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… auch wenn es dunkel wird?

Die Eine, die mich Seelenfreundin nennt, läuft durch den strömenden Regen zum Haus. In ihren Armen geborgen und in dunkelroten Samt gewickelt hält sie die Andere, die mit den vielen Namen.  Wir nennen sie: „Unsere Liebe Frau“. Ein wenig verloren, angeschlagen und mit abblätternder Fassung steht sie im Herrgottswinkel, dem sakralen Ort des Hauses. Der Künstler hatte wohl die Schwarze aus Altötting im Kopf, eine gewisse Ähnlichkeit besteht.

Wir sitzen am Tisch und sehen ein kleines geheimnisvolles Lächeln und Augen, deren Blick an uns vorbei ins Leere geht. Als ich sie fotografiere, scheint sie sich zu verwandeln …

Niemand weiß, wie sie in den Besitz der Verwandtschaft gelangt ist, die Mutter hat ihre Sorgen immer zu ihr getragen und dieses feine Lächeln ist ihr Trost und Hilfe gewesen in schweren Zeiten und durch die Jahre. Jetzt soll sie hier bei uns im alten Haus stehen, hier, wo unsere gemeinsame Großmutter ihre sieben Kinder aufgezogen hat. Von den  fünf Buben sind zwei aus dem Krieg nicht heimgekommen und der dritte wurde von der Tuberkulose geholt, nur der geliebte älteste und der nicht so sehr geliebte jüngste, mein Vater, haben überlebt … aber jetzt sind die Alten alle tot. Und die Madonna, unsere liebe Frau, steht nun hier, wo so vieles begann. Dunkel ist sie, so dunkel wie der Schoß, aus dem wir alle kommen und in den sie uns wieder zurückholt, wenn die Zeit reif ist.

Tag- und Nachtgleiche, bald wird Innanna hinabsteigen ins Totenreich und ihre Schwester besuchen, die nach ihr ruft.

Dank für die reiche Ernte. Zwischen den Geschenken der alten Apfel-, Birn- und Zwetschgenbäume und den üppigen, duftenden Rosen haben sich viele Geschichten angesammelt, keine möchte ich missen … die kluge Waage wird in meinem Herzen herumgehen, abwägen und auswiegen, die freudigen und die schmerzhaften Geschichten prüfen… und sie wird mir einen Rat geben … und wie immer, werde ich ihn nicht befolgen.

Eine Zeit des Dazwischen, das Helle nicht mehr und das Dunkle noch nicht. Nicht mehr jung und noch nicht ganz alt. Ein Apfel vom letzten Jahr rollt mir vor die Füsse, verschrumpelt die rote Lederhaut, ein Biß dahinein bringt ungeahnte paradiesische Süße, weich und voller Wohlgeruch, ein Konzentrat aus Lust.

Das Nest der wilden Wespen ist leer. Der Brut wurde Wärme und Kühle nach Bedarf gespendet, beim Ausschlüpfen beigestanden, die Schwachen von unzähligen Armen und Fühlern betastet und eine Art von Zuwendung gespendet, die die Welt sofort retten würde, wäre sie denn üblich unter Menschen. Dieses kleine Nest, diesen perfekt funktionierenden Wespenstaat beobachten zu dürfen, zu sehen, wie man sich untereinander hilft, unterstützt, pflegt und aneinander reibt und sich ständig betastet … betrachte ich als ein ganz kostbares Geschenk des Universums. Jetzt ist alles leer, die letzte Wespe, wahrscheinlich die Königin, ist weggeflogen. Sie wird sich irgendwo verkriechen und den Winter überleben. Nächstes Jahr werden sie woanders einen Staat gründen, das architektonische Meisterwerk wird im Wind verwehen.

Das Tal ist bereit für das Meer. Etwas schlängelt sich am Meeresboden entlang und kriecht auf mich zu, züngelnd und leckend nach allen Seiten … tanzen möchte ich hier, zwischen vorhin und dann … auf diesem Platz, der „Jetzt“ heißt und dessen Existenz fraglich erscheint … genau hier sich im Kreis drehen, erst langsam, dann immer schneller im uralten Rythmus, die Haare klebrig feucht von Nebelgischt und Schweiß. Wer tanzt mit mir, auch wenn es dunkel wird, rufe ich hinaus in die Nacht … keine Antwort, nur der Mond kommt auf mich zu geschwommen. Wenn Du am Rücken liegst, nimmst du dann zu oder ab … egal, Du erlaubst doch, sage ich und klettere ins Boot. Und dann fahren wir übers weiße Meer, sanft geschaukelt vom Wellengang.

Der Sommer hält nie, was er verspricht, der Herbst schon.

Einer, der grad 70 Jahre alt geworden ist … ich bete den „Boss“ nicht an, aber dieses Lied liebe ich sehr und wie er da so tanzt auf der Bühne, da finde ich ihn einfach ganz und gar unwiderstehlich!

„Braun bin ich, doch schön!“ (Hohelied Salomos)

Aus einem Kessel vor der Devotionalienhandlung dampft der Weihrauch und steigt in dicken , vom kühlen Wind zerzausten Schwaden zum verhangenen Himmel über Altötting auf. Jedes Jahr sind es Millionen Menschen, die sich über den weiten Kapellplatz bewegen, nicht allen sieht man es an, wie schwer sie tragen an ihren Rucksäcken, die gefüllt sind bis zum Rand mit Kummer und Pein und Sorgen. Manche werden geschoben oder gestützt, weil sie nicht mehr alleine gehen können und manchen leuchtet ein leiser Glanz aus dem Gesicht, sie kommen, um sich zu bedanken, weil irgendwas wieder gut geworden ist, um das sie flehentlich ihre Bitten gerichtet haben an sie, „Unsere liebe Frau“. Alle strömen auf die kleine Gnadenkapelle zu , manchmal reicht das noch nicht und es wird eines der schweren Pilgerkreuze auf die Schultern geladen und die Knie müssen auf dem harten Boden mehrmals um die Kapelle rutschen, um Schuld abzubüßen oder in unerträglicher Not ein Wunder zu erflehen für sich oder einen geliebten Menschen.

Wir treffen uns manchmal in Altötting, Irm und ich. Wir fühlen uns keiner Kirche zugehörig, trotzdem sind wir dem Papier nach immer noch katholisch. Irm ist in einer Familie unter dem Joch strengster Glaubenssätze aufgewachsen, ich bei einem ketzerischen Vater und einer wilden amoralischen Mutter, die ständig die Autorität des Pfarrers in der Schule untergruben und mich stark verunsicherten. Wir kennen beide das ständige schlechte Gewissen, die Angst vor der Bestrafung von oben und das erzwungene Bereuen einer Schuld, die man nicht erkennt. Ein Rätsel, warum wir beide noch nicht ausgetreten sind.

Im Inneren des Heiligtums sehe ich der Frau zu, die mit Gummihandschuhen einen grausigen Lappen in eine schwarzbraune Brühe taucht und damit wie abgemessen die Hälfte des Bodens wischt, auf dem nassen Steinboden erscheint eine Art Stern, genau vor der Nische, in der Sie steht.  Meerstern, ich Dich grüße! Ich sehe auf zu Ihr, klein ist sie und das Lindenholzgesicht ist dunkel. Mehr kann man nicht erkennen, der übrige Körper verschwindet hinter einem Samtgewand, zur Passionszeit passend, in lila.

Die winzige Gnadenkapelle, ein Oktogon, angeblichauf den Überresten eines „heidnischen“ Tempels erbaut, ist überladen von silbernen Votivgaben, bevor man sie betritt, kommt man an Gefäßen vorbei, in denen die Herzen der Wittelsbacher aufbewahrt werden…wem zur Ehre?

Die schwarzen Wände und die vielen Sorgen und das geballte Leid machen den Raum düster und die Atmosphäre schwer. Eine Mutter steht da vorne, die ihren Sohn ans Kreuz verloren hat. Das christliche Abendland hat ganze Arbeit geleistet, nichts mehr zu spüren von Aphrodite, Astarte, Kybele, oder der schwarzen Kali, die alles aus sich heraus gebiert, auch ihren eigenen Geliebten, der Heros der Königin/Göttin, ihr ergebener Begleiter, der wilde Mann, dessen Lust sich mit ihrer mischt und nach dessen Besuch im duftenden Garten zwischen ihren Schenkeln die Erde fruchtbar wird und blüht und gedeiht…den sie tötet und wieder gebiert im ewigen Kreislauf des Lebens…

Weißt Du eigentlich, sage ich zu dieser Alten aus Burgund , daß mir Religion nichts bedeutet und an Gott glaube ich auch nicht und trotzdem stehe ich manchmal unter einem Kruzifix mit Deinem Sohn/Geliebten und es trifft mich ein Blick aus uralten Augen mitten ins Herz…

Und Du, wer bist Du? Eine kleine braune Figur aus dem 13. Jahrhundert, hattest Du Brüste und Unterleib oder war Dein Sohn eine Kopfgeburt? Sag, bist Du die Himmelsmutter und Gottesgebärerin…gäbe es Ihn also gar nicht, wenn Du ihn nicht…
Eigentlich hätte ich heute schon auch einen Rucksack gepackt, da ist eine Frage drin, auf die ich keine Antwort finde, ein paar Tatsachen, die schmerzen, eine Sorge, die nicht wegzukriegen ist, ein Problem, das ich nicht lösen kann und Angst in verschiedenen Farben… dürfte ich Dir das alles hinlegen auch wenn wir das Rätsel Deines Wesens nicht klären können? Ich habe Dir für alle Fälle auch noch ein Herz voller Liebe und eine große Schachtel voll Lachen hineingepackt, dann hast Du´s leichter beim Wunderwirken…

Beim Hinausgehen streift mich dieses merkwürdige kleine Lächeln im braunen Holzgesicht…in mir sagt etwas: „ich bin du, du bist ich“…für eine Sekunde schwanke ich, und mir ist als würde ich durch das unendliche schwarze Universum rasen, an den Sternen vorbei…ins Nirgendwo hinaus…oder bin ich nur auf dem nassen Boden ausgerutscht…
als ich nochmal zurücksehe, wieder dieses kleine, leicht spöttische Lächeln…

Dann gehen wir in die Tiefgarage und untersuchen eine Frage, die wir schon lange haben , ob  dieser geomantisch höchst bedeutsame Ort mit dem Oktogon untergraben wurde zum Abstellen der Autos . Ist er nicht, aber es gibt ganz in der Nähe der Einfahrt Parkplätze für Frauen…

Wir streunen ein wenig herum, und eigentlich geht es uns am besten, wenn wir in Bewegung sind, sage ich zu Irm. Unsere Freundschaft ist ein Roadmovie, wir treffen uns sehr selten und wenn, dann an merkwürdigen Orten, wirklich nahe sind wir uns, wenn wir wegfahren, aber nicht, um möglichst lange anzukommen, sondern um unterwegs zu sein…on the Road. Es böte sich der Highway an, findest Du nicht auch, sage ich, da wären wir endlich mal lange und dauernd so wundervoll immer nur unterwegs…Route 66, weißt Du…und dann mit einem pinkfarbenen oder lindgrünen 59er Chevy…

Das mit dem Chevy, nein, also…aber die Route 66 müsste man mal genau überprüfen…und die Kosten…
und dann übernachten wir in so schäbigen Motels und abends zerläuft dann der knallrote Lippenstift ein wenig, Du weißt schon…
den Lippenstift kannst vergessen, kommt ja gar nicht in Frage,
aber naja, man muß mal nachdenken bei Gelegenheit…jetzt fahren wir erst mal nach Berlin.

Später im Auto heimwärts kommt im Radio eines der geheimnisvollsten und für mich so ziemlich das schönste Lied, das jemals geschrieben wurde…nun ja, eins der schönsten zumindest…