Archiv der Kategorie: Brevier der Erkundungen

Gläserne Ringe.

Ich bin also jetzt offiziell alt, der Bayerische Ministerpräsident läßt ein Schreiben schicken, das pünktlich zu meinem 70. Geburtstag eintrifft, unterschrieben mit persönlichem Krakel und freundlichen Grüßen. Er läßt mir ausrichten, daß ich in sieben Jahrzehnten viel erlebt hätte und stolz sein könne, wenn ich auf das Erreichte zurückblicke und er läßt hoffen, daß – noch – viele weitere Jahre mit schönen Ereignissen und glücklichen Momenten zum Erfreuen wären. Dazu noch alles Gute, insbesondere Gesundheit! Die Raiffeisenbank schickt alles Gute, Glück und Zufriedenheit, die Hoffnung darauf, daß meine Wünsche in Erfüllung gehen und ich gesund bleiben solle und  – noch – viele weitere schöne und erlebnisreiche Jahre genießen. Der Bürgermeister wünscht  mit breiter Füllfeder und blauer, wahrscheinlich Pelikano-Tinte unter den Glückwunschvordruck  alles Gute für das neue Lebensjahr.

Auf dem Tisch liegen Zeitschriften über Vogelschutz, draußen vor der Terassentüre hüpfen ein paar Spatzen am Futterhäusl herum und ich sehe uns, die wir hier im Wartezimmer meiner Hausärztin sitzen, eine Handvoll trostlos blickender Gestalten, aus denen auch beim besten Willen keine Vögel werden, obwohl sie alle einen Schnabel tragen, mit dem sie verzweifelt und durchaus originell versuchen, zurechtzukommen. Von der Maske des laut schnaufenden und seufzenden alten Mannes neben mir hängen etliche lange Bänder, deren Funktion ihm nicht klar zu sein dürfte;  der Mann gegenüber schiebt den Schnabel unters Kinn, um besser Luft zu kriegen während einer Hustenattacke, eine Frau schiebt ihren schräg über das Gesicht, damit ein Nasenloch frei wird zum Schneuzen, einem anderen wird es zu heiß, er schiebt die Maske hoch und verwendet sie als Stirnband. Seine Frau, ein kleines, zerbrechlich wirkendes Geschöpf, lehnt sich vorsichtig an ihren Mann und versucht, ihre zittrige Hand in seine Hand zu schieben … er läßt es nicht zu, dreht sich weg, minimal, fast nicht zu erkennen, aber sie spürt es und zieht ihre Hand zurück. Der junge Bursche  im Eck trägt seine Maske so, wie es sein soll und ist ganz in sich und sein Handy versunken.

Vor der Wartezimmertüre versucht die Arzthelferin mit überirdischer Geduld einem Patienten klarzumachen, daß er von den Tabletten nur zwei nehmen müsse und da er ja heute schon eine genommen hätte, bräuchte er nur noch eine zu nehmen und zwar morgen. Ein schwieriges Unterfangen offenbar und sie braucht mehrere Anläufe, um diese komplexe Angelegenheit zu erklären …“ Nein, heute keine mehr, erst morgen … insgesamt zwei …  Gebrummel … und heute haben Sie ja schon eine genommen … Gebrummel … nein, nur eine … Gebrummel … nein nicht heute, morgen, eine Tablette, nur eine … Gebrummel … nein, nicht zwei auf einmal, eine haben Sie doch schon, nur eine noch, … Gebrummel … eine nur, Gebrummel, morgen, Gebrummel, die Frau Doktor sagt, Sie nehmen eh schon so viele Tabletten, morgen die eine reicht! Die Aussage der Frau Doktorin hat wohl endlich zur Beendigung der Maßnahme beigetragen und mit ein wenig Gebrummel im Hintergrund wird der Patient freundlich verabschiedet.
Das Ganze hat mich erinnert an die genialen Doppelconférencen „Der Gscheite und der Blöde“ von Farkas und Waldbrunn, bei dieser Art von Humor ist man in einem Zwischenbereich von Lachen und Weinen, alles verschiebt sich, man weiß nicht mehr genau, ob der Gscheite nicht eigentlich der Blöde ist  und umgekehrt und wenn einem die Tränen runterlaufen vor Lachen, weiß man nicht , ob es nicht auch zum Weinen ist und eine Tragödie, dieses Menschsein…
Die Praxis ist bestens organisiert und niemand muß lang warten, draußen fährt ein Auto vorbei mit offenem Fenster … „du bist vom selben Stern, ich kann deinen Herzschlag hörn, du bist vom selben Stern wie ich, wie ich wie ich …“ in den Augen der Frau schräg gegenüber sehe ich es leuchten, dann werd ich aufgerufen.

Neulich haben wir endlich den Listsee gefunden, im Bergland, etwas oberhalb von Bad Reichenhall, im Wald  unter den steilen Wänden der Felsen auf dem Kreuzungspunkt der Wege ins Gebirge und zur Burgruine. Es ist immer wieder rätselhaft, warum man manche Orte im gar nicht so weiten Heimatumkreis einfach jahrelang nicht findet. Ich liebe es,  Sagen und geheimnisvollen Geschichten zu folgen und die Orte zu suchen, an denen sie sich ereignet haben sollen. Diesmal war es der „Nöck“ (Wassermann), dessen stark verborgener Spur ich folge. Hier im Listsee, der sehr lange Zeit „der ungenannte See“ geheißen hat, soll mal einer gelebt haben. Aber die Geschichte beginnt eigentlich schon viel früher … in der Broncezeit war hier schon eine Art Kultort, das haben Ausgrabungen gezeigt. Aus den Sagen der Gegend geht hervor, daß bei der Entstehungsgeschichte des Sees die damals in Urzeiten hier noch ansäßigen Riesen mitgewirkt haben … einer von ihnen ist herumgehüpft an dieser Stelle und durch sein wildes Getanze hat er eine Kuhle in den Boden gestampft, in der sich das Wasser gesammelt hat, so ist der See entstanden. Er hat keinen Zufluß, sondern wird unterirdisch versorgt. Ein Wassermann hat im See gehaust, lange lange Zeiten, dann ist er verschwunden. Schwer zu glauben, daß sich ein mächtiger Wassermann von einem dummen Bauernburschen, einem richtigen Rotzlöffel, so ärgern hat lassen, daß er sich davongemacht hat. Der Bursche wurde tot aufgefunden, ertrunken im See. Bis dahin war der Nöck ein wertvoller Helfer, hat die Menschen gewarnt vor Unwettern und Überschwemmungen und war ihnen stets zu Diensten in ihrer kargen Welt und er hat ihnen aus so mancher Not geholfen.

Ein mächtiger Wassergeist, eine Gottheit, verehrt und hochgeachtet und den Menschen zugetan. Warum hauste er ausgerechnet in diesem kleinen See, der eigentlich eher ein Weiher ist? Grün ist er, sehr grün, nicht tief und voller Seegräser, die sich hin und herbewegen. Ich werde noch öfters hierher kommen. Es ist ein vollkommen unscheinbarer und unspektakulärer Ort, die meisten gehen vorüber, hinauf zu den Almen und den Felsen. Ein Ort, der mich an die „Höhlenkinder im heimlichen Grund“  erinnert. Ja, es ist einer  dieser geheimen Orte … denen man das nicht ansieht. Das Geheimnis zeigt sich nicht im Hinschauen, sondern im Hineinschauen. Wir tragen es in uns. Inwendig. Genauso, wie sich die Heiligkeit der Berge nicht automatisch erschließt durch das Hinaufsteigen sondern durch das von unten Hinaufschauen, dann schaut der Berg in uns hinein. Diese Logik ist rätselhaft wie manch alte Geschichte.

Ich sitze da und schaue ins Wasser, hinter mir  führt der Weg steil hinauf, man sieht ihn noch nicht, aber ich kann ihn spüren, den Berg, den Felsen, den Stein. Es ist sehr still am ehemals ungenannten See. Ein kleiner Fisch schwimmt immer wieder die gleiche Route. Auf der Wasserhaut tänzelt eine Libelle. Wassermann, wohin bist Du gegangen … könnte ich Dich finden, wenn ich die richtige Frage stelle? Worte von Rumi sagen sich in mir:

„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort.
Dort treffen wir uns.“

 

Auf der Seehaut bildet sich ein kleiner Kreis, so als ob ein Tropfen hineinfällt, es regnet aber nicht. Das Wasser kommt lautlos herauf aus dem Bauch der Erde  und überzieht den See mit Ringen, mit zarten, gläsernen Ringen.

 

Fragen bleiben.

Christus in Emmaus, von Rembrand

 

Jetzt, am Ende dieser Ostertage sitze ich vor diesem Gemälde, es anzuschauen, es zu betreten heißt, eine Grenze zu überschreiten, ich ringe um Worte … und ich denke an den letzten Satz aus dem „Tractatus“ von L. Wittgenstein:

„Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen.“

Manchmal ist ein Bild Antwort und Frage zugleich.

In dieser Stille.

In dieser Stille zwischen Bangigkeit und Zuversicht, während draußen die Vögel singen und der Heiland im Grab liegt, bereitet sich eine Entscheidung vor. Wie sie ausfällt, kann man nicht wissen. (Adolf Holl)

 

 

 

Textauszug:
Das Adolf Holl Brevier
Walter Famler (HG.)
Residenzverlag

Foto: Michael Helminger

 

 

 

 

Von der Welt trennen.

 

„Die Menschen sind sterbliche Götter und die Götter unsterbliche Menschen. Wer den Sinn dieser Worte erfassen kann ist glücklich, denn er besitzt den Schlüssel zu allem!“ (Geheimnis des Osiris)

 

 

 

Textauszug:
Das Adolf Holl Brevier
Walter Famler (HG.)
Residenzverlag

 

 

 

Nach allem dies.

Der Ölbaum-Garten

Er ging hinauf unter dem grauen Laub
ganz grau und aufgelöst im Ölgelände
und legte seine Stirne voller Staub
tief in das Staubigsein der heißen Hände.

Nach allem dies. Und dieses war der Schluß.
Jetzt soll ich gehen, während ich erblinde,
und warum willst Du, daß ich sagen muß
Du seist, wenn ich Dich selber nicht mehr finde.

Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in diesem Stein.
Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein.

Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham …

Später erzählte man: ein Engel kam-.

Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht
und blätterte gleichgültig in den Bäumen.
Die Jünger rührten sich in ihren Träumen.
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht.

Die Nacht, die kam, war keine ungemeine;
so gehen hunderte vorbei.
Da schlafen Hunde und da liegen Steine.
Ach eine traurige, ach irgendeine,
die wartet, bis es wieder Morgen sei.

Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich- Verlierenden läßt alles los,
und sie sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mütter Schooß.

Rainer Maria Rilke

 

Textauszug:
Das Adolf Holl Brevier
Walter Famler (HG.)
Residenzverlag

Foto: Michael Helminger

 

 

Jetzt ist der Holl auch schon ein Jahr tot.


Weil ich, an den Stationen des Kirchenjahres entlang immer wieder mir selbst aus dem Buch: „Das Adolf Holl Brevier“ laut vorlese, habe ich beschlossen, dabei ins Mikrophon zu sprechen und hier zwischen Himmel und Erde zu veröffentlichen. Die Texte erschienen mir eigentlich nicht lang, ein paar Seiten nur, aber laut vorgelesen und für den Blog aufgezeichnet, sind sie doch länger als angenommen, obwohl ich nur Auszüge davon lese. Die geschliffene Brillanz und der feine Humor in diesen Gedanken über Gott und die Welt sollen auf meiner Bühne durch mich sprechen und soweit möglich, ihn, den sehr Geschätzten dort erreichen, wo er sich grad befindet! Eine kleine nachgeschickte Liebesgabe sozusagen. Auf die Frage eines ziemlich überforderten Interviewers, ob er denn glaube, daß es nach dem Tod irgendwie weitergehen könnte, sagte er: „Wahrscheinlich“.

Und auf die Frage, warum er Priester geworden sei, sagte er: „Wegen der Verwandlung“!

Alles hatte in den 70er Jahren angefangen und ich habe die Geschichte schon unzählige Male erzählt. Eines Tages kam ich aus der Stadt nachhause und mein Vater sagte schon bei der Begrüßung, heut hab ich was Besonderes, da wirst schaun! Dann saßen wir am Stubentisch, der Papa schenkte das Weißbier ein und holte aus der Tischublade den Korb mit den Brezn und dann legte er ein dünnes Taschenbuch auf den Tisch: „Jesus in schlechter Gesellschaft“. Das mußt Du lesen, sagte er. Da begann diese lebenslange Verbundenheit mit einem grandiosen Schriftsteller, Priester, Gelehrten … aber am Allerwichtigsten … einem zweifelnden Gottsucher. Durch sein ganzes Werk zieht sich diese  Suche nach dem Gott und nicht immer schien sie erfolgreich zu sein.

Seine Mutter hat über ihn gesagt: „Er war halt ein Kantengänger!“

Vor einem Jahr ist er hochbetagt gestorben und hinterläßt ein großes Loch in der Welt.

Ich hätte natürlich über seine Bücher schreiben können, aber seine Texte sind so gut, da sitzt jedes Wort und beim Lesen lasse ich sie mir förmlich auf der Zunge zergehen.

Ja, es ist eine Zumutung, ich weiß, meinem Lesen zuzuhören erfordert Zeit und Geduld und Konzentration, ich riskiere das jetzt einfach mal … wenn es niemanden interessiert, dann ist es halt nur für mich und für ihn dort oben und ich höre sein Lachen und sehe seine Augen vor Schalk blitzen … so wie ich ihn aus dem Fernsehen kenne.

Daß ich überhaupt die Texte lesen darf, verdanke ich Herrn Walter Famler aus der „Alten Schmiede“ in Wien, der das „Brevier“ herausgegeben hat, die Rechte an Holls Werk besitzt und mit ihm viele Jahre stark befreundet war. Hiermit möchte ich mich nochmal herzlich bei Walter Famler bedanken für ein ganz wundervolles Telefongespräch voller Geschichten und humorvoller Plauderei und eine so wohltuend unkomplizierte Art, mit meiner Anfrage umzugehen. Es passiert mir nicht oft, auf einen so angenehm gesprächigen Menschen zu treffen und das Gefühl zu haben, ihn eh schon lang zu kennen. Ich glaube, die Alte Schmiede ist schon jetzt ein Ort, den ich besuchen möchte, was sind schon 350 Km … alles wird möglich nach dieser Seuche.

Die nächsten Tage bis Ostermontag wird immer wieder dieser Sprechbalken hier erscheinen, ich wandle mit dem Brevier in der Hand durch die Karwoche.

Draußen sind die Schneeglöckerlfelder verschwunden und haben den Busch-Windröschen Platz gemacht, auch die Kikerikiblumen und die gelben Sterne und das Gänsefingerkraut blühen um die Wette, der Himmel ist so blau wie er nur im Frühlingstaumel sein kann.

Abends steh ich am ziemlich verwilderten Grab und sag: Ach Papa, jetzt ist der Holl auch schon ein Jahr tot.

Wir sollten uns Briefe schicken mit Gedichten in blaßblauer oder veilchenblauer Tinte, große Worte (wie die Wildgans so schön sagt)voller Sehnsucht und Herzgefühl und Traum, findet Ihr nicht auch?

 

 

Textauszüge:
Das Adolf Holl Brevier
Walter Famler (HG.)
Residenzverlag

Foto: Michael Helminger

Rand des Universums

Der Bussard sitzt wieder auf dem Holzpfahl neben der Straße. Der alte Mann gestern auf dem Gehweg kommt mir in den Sinn, seine Füsse konnten dem vorauseilenden Kopf mit dem ernsten Vogelgesicht nicht mehr ganz folgen, waren unsicher im Tritt, schienen sich zu verhaspeln. Der Mantel hing über die gekrümmte Gestalt nach vorne, weit über die Knie. Kein Verweilen hat er sich gestattet, vorwärts getrieben hat es  den Mann … unter dem altmodischen schwarzen Hut dunkle kleine Augen, in die Ferne gerichtet.

Vor ca. einem Jahr habe ich einen Film gesehen: „Family Romance“, von Werner Herzog. Ein Film, der sich schon beim erstenmal Sehen in mein Dasein hineingefräst hat und daraus nie mehr verschwinden wird, weil es keine Trennlinie gibt zwischen den Wirklichkeiten, die eine läuft in die andere hinein und niemand weiß, wo man diese Bewegung aufhalten kann.

Es gibt in Tokio eine Firma mit Namen „Family Romance“, Yuichi Ishii heißt der Firmengründer und Besitzer. Von dieser Firma hat Werner Herzog erfahren und mit dem Besitzer einen Film über die Arbeit seiner Firma gedreht. Mit der Handkamera geht er herum und schaut zu. Die Firma vermietet Familienmitglieder, FreundInnen, Bekannte, gegen die Einsamkeit. Es gibt inzwischen über 3000 Beschäftigte, alles SchauspielerInnen, die Geschäfte mit der Romantik laufen bestens. Der Film ist eine Art Dokumentation, die sich schwer beschreiben läßt, weil man nie weiß, was echt ist und was Fake.

Es gibt keine direkte Handlung, die Kamera beobachtet Szenen zwischen Menschen, man sieht Beerdigungen, Überreichung von Preisen, eine Frau, die plötzlich auf der Straße von Forografen umringt ist und überall sind Schauspieler eingeschleust. Der Firmenchef verkörpert sich selbst, er wurde von der Mutter eines kleinen Mädchens engagiert, deren Mann verschwunden ist. In dessen Rolle schlüpft er als wiederauferstandener Vater. Man kann zuschauen, wie sie sich treffen und das Kind  immer zutraulicher wird. Sie treffen sich in einem Hotel und sehen den vielen bunten Fischen in großen Aquarien zu, erst nach und nach begreift man, daß es Roboterfische sind und dann sieht man die Gesichter des Personals und kann den Augen nicht mehr trauen…

Alles ist möglich und nichts ist mehr sicher, solange bezahlt wird. Verboten sind intime Berührungen und sexuelle Handlungen … dafür gibt es diverse andere Anlaufstellen … das einzige wirkliche Problem, das auftauchen kann ist, wenn jemand Gefühle entwickelt, so sagt der Firmenchef im Interview. Gefühle werfen alles durcheinander, dann muß abgebrochen werden. Seine Rolle als Vater wird schwierig, da das kleine Mädchen ihn immer mehr ins Herz schließt und deshalb rät er der Mutter, ihn doch einfach sterben zu lassen, sie möchte das aber nicht und zahlt weiter und das Mädchen trifft sich womöglich jahrelang mit seinem vorgegaukelten Vater.

Es ist ein eher unscheinbarer Film, manchmal etwas verwackelt durch die Handkamera, man sieht  viele gutgelaunte Menschen oder das ganz normale Leben in einer Großstadt, aber irgendwann kippt das Ganze und man befindet sich in einer moralischen Grauzone von Lüge, Schein, gekauftem Glück, ist es Fiktion oder Dokumentation und  wer könnte noch unterscheiden, wer wem was vorspielt. Am Schluß geht der Schauspieler nachhause und die Türe schließt sich. Man bleibt sehr alleine zurück mit der Frage, wer oder was ist das, was hinter der Milchglasscheibe auf ihn wartet.

Ein Film, der auf meine Fragen eingeht: wie leben wir eigentlich, was geben wir von uns preis, was suchen wir in der Phantomwelt des Großen Netzes … Vertrauen, Anerkennung, Beifall, Respekt, Beachtung, Freundschaft … welches Bild von uns zeigen wir, wie wirklich ist die Wirklichkeit …?

Wenn dieser Film die Wirklichkeit ist, dann ist seine Antwort extrem verstörend.

 

Oben in der Birkenkrone sitzt der Mond und der gemächlich vorbeischlendernde weiße Kater verdoppelt sich. Eng an sein schwarzes Pendent geschmiegt geht er mit ihm weiter in die Nacht hinaus …

Ich sitze auf der Hausbank, ein Lifekonzert wird übertragen … Clara Haberkamp Trio … wunderbar weicher, melodischer Jazz.

 

 

24 T. – Erkundungen der fernen Nähe … Tag 2

Ein paar hundert Meter vom alten Haus in Richtung Südosten führt der Weg durch ein kleines Wäldchen, überquert den Bach und schlängelt sich den Hügel hinauf. Am Bachrand stehen 13 Eichen und an einer gewissen Stelle ist ein Ort, den ich den Platz der Wilden Frauen nenne, dort gehe ich hin, wenn ich Antworten auf Fragen in mir suche.

Was mache ich da, frage ich heute, was erwarte ich mir von den nächsten 20 Tagen, was will ich finden … was suche ich denn überhaupt, auf diesen 10 km um mein Heimathaus herum … wo soll ich beginnen … ich hatte da wieder mal eine Idee, nein, mehr noch einen Traum … und jetzt, wo es an die Umsetzung geht, habe ich keinen Plan … es werden dunkle Geschichten, denke ich, auch jetzt dämmert es, die blaue Stunde beginnt. Wo soll ich beginnen, wie „bereist“ man 10 km Heimat? Ich werde auf den Spuren meines Lebens gehen … was habe ich mir da nur wieder Unmögliches ausgedacht. Zwischen den Eichen sehe ich langsam im Nebel verschwimmend den Holzstadel, der früher für die Weidetiere einen Unterschlupf bei Wind und Wetter bot, heute ist er abgesperrt, der Bauer läßt die Tiere nicht mehr hinein. An der Holzwand steht auf einem Schild zu lesen : Schöller, königl. bayr. Bezirksgericht.

Vor langer Zeit stand da ein Bauerngütl, und die Leute waren so arm, daß die KInder auch im Winter barfuß laufen mußten, so erzählte es mir meine Großmutter. Heute weiß niemand mehr was von ihnen … ein Ort, den man Lost Place nennen könnte. Steinplatten liegen im Boden eingelassen, da, wo mal das Haus war. Bis vor ein paar Jahren stand noch ein uralter Zwetschgenbaum dort, den hat der jetzige Grundbesitzer eines Tages abgehackt. Und den ehrwürdigen Nußbaum am Wegesrand habe ich oft besucht, mich an seinen dicken Stamm gelehnt und ihm am Ende des Winters Rilkes Gedicht vom Vorfrühling aufgesagt, und bei der Stelle … „des alten Nußbaums rühmliche Gestaltung füllt sich mit Zukunft“ … da bekam ich immer nasse Augen, weil ich meinte, seine Freude zu spüren. Eines Tages hat ihn der Sturm hinweggefegt. Alles verloren und dennoch liegt die Spur einer alten Geschichte über dem Ort … zurückgehend durch das kleine Wäldchen fällt mir ein Ereignis ein, das ein paar Jahre zurückliegt. Ein paar Freundinnen hatten sich in die Haltung des „Bärengeistes“ begeben, einer uralten Figurine, und wir erforschten die rituellen Haltungen nach F. Goodman. Ich hatte die Aufgabe, mit der Rassel für Orientierung und Sicherheit auf der Reise zu sorgen und alle wieder zurückzuführen. Es war eine klare Nacht, der Vollmond stand direkt über uns. Ich war sehr wachsam und hielt die Augen und Ohren offen. Dann kam langsam eine Nebelzunge den Hügel herunter, umschlängelte  uns in einer Spirale und verschwand im Wald. Niemand außer mir hatte etwas bemerkt, so sanft und zart war diese  Begegnung.

Frau Percht kommt aus den Bergen und reist übers Land und ich lasse mich treiben mit ihrer wilden Entourage, wir fliegen durch Zeiten und Räume einer heiligen Dunkelheit.

Awesome Blogger Award …

Maren Wulf, die einen Blog betreibt, den ich gerne besuche, weil ich dort Bilder und Texte vorfinde, die mich auf leise Art ins Innere der Dinge reisen lassen, hat mir fünf Fragen geschickt, die sie an bloggende Menschen richtet, ich will sie gerne beantworten.

 

1. Was bedeutet Dir das Bloggen?

Ich habe viel nachgedacht über diese Frage und drehe mich im Kreis, weiß nicht, was ich darauf sagen soll.
Ein Zitat geht mir plötzlich durch den Kopf und schiebt sich aufdringlich vor meine Antwort:
„When you get there,
there is no there,
there“
(Gertrude Stein)

Was bedeutet mir das Bloggen?

Der Blog ist ein öffentlich einsehbares virtuelles Medium, dessen Plattform ich kostengünstig auf meiner HP bespielen kann. Das Bloggen hat nicht mehr Bedeutung für mich, als dieses Medium zu bedienen und es beginnt wie immer und überall mit dem sprichwörtlichen weißen Blatt Papier… Meine Freude beim Bloggen entsteht, wenn ein schöpferischer Prozess sich immer weiter gestaltet, zu einem befriedigenden Ergebnis führt und durch wohlwollende Likes gesagt wird: Du, ich habe Deine Arbeit bemerkt! Der Nachteil dieses Mediums ist seine Flüchtigkeit, d.h. es zählt nur, was chronologisch oben steht, der Eintrag von gestern ist unsichtbar und schnell vergessen.

Manchmal hab ich Lust, Texte, Bilder zu veröffentlichen und nicht nur für die Schublade zu arbeiten. Manchmal hab ich Sehnsucht nach anderen Menschen und ihren Geschichten, dann besuche ich sie in ihren Blogs und manchmal will ich mit anderen experimentieren ; dann erträumt sich die Zauberin in mir eine imaginäre Bühne zwischen Himmel und Erde und sendet einen Ruf hinaus ins All … und wenn dann alle kommen und am Feuer das Traumgarn spinnen oder die Feen mit ihren Zauberstöcken anreisen, dann ist das jedes Mal ein Fest und ich empfinde tiefe Dankbarkeit für diese Möglichkeit der Begegnung.

Ob sich aus diesen sogenannten „sozialen Netzwerken“ wirklich tragfähige soziale Verbindungen, wenn nicht sogar Freundschaften entwickeln lassen, liegt nicht am Medium, sondern am Einsatz der Beteiligten und hat zu tun mit Vertrauen, Ehrlichkeit, uneingeschränkter Zuneigung und viel viel Zeit , die man investiert, indem man sie herschenkt, aber das ist ja nichts Neues.

 

2. Wenn dein bisheriges Leben ein Buch wäre, welchen Titel hätte es?

„Was mache ich hier? (B.Chatwin) oder :  die Frau mit der Katze kommt um halb drei.“

 

3. An welchen Ort würdest du gerne nochmal zurückkehren?

Ich würde gerne an einen Ort „zurück“- kehren, den ich aus visionären Traumreisen kenne, von dem ich aber nicht weiß, ob er in der realen Welt existiert. Tatsächliche Reisen, die mich ins Tal der Könige und zum Sinai führten, Fotos von der alten Stadt Petra und ein unheimliches Erlebnis im Pergamonmuseum in Berlin hatten mit diesem Ort in irgendeiner nicht erklärbaren Weise zu tun … und manchmal zieht es mich sehr stark nach Israel. Sollte ich irgendwann eine Möglichkeit für eine Reise dorthin bekommen, dann werde ich sie ergreifen. Der Sehnsuchtsort liegt am Fuß von rotgoldenen Felsen und es herrscht trockene Wüstenluft.

 

4. Wann hast du zum letzten Mal Neues über dich erfahren? Was war das?

Mir fällt dazu nur ein, daß vor Monaten einer, den ich sehr schätze, zu mir gesagt hat: „Du bist ein Segen!“ Ich weiß nicht, warum er das gesagt hat und ich wollte auch nicht fragen. Es ist einfach eine mir neue, besondere Sicht auf mein Sein, die ich gerne so stehen lasse .

 

5. Gibt es etwas, das du immer tun wolltest, aber bisher nie getan hast?

Da gibt es schon etliches, das meiste ist streng geheim…

Was ich hier in der Öffentlichkeit sagen will sind zwei ganz wichtige Wünsche, die leider durch diesen Coronazirkus schier unerfüllbar bleiben:

1. Auf einer Bühne Texte vortragen im Zusammenspiel mit  einem/r MusikerIn, der/die den Mut und das Können zur freien Improvisation mitbringt und nicht nur den Text begleitet, sondern absolut eigene Wege gehen mag!

2. In einem Independent Musikclub , den ich erst kürzlich wiederentdeckt habe, ganz in der Nähe, die Nacht durchtanzen! Erfordert einen Mut, den ich leider viel zu lange nicht hatte… in meinem Alter…puuh! Aber als ich diese DJs jetzt im Netz gesehen habe, was die mit unglaublicher Musikleidenschaft in einem coronabedingt komplett leeren Lokal aufgeführt haben, da dachte ich: wenn ich das alles und noch viel mehr überlebe, mich zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung auf den Beinen halten kann und sie mich reinlassen, dann werd ich mich da auf die Tanzpiste werfen! REALLY!!!!!

Herzlichen Dank nochmal an Dich, liebe Maren, für die Fragen, die so harmlos daherkommen, mich aber ganz schön beschäftigt haben! Ich möchte niemanden nominieren, weil mir auch keine Fragen einfallen, die nicht irgendwer schon längst gestellt hat …sondern das einfach mal in all seiner Unvollkommenheit hier so stehen lassen!