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24 T. – Erkundungen der fernen Nähe … Tag 12

Wenn wir einen Christbaum brauchen, holen wir ihn im Torfmoos. Wir fahren die gegenüberliegende Talseite hinauf und ein paar km an der Bahnlinie entlang und dann betreten wir das weitläufige Moorgebiet, das in Richtung auf den Waginger See zuläuft. Dort, am nördlichen Ausgang hat der damalige grüne Bürgermeister Sepp Daxenberger seinen Biohof  bewirtschaftet, so lang, bis alles über ihm zusammenbrach. Komplizierte Liebesdinge und schwerste Krankheiten, alles in einem Ausmaß, wie es Menschen nicht mehr ertragen können;  und dann ist seine Frau gestorben und bald darauf er, im gleichen Krankenhaus. Beide mussten fast zur gleichen Zeit ihren Weg zu Ende gehen und traurige Kinder sind zurückgeblieben.

Auf der anderen Seite des Moores hat einer meiner Vorväter eine kleine Parzelle Torfmoos dazugekauft. Der Torfstich war Schwerstarbeit, heute erinnert nichts mehr daran. Die Schienen vom Wägelchen sind total verwachsen, der hölzerne Stadel lange abgebrannt vermutlich durch Brandstiftung. Mein Vater war nicht gern im Torfmoos, es machte ihn schwermütig. Völlig unverständlich für meine Mutter, die dort Riesenbuschen von allem pflückte, was wuchs, selbstverständlich auch die strengst geschützten Moorkolben.

Wenn man dem Forstweg ohne Abbiegen folgt, kommt man nach ca. zwei km zu einem Wallfahrtsort: Maria Tann. Eigentlich heißt der Ort Moari – Tann und hat mit der Himmelsmutter Maria ursprünglich nichts zu tun, denn „Moari“ …  ausgesprochen wie das franz. „moi“ …  ist das Wort für einen Grenzstein. Die Kapelle gibt es erst seit ca. 120 Jahren, vorher stand dort eine riesige Tanne als Grenzbaum zwischen zwei Gerichtsbarkeiten. Auch heute noch gehört die Kapelle zu zwei Gemeinden. Wie aus Moari Tann – Maria Tann geworden ist, bleibt im Dunkeln. Als ziemlich gesichert gilt , daß in der Tanne unzählige Krücken gehangen haben sollen und ein Marienbild. Ich glaube, daß diese Tanne in uralter Zeit ein heidnischer Wunschbaum war und dessen starke magische Kraft man brechen wollte … oder sollte man sagen, zu eigenen, christlichen Zwecken verwenden, indem man das Heiligtum der Mutter Gottes widmete. Wenn man aber bedenkt, daß auch sie ursprünglich aus der Großen Alten Muttergöttin hervorgegangen ist …

Der Ort selber verursacht mir schon hunderte Meter vorher ein mulmiges Gefühl … komisch, ich gehe nachts auf jeden Friedhof, aber in diesen Wald an diese Stelle würde ich niemals gehen. Es ist mir dort, als wären zwei Welten und dazwischen ein ganz schmaler Grat über dem Abgrund. Es heißt hier, achtsam sein und mit dem Wünschen äußerst vorsichtig, lieber erstmal etwas herschenken, ein Lied, ein Gebet oder ein Lächeln als kleines Dankeschön für all das, was man schon bekommen hat.

Da ich alleine zwischen den Bäumen stehe, singe ich mein Lieblingslied von der Maria, die durch einen Dornwald ging … wie der Weg durch den Advent …

Vor dem alten Haus brennt die rote Kerze in der Laterne. Was bleibt von Weihnachten, wenn man alles wegläßt, was man kaufen kann? Das Geheimnis, vermute ich hier zur Halbzeit auf meinem Weg durch den Advent. Eine sagte auf FB: „Seid lieb zueinander“, das erscheint mir schon mal als beste Voraussetzung für alles, was kommt!

Was wir sehen

Was wir sehen,
ist nicht,
was wir sehen,
sondern
was wir sind.

Fernando Pessoa

 

Ein Grund, warum ich jahrzehntelang diesen Ort nicht gesehen habe, obwohl ich unzählige Male die Strecke Salzburg Wien gefahren bin, könnte natürlich sein, daß die Ruine im Sommer total zugewachsen ist und mit ihrem Blättergrün mit dem dahinterliegenden Wald verschmilzt. Merkwürdig ist es trotzdem, denn sie liegt so nahe an der Autobahn, daß man doch gar nicht anders kann, als hinzuschauen. Aber es gibt Orte, die verbergen sich, vor allem, wenn man sie sucht. Oft dauert es Jahre, bis sie sich zeigen. Warum das dann genau zu einem bestimmten Zeitpunkt passiert, das wird mir immer ein Rätsel bleiben. Wie machst Du das nur, immer wieder solche Orte zu finden, sagt die Freundin. Ich wusste nichts von seiner Existenz, aber auf einmal hab ich auf der Fahrt nach Wien irgendwo im Mostviertel um St. Pölten herum am Waldrand diese riesige Ruine gesehen, aber da war sie noch unauffindbar, wir haben uns bei der Suche nach ihr verirrt und sind weiter in die große Stadt gefahren. Erst am Heimweg hat uns ein freundlicher Mann mit Hund den Weg gezeigt und es stellte sich heraus, daß wir schon auf der Hinfahrt im selben Wald gesucht hatten, wir mussten direkt hinter der Kirche gewesen sein, ohne sie zu bemerken.

Erst jetzt, nach ein paar hundert Metern durch wildes Gehölz, stehen wir vor ihr, ringsherum Teppiche aus weissen Veilchen, die ich so noch nie gesehen habe. Ein verwunschener Ort … heimlicher Grund … eine Ruine aus dem 14. Jahrhundert, St. Cäcilia gewidmet, in einer Zeit, da dieser Ort geweihter Boden war. Eine Wallfahrtskirche, zum Stift Göttweig  gehörend, im Franzosenkrieg zerstört, so heißt es. Kriege sind über das Land gegangen und mit ihnen Mord und Totschlag und das Blut ist aus den geschundenen Leibern gespritzt, der Boden hat alles aufgenommen und die Schreie sind im Wind verhallt.

„Was mache ich hier?“ Diese Frage, einst von Bruce Chatwin formuliert, stellt sich auch mir immer wieder. Und dieses rätselhafte: „Werdet Vorübergehende“  aus den Apokryphen trage ich wohl lebenslang als eine Art Koan mit mir herum. In der Apsis ist dort, wo einst der Priester am Altar gestanden ist, eine Feuerstelle. Im Kreis sind ordentlich die Steine aufgeschichtet, um dem Feuer seine Begrenzung aufzuzeigen. Angesammeltes Erdreich über die Jahrhunderte hat den Kirchenboden aufgeschüttet und höher gelegt, die Kirche erscheint dadurch viel niedriger als sie eigentlich ist. Ich stehe an der Feuerstelle und schaue am Baum vorbei, den der Wind mitten ins Kirchenschiff gepflanzt hat, nach hinten und versuche mir vorzustellen, wie es hier ausgesehen haben mag, als bei einer Messe die Kirche voller Menschen war … zwei Stuhlreihen, rechts die Männer, links die Frauen, gesungen werden sie wohl haben und ihre Bitten um Linderung mancher Not werden sie der Hl. Cäcilia erzählt haben und die Sorgenbündel  vor ihren Füssen abgelegt.

Nein, ich höre und sehe nichts außer verfallenenen Mauern und Schatten, die darüberhuschen, von den Bäumen, die sich sonnenbestrahlt leis im Wind wiegen. Aber wie schon öfters an verwunschenen Orten schiebt sich dieses Bild in meinen Kopf: ich sehe nackte, lehmverschmierte Frauenfüsse , die schnell hinter einem klappernden Karren herlaufen, es geht durch eine Schlucht im Wald aufwärts, die hölzernen Räder hinterlassen tiefe Geleise im Weg. Und ich sehe den grauen langen Rock, schwer geworden vom Lehm schlägt er an die Beine der Frau … immer diese Szene …

Ich stehe an dieser Stelle, vorne im Altarbereich, und es wird mir etwas flau im Magen, der offene Himmel zieht mich nach oben, bald verliere ich den Boden unter meinen Füssen … ich laufe hinaus in die Sonne. Zur Freundin sage ich, warst Du schon vorne in der Apsis? Sie sagt, nein, aber in der Sakristei. Wir haben eine ähnliche Spürung und einen Hang zu unerklärlichen Phänomenen. Wir verfolgen die Spuren alter Geheimnisse, sind aber eher wortkarg im Erzählen unserer Erlebnisse, um nicht in Kraftplatzplauderei das zu verraten, was uns heilig ist.

In die Sakristei mag ich gar nicht mehr hinein, schon beim Hinunterbücken, um durch den Türbogen zu kriechen, läuft mir kalter Schauer über den Rücken und ich bekomme es mit der Angst zu tun.

Dann gehen wir auf dem alten, verwachsenen Wallfahrtsweg durch einen warmen Frühlingswind unter blauem Himmel in Richtung Auto. Beim Umschauen weiß ich, daß ich auf jeder weiteren Reise nach Wien ganz sicher hier kurze Rast machen werde. Und ich winke ihm zu, diesem Ort … oder soll ich sagen, dem Geist dieses Ortes?

Die Schlucht

Ein paar vereinzelte Schneeflocken segeln aus der dunkelgrauen Pferdedecke, die schwer am Himmel hängt.  An klaren Tagen kann man von hier aus auf die Salzburger Berge, den König Watze samt Frau und Kindern und womöglich bis weit ins Dachsteinmassiv hineinschauen. Alles ist mir bekannt und vertraut und doch bin ich fremd hier. Ich war schon bei den Pyramiden, aber noch nie hier an diesem Ort, 20 km von daheim. Dem großen, behäbigen Klotz von einem Hof, malerisch alleine auf der Hügelkuppe, hat man schon lang die filigranen Ursprünge herausgebaut. An der Hinterseite des Stalles scheint eine alte, windschiefe Mauer den Zeitläuften zu trotzen. Ein paar knorrige Nußbäume und ein vermooster Hollerbusch stehen davor, man stützt sich gegenseitig.

Es ist aufgeräumt und sonntäglich still, keine Menschenseele zu sehen. Das heisere Gebell des unsichtbaren Hundes klingt nach Einsamkeit und Kette.

Im Rand des dunklen Fichtenwaldes soll eine Pforte verborgen sein, durch die man zum Abstieg in eine tiefe Schlucht gelangt. Wir irren herum, es schneit jetzt heftiger und dann, es läuft mir ein Schaudern über den Rücken, sehen wir die Schlucht unter uns und es ist mir, als müsste ich eine unsichtbare Schwelle überschreiten.

Ein Forstweg mit den selten gewordenen Spuren eines holzschleifenden Ackergauls schlängelt sich neben dem tief eingegrabenen ausgetrockneten Bachbett hinunter. Uralte Sagen ranken sich um diese Gegend. Gleich auf der Anhöhe hinter dem Wald steht eine Kirche ganz alleine da, nur umgeben von ein paar Ringwällen. Die dazugehörige Burg hat die Zeiten nicht überdauert, das Geschlecht ist längst untergegangen und aus den Mauern wurden die umliegenden Gehöfte gebaut.

Nachweisliche Historie verliert sich in diversen Vergangenheiten. Geschichten sind übrig geblieben. Dunkle Geheimnisse um diese Schlucht, an deren Ende eine Felswand sein soll mit einem Gang zu einer Raubritterburg , verschlossen durch die eiserne Türe. Es ist die Rede von den Venedigern, gesteinskundigen kleinen Männern,  die „fühlig“ waren, d.h. sie konnten erkennen, wo Erze im Boden wuchsen … wir gehen den steilen Abhang hinunter auf einen alten Jahrmarktsplatz zu, auf dem heute hundertjährige Eschen stehen, wo früher die Karren der Schausteller und Händlerinnen ihre Ware feilboten und wo getanzt wurde; aber vor Mitternacht musste Ruhe sein, denn dann „ging es um“, dann trieb dort der Teufel mit wilder Horde sein Unwesen…

Die Schlucht zieht sich, es wird immer dunkler, der Wald ist mir nicht geheuer, in meinem Kopf sprechen sich die Geschichten,  um mich herum Nadelbäume in finsterer Monokultur … „was mache ich hier ?“- dieser Satz von Bruce Chatwin begleitet mich  … die Füsse versinken im angetauten Morast.

Kannst du nicht wenigstens ungefähr sagen, nach was wir eigentlich suchen, fragt mich der Fotograf und verschwindet im Unterholz. Nach was suche ich denn … nach diesem „heimlichen Grund“ der Höhlenkinder vielleicht, sage ich, nach diesem erregenden Gefühl von Fremde und Aufbruch und Angst und Wildnis und Abenteuer und was weiß ich, vielleicht auch nur Lust, einfach Lust und Hunger auf das Leben die sich meiner bemächtigten, und mich nie mehr ganz losließen, seit ich als junger Mensch diese Bücher las.  Ein paar Frauen mit langen wehenden Röcken überholen mich, zwei laufen weiter und eine setzt sich auf das abgebrochene Geländer des hölzernen Steges, der über den Bach führt. Biberfräulein heißen sie in den Geschichten, zu dritt und schwarzweiß sollen sie sein, meist taucht nur eine von ihnen auf und hilft zwar immer wieder den in Not geratenen, aber man hält sie für unberechenbar. Man meidet ihre Nähe, denn manch ein Versuch von jungen Burschen, mit ihr zu scherzen, endet tödlich. Sie gibt und nimmt, bindet und löst , beherrscht das Wandeln und Bannen, das Unsichtbarmachen und ein Blick von ihr läßt aus einem starken Mann einen liebeskranken, ergebenen Diener werden.

Die Frau neben mir auf dem Geländer schlenkert mit den nackten Füssen und singt leis vor sich hin, die Melodie kommt mir bekannt vor, … das Lied handelt von einem, dem das Herz so weh tut, wenn er ein spezielles Mädchen anschaut, das so schwarze Zöpfe hat und rote Wangen und weiße Haut … meine Großmutter hat es immer mit mir gesungen. Und ich lehne mich an das Geländer und singe das alte Lied mit dieser fremden Frau, dicke Schneeflocken verkleben die Augen, nur schemenhaft bemerke ich in meinem Augenwinkel ein graues Fellbündel. Ein Hund? Nein, eher ein Wolf, ich kann ihn nicht gut sehen, denn wenn ich genauer hinschaue, verschwindet er. Sag mal, in diesen vielen Geschichten da steht aber nichts davon, daß Dir ein Wolf folgt, oder?

Mit einem hellen Auflachen springt die Frau mit einem Satz vom Geländer, dreht sich zu mir, geht durch mich hindurch, läuft mit wehendem schwarzen Rock einen kleinen Pfad entlang und verschwindet in einer Felswand. Ich stehe da, und lausche dem leiser werdenden glockenhellen Lachen hinterher … wer ist sie … Fee oder Königin … Spuk, Traum … ihr Gesicht … sie hatte keins.

Ich fühle mich beobachtet. Du bist ja noch da, sage ich und sehe seine alten Augen in einem grauen Fell, und als ich dem Weg der Königin folge zur Felswand, da scheint er mich zu begleiten, ich spüre ihn mehr, als ich ihn sehen kann, merkwürdig vertraut … als wäre es schon immer so gewesen.

Dort angekommen an dieser Wand aus Nagelfluh suche ich die Türe, aber da ist nichts. Nur Stille, heimlicher Grund, wie eine Falte in Raum und Zeit, nur ein paar Schneeflocken und die Sterne umkreisen mich tonlos … was ist, wenn nichts mehr ist …

Alles.

Ist.

 

 

 

Blutmond

Drei Frauen sind wir und als wir oben am Hügel ankommen, stehen wir zwischen den beiden Himmelslichtern, die Sonne ertrinkt langsam im großen See und der Mond ist aufgegangen. Um uns herum ein Kreis von Bäumen, in Zweier- und Dreiergruppen stehen sie da, ihre Leiber ineinander verschlungen recken sie sich in den Himmel. Im Hintergrund die Silhouette der Berge. In den tiefen Geleisen der Lastwägen steht das Wasser und glänzt im Mondenschein, die  gefräßige Maschine, die tagsüber in der Kiesgrube den Sand ausspuckt, hält ihr riesiges Blechmaul verschlossen und schweigt. Von der Autobahn dröhnt der Feierabendverkehr, in der Siedlung leuchten die Fenster und die blauen Bildschirme. Und wir stehen in diesem kleinen Wäldchen herum … in unseren Augen schwimmen orangerote Kugeln … es ist Lichtmeß, die Rituale der letzten Jahre wurden lästig, wir haben sie zurückgelassen, in meinem Kopf geistern Phrasen und übriggebliebene Wörter herum …Kessel, Hüterin der Schwelle, Hexenmord, Vision, Neubeginn … was machen wir hier ohne Konzept und ohne Programm? Nichts. Und dann treibt es uns auseinander, das „wir“ löst sich auf. Jede ist allein.

Meine Gedanken laufen zurück, ich schaue nochmal auf mein Leben, wie vor ein paar Tagen, als ich die Unterlagen für die Rente zusammensuchte. Die Altersrente sozusagen, ich also jetzt auch, bald wird man mich Rentnerin nennen. Zwiespältige Gefühle bei dieser Bezeichnung. Eine Reise in die Vergangenheit, mein beruflicher Werdegang und dann auch noch die alten Schulzeugnisse … ich sehe ein wissbegieriges Kind, dann die plötzlichen Leistungseinbrüche, warum hat niemand nachgefragt? Ich spüre alte Schmerzen, Enttäuschungen, dieses Kind, das ich einmal war und das ich in mir trage, es sah und hörte Dinge, die andere nicht wahrnahmen und es war ständig voller Ahnungen … heute nennt man dieses Phänomen „Hypersensibilität“. Ich gehe auf dem Boden der Tatsachen herum und lasse mich in den Schutz einer Baumgruppe gleiten, ein glatter Stamm fängt mich auf … die Frage, ob ich denn pädagogisch wertvolle Arbeit geleistet habe, läßt sich kaum beantworten und Wehmut und Erinnerung an viele Fehler steigen auf aber auch die Situationen außerhalb der Planungen und Konzepte, die unzähligen Momente, wo sich Seelen mir anvertrauten, wo junge Menschen ihr Herz ausgeschüttet haben … ja, das war am schönsten, einfach nur dazusein  als Mensch unter Menschen und zur Verfügung zu stehen!  Und dann löst sich die Vergangenheit in Luft auf und fliegt weg. Leiser Gesang weht zu mir her und Rascheln im Unterholz. Ich gehe von Baum zu Baum und spreche die Worte aus, die sich mir in den Sinn schieben und ich höre mir dabei zu, wie ich von einem Ort spreche inmitten einer leuchtend gelben Sandwüste, an dem blutrote Felsbrocken herumliegen … ich erzähle von einer Reise, die ich nie gemacht habe …

Irgendwann stehen wir wieder beisammen, hier an diesem geheimen alten Ort, plötzlich liegt da ein leuchtend weißer Stein in unserer Mitte und wir halten uns an den Händen, einfach so, weil uns danach ist. Während wir den Jodler anstimmen für den „Alperer“, einem wilden Berggeist tief drinnen im Gebirge, löst sich im Osten aus dem Schatten des Untersberges der Riese Abfalter … mit großen Schritten geht er an der Salzach entlang, bis er auf der anderen Seite sein geliebtes Riesenfräulein findet und es in seinen Armen über den Fluß trägt, damit es keine nassen Füsse bekommt.

Hier, am Schnittpunkt der Welten, auf der Schwelle stehen wir, jetzt an Lichtmeß, mit einem Fuß in der Wildnis und mit dem anderen in der Zivilisation, die alte Zeit ist vorbei, die neue noch nicht da. Gut zu wissen, nicht alleine zu sein mit diesem Wahnsinn des Lebens und des Sterbens und weil wir jetzt voller Liebe sind zu uns und dem ganzen Universum, aber weil uns auch nichts so direkt heilig ist, greifen wir zum Himmel und blasen uns Sternenstaub ins Gesicht und tanzen lachend und singend nachhause.

 

 

„Braun bin ich, doch schön!“ (Hohelied Salomos)

Aus einem Kessel vor der Devotionalienhandlung dampft der Weihrauch und steigt in dicken , vom kühlen Wind zerzausten Schwaden zum verhangenen Himmel über Altötting auf. Jedes Jahr sind es Millionen Menschen, die sich über den weiten Kapellplatz bewegen, nicht allen sieht man es an, wie schwer sie tragen an ihren Rucksäcken, die gefüllt sind bis zum Rand mit Kummer und Pein und Sorgen. Manche werden geschoben oder gestützt, weil sie nicht mehr alleine gehen können und manchen leuchtet ein leiser Glanz aus dem Gesicht, sie kommen, um sich zu bedanken, weil irgendwas wieder gut geworden ist, um das sie flehentlich ihre Bitten gerichtet haben an sie, „Unsere liebe Frau“. Alle strömen auf die kleine Gnadenkapelle zu , manchmal reicht das noch nicht und es wird eines der schweren Pilgerkreuze auf die Schultern geladen und die Knie müssen auf dem harten Boden mehrmals um die Kapelle rutschen, um Schuld abzubüßen oder in unerträglicher Not ein Wunder zu erflehen für sich oder einen geliebten Menschen.

Wir treffen uns manchmal in Altötting, Irm und ich. Wir fühlen uns keiner Kirche zugehörig, trotzdem sind wir dem Papier nach immer noch katholisch. Irm ist in einer Familie unter dem Joch strengster Glaubenssätze aufgewachsen, ich bei einem ketzerischen Vater und einer wilden amoralischen Mutter, die ständig die Autorität des Pfarrers in der Schule untergruben und mich stark verunsicherten. Wir kennen beide das ständige schlechte Gewissen, die Angst vor der Bestrafung von oben und das erzwungene Bereuen einer Schuld, die man nicht erkennt. Ein Rätsel, warum wir beide noch nicht ausgetreten sind.

Im Inneren des Heiligtums sehe ich der Frau zu, die mit Gummihandschuhen einen grausigen Lappen in eine schwarzbraune Brühe taucht und damit wie abgemessen die Hälfte des Bodens wischt, auf dem nassen Steinboden erscheint eine Art Stern, genau vor der Nische, in der Sie steht.  Meerstern, ich Dich grüße! Ich sehe auf zu Ihr, klein ist sie und das Lindenholzgesicht ist dunkel. Mehr kann man nicht erkennen, der übrige Körper verschwindet hinter einem Samtgewand, zur Passionszeit passend, in lila.

Die winzige Gnadenkapelle, ein Oktogon, angeblichauf den Überresten eines „heidnischen“ Tempels erbaut, ist überladen von silbernen Votivgaben, bevor man sie betritt, kommt man an Gefäßen vorbei, in denen die Herzen der Wittelsbacher aufbewahrt werden…wem zur Ehre?

Die schwarzen Wände und die vielen Sorgen und das geballte Leid machen den Raum düster und die Atmosphäre schwer. Eine Mutter steht da vorne, die ihren Sohn ans Kreuz verloren hat. Das christliche Abendland hat ganze Arbeit geleistet, nichts mehr zu spüren von Aphrodite, Astarte, Kybele, oder der schwarzen Kali, die alles aus sich heraus gebiert, auch ihren eigenen Geliebten, der Heros der Königin/Göttin, ihr ergebener Begleiter, der wilde Mann, dessen Lust sich mit ihrer mischt und nach dessen Besuch im duftenden Garten zwischen ihren Schenkeln die Erde fruchtbar wird und blüht und gedeiht…den sie tötet und wieder gebiert im ewigen Kreislauf des Lebens…

Weißt Du eigentlich, sage ich zu dieser Alten aus Burgund , daß mir Religion nichts bedeutet und an Gott glaube ich auch nicht und trotzdem stehe ich manchmal unter einem Kruzifix mit Deinem Sohn/Geliebten und es trifft mich ein Blick aus uralten Augen mitten ins Herz…

Und Du, wer bist Du? Eine kleine braune Figur aus dem 13. Jahrhundert, hattest Du Brüste und Unterleib oder war Dein Sohn eine Kopfgeburt? Sag, bist Du die Himmelsmutter und Gottesgebärerin…gäbe es Ihn also gar nicht, wenn Du ihn nicht…
Eigentlich hätte ich heute schon auch einen Rucksack gepackt, da ist eine Frage drin, auf die ich keine Antwort finde, ein paar Tatsachen, die schmerzen, eine Sorge, die nicht wegzukriegen ist, ein Problem, das ich nicht lösen kann und Angst in verschiedenen Farben… dürfte ich Dir das alles hinlegen auch wenn wir das Rätsel Deines Wesens nicht klären können? Ich habe Dir für alle Fälle auch noch ein Herz voller Liebe und eine große Schachtel voll Lachen hineingepackt, dann hast Du´s leichter beim Wunderwirken…

Beim Hinausgehen streift mich dieses merkwürdige kleine Lächeln im braunen Holzgesicht…in mir sagt etwas: „ich bin du, du bist ich“…für eine Sekunde schwanke ich, und mir ist als würde ich durch das unendliche schwarze Universum rasen, an den Sternen vorbei…ins Nirgendwo hinaus…oder bin ich nur auf dem nassen Boden ausgerutscht…
als ich nochmal zurücksehe, wieder dieses kleine, leicht spöttische Lächeln…

Dann gehen wir in die Tiefgarage und untersuchen eine Frage, die wir schon lange haben , ob  dieser geomantisch höchst bedeutsame Ort mit dem Oktogon untergraben wurde zum Abstellen der Autos . Ist er nicht, aber es gibt ganz in der Nähe der Einfahrt Parkplätze für Frauen…

Wir streunen ein wenig herum, und eigentlich geht es uns am besten, wenn wir in Bewegung sind, sage ich zu Irm. Unsere Freundschaft ist ein Roadmovie, wir treffen uns sehr selten und wenn, dann an merkwürdigen Orten, wirklich nahe sind wir uns, wenn wir wegfahren, aber nicht, um möglichst lange anzukommen, sondern um unterwegs zu sein…on the Road. Es böte sich der Highway an, findest Du nicht auch, sage ich, da wären wir endlich mal lange und dauernd so wundervoll immer nur unterwegs…Route 66, weißt Du…und dann mit einem pinkfarbenen oder lindgrünen 59er Chevy…

Das mit dem Chevy, nein, also…aber die Route 66 müsste man mal genau überprüfen…und die Kosten…
und dann übernachten wir in so schäbigen Motels und abends zerläuft dann der knallrote Lippenstift ein wenig, Du weißt schon…
den Lippenstift kannst vergessen, kommt ja gar nicht in Frage,
aber naja, man muß mal nachdenken bei Gelegenheit…jetzt fahren wir erst mal nach Berlin.

Später im Auto heimwärts kommt im Radio eines der geheimnisvollsten und für mich so ziemlich das schönste Lied, das jemals geschrieben wurde…nun ja, eins der schönsten zumindest…

Full Moon…

Kaum über Salzburg aufgetaucht hängt er auch schon im Birnbaum und zeigt sich heute Nacht als reife, pralle Orange.

So schön ist er, der gute Mond, ich kann mich nicht sattsehen an ihm und ich laufe hinaus, um ein wenig zu „strawanzen“…so nannte man früher in der alten Sprache das Herumtreiben und Streunen…

Ich wiege mich im Tanz am Platz der wilden Frauen, ein kleines laues Vorfrühlingslüftchen verfängt sich in meinen Haaren und mein Begleiter, der weisse Kater streicht um meine Beine und spielt Verstecken in meinem langen Rock.

Erkenne Dich selbst!

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Ein sehr besonderer Ort liegt da in der Nähe von Steigra in Sachsen-Anhalt völlig unscheinbar und kaum zu erkennen neben einer viel befahrenen Straße.

In einen Kultplatzführer, den wir auf unserer Reise ostwärts dabei hatten, dürfte er deshalb hineingeraten sein, weil er uralte Rätsel birgt, die bis heute nicht wirklich entschlüsselt werden konnten.

Ein Grabhügel mit einer Art „Omphalon“, einem Felsbrocken, der den Nabel der Welt symbolisiert, ein steinernes Sonnenrad, Bäume, die wie ineinander verschlungene, verzauberte  Gestalten anmuten, eine Tafel mit der Beschreibung eines alten Mysterienspieles, das bis heute aufgeführt wird und ein großes Rasenlabyrinth.

Wer immer erwartet, daß so ein „Kraftort“ nach uns greift und uns zu glücklichen und heilen Menschen verwandelt, wird bitter enttäuscht, so auch hier.

Der Ort tut gar nichts.

Im Höchstfall spiegelt er das, was sich ihm nähert und die mitgebrachte Gemütslage potenziert sich unter Umständen drastisch, d.h. auch, daß das alles, was wir sehen, wenn wir uns selbst ins Gesicht schauen oder ins eigene Herz hinein, nicht immer gut zu ertragen ist…

Und doch werden wir reich beschenkt, wenn wir reinen Herzens sind…was das bedeutet, muß jeder selbst herausfinden, wir bekommen stets das zum Geschenk, was wir mitbringen.

In ein Labyrinth gehen, heißt, sich auf einen uralten Einweihungsweg zu begeben, der Weg des Lebens, des Stirb und Werde, er führt immer zur Mitte und wieder hinaus. Man kann sich niemals verirren.

Und irgendwann merken wir, daß wir im Labyrinth niemals dem Minotaurus begegnen, sondern immer nur uns selbst.

Es gibt viel Material über das Labyrinth zu lesen…

Ich finde, es reicht, einfach zu Fuß hindurchzugehen,  oder mit dem Finger die Linien nachzufahren, es ist erstaunlich, was man dadurch erkennen kann, je nachdem, wo man sich grad befindet…

Ich habe versucht, Schritt für Schritt ein Labyrinth zu erstellen, für alle, die das selber mal machen wollen.

 

Für uns alle wünsche ich mir ein Jahr mit Wundern, Abenteuern, schönen und tiefen Begegnungen und Freude, Freude, Freude im Herzen!

 

 

 

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