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Der kleine Mann im großen Parkhaus, die Friedenskönigin und die Outlaws hinterm Nußbaum.

Es ist sehr warm. Ich versuche, den Ausgang zu finden. Irgendwo in einem der oberen Etagen des Parkhauses, stehe ich und bemühe mich, weder die Taschen, gefüllt mit Handtuch, Büchern und anderen diversen existenziellen Notwendigkeiten, noch den über dem Arm lose hängenden Mantel zu verlieren. In der Nähe rutscht ein kleiner alter Mann vom Fahrersitz eines sehr großen Autos herunter und kommt langsam auf mich zu. Wir suchen gemeinsam die Fußgängerbrücke, die vom Parkhaus über die Straße zum Haupteingang vom Krankenhaus führt. Er geht schwer atmend neben mir her und erzählt mir, daß er leider nicht schneller gehen kann, weil da was ist mit dem Herz und er jetzt in eine Sprechstunde muß. Seine schmächtige Gestalt ist mit teuerem Schwarz eingekleidet, er riecht dezent nach Rasierwasser und die Sonne spiegelt sich in der glänzenden Lederjacke.  Er hält mir alle Türen auf und drückt die Liftknöpfe für mich, spricht zu mir, schaut mich dabei aber nicht an. Im Haupteingang will ich mich von ihm verabschieden, aber er ist bereits im Inneren der großen Klinik verschwunden.

Am Abend zünde ich in der nahen Kapelle eine Kerze an für die, die sie grad dringend brauchen und für mich, die ich hoffe und bange. An der Wand über dem kleinen Altar ist ein großes Spruchband aufgemalt: „Maria, Friedenskönigin, bitte für uns in der Not!“ Darunter steht die Madonna, so gekleidet, wie sie damals von den Kindern in Fatima beschrieben wurde. Ich denke an meinen Vater, der sich ketzerisch darüber aufgeregt hat, ob man denn meint, daß die aus Fatima noch heiliger wäre und mehr ausrichtet dort oben als eine einfache Bauernmadonna von hier, aus dem oberbairischen Alpenvorland. Als ob das nicht überall die gleiche Muttergottes wäre. Sehr tief und schwarz leuchtet es aus den Augen der Heiligen Frau im Kerzenlicht. Ich hatte schon immer ein ganz besonderes Verhältnis zur Frau des Himmels und vor allem zu ihrem Schutzmantel, von dem Sie umgeben ist und unter den man sich flüchten kann, wenn man nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll. Ich wende mich nicht an sie, damit sie ein gutes Wort beim lieben Gott einlegt. Das Gebet ist die Sehnsucht, Teil der göttlichen Kraft zu sein, die dieser Schutzmantel repräsentiert.

Als die Freundin eine Diagnose bekommt, die ihr den Boden unter den Füssen wegzieht, sage ich zu ihr: Du stirbst nicht an einer Diagnose, wir sterben alle nicht an einer Krankheit, sondern daran, daß wir sterblich sind. Alle. Auch die, die nie krank sind, leben nicht unendlich. Wann wir sterben, wird an ganz anderer Stelle entschieden. Im Himmel. Kurzzeitig hab ich mir gedacht: meine Güte, was redest du denn da … aber jetzt denk ich mir, daß diese Aussage ganz und gar nicht so dumm ist, wie ich befüchtet hatte.  Der rote Willie spaziert laut miauend in die Kapelle und wir gehen mit diesen Gedanken heim. An der Türe dreh ich mich um und blicke in ihre dunkel glänzenden Augen … ich suche Schutz unter Deinem Mantel … und ich komme nicht alleine …  Gegrüßet seist Du Maria.

Im Birkenwipfel hat sich ein halbwegs gerundeter Mond niedergelassen.

Jedes Jahr kommen die wilden Schneeglöckerln. Sicher ist nur, daß sie kommen, wann und wo kann man nicht sagen. Ich würde sie auch keineswegs Frühlingsboten nennen, sie haben einen eigenen Plan, sind schon im tiefsten Januarwinter unter dicker Schneedecke aufgetaucht oder erst im Februar, wenn klimamäßig schon Frühsommer ist, wie heuer. Sie bilden große Flächen oder stehen vereinzelt herum und wechseln die Plätze. Es kann sein, daß sie einen Platz, eine Wiese, auf der sie jahrzehntelang standen, plötzlich verlassen und woanders auftauchen. Heuer kamen sie in großen Scharen oder Rudeln am Hang hinter dem Nußbaum, da waren sie früher nie. Wie sie das machen, ist mir ein Rätsel, sie wachsen aus Zwiebeln und wie sie mit ihren Zwiebeln von einer Wiese zur anderen wandern, bleibt ihr Geheimnis. Auf FB wurde ich zu einem Foto heftig bedrängt von alleswissenden BotanikerInnen, die mir klarmachten, daß ich mit der Bezeichnung Schneeglöckchen komplett danebenliege. Denn was bei uns Schneeglöckchen heißt, sind sogenannte Frühlingsknotenblumen oder Märzenbecher.  Da ich diesbezüglich unbelehrbar bin, hat man von mir abgelassen mit der Bemerkung, man hätte ja schon gehört, daß in Bayern die Uhren anders gingen.  Ich sage, es ist so, daß manches woanders halt einfach anders ist. Unterm Birnbaum wachsen seit vielen Jahren auch einige Büschel von den kultivierten Schneeglöckchen und zwar brav nur da, wo sie damals eingesetzt wurden.

Die anderen, die wilden, sind außerhalb jeglicher Norm und tun, was sie wollen. Sie eignen sich überhaupt nicht für die Vase, kaum stehen sie im Zimmer, ist es schon vorbei mit ihnen. Sie tauchen auf aus dem Nichts, über Nacht, bleiben kurze Zeit da, werden immer größer und verschrumpeln, sie ziehen sich dann in ihre Zwiebeln zurück, die langen Blätter bleiben stehen, bis das Sommergras sie verschluckt. Den Rest des Jahres leben sie praktisch im Untergrund, niemand weiß, was sie da treiben.

Sie passen gut zu uns, unsere Schneeglöckerln, sie sind Outlaws wie wir. Wir sind auch so eine Mischung aus Underdogs, Desperdos und Outlaws.  Wir passen nicht gut in die gängigen Normen, wir leben in einem Haus, das nach altem Holz und Mauerwerk riecht, die Handtücher riechen nach dem alten Bauernkasten, in dem sie liegen und wir leben mit Spinnen, die ihre Fäden über die Dinge ziehen wie im Rilkegedicht die Kreise. Die Bücher führen ihr Eigenleben, bleiben nicht in den Regalen, wandern überall herum wie der Staub. In der Küche wird viel und gut gekocht, die Holzflächen sind fleckig und die Schubladengriffe kleben, wie auch der Boden meistens. Und Kater Willie verteilt großzügig sein rotes Fell überall, vor allem auf schwarzen Hosen. Ums Haus herum wachsen die Rosen, in zwei Gärten wächst Wildnis. In diesem Haus war noch nie genug Geld, so ist es bei uns auch und das Dach war immer schon ein Problem. Wir sind entscheidungsschwach, überhaupt nicht konfliktfähig, keine zum Durchstarten oder zum Anpacken, haben keine Systeme, wie man am besten mit bedrohlichen Krankheiten und überhaupt mit den Erfordernissen des Lebens fertig wird und neigen, ersichtlich an tonnenweise aufbewahrter „Schaddrumms“ zur Vermüllung.

Was es ganz viel und im Übermaß bei uns gibt sind Träume, gutes Essen, guten Apfelmost, Geschichten, Geschichten, Geschichten und Visionen, die nie in die Tat umgesetzt werden.

Egal wie grad die Sorgenlage ist, ich freu mich immer wahnsinnig, wenn die Schneeglöckerln da sind, die Outlaws hinterm Nußbaum.

 

Hineni.

Alles vergangen, Ostern schnell schnell durchgehechelt, Osterhasen, Schokoladeneier, unzählige vorgefertigte Osterwünsche gelöscht, die zu Dutzenden leer und ohne den geringsten persönlichen Bezug alle digitalen Kanäle überfluten und verstopfen … früher haben wir uns kitschige Osterpostkarten geschickt  und damals hab ich mich über alles gefreut, was im Briefkasten lag und mit Füllertinte auf Karten stand, bei denen dann der Platz nie reichte, weil wir uns so viel zu sagen hatten. Manchmal wurden dann mehrere Karten beschrieben und in einen Umschlag gesteckt. Jetzt wird die ganze Wünscherei hauptsächlich digital erledigt … was bleibt von Ostern, dem ja die Karwoche vorausgeht, außer, daß halt paar arbeitsfreie Tage waren?

Ja, ich glaube diese alte Geschichte immer noch, weil ich guten Geschichten traue und dies ist die beste, die wir haben, sie ist der Mittelpunkt des Christentums und meiner Religion, in die ich hineingetauft wurde und die ich nicht einfach so ausziehen kann wie einen alten Mantel. Und ich streite mich nicht mehr herum mit Menschen, denen im Grunde genommen eh alles egal ist und die mir mit diesem jämmerlichen Beweis der Nichtexistenz des Göttlichen kommen, weil doch die Menschen sich gegenseitig abschlachten und überall dort, wo es Machtpositionen gibt, auch in der Kirche, diese aufs Übelste mißbrauchen und so weiter und weiter.

Ganz egal, als was man die Passionsgeschichte deutet, als Parabel, Märchen oder was weiß ich, an ihrem Ende steht, daß der Tod nicht das Ende von allem ist, weil es im ewigen Kreis des Lebens kein Ende gibt … der Kreis ist rund und das Ende hat den Anfang im Mund, dafür gibt es unzählige Beweise, die Passionsgeschichte ist der wahrhaftigste.  Ob sie  tatsächlich stattgefunden hat und ob ER der Kosmische Jesus ist und/oder eine historisch nachweisbare Gestalt, sagt gar nichts aus über den Wahrheitsgehalt. Wenn man sich noch ein wenig Phantasie bewahrt hat und daran glaubt, daß nicht alle Rätsel gelöst werden können und Geheimnisse bleiben und jede Antwort viele Fragen nach sich zieht, dann ist Ostern ein Wunder für die Seele, Christ ist erstanden, halleluja, jedes Jahr aufs Neue und immer wieder.

Aber was bleibt … das Karussell dreht sich schwindelerregend schnell, im Grunde ist alles nur Momentaufnahme … die Blütenteppiche des Frühlings, Sonne, Regen, Schnee, Wolken, alles fliegt vorbei und ändert ständig seine Gestalt, nichts bleibt und doch scheint in einer Art „inneren Welt“ ein Ort des Stillestehens zu existieren, da ertönt die Johannes-Passion und dann singt Leonard Cohen und dann sitze ich mit befreundeten Menschen am Gründonnerstagabend um den Stubentisch, wir essen Brennesselsuppe und brechen das Brot füreinander und wir brauchen es uns nicht zu sagen, denn alle wissen wir, in welchem Angedenken wir es tun … und wir teilen nicht nur das Brot, sondern auch die ganzen Sorgen und Ängste über Diagnosen und Prognosen und wir lachen gemeinsam und freuen uns darüber, daß wir uns kennen und gernhaben.

Und die  Freundin, die am Ostersonntag kommt und das Strahlen über ihr Gesicht und der dankbare Glanz in ihren Augen, als sie den festlich gedeckten Tisch sieht, das bleibt in dieser inneren Kammer, das weht nicht vorbei. Das ist das Wunder der Freude.

Ja, natürlich glaube ich an die leibhaftige Auferstehung, es gibt keinen Grund, es nicht zu glauben … sie ist passiert und sie passiert immer wieder … oft unbemerkt und irritierend einfach. Bestellbar ist sie nicht. Nicht mal bei Amazon.

 

 

 

 

Von der Welt trennen.

 

„Die Menschen sind sterbliche Götter und die Götter unsterbliche Menschen. Wer den Sinn dieser Worte erfassen kann ist glücklich, denn er besitzt den Schlüssel zu allem!“ (Geheimnis des Osiris)

 

 

 

Textauszug:
Das Adolf Holl Brevier
Walter Famler (HG.)
Residenzverlag

 

 

 

Der feurige Engel

Er reitet ein in Jerusalem, wie prophezeit auf einem Esel, besser gesagt auf einem Eselsfohlen, dem Jungen einer Eselin … „wie es geschrieben steht“. So beginnt die Passionsgeschichte, diese Parabel von Leben-im Tod-im Leben und jedes Mal wieder macht mich diese Vorstellung ärgerlich. Ich habe zu viele Eseln gesehen, geschundene und gequälte Kreaturen, so schwer mit Lasten beladen, daß sie die Knie nicht mehr ausstrecken konnten, und obendrauf ein prügelnder Mensch. Ja, der Gottessohn reitet ein auf dem Reittier der Armen, ein noch unberittenes Fohlen, wie hat er es zum Gehen gebracht, hat er es selbstverständlich geschlagen? Schwierig die Vorstellung, und wie immer hoffe ich für das Eselskind, daß der Erlöser der Welt ein ganz kleines, dürres Männlein gewesen ist und und ihm sanft ins Ohr geflüstert hat … glauben kann ich das nicht. Hosianna sollen sie gerufen haben … hilf uns! Hilf uns doch endlich raus aus diesem Schlamassel …

… und es beginnt der Anfang vom Ende … vom Anfang … die Dinge nehmen ihren Lauf.

Durch die Nacht fahre ich, über das Land unter dem Vollmondschein, durch leere Dörfer und Städte, im Radio die Übertragung einer Neuinszenierung der Oper „Der brennende Engel“ von Prokofiev. Dunkle, irritierende Klänge, durchbrochen von lautem Klopfen, Schlagen an Türen, Gesänge gehen durch Mark und Bein. Die Magie der Musik läßt mich schaudern. Die Handlung ist verwirrend, eine Frau verliebt sich in ihren Jugendtagen unglücklich in einen Engel, der verspricht, ihr eines Tages als Mann zu erscheinen. Sie sucht ihn ein Leben lang, diesen Geliebten, der wie sie bereit ist zur absoluten Liebe. Es ist eine Geschichte des Scheiterns, das Begehren einer zügellosen, wilden Frau, läßt der Erfinder der Geschichte in den Wahnsinn und zum Teufel führen und letztendlich beendet dann ein Mann das angeblich hexische Treiben und läßt sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ein Rezensent sagt, da geht es halt um eine hysterische Frau, ja, so einfach ist das. Das alles erfahre ich erst später, die Musik ist von magischer dunkler Schönheit und geht mir unter die Haut.

Es gibt Geschichten, deren trauriges Ende man schon am Anfang spürt und man täte gut daran, auf die grausam ehrliche innere Instanz zu hören. Es tut mir weh, mich von Herzensfreundschaften zu verabschieden, auch wenn sie schon lang keine mehr sind. Es ist ganz leicht, in mein Herz hinein zu kommen, aber es dauert schmerzlich lange, bis ich jemand wieder hergebe. Ich habe kein Talent für lose Bekanntschaften, meine Lebenszeit wird knapper, ich verschenke sie gerne, am liebsten an Menschen, deren Zuneigung ich spüren kann. Das Leben ist ein immerwährender Prozess des Loslassens.

Ich liebe es, durch die Nacht zu gleiten, Wolken ziehen heran und umhüllen den Mond sanft mit dunklen Schleiern. Es sind fast keine Autos auf der schnurgeraden Straße durch das Tal. Früher war da eine ganz enge Kurve hinter dem alten Wirtshaus, Zistelreib hat sie geheißen und die, die zu schnell gefahren sind, flogen raus und sind dann an dem Baum mit den kleinen gelben Äpfeln gelandet. Ein kurzer Flashback … ich sehe mich als junges Mädchen bei Nebel in den leeren Schulbus steigen, der erste Kuß, grapschende Lenkradfinger, keine Zärtlichkeit, nur sabbernde Altmännergier. Abwehren, Weglaufen… ein Frösteln heute noch.

Die Kurve gibt es schon ewig nicht mehr, auch der Apfelbaum ist weg, das schöne alte Wirtshaus musste einem neuen Gebäude mit Toren, die sich auf Knopfdruck heben, weichen. Auf der Straße nachts kann man sehr schnell fahren, so schnell, daß auch der schnellste Hase zu langsam ist. Vor mir liegt er, er hat es nur bis in die Straßenmitte geschafft, dann kam er unter irgendwelche Räder. Ein kleines Bündel graubraunes Fell, ungut in sich zusammengerollt, in sich hineingestorben, ein Feldhase. Ich fahre um ihn herum, ich kann nicht aussteigen und nachsehen und ihn zur Seite legen, ich schäme mich dafür.

Du bist die Zukunft, großes Morgenrot
über den Ebenen der Ewigkeit.
Du bist der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit,
der Tau, die Morgenmette und die Maid,
der fremde Mann, die Mutter und der Tod.

Rainer Maria Rilke

 

 

Aschenglut

Lichtmeß vorbei

ich sitze auf der Schwelle

und schlenkere mit den Beinen

um mich herum Abgrund

über mir der dürre Mond

es ist Nacht geworden

ich sehe Dinge

ich höre Orte

ich spüre Worte

ich rieche Tränen

ich lecke an Träumen

ich sehe die Vögel der Glut

mit roten Flügeln

in türkisen Palästen

diamantener Staub

rieselt aus ihren Achselhöhlen

ich sitze auf der Schwelle

die Sternschnuppe stürzt ab

in Deinen Augen

ich sitze auf der Schwelle

und sehe es leben

das ist meine Aufgabe.

 

 

 

 

 

Berühre …

„Ich bin überzeugt, daß wir viel zu wenig langsam sind“. Robert Walser

Unter einer gelben Staubschicht läuft uns die Zeit davon …

Ostern so schnell vergangen, die Ausführlichkeit der Leidensgeschichte führt zum großen Höhepunkt, aber die Auferstehung, als Erlösung aus Tod und Verderben angekündigt, hält nicht, was sie verspricht und läßt mich alleine mit Worten, deren Bedeutung mich verunsichert. Die Frau aus Magdala geht zum Grab, um ihn zu salben, ihm einen letzten Liebesdienst zu erweisen, das Grab ist leer. Er steht vor ihr, aber sie erkennt ihn nicht, denkt, es wäre der Gärtner. Erst als er ihren Namen sagt: „Maria!“,  da spürt sie plötzlich, daß er es ist und sie wendet sich ihm zu, möchte … voller Liebe? … ihn berühren? … ihn gar küssen? … aber er weist sie streng zurück und sagt: „Noli me tangere“ (me mou haptou) … berühre mich nicht, halte mich nicht zurück, denn ich bin noch nicht zum Vater aufgefahren … ja, das sollen in etwa seine Worte gewesen sein … dann verschwindet er wieder. Ich fühle ihr Herz schlagen.

Eine merkwürdige Begegnung, zwischen Leben – Tod – Leben; einer war drei Tage und Nächte begraben, dann erhebt er sich und ist weder tot noch lebendig, sein Körper darf nicht berührt werden, sonst … ? Ein Rätsel bleibt dieser Zustand, daß man einen Menschen vor sich hat, der nicht da ist, aber weg ist er auch nicht.

Das erinnert mich an dieses Koan: Du kennst das Geräusch, das zwei klatschende Hände machen … wie hört sich eine Hand an?

Eine Geschichte mit verschiedenen Ebenen, Jahrtausende hindurch wurde je nach Bedarf in ihr herum gedeutet, heraus- und hinein interpretiert, falsch übersetzt und Manches, Vieles, den Vorlieben der jeweiligen Herrschaft bis zur Unkenntlichkeit angepasst und verstümmelt, dessen bin ich sicher. Und trotzdem ist was geblieben, diese tiefe Erkenntnis, daß die Großen Mysterien in Wahrheit ganz einfach sind und förmlich vor meinen Füssen liegen … Der Dalei Lama hat mal gesagt, er würde sich wundern, warum die Menschen zu Tausenden  aus Europa nach Tibet kämen, um dort die Wahrheit zu finden, obwohl sie doch zu Hause Meister Eckardt hätten …

Der Weg geht weiter auf Pfingsten zu, da wird selbst mir, die alles Zauberische und Geheimnisvolle liebt, die Geschichte zu abstrus und ich freue mich auf weitere tiefe Gespräche miteinander und zueinander, mit wunderbaren Menschen quer durch alle Medien. Ich bleibe eine alte Agnostikerin, hungrig nach Wahrheit, nach Erkenntnis … und ich möchte wissen, was Pfingsten außer einem freien Tag mehr noch bedeuten könnte.

Ein paar Tropfen Regen, dem alten Wolf ist nach Heulen zumute, der Vollmond streut ein paar Kristalle in sein Fell.

Berühr mich, ich bin da. Der Mai streicht über unsere Haut. Küsse schmecken nach Blütenstaub.

 

„Was kann süsser sein als einen Freund zu haben, mit dem du alles, was in deinem Herzen ist, besprechen kannst wie mit dir selbst? Das ist wahr. „( Meister Eckhart, 1260 – 1327 )

 

Der Leib

Der Leib ruht im Grab.

Seit Anbeginn der Zeiten muß der Held in einer guten Geschichte durch Düsternis und Qualen wandern und Mutproben bestehen, manches Mal wird er sogar zerstückelt, um dann neu zusammengesetzt und an Weisheit reicher dem Leben entgegenzugehen. Ein lieber Freund war besorgt, meine Worte hätten so verbittert geklungen … Naja, ich bin in eine Geschichte eingestiegen, die mich gepackt hat , die für alle, die sich ernsthaft damit beschäftigen, auch für mich, zu groß ist in ihrer einfachen Aussage. Es geht um Leben – Tod – Leben . Die Bitternis des Karfreitags mußte durchlebt werden, sie gehört dazu. Jetzt ist Ruhe und die Kräfte sammeln sich für das größte Geheimnis und die größte Freude: Die Auferstehung!

Ich gehe nicht in die Kirche, aber ich freue mich sehr darauf, die Glocken wieder zu hören, die ja verstummt waren. Es hat sich lieber Besuch angekündigt, Eier müssen gefärbt werden und ein Osterzopf wird gebacken. In der Osternacht um 5 Uhr werden wir um ein Feuer stehen und reden, lachen, singen und schweigen und irgendwann wird die neue Sonne über den Bergen hinter Salzburg hervorkommen und wir werden den neuen Morgen begrüßen und dann um den Tisch sitzen und miteinander essen, das Brot brechen und unser Lächeln wird es segnen, und wir werden froh sein darüber, das wir fürs erste das Leid und die Kümmernis abgestreift haben.

Ihr Lieben, alle, die Ihr mir bis hierher gefolgt seid, ich grüße Euch herzlich und danke Euch für Eure Aufmerksamkeit! Selbstverständlich werde ich auch noch das, was mich begeistert, aber auch, was mir Rätsel aufgibt an diesem Wunder der Auferstehung hier aufschreiben in den nächsten Tagen und freue mich, wenn Ihr mir gewogen bleibt! Kommt gut durch diese verzauberte Osternacht, laßt es Euch gutgehen und macht es Euch schön! Einen Wegweiser möchte ich uns allen mit auf den weiteren Weg geben, die Umsetzung ist nicht einfach, aber die Freude ist grenzenlos, wenn wir den Mut dazu haben:

„Liebe und tu was Du willst!“  (Augustinus)

In diesem Sinne seid gegrüßt, danke für die wundervollen Kommentare, ich werde sie alle beantworten, jetzt wartet schon der aufgegangene Hefeteig und möchte zum Zopf geflochten werden und die Eier wollen sich färben … Musik erklingt:

Mein Vater, der Tod und Jesus in der Stube

Oft vermisse ich die langen Gespräche „über Gott und die Welt“, die früher einfach dazugehörten zum Leben, vor allem hier in der Stube des alten Hauses. Erscheint es mir nur so, oder interessiert sich niemand mehr für diese Fragen um Leben und Tod und warum wir denn hier sind auf dieser Erde und was denn vor uns war? Oder hat einfach niemand Zeit, oder hat bereits jeder das Gesuchte schon gefunden? Manchmal befürchte ich, so ziemlich alleine übriggeblieben zu sein mit meinen zweifelnden Fragen mitten hinein in die großen spirituellen Geheimnisse, religionsverweigernd und gottsuchend gleichermaßen. Eine Agnostikerin auf meine spezielle Art, nichts glaubend, alles für möglich haltend, hungrig …

Oft saßen mehrere um den Stubentisch, und ganz egal, womit das Gespräch begonnen hatte, Politik oder mittelalterliche Kunst, irgendwann landete es beim Ärger meines Vaters über die Kirche, die ihm verlogen erschien, weil sie von ihm einen Glauben verlangte an Dinge, die sie selbst nicht beweisen konnte. Und dann war man beim Lieblingsbuch meines Vaters: „Jesus in schlechter Gesellschaft“ vom hochverehrten Adolf Holl, der deshalb aus dem Kirchendienst als Priester entfernt wurde.

Wie ich sie liebte, diese hitzigen Gespräche in langen Nächten über Bibelstellen und Texte aus den verbotenen Büchern der Apokryphen, und darüber, was denn Jesus in den 33 Jahren so machte, darüber stand ja nichts geschrieben … die Frauen um Jesus, ein Lieblingsthema von Pfarrer Hermann, das unterbrochen wurde von seiner bildhübschen runden Köchin, die dann sagte: komm jetzt Hermann, wir müssen ins Bett, Du hast morgen Frühmesse …

Einmal hat sich mein Vater von seinem Freund Leopold , den er wegen seiner angeblich „ewigen Polemisiererei“ nicht mochte, aber dennoch an ihm hing, um 22 Uhr verabschiedet. Um drei Uhr morgens standen sie immer noch mitten in der total verqualmten Stube, in ein Streitgespräch über die Frage, ob Jesus nun Gottes Sohn war oder nicht so heftig verwickelt, daß sie sich weder hinsetzen noch auseinandergehen konnten …

Meistens kam am Ende dieser langen Abende auch die Sprache auf das Sterben und manch eine große Angst wurde mit Bier hinuntergespült und wir waren alle froh, uns zu haben und beisammen sitzen zu können. Jetzt sind die Freunde von damals tot. Als ich meinen Vater im Krankenhaus besuchte, ein paar Tage bevor er sich auf die Große Reise machte, da erzählte er mir von einem Traum … der Boandlkramer (Tod) sei ihm erschienen und habe ihn sehr freundlich angesehen, gar nichts Bedrohliches sei von ihm ausgegangen. Nein, er habe nichts gesagt, nur freundlich gelächelt. „Wir müssen irgendwo dieses Ölgemälde haben, da steht ein Bergsteiger im Gebirge und der Tod hält das Seil und es ist, als tät er ihn beschützen und er schaut genauso aus wie in meinem Traum … ich weiß nicht mehr, ob ich es selbst gemalt habe oder der Max (sein Bruder), brings mir doch mit , wenn Du wiederkommst!“ Ja, und ich habe das ganze Haus abgesucht, in jeden Schrank mehrmals hineingesehen, alles umgedreht, nichts. Ich konnte dieses Bild nicht finden.

Und dann ist mein Vater gestorben.

Ein paar Wochen später öffne ich eine Schranktür und es liegt einfach so da.

 

Ein Mädchen

Ein übertrieben hitziger Sonnenstrahl fällt vom Himmel und mit ihm ein Schwarm Krähen. Schimmerndes Gefieder in gleißendem Licht stakst über die Wiese, pickt hier und da , macht Gezeter, wirft sich wie auf Befehl in die Luft und fliegt als geschlossener dunkler Haufen wieder weg.

Die stille Woche … die Prophezeihung erfordert den Ritt auf einer Eselin hinein nach Jerusalem, ein kleiner, zarter junger Mann, Wanderrabbi mit aufrührerischem Geist, nicht den Pharisäern und schon gar nicht den schrecklichen römischen Unterdrückern gefügig, gerade ließ der Stadthalter tausende junger Männer ans Kreuz schlagen, einfach so aus Launen heraus, Er muß eswissen, was Ihm bevorsteht. Sie wollen, daß einer kommt und sie rettet aus der unglaublichen Not dieser Okkubation, sie wollen die Zeichen so deuten, daß sie auf Ihn als den Messias hinweisen. Irgendwann gibt er nach .

Die Suche nach Antworten führt mich immer tiefer hinein in die vielen Fragen meiner unzweifelhaft christlichen Prägung und je mehr ich mich durch das Dunkel der Jahrtausende bewege, umso mehr neue Fragen tun sich auf. Diese Geschichte von einem Menschen, der sein Kreuz schleppt zur Hinrichtungsstätte, blutend vor Angst und Qual und Einsamkeit und dann die Auferstehung … den Tod oder das Leiden besiegt, abgestreift, ad absurdum geführt? Er hat was mit mir zu tun, dieser Kreuzweg, etwas berührt mich in tiefster Seele, mich als Mensch, mich als Frau.

Frauen standen diesem Rabbi nahe, haben ihn unterstützt und ihn genährt und versorgt, nicht nur mit Essen, haben ihn begleitet bis zum Grab und darüber hinaus. Selbstbewußte, rebellische Frauen, ihre Spuren sorgfältig ausgelöscht … über eine von ihnen wurde gerade wieder ein Film gedreht: Maria Magdalena … ich rufe ins Dunkel der Zeit ihren Namen, aber wer sollte antworten … alles so lange vergangen, verhallt, welche Wahrheiten gibt es überhaupt, vielleicht ist alles nur erfunden als Opium für´s Volk … und es ist mir doch, als würde sich jemand neben mich setzen und meine Hand berühren …

Und dann schauen mir Augen entgegen aus einer virtuellen Welt, ein Gesicht auf einem Foto aus dem KZ, herausgeholt aus den Millionen von toten Menschen, nachkolloriert von einer jungen brasilianischen Fotografin, die mir erlaubte, es hier zu verwenden. Welch seltsame Fügungen es gibt, auf meiner Suche nach den Frauen in der Jesusgeschichte schiebt sich dieses Bild für immer in mein Herz, dieses kleine Mädchen, die Lippen verkrustet von den Schlägen einer KZ Aufseherin, fotografiert von einem, der dadurch überlebt hat. Wer hat dieses Mädchen begleitet, als es seinen Kreuzweg gehen musste?

Warum tun Menschen das?

Weil sie es können.

 

 

 

Ihr Name: Czeslawa Kwoka
drei Monate nach dieser Aufnahme wurde sie ermordet
sie war 14 Jahre alt

 

Thank you, Marina Amaral and warm regards to you.

 

 

Drachenherz

Ein flirrendes Rauschen in der Luft, eine Bewegung gegen den Strom, die Krone zittert, schert aus, Blätter rascheln, ein Ächzen, eher ein leises Stöhnen und dann fällt sie … die Krone fällt immer zuerst … und dann fällt auch er … der Stamm … dumpf das Ende … erbärmlich und dumpf der Aufprall am Boden … und dann ist es still.

Wenn ich am Hof vorbeigeradelt bin, hat sie mir oft zugerufen: „Wann kommst denn endlich mal wieder?“ Seit die Füsse sie nicht mehr trugen, saß sie auf ihrem Sessel vor dem Haus, den ganzen Tag und meist in der prallen Sonne, rauchte und hielt immer einen Groschenroman in der Hand, in dem sie von morgens bis abends las. Sie trug irgendeine Hose und eine Bluse, die wie ein Männerhemd aussah, in ihrem Gesicht die langen Jahre Bauernarbeit  in dunkles Leder eingegerbt. Die kurzen Haare so weiß, daß sie leuchteten, die blauen Augen blitzten spöttisch und immer lachte sie, wenn ich sie besuchte.  „Daß Du nur grad mal wieder da bist,“ sagte sie und dann schimpfte sie auf die alten Füsse und: „Mit mir ist es nichts mehr, Gret!“ Niemand nannte mich jemals so, ich hatte es gern, wenn sie „Gret“ zu mir sagte, es hörte sich immer so an, als hätte ich einen ganz besonderen Wert für sie. Jedes Mal erzählte sie mir von früher und ich sehe sie in der Erinnerung lachend in der Stube stehen, während wir Kinder durchs Haus tobten, wir durften alles bei ihr, es gab keinerlei Verbote. Sie erzählte vom Unglück, das den Ältesten, Vielgeliebten hinwegraffte, vom Tod meiner Mutter und von der Krankheit ihrer Tochter, die einmal meine Herzensfreundin war. Sie hat mich nie gefragt, woran diese Freundschaft zerbrochen ist und ich habe auch nie was gesagt.

In den letzten Jahren haben sie die Umstände ihrer Herkunft verfolgt und es lief ihr das Wasser aus den Augen und sie wurde weich und klagend, wenn sie erzählte … von ihrer Mutter, einer Magd, die sie an die Hebamme verschenkte, zur Aufzucht für die Arbeit am Hof. Kein einziges gutes Wort habe sie da bekommen, man hat sich nicht um sie gekümmert. Die Mutter wollte nie mehr was von ihr wissen und als sie sie besuchen wollte, da wurde sie von ihr verjagt.

Dann hat sie geheiratet, einen wortkargen Einödbauern, etwas sonderlich aber gutmütig. Der hauste mit seinen zänkischen Schwestern und schickte immer sie , wenn es was zum Schimpfen gab.

Und sie sagte zu mir: “ Weißt Du Gret, gefallen lassen hab ich mir nie was!“ Ja, das war bekannt, niemand wollte sich mit ihr anlegen, sie hatte ein freches und ungehobeltes Mundwerk, konnte fürchterlich fluchen und Zoten reissen, war vulgär und machte schlüpfrige Anspielungen. Sie war wild und ungezügelt und fuhr mit einer entfernteren Nachbarin, die auch einen sonderbaren Mann hatte, mit deren Goggomobil durch die Gegend auf alle Tanzveranstaltungen, die es nur gab und wenn keine Tanzpartner da waren, dann tanzten sie eben miteinander die Nächte durch.

Es hieß, sie sei mit ihrer Freundin „andersherum“ und ich habe mir als Kind oft den Kopf darüber zerbrochen, was das denn bedeuten könnte …

Sie hat ihre Schwiegertochter drangsaliert und sagte immer ihre Meinung, auch wenn sie niemand hören wollte und hat sich zeitlebens einen Dreck drum geschert, wenn die Leute von ihr sagten, sie sei eine böse Frau. Sie ließ sich die Wurzeln nicht ausreissen, stark wie ein Baum erzwang sie sich das Leben auf diesem Hof, auf dem sie geschuftet hat wie ein Ackergaul.

Wenn ich bei einbrechender Dunkelheit mit dem Rad vorbeifuhr, hat sie mir zugerufen: „Gret, wo treibst Du dich denn wieder herum, heut ist kein Herr Molicht (Licht vom Herrn Mond), traust dich denn so allein durch den finsteren Wald? “ Und dann hat sie mir zugewinkt und wir haben uns angelacht. 96 Jahre ist sie geworden.

Ich mochte sie.

Still ist es.