Archiv für den Monat: Januar 2023

For Free

Am Zeiger der Kirchturmuhr hängt ein langer Eiszapfen, er zeigt die Zwischenzeit an.

David Crosby ist gestorben, er hat Musik hinterlassen.

Auch mein Vater hat Lieder hinterlassen. Er hat sich das Spielen auf der diatonischen Zugharmonie (Ziehharmonika) selber beigebracht und er beherrschte es virtuos, auf seine unnachahmliche Art und Weise. Manchmal, wenn es ganz still ist außen und innen, höre ich ihn, die schnarrenden Bässe, die ich so liebte und den Satz: Das mußt du dir anhören, ich hab ein neues Stückl gelernt.  Der einzige Grund, warum er Musik machte: es gehörte zu seiner Existenz, wie die Luft zum Schnaufen und die Berge zum Anschauen. Er spielte aus Lust am Spielen  und da war immer diese Freude an Harmonien und den Klängen … auch das Üben war ihm Freude. Er brauchte kein Publikum und keinen Applaus und meistens spielte er umsonst, und die Musik und er sind zu einem einzigen Klangkörper der Freude verschmolzen.

Meine Mutter hat den Klang ihres Lachens hinterlassen. An sie kann ich mich kaum mehr erinnern, aber manchmal höre ich  ihr Lachen, es hörte sich an wie Perlen, die über den Tisch rollen.

Ich schaue mir unendlich viele Konzertausschnitte an mit David Crosby, solo oder in Zusammenspiel mit anderen Musikern, den besten und virtuosesten, die man sich nur vorstellen kann, alle standen mit ihm auf der Bühne. Und er schien sich nie hervorzutun, reihte sich stets bescheiden ein, ließ anderen den Vortritt und war doch immer der Mittelpunkt, um den sich alles drehte. All die Jahre stand er da mit der Gitarre, und wenn er nicht spielte, hatte er die Hände in den Hosentaschen, und unter seiner Mütze quollen weiße, lange Haare hervor. Es gibt Menschen, aus denen tropft förmlich die Musik heraus, egal wo sie sind und was sie auch tun. Ich glaube, er war so einer. Und man weiß nicht, woher die Musik eigentlich kommt, sie scheint eine der alten Kräfte zu sein und wenn sie da ist, sucht sie sich einen Resonanzboden in Menschen, die sich ihr hingeben, mit Haut und Haar. Man kann es erkennen, da ist dieser Blick, der aus der Unendlichkeit zu kommen scheint und in unbestimmbare Weiten führt. Neugeborene haben ihn und Sterbende und MusikerInnen. Und es kommt dieser Blick aus einem Körper, der sich diesem Strom hingibt und überfluten läßt. Meist ein leicht glasiger Blick aus einer anderen Welt. David Crosby hatte diese warmen, sanften Augen, die aufblitzten, wenn die Harmonien gelungen waren. In den letzten Jahren  liefen manchmal Töne heraus und neben dem Strom her, wie ein Rinnsal, das aber bald wieder zurück kehrt  und sich mit dem Fluß vereint. Fast meine ich, daß es gewollt war, denn er hatte auch in seinen späten Jahren als alter Mann eine wundervolle Stimme und spielte Gitarre wie ein junger Gott. Ich höre mich durch die Alben seines Lebens und bin immer noch überwältigt von diesen engelsgleichen Gesängen, es zieht mir immer noch den Boden unter den Füssen weg, wenn ich „Helplessly Hoping“ höre und die vielen Variationen von „Guinevere“, u.a. mit der kongenialen Band „Venice“, alle mit perfekten Gesangsharmonien. Wobei mir da die alte Version mit Crosby/Nash am meisten unter die Haut geht, wahrscheinlich auch wegen dieser liebevollen Verbundenheit, die sie miteinander teilten, wenn sie sich anschauten und diese unglaublich schwer zu singenden Harmonien bewältigt hatten.

Ich kenne dieses Lied bereits ein Leben lang und er hat es auch als alter Mann mit so einer Hingabe gesungen, daß ich heute genau wie früher zu träumen beginne und mit Guinevere in den Garten gehe  „in the morning after it rained“…

ES hat aus ihm gesungen ein Leben lang. Und das trotz größter zwischenmenschlicher Tragödien, Alkohol- und Drogenexzessen. Er war aufmüpfig, rebellisch und hat sich von keinerlei Gesetzmäßigkeiten in die Knie zwingen lassen, nicht mal von schwersten Krankheiten. Er ist immer wieder auf die Bühne und bis zum Ende seines Lebens hat er an neuen Songs gearbeitet. Aber jetzt ist er gegangen, der Tod läßt nicht mit sich reden.

Auch das letzte Album von David Crosby, vor paar Jahren aufgenommen, ist für mich ein Meisterwerk. Ich habe das Gefühl, da singt einer ganz entspannt ein paar Lieder, die ihm gefallen. Er muß niemandem was beweisen, er macht Musik, weil er das mag, weil er Freude daran hat, einfach so. Und da ist dieses wunderbare Lied von Joni Mitchell und das singt er von ihr und für sie und seine Platte nennt er auch so.

Und dann höre ich auch meinen Vater wieder, sie hätten nicht verschiedener sein können … und doch …

„He was playing real good,
for free.“

Die Sternenseite

Als ihm die Kerze trotz dicker Batzen Heißkleber auf den Händen ständig umgefallen ist, hat man sie ihm weggenommen. Die dünnen, langen Arme hält er starr nach vorne ausgestreckt, einer davon ist ein wenig länger als der andere. Seine leeren kleinen Kinderhände stecken in  Fäustlingen,  gegen die Kälte. Die Proportionen seiner Gestalt sind außergewöhnlich, ein kurzer Oberkörper geht über in ein langes Untergestell, er scheint extrem lange Beine zu haben, die sieht man aber nicht, denn  alles wird verborgen von einem bodenlangen  Gewand. Es ist weiß und hat ganz zarte, himmelblaue Tupfen, auf der einen Seite sind da auch noch viele große und bunte Sterne. Auf dem Rücken ist ihm ein Flügel herausgewachsen, so blau wie der Himmel an einem Sommertag. Seine sehr blonden leicht gewellten Haare trägt er als eine Art Pagenkopf, er hat sehr rote Backen und einen dunklen, etwas stechenden Blick.

Eins seiner Geheimnisse ist, daß man ihn nur von der Seite sieht, eigentlich von zwei Seiten, im Profil. Auf der einen Seite, der mit den Sternen, da scheint er ein wenig fröhlicher und redseliger zu sein, er hat den Mund offen, um was zu sagen …

Auf der anderen Seite schaut er so, als wäre er ziemlich genervt, die blonden Haare streng nach hinten gekämmt, und täte grad loslegen, um seine Meinung zu sagen, der Flügel ist aber auch auf dieser Seite himmelblau. Die Arme hat er entweder nach links oder nach rechts ausgestreckt, wohin er genau schaut, ist nicht feststellbar, denn er schielt ein wenig in alle Richtungen. Bei mir streckt er die Arme nach Osten, Richtung Salzburg also. Er ist zwar sonderbar, aber er scheint schon ein Engel zu sein … was wäre er sonst … ein Vogel hätte keinen so dicken Bauch, aber sicher zwei Flügel … und ein Mensch könnte zwar einen dicken Bauch haben, aber sicher keine Flügel, nicht mal einen, nicht wahr?

Die Katzen gehen nur mehr mit Abstand an ihm vorbei, seit er bei dem Versuch, sich an ihm zu reiben, zu wackeln begann und mit lautem Gepolter umgefallen ist.

In welcher Mission ist er hier gelandet, die Arme ausgestreckt, fluguntauglich und alleinstehend ohne Füsse mit einem offenen Mund, der nichts sagt?

„Unterste Charge“, wie H.M. Enzensberger seinem bösartigen Besucher einst andichtete, ist meiner sicher nicht, eines Tages war er einfach da und ist geblieben, wir pflegen keinerlei Konversation und sind uns zwar immer noch fremd, aber wir haben uns aneinander gewöhnt und seine Sterne leuchten so schön.