Archiv für den Monat: April 2016

Kußflug in den Mai

Mein erstes richtiges Fest muß ich wohl in einer Walpurgisnacht so um 1970 herum veranstaltet haben. Es war schon ziemlich progressiv, am Land Party zu machen, damals gab es sowas noch nicht, und wir wussten so mit 17, 18 Jahren auch überhaupt nicht, wie das geht. Ich lud einfach ein paar Leute ein, die ich kannte und da kamen dann alle möglichen noch mit, Freunde, Brüder, was weiß ich, die meisten hatte ich noch nie gesehen. Aber das war egal, denn das Fest sollte eh nur aus einem einzigen Grund stattfinden, an einen bestimmten Jungen irgendwie ranzukommen. Er war spindeldürr, hatte sehr seltsam angeordnete Blondlocken, war käsebleich und trug die allerheißesten beigen Schlaghosen, die ich je gesehen hatte und dazu einen braunen Pullunder über einem von der Mama mit scharfer Bügelkante versehenen Hemd, an dem ein riesiger Kragen schlabberte…also der letzte Schrei und totschick. Der Kerl selbst war eine Schlaftablette, er saß nur rum, sah mich zwar manchmal lange an, sagte aber nichts und tat auch nichts und hieß Werner. Er war schrecklich langweilig aber ich fand ihn so süß. Leider war er nicht dazu zu bewegen, mich mal zu küssen, keine Ahnung, hatte er noch nie, konnte er es nicht, traute er sich nicht…

Für das Küssen hat sich dann ein anderer angeboten, der konnte es , und wie und das gefiel mir auch, aber er wollte mich unbedingt gleich heiraten und ich wollte doch nach München, die wilden Jahre sollten beginnen.

Und so verging diese Nacht und alle suchten jemand zum Küssen, es waren aber nur ganz wenige Mädchen da und die wollten auch nicht ständig mit allen, die in der Gegend herumstanden. Als ich grade eine 2 Literflasche Lambrusco holte, packte mich plötzlich ein ziemlich kleiner Junge und drückte mir mit fest zusammengepressten Lippen ein Küsschen auf den Mund…ich weiß heute noch, wie sich dieser weiche Flaum in dem Bubengesicht angefühlt hat, komisch, was man sich doch merkt.

Die Nacht war kalt, die Romafamilie, wir sagten damals „Zigeuner“, die bei uns am Hof ihre Wohnwägen aufgestellt hatten, saßen um ein Feuer und alle Partygäste stellten sich auch mal hin, um sich zu wärmen. Alle bekamen vom köstlich gebratenen, zarten Fleisch zu essen und fischten sich ein paar fettige Grammeln (Grieben) aus dem Kessel.

Am nächsten Morgen stellte sich dann auf Grund der übriggebliebenen Reste heraus, daß wir wohl Igel gegessen hatten und die wunderbaren Grammeln waren Fleischfliegen, geröstet.

Ja, und heute steh ich am Hügel über dem alten Haus und schau über das Tal, nirgendwo ein Feuer, kein Fest wird gefeiert, alle sitzen vor den Fernsehern und draussen beginnt aufs Neue der Große Reigen, alles streckt sich dem Leben entgegen, die Bäume blühen, die Rosen breiten schon die Arme aus…

Meine gefiederte Hexenschwester landet neben mir und bestreicht sich die Flugfedern mit einer merkwürdig riechenden Salbe…damit fliegt es sich doch ein wenig leichter, sagt sie. Heut ist doch eine Nacht zum Götterzeugen…na ja, wenigstens ein wenig Schnäbeln wird doch drinsein, oder? – und schon ist sie verschwunden.

Schnäbeln? Ein wenig Flugsalbe und ich könnte auch herumfliegen und womöglich frech und übermütig sein und einfach so bei der oder demjenigen vorbeifliegen und ihnen Küsse rauben…ich wüsste da schon ein paar…wann denn sonst, wenn nicht heute Nacht…der Mai beginnt, der Monat der Liebe…

Soll ich?

Wann, wenn nicht jetzt!

 

 

 

 

 

 

Mond

Endlich taucht er über Salzburg auf und kommt herangeglitten auf schwarzem Himmelsgrund. Auf dem Hügel erwarte ich ihn voller Sehnsucht.

Früher dachte ich, irgendwann kommt das Alter und dann kriege ich die Antworten zur Klärung der Dinge. Aber ohne sich groß anzukündigen hat sich das Alter längst eingeschlichen. Die Antworten bleiben aus, dafür werden die Fragen täglich mehr.

Er beugt sich ein wenig herab und malt mit Silberfingern Zeichen auf  mein nacktes Gesicht, auf der Stirne ist noch Platz, dorthin  schreibt er Liebe …ach Mond, das beantwortet doch keine meiner Fragen, oder?

Schon neigt er sich wieder über mich, aber bevor er auch noch seine Hand ausstreckt laufe  ich weg mit brennender Stirn und klopfendem Herzen und verstecke mich im Schatten des blühenden Kirschbaumes.

Am Morgen schneit es.

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„Ich kenne ihn“, sagte die Kantorka

Eine alte sorbische Sage, als Nachdichtung  über Macht und Wahnsinn, Verführung und bitterste Armut. Und über Hingabe und grenzenloses Vertrauen darauf, daß das Gute im Menschen siegen wird.

In einer Welt voller Krieg und Elend gerät ein armer Bursche in die Fänge eines Müllers, der seine Seele verkauft hat, und wird in Schwarzer Magie ausgebildet. Alles nimmt einen sehr tragischen Verlauf. Es geht um Leben und Tod, und am Ende bleibt nur noch der Glaube an die Kraft der Liebe.

Ein paar Textstellen, zwei Stimmen, wenige Bilder… alles weitere darf sich gestalten in der Vorstellung der Hörenden.

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Bild: Graugans

Die Mühle im Koselbruch – elf und einer

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERABild: Herr Ärmel

Hahnenkampf

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERA Bild: Herr Ärmel

Wie man auf Flügeln fliegt

 

Vielen Dank hinauf zu den Sternen an O. P. und seinen K r a b a t , aus dem die gesprochenen Textauszüge stammen!

Herzlichen Dank an Herrn Ärmel für die Bilder!

Einen Gruß an den freundlichen fremden Mann, der mich eines Abends auf der Landstraße nach dem Weg zum Meer fragte und mir zum Dank aus diesem Buch vorlas.

„Es ist einmal im Leben so…“

Am 9. April wäre meine Mama 94 Jahre alt. Unvorstellbar.

Am 09. 04. 1922 ist sie geboren, und wurde in der Wallfahrtskirche  der schmerzhaften Madonna in Mariaschein / Bohosudov, in Nordböhmen getauft. Bohosudov ist heute ein zentraler Ortsteil der Stadt Krupka in Tschechien, ca. sieben km nordöstlich von Teplitz – Schönau / Teplice.

Ihr Großvater mütterlicherseits, mein Urgroßvater, war Bäcker und Grundbesitzer. Ob das wirklich sich so zugetragen hat, daß der hundertste Erntewagen gefeiert wurde oder ob das eine der absolut glaubhaft vorgetragenen Geschichten meiner Mutter, der Märchenerzählerin, war, es ist mir völlig egal…mein Vater, der Moralist und Wahrheitsfanatiker, hat es ihr geglaubt…ach mein Vater, was wusste er schon von seiner fremden Frau?

Meine Großmutter ist mit 28 Jahren an der Schwindsucht gestorben. Vorher hatte sie zwei Mädchen geboren, meine Mama und ihre Schwester. Mein Großvater bekannte sich zur Vaterschaft, kam aber als Schwiegersohn zwecks Herkunft aus Schauspielerfamilie und deshalb mangelnder Seriosität nicht in Frage und durfte die Mutter seiner Kinder nicht heiraten.

Nach dem Tod der Mutter blieb das eine Mädchen bei den Großeltern und meine Mama wurde vom Vater mitgenommen in ein unstetes Gauklerdasein. Von Ort zu Ort, leben von der Hand in den Mund, große Saufgelage bei guter Kasse, wunderbares, aufregendes Leben, immer unterwegs, immer Applaus, immer bei ihrem geliebten Vater, dem Chef der Truppe, davon erzählte sie mir…von den Zeiten, in denen die Kasse leer war, sagte sie nichts.

Ihre Geschichten, dieser Schatz, den sie mir hinterließ, handeln immer von einem Gauklerleben mit einer Art Wanderbühne. Und ziemlich sicher ist, daß sie nie die Ophelia spielte, sondern irgendwelche Rollen in kitschigen Operetten und Boulevardkomödien, viel mit ihrem Cousin Richard, den sie liebte…es blieben nur Geschichten, in denen ich auf mich wirken lasse, was zwischen den Worten steht und davon handelt, wer sie war…

Theater-klein

Was macht die kleine Truppe eines Schmierentheaters irgendwo am Abend nach der Vorstellung…ja, ziemlich viel Blödsinn…in Sektflaschen pinkeln, die das Kind trinkt, weil es denkt, es sei Limonade…baden gehn im Attersee bei Vollmond und mein Großvater wischt sich ein paar Seegräser vom Kinn und hält den Kopf einer Ertrunkenen in der Hand…ach und all die Klamotten vom Leben auf der Bühne…

Heute werden diese Theatergeschichten nicht mehr erzählt, es hat sich alles gewandelt. Einer der letzten großen Komödianten, Maxi Böhm, der alle seine Geschichten immer damit begann: „Sie, ich kenn da einen in Reichenberg…“ hat Ähnliches erzählt wie meine Mutter, es handelt meist vom wilden Improvisieren, wenn wichtige Requisiten fehlten oder der Text oder irgendwas nicht funktionierte, dann wurde aus dem Stehgreif heraus was erfunden, was zu komischen Einlagen führte und das Publikum bestens bei Laune hielt.

Das konnte meine Mama, aus nichts ein wunderbares, wenn auch manchmal etwas seltsames Essen kochen und aus langweiligen Gästen ein fröhlich lachendes und ihr zujubelndes Publikum, das amüsiert um den Stubentisch saß und nicht mehr heimgehen wollte.

Mit 24 Jahren wurde sie aus Karlsbad verjagt und mit Viehwaggons in bayrische Sammellager transportiert und von dort in irgendeiner Gegend irgendeinem Haushalt zugeteilt. Damals war sie verheiratet mit einem, der irgendwo im Krieg verschollen ging.

Mein Vater konnte sie erst heiraten, als der erste Mann für tot erklärt war. Von ihm hat sie mir nie erzählt, kein Wort, da gab es keine Geschichte. Auch nicht von dem toten Kind, das sie angeblich geboren hatte, von dem ich aber erst viele Jahre nach ihrem Tod erfahren habe.

Als sie kam, hatte sie nichts dabei außer einem Fotoalbum mit ein paar wenigen Bildern von ihrem Vater und seiner neuen Frau und ihren Kindern, einem Bild von sich auf irgendeiner Bühne und ein paar Bildern, von denen sie mir nie sagte, wer die Menschen waren, die mich anschauen.

Es passt nichts, gar nichts zusammen, ich habe keinen roten Faden durch ihre Biographie, die Zeitangaben stimmen nicht überein.

Zwischen den Zeilen der lustigen Geschichten der Boheme eines Wandertheaters scheint das traurige Schicksal eines Kindes durch, um das sich niemand richtig kümmerte und das keine Heimat hatte.

Und hier bei uns war sie auch wieder eine Fremde und das blieb sie bis zu dem Zeitpunkt, als sie für immer davonflog.

Sie konnte so wunderbar blödeln, es war ihr nichts heilig, sie hatte diesen Humor aus dem Osten, der Menschen grade dann zum Lachen bringt, wenn eigentlich alles zum Weinen ist…“Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, ja, das passte auf sie! Irgendwann schien das Weglachen nicht mehr zu genügen, da setzte sie sich auf ihr Fahrrad und verschwand…mein Vater suchte sie wochenlang, bis er sie fand, irgendwo in den Bergen auf einem verwahrlosten Bauernhof, da nahm er sie wieder mit nachhause. Dann versuchte sie, sich wegzusaufen. Eines Vormittags lag sie tot auf dem Sofa, kurz nach ihrem 46. Geburtstag.

Sie hat mir nichts zurückgelassen außer einem großen Knäuel Traumgarn, an dem Geschichten hängen und das sich, je mehr es abgewickelt wird, neu nachspinnt.

Und zwei Einträge in Poesiealben, einen für mich

Poesie1

 

und einen für das Fräulein Poldi, einer gleichfalls Verjagten, die mit ihrem Bruder in unserem Stüberl hauste – geschrieben mit dem Pelikano Füllfederhalter, den ihr mein Vater geschenkt hatte.

Poesie2

„Es ist einmal im Leben so…“ ist ein Lied aus der Operette „Zum Weissen Rössel“ und sie liebte dieses Lied, ich glaube, daß ich heute, fast fünfzig Jahre nach ihrem Tod endlich verstehe, warum.

Nicht nur in meinem Herzen wird am 9. April eine Kerze brennen für meine wilde, einsame Mama und dieses Lied schicke ich auch noch nach, hinauf zu den Sternen!