Archiv für den Monat: April 2017

„Das Europa der Muttersprachen“, Ukraine 2

 

Gestern habe ich zum zweiten Mal in meinem ganzen Leben als filmbegeisterter Mensch den Kinosaal während der Vorstellung verlassen, weil ich den Film nicht mehr aushalten konnte. Das erste Mal war bei dem Film : „In einem Jahr mit 13 Monden“ von Rainer Werner Fassbinder. Damals musste ich raus, weil ich die Gesichter und die Hände derer, die im Schlachthof  töteten und das Geräusch der stürzenden Tiere nicht mehr ertrug…

Und gestern den Film zu Beginn des zweiten Tages des Festivals: „The Tribe“ von Myroslaw Slaboschpyzkyj  bei der Szene, in der ein Mädchen mit einer „Engelmacherin“ (eine, die illegal Abtreibungen durchführt) in deren Küche kurz um den Preis feilscht, dann drückt die Frau ihre Zigarette aus und holt ihr „Besteck“ aus dem Kasten und kocht es aus über der Gasflamme vom Küchenherd, dann geht sie raus und holt eine Strick und bindet dem Mädchen die Arme und Beine so zusammen, daß diese sich nicht mehr rühren kann, auf einem Tisch hockend mit gespreizten Beinen im winzigkleinen Clo…da mußte ich rausgehen, denn ich bekam so starken Würgereiz und …es ging nicht mehr.

Der Film spielt in Jetztzeit in einem Taubstummeninternat, es fällt kein Wort, jegliche Kommunikation läuft über Gebärdensprache. Er dauert über zwei Stunden und bis dahin, wo ich rausgegangen bin zeigte er ein Leben in Anarchie, roher Gewalt, Brutalität und Kälte und danach, so habe ich erfahren, wurde es noch viel schlimmer.Ich stehe noch immer unter dem Einfluß dieser Bilder und ich denke nach darüber, was die Aussage dieses Films denn ist…was will er mir sagen?

Junge Männer werden zu Handlangern der Mafia abgerichtet und tun alles, was ihnen befohlen wird, alle Erwachsenen sind entweder Bosse bei der Mafia oder selber deren Handlanger. Die Mädchen werden als Fleischstücke an LKW – Fahrer verkauft, die mit ihnen machen, was sie wollen. In diese Welt gerät ein junger Bursche, der in der ersten Szene mit einem schäbigen Bus durch eine schäbige Gegend fährt und an einer heruntergekommenen Haltestelle aussteigt und mit seinem Koffer zu diesem Internat geht.

In dieser ersten Szene wusste ich schon, daß ich diesen Film nicht ertragen konnte. Am Straßenrand war ein kaputtes Auto zu sehen, gleich ganz am Anfang. Ich habe bei Gott in meinem Leben schon unzählige Schrottautos gesehen, aber noch niemals so ein trostloses braunes Autowrack. Es lag, schon ziemlich von Unkraut überwuchert da und war so lähmend tot und trostlos…kaum auszuhalten dieses Zeichen des gleichgültigen Verderbens.

Was soll dieser Film aussagen über die heutige Situation in der Ukraine?

Ich bleibe ratlos zurück.

Auch, daß zwischen zwei jungen Menschen ein zartes Gefühl entsteht inmitten dieses Schlachtfeldes der Bestie Mensch, soll es heißen: Schau her! Trotzdem gibt es Hoffnung, trotzalledem gibt es die Liebe…ich weiß nicht, was ich denken soll. Vorhin hab ich noch den wie immer brilliant geschriebenen Blogeintrag von Madame Filigran gelesen über das Böse…ich mag es nicht glauben, daß es „Das Böse“ gibt, obwohl mir das meine christlich-abendländische Erziehung mit allen Mitteln der Gehirnwäsche eingetrichtert hat…nein, ich mag mich dieser angeblichen Existenz des Bösen nicht ergeben…noch dazu, weil es ja angeblich von einer Frau in die Welt gebracht wurde, dadurch, weil sie (Eva , aber noch schlimmer die wilde Lilith) den Mann dazu verführte, zu Erkenntnis über das eigene Tun zu gelangen…

Aber das alles führt jetzt viel zu weit, ich glaube, jede / r  sollte unbedingt zumindest versuchen, diesen Film sich anzusehen und dann darüber zu sprechen…denn genau dazu sind doch so extrem anstrengende Festivals da, daß man miteinander ins Gespräch kommt über alle Grenzen und Barrieren hinweg, oder? Es gibt den Film auf DVD.

Ich werde mich jetzt in das abschließende Programm hineinstürzen und in den nächsten Tagen mit ein wenig Abstand nochmal berichten von diesem Glücksfall eines Verständigungsversuchs innerhalb der Kulturen.

„Das Europa der Muttersprachen“, Ukraine 1

Also, anstrengend ist ein Literaturfestival schon, auch wenn es so wunderbar gestaltet ist wie das diesjährige  Europa der Muttersprachen mit dem Schwerpunkt Ukraine! Ich weiß, daß ich nichts weiß über dieses Land, nicht mal so genau, wo es liegt. Und wer, bitteschön, soll sich noch auskennen in dem ganzen politischen Wirrwarr, den kriegerischen Auseinandersetzungen um ständig sich ändernde Abgrenzungen ? Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich nach diesen drei Abenden im Literaturhaus Salzburg besser die Hintergründe durchblicke, aber ich erfahre ein wenig, was heutige KünstlerInnen mit ihren Mitteln auf dem Hintergrund ihres Heimatlandes aus ihrem Leben preisgeben, wie sie ihre Erfahrungen verarbeiten…ja, ich mag es gerne, eine fremde Sprache zu hören, die immer vertrauter wird, aucch wenn ich sie nicht verstehe und ich liebe es, wenn es Menschen gelingt, dem, was sie zutiefst erregt und erschüttert eine künstlerische Gestalt zu geben…aus dem Unsäglichen formt sich Sprache, aus dem Unsichtbaren werden Bilder und aus unbegreiflichen Weiten am Rande jeglicher Existenz kommt das Unhörbare und schickt Töne bis in die Urgründe unserer Seele…

Gestern begann der erste Abend mit Kurzfilmen von ukrainischen FilmemacherInnen, die alle so um die dreissig Jahre alt sind. Nicht zu beschreiben diese Filme, weitestgehend tonlos, reine Bilder…Spürungen durchströmen mich, als ich die Plattenbaustädte sehe, ich denke an den Blick aus dem Fenster am Stadtrand von Leipzig, letzten November…eine Plattenbausiedlung, und auch an den Blick aus dem Hotelfenster erst kürzlich in Berlin. Da sah ich oft nachts über den Hinterhof auf die grauen Mietskasernen und dachte mir, daß man schon brutal einsam sein kann nachts in so einem Zimmer…

Bei der Eröffnung der Fotoausstellung mit der anwesenden politisch höchst aktiven und engagierten Fotografin Yevgenia Belorusets hätte ich nicht mehr zu sagen gewusst, was mir mehr unter die Haut ging: die Kunst, solche Bilderreihen herzustellen, die keines Wortes mehr bedürfen, die aus sich heraus Geschichten erzählen über die Arbeit im Bergwerk,  die Angst, die unglaubliche Hilflosigkeit, nicht das Geringste tun zu können, um die drohende Schließung zu verhindern, Existenznot und in der absoluten Hoffnungslosigkeit dennoch „Die Siege der Besiegten“ herauszuarbeiten, ohne, wie die Fotografin sagte, in irgendeiner Weise zu beeinflussen, wie sich die Menschen auf ihren Bildern darstellen wollten…

…oder das, was Yevgenia Belorusets insgesamt über ihre Arbeit unter den Bedingungen ihres Landes zu sagen hatte…und noch dazu, was sie in perfektem, makellosen Schriftdeutsch über Walter Benjamin sagte, dessen Aufsatz über „die Siege der Besiegten“ ich dringend suchen und nachlesen muß!

Dann kamen zwei Schriftstellerinnen: Kateryna Babkina und Natalka Sniadanko. Da der zweite Abend bald beginnt, und wir schon sehr früh losfahren müssen, um in der Parkplatznot in Salzburg irgendwann irgendwo das Auto loszuwerden für fünf sechs Stunden, und ausnahmsweise mal keinen Strafzettel zu kassieren, werde ich hier und heute nichts über die Lesungen gestern sagen, sondern die #Bücher lesen und dann darüber berichten!

Der Schlußpunkt gestern kam in Form von Musik, es waren leider nur noch halb so viel  BesucherInnen da und die hingen schon ziemlich müde in den Stühlen.

Mariana Sadovska trat auf und sang Lieder, die sie in entlegenen Dörfern der Ukraine gehört hatte, heidnische, uralte Gesänge voller Magie und Zauberkraft…heute wird sie wieder singen und ich werde morgen davon erzählen…nur soviel sei gesagt:

Es gibt Musik, die dringt in die hintersten Kammern der Seele und bei diesen Gesängen da spüre ich eine Sehnsucht, die hineinreicht bis zum Urgrund allen Seins und sie mündet in eine Verbindung , eine Verschmelzung mit allem was war und was ist und was jemals sein wird und ich wäre nicht ich, wenn ich nicht sagen würde, daß es Liebe ist, was mich dabei durchströmt…

Wer irgendwie in der Lage ist, heute und morgen dieses Festival zu besuchen, sollte es tun, unbedingt!!!

„…Hombre…“

Mir ist heute auf mysteriöser Luft -Schall- Wellenbewegung durch Schneegestöber und durch den unendlichen Äther ein Lied zugeschwebt, noch dazu ein schönes von einem Schönen! Und weil mir das so eine Freude macht und ich das Lied wirklich gut finde, will ich es hier gleich weiterschenken!

Rainer Schöne, jetzt 75 Jahre alt, die Stimme und das Gesicht eines gereiften, lebenserfahrenen Menschen mit jungen, glänzenden und lachenden Augen und diesem kleinen, ganz leicht überheblichen Lächeln im Mundwinkel, von einem, der weiß, was er kann und es auch herzeigt mit der  Attitüde des weltmännischen Draufgängers…

Träfe ich ihn in einem Western, ich würde ihn „Hombre“ nennen…

Meinen herzlichen Dank an den aufmerksamen und liebenswürdigen (noch) fremden Liedschenker!

P.S. …und ja, ich werd noch jung sein, jetzt da ich älter bin…und mein Blut unter der Haut ist schnell und laut und die Lust ist wild und sehr vertraut und meine Liebe verschenkt sich uferlos auf ihre Weise, laut lachend und manchmal ganz leise, ich bin noch da…kämpferisch und gebückt, gealtert , und doch verwegen und verrückt, jetzt da ich älter bin…

…( 1. Korinther 13 )

Wenn ich in der Sprache der Menschen und Engel redete,

hätte aber die Liebe nicht,

wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte
und alle Geheimnisse wüsste
und alle Erkenntnis hätte;
wenn ich alle Glaubenskraft besäße
und damit Berge versetzen könnte,

hätte aber die Liebe nicht,

wäre ich nichts.
Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte
und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe,

hätte aber die Liebe nicht,

nützte es mir nichts.

Die Liebe ist langmütig,
die Liebe ist gütig.
Sie ereifert sich nicht,
sie prahlt nicht,
sie bläht sich nicht auf.
Sie handelt nicht ungehörig,
sucht nicht ihren Vorteil,
lässt sich nicht zum Zorn reizen,
trägt das Böse nicht nach.
Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern
freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles,
hofft alles,
hält allem stand.

Die Liebe hört niemals auf.

Frohe Ostern und Freude weit darüber hinaus an Euch alle!
Christ, wer er auch gewesen sein soll…er ist erstanden!

Den Schmerz überwunden,
von den Toten auferstanden,
und…

ob ich das alles glaube?
Ach, was wissen wir schon?
Hat es was mit uns allen zu tun?
Ja,
ich denke schon.

In diesem Sinne, seid Herzlich gegrüßt!

Halleluja!

Sechs Millionen

Dies ist die Dokumentation eines Scheiterns.

Vor zehn Jahren war ich mit zwei befreundeten Frauen im jüdischen Museum in Berlin . Die Zahl: “ 6 Millionen“ hat eine Hilflosigkeit und Ohnmacht ausgelöst und führte zum Versuch, ein Kunstprojekt zu beginnen. Wir wollten Striche machen, einen für jedes Menschenleben und einen eigenen Raum dafür schaffen, zum Gedächtnis oder einfach, um irgendetwas tun zu können, wofür Worte nicht ausreichen. Wie kann man sich so eine Zahl vorstellen? Wie soll man sich überhaupt dieser Zahl stellen?

Wir haben begonnen, Striche zu machen.

Ich bin schon nach 4000 Strichen ausgestiegen, die Vorstellung, mit einem Strich ein gesamtes Menschenleben wegzustreichen…immer vier gebündelt und den fünften quer…mein Bleistift wurde immer schwerer und meine Gedanken dazu, vor Entsetzen geschüttelt , gab ich auf…meine Blätter habe ich so verräumt, daß ich sie nicht mehr finden kann.

Die zweite von uns „schaffte“ 140.000 . Dann war sie physisch und psychisch so am Ende ihrer Kräfte, daß sie nicht mehr konnte…gelähmt vor Entsetzen über die Unbegreiflichkeit dieser Zahl und der Tötungsmaschine gab auch sie auf…die Blätter hat auch sie so sehr versteckt, daß sie nicht mehr auffindbar sind.

Die dritte von uns machte Striche in jeder freien Minute, einen Monat  lang, voller Schuldgefühle bis heute und Scham darüber, nicht wenigstens eine Million zu schaffen, brach auch sie zusammen. Ihre Blätter hatte sie so verwahrt, daß sie heute gezeigt werden können. Ein merkwürdiges Dokument, ihre Hand formte wie von selber Figuren und Gesichter während sie Striche machte…nach 160.000 konnte sie keinen einzigen Strich mehr machen. Es war vorbei.

Wir haben zehn Jahre kaum darüber gesprochen, es scheint bis heute keine adäquaten Worte dafür zu geben. Wir können es bis heute nicht fassen, warum es nicht möglich war, diese Striche zu machen und einen begehbaren Kunstraum zu schaffen, um diese Zahl der vergeudeten Leben sichtbar…erlebbar zu machen, ich halte diese Idee weiterhin für gut, und ich schäme mich vor den Ermordeten, daß wir aufgegeben haben. Nicht die gute Absicht hat nachgelassen und auch nicht die künstlerische Herausforderung hätte uns abhalten können…

Nein

sondern wir hatten es mit einer Kraft zu tun , die den innersten Kern zersetzt.

Wir sind am Grauen gescheitert.

 

 

 














 

Ich verbeuge mich in tiefer Ehrfurcht vor Euch, denen das Leben genommen wurde.