Mein erstes richtiges Fest muß ich wohl in einer Walpurgisnacht so um 1970 herum veranstaltet haben. Es war schon ziemlich progressiv, am Land Party zu machen, damals gab es sowas noch nicht, und wir wussten so mit 17, 18 Jahren auch überhaupt nicht, wie das geht. Ich lud einfach ein paar Leute ein, die ich kannte und da kamen dann alle möglichen noch mit, Freunde, Brüder, was weiß ich, die meisten hatte ich noch nie gesehen. Aber das war egal, denn das Fest sollte eh nur aus einem einzigen Grund stattfinden, an einen bestimmten Jungen irgendwie ranzukommen. Er war spindeldürr, hatte sehr seltsam angeordnete Blondlocken, war käsebleich und trug die allerheißesten beigen Schlaghosen, die ich je gesehen hatte und dazu einen braunen Pullunder über einem von der Mama mit scharfer Bügelkante versehenen Hemd, an dem ein riesiger Kragen schlabberte…also der letzte Schrei und totschick. Der Kerl selbst war eine Schlaftablette, er saß nur rum, sah mich zwar manchmal lange an, sagte aber nichts und tat auch nichts und hieß Werner. Er war schrecklich langweilig aber ich fand ihn so süß. Leider war er nicht dazu zu bewegen, mich mal zu küssen, keine Ahnung, hatte er noch nie, konnte er es nicht, traute er sich nicht…
Für das Küssen hat sich dann ein anderer angeboten, der konnte es , und wie und das gefiel mir auch, aber er wollte mich unbedingt gleich heiraten und ich wollte doch nach München, die wilden Jahre sollten beginnen.
Und so verging diese Nacht und alle suchten jemand zum Küssen, es waren aber nur ganz wenige Mädchen da und die wollten auch nicht ständig mit allen, die in der Gegend herumstanden. Als ich grade eine 2 Literflasche Lambrusco holte, packte mich plötzlich ein ziemlich kleiner Junge und drückte mir mit fest zusammengepressten Lippen ein Küsschen auf den Mund…ich weiß heute noch, wie sich dieser weiche Flaum in dem Bubengesicht angefühlt hat, komisch, was man sich doch merkt.
Die Nacht war kalt, die Romafamilie, wir sagten damals „Zigeuner“, die bei uns am Hof ihre Wohnwägen aufgestellt hatten, saßen um ein Feuer und alle Partygäste stellten sich auch mal hin, um sich zu wärmen. Alle bekamen vom köstlich gebratenen, zarten Fleisch zu essen und fischten sich ein paar fettige Grammeln (Grieben) aus dem Kessel.
Am nächsten Morgen stellte sich dann auf Grund der übriggebliebenen Reste heraus, daß wir wohl Igel gegessen hatten und die wunderbaren Grammeln waren Fleischfliegen, geröstet.
Ja, und heute steh ich am Hügel über dem alten Haus und schau über das Tal, nirgendwo ein Feuer, kein Fest wird gefeiert, alle sitzen vor den Fernsehern und draussen beginnt aufs Neue der Große Reigen, alles streckt sich dem Leben entgegen, die Bäume blühen, die Rosen breiten schon die Arme aus…
Meine gefiederte Hexenschwester landet neben mir und bestreicht sich die Flugfedern mit einer merkwürdig riechenden Salbe…damit fliegt es sich doch ein wenig leichter, sagt sie. Heut ist doch eine Nacht zum Götterzeugen…na ja, wenigstens ein wenig Schnäbeln wird doch drinsein, oder? – und schon ist sie verschwunden.
Schnäbeln? Ein wenig Flugsalbe und ich könnte auch herumfliegen und womöglich frech und übermütig sein und einfach so bei der oder demjenigen vorbeifliegen und ihnen Küsse rauben…ich wüsste da schon ein paar…wann denn sonst, wenn nicht heute Nacht…der Mai beginnt, der Monat der Liebe…
Soll ich?
Wann, wenn nicht jetzt!