arbeit unter den Bedingungen ihres Landes zu sagen hatte…und noch dazu, was sie in perfektem, makellosen Schriftdeutsch über Walter Benjamin sagte, dessen Aufsatz über „die Siege der Besiegten“ ich dringend suchen und nachlesen muß!

Dann kamen zwei Schriftstellerinnen: Kateryna Babkina und Natalka Sniadanko. Da der zweite Abend bald beginnt, und wir schon sehr früh losfahren müssen, um in der Parkplatznot in Salzburg irgendwann irgendwo das Auto loszuwerden für fünf sechs Stunden, und ausnahmsweise mal keinen Strafzettel zu kassieren, werde ich hier und heute nichts über die Lesungen gestern sagen, sondern die #Bücher lesen und dann darüber berichten!

Der Schlußpunkt gestern kam in Form von Musik, es waren leider nur noch halb so viel  BesucherInnen da und die hingen schon ziemlich müde in den Stühlen.

Mariana Sadovska trat auf und sang Lieder, die sie in entlegenen Dörfern der Ukraine gehört hatte, heidnische, uralte Gesänge voller Magie und Zauberkraft…heute wird sie wieder singen und ich werde morgen davon erzählen…nur soviel sei gesagt:

Es gibt Musik, die dringt in die hintersten Kammern der Seele und bei diesen Gesängen da spüre ich eine Sehnsucht, die hineinreicht bis zum Urgrund allen Seins und sie mündet in eine Verbindung , eine Verschmelzung mit allem was war und was ist und was jemals sein wird und ich wäre nicht ich, wenn ich nicht sagen würde, daß es Liebe ist, was mich dabei durchströmt…

Wer irgendwie in der Lage ist, heute und morgen dieses Festival zu besuchen, sollte es tun, unbedingt!!!

I Margarita I Margaro…

Ich las im Postfach den ersten Satz im Brief einer lieben Blogfreundin : „Margarete, wie geht es Dir heute?“…Ja, wie geht es mir heute? Heute, in meinem Leben, zwischen Himmel und Erde, am Weltfrauentag…

Vor einem Jahr bekam ich plötzlich aus dem OFF einen Zettel zugeworfen, auf dem wurde mir medizinisch exakt dargestellt, warum auch ich damit zu rechnen habe, sterblich zu sein. Als die Wunde verheilt, trete ich hinaus ins Freie, dort treffe ich den Tod, der auf einem Steinhaufen in der Sonne sitzt und mich anlächelt…Du schon wieder, sage ich. Verstehst du jetzt mehr, fragt er mich. Nein, nichts verstehe ich und Angst habe ich auch vor dir! Er kommt zu mir und gibt mir seine warme Hand und sagt: ich sitze gerne auf heissen Steinen und ich verwandle mich gerne, schau…und schon fliegt ein kleiner Vogel in den blauen Himmel…

Das Leben ist verwirrend, beängstigend, vielfältig, beschwerlich, magisch, zauberhaft, schillernd und immer ist alles gleichzeitig, der Schmerz und die Freude, die Not und das Glück…ich will es ausschlürfen, ich liebe es, dieses Leben, mit allem, was es dabei hat…und wenn die Reise zu beschwerlich wird, na, dann muß man halt hin und wieder mal einen Koffer am Wegesrand stehenlassen…einfach abstellen und weitergehen, ohne sich umzudrehen…

Dieser Frauentag heute kommt mir vor wie die Würdigung der Putzfrauen in den Firmen zu Weihnachten…immer die, die eigentlich gar nichts zu sagen haben, werden besonders hervorgehoben und kriegen Geschenkkörbe…aber eigentlich hab ich keine Lust auf langes Gejammere , und ich höre auf, mich zu ärgern darüber, was ich so zu hören kriege im Jahr 2017! Eine Studentin sagt mir, sie habe diese „Emanzipation“ nicht nötig, sie wisse ja, daß sie eine Frau sei…ach du Mäuschen, vor noch gar nicht langer Zeit haben sich sogenannte „Flintenweiber“ erschlagen lassen, nur weil sie gefordert haben, daß Frauen studieren dürfen…Und ein sehr freundlicher, linientreuer und intellektuell durchaus nicht minderbemittelter Katholik sagt mir: Seid doch froh ihr Frauen, daß Ihr nicht Priester werden dürft, das ist so ein mühseliger Beruf, für euch gibt es doch viel schönere Aufgaben.

Ja.

Das dazu.

Ach ja, aber ich wollte ja sagen, wie es mir geht: ich will Musik und Tanz und Fröhlichkeit und Umarmung

TROTZALLEDEM!!!

Und als ich heute beim wunderbaren Herrn Riffmaster die griechischen Lieder der Nana Mouskouri hörte, war es um mich geschehen und ich will uns allen diese große Sängerin hier schenken an diesem Tag…denn ich vermute mal, egal welches Geschlecht, alle haben wir irgendeine Sehnsucht und träumen uns weg auf das unendliche blaue Meer, in die Ferne und in die Nähe irgendeines Herzens, das auf uns wartet irgendwo…oder etwa nicht? Ja, ich habe eine wildromantische Seele und ich liebe diese griechische Musik und ich wünsche mich mit Euch allen in eine Taverne in Piräus und die Zungen werden schwer vom Ouzo und irgendwer fängt an zu tanzen…

Ich habe es beim Riffmaster schon gesagt, hier noch mal: Wenn jemand eine Taverne kennt und einen Zeitpunkt sagt…ich täte glatt hinfahren, das wäre ja ein Ding, Blogtreffen in Piräus…also…das verspricht Abenteuer, grad richtig für eine, die in paar Monaten süße 65 Jahre alt wird!

 

Aber jetzt hört zu und dann schaut gleich in Eure Kalender!

Nicht so ganz griechisch, aber macht ja nix, irgendwas ist immer…trotzdem sooo schön!

 


Aspri mera…weißer Tag

Milisse Mou

Rede mit mir
Ich habe in meinem Garten, den Brunnen
angemacht, damit die Vögel trinken können,
damit auch du kommst, morgens und abends,
wie ein kleiner Wassertropfen,
du kamst eines Abends mit dem Wind
und mein Herz seufzte,
ich sagte dir sehnsüchtig guten Abend
und du sagtest mir Lebewohl.

Rede mit mir, rede mit mir,
ich habe dich noch nie geküsst
rede mit mir, rede mit mir,
wie soll ich dich vergessen, mein Gott,
rede mit mir, rede mit mir,
ich habe dich noch nie geküsst
rede mit mir, rede mit mir,
nur in meinen Träumen küsse ich dich.

Ich habe Gras vor deine Türe gepflanzt,
damit du Schatten und Frische hast,
und ich kam bevor der Mond wechselte,
damit ich dir Wärme bringe.
Ich brachte dich zur Anhöhe der Sonne,
zu den breiten Straßen,
aber es kamen Kälte und Wind,
und du hast mir kein Feuer gemacht.

Rede mit mir…

…und weil ich ja auch eine Margarita bin, schenke ich mir und allen Margariten dieses Lied, das Mikis Theodorakis für seine kleine Tochter komponiert hat…es soll vom weiten Meer in blauen Augen handeln und von einem Schifflein…und von der Sehnsucht…vielleicht kann´s ja mal jemand übersetzen…

es ist sicher nicht die beste Aufnahme, aber es gefällt mir so, wie selbstverständlich die Leute bei diesem Fest mitsingen, alle können den Text… da wäre ich gerne dabei… also, Ihr Lieben, wir treffen uns in Piräus, ca. in einem halben Jahr, abgemacht, oder?

„It is a risk …“

„It is a risk to love.
What if it doesn´t work out?
Ah, but what if it does.“

Peter McWilliams

Ja, ich glaube,  Mick zwo hat recht, wenn er schreibt: “ Allerdings glaube ich, dass die Geschichten nicht passiv sind. Sie laufen uns über den Weg, nicht umgekehrt! „

Diese Worte führen genau dahin, an diesen Punkt, an dem so unwiderruflich klar wird, daß die Zeit reif ist für genau diese eine Geschichte und keine andere…

Genauso ist das mit diesem Film, immer mal wieder muß ich ihn ansehen und jedesmal ist hinterher irgendwas irgendwie anders als vorher. So geht es mir oft mit Geschichten, nein, natürlich nicht mit allen…nur mit den ganz wichtigen, die was mit mir zu tun haben;  ich wüsste nicht zu sagen, was sich zwischen vorher und nachher in meinem Leben verändert hätte, aber daß nichts mehr ist wie vorher, das scheint sicher.

Michael Althen, der wunderbare, leider so früh verstorbene Filmkritiker hat mal über ein „zweites Leben im Kino“ geschrieben, das „besser ist als unseres und ihm doch aufs Haar gleicht“…das Kino als doppelte Natur gibt Auskunft über das, was ist, und das, was möglich wäre…wer wir sind und wer wir gerne wären, und daß wir, wenn wir uns den Bildern überlassen , womöglich erkennen, woher wir kommen und wohin wir gehen…

Eine Nuance nur reicht, ein Windhauch, eine ganz zarte Gedankenspur, kaum merklich, kann den Weg freimachen in völlig neue Richtungen, die Tür zu anderen Welten öffnen, zu neuen Ufern, neuen Träumen, weiteren Geschichten…um letztendlich immer die gleiche, nämlich die eigene  auszuleuchten.

Ganz am Anfang des Films sieht man eine Zehe mit einem Smileypflaster, man hört das Entkorken einer Flasche und das Geräusch, das irgendein Getränk macht, wenn es in ein Glas geschüttet wird.

Dann holt einer sein Feuerzeug aus der Tasche, zündet sich eine Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug… ich schmecke und rieche den verbrannten Tabak und als der Mann in Hut und hellem Sommeranzug vom Tresen weggeht, liebe ich ihn schon und bin bereit, ihm zu folgen durch die dunkle Bar hin zur Türe. Und dann geschieht dieses Wunder, der Klang der Gitarre (David Hidalgo), das gleißende Sonnenlicht, der Mann und ich, wir verschmelzen und werden zu einer Geschichte, die hier beginnt.

Viele Male musste ich den Film ansehen, um endlich zu erkennen, daß eigentlich alles schon in den ersten fünf Minuten erzählt wird und daß die Musik die Geschichte parallel dazu nochmal erzählt. Und ich lasse mich führen,  gehe den Weg mit, den Bobby Long durch eine runtergekommene Vorstadt von New Orleans entlanghumpelt, bis er an der Friedhofsmauer ankommt, wo er die leergetrunkene Flasche abstellt und wenn die Kamera auf die Trauergemeinde schwenkt und das grandiose Saxophon (Steve Berlin) einsetzt, ist klar, daß es kein Zurück mehr gibt aus dieser Geschichte, bis sie zu Ende erzählt ist.

Man hat diesem Film vorgeworfen, daß die Story zu simpel und vorhersehbar sei und, daß John Travolta viel zu wenig wie ein verwahrloster Säufer aussehen würde…ja, mag alles sein. Ich liebe diesen Film, genau so wie er ist und alle, die mitspielen, bezaubern mich immer wieder aufs Neue!

Ein ehemaliger Literaturprofessor und sein Schützling, den er dazu auserkoren hat, ein Buch über ihn zu schreiben, haben sich ins Haus einer verstorbenen Freundin geflüchtet und versuchen, sich durch große Mengen Alkohol soweit zu betäuben, daß sie die Verzweiflung über ein gescheitertes Leben nicht mehr spüren.

Da hinein gerät die Tochter der Freundin, die das Haus erbt.

Die junge Frau ist ihrerseits auch bereits eine gescheiterte Existenz, voller Zorn und Gram über eine verlorene Kindheit und tiefer Sehnsuch nach einer unerreichbaren Mutter.

Auf ihre Weise bewegen sich diese drei Menschen und ein paar Nebenfiguren durch ihr Schicksal und am Ende sind sie vom Meeresboden, auf den sie gesunken waren, wieder nach oben getaucht und sehen, jeder auf ganz eigene Art neuen Horizonten entgegen.

Was ist es, was mich so berührt an diesem Film… ich vermag es gar nicht so genau zu sagen, die Geschichte ist ein Märchen, in dem alle am Ertrinken sind und sich dann Kraft der Liebe retten…das allein ist es nicht, auch nicht mein Faible für gescheiterte Existenzen, für diese Lonly Wolves…

Nein, ich glaube, letztendlich ist es der Blues, der mich ergreift und durch diese Schwüle trägt, Bewegungen wie in Zeitlupe… ja es sind die Farben des Südens und der Blues.

Immer wieder dieser Blues, der alles einschließt, das Lachen und das Weinen, die Freude und den Schmerz, das Leben und das Sterben , dieses Hin und Herwiegen wie das Gras in einem lauen Sommerwind…das Sichhingeben an das Leben und das Sichtreibenlassen und dem Verstreichen der Zeit zuzusehen…

(Sehr schade, daß der wundervolle Soundtrack nur mehr für Wucherpreise erhältlich ist)
Das war einmal!
Inzwischen hat Herr Riffmaster, der nicht nur seines Zeichens Archivar von glücksbringenden Musikalien ist, sondern anscheinend auch diverse Zauberkünste beherrscht, genau diese Scheibe zu meiner großen Freude in seinem überirdischen Laden ausgestellt…würd mich ja nicht wundern, wenn er auch noch wilde Augen hätte!
Vielen Dank , lieber Meister!

Schade bleibt (vorerst) nur noch, daß ich leider leider niemand kenne, der/die mit mir „Alabama-Schuffle“ tanzen täte!

 

 

 

We shall not cease from exploration
And the end of all our exploring
Will be arrive where we startet
And know the place for the first time.
T.S. Eliot

„Gott kennt mich und ich kenne Gott“ (Bobby Long)

 

A Lovesong for Bobby Long
Regie: Shainee Gabel
2005