Archiv für den Monat: Februar 2016

Untertauchen…Auszeit

Seit einiger Zeit schon stelle ich fest, daß ich immer süchtiger und gieriger werde nach Klicks und freundlichen Kommentaren, den Rechner kaum noch ausschalte, um ja nichts zu verpassen und mich zunehmend in den Weiten und Spiegelhallen des großen Netzes verirre. Ich schreibe unzählige Mails, quatsche hier und dort herum, hacke  Zeugs in die Tastatur, rede mich um Kopf und Kragen, vergesse, wem ich wo was geschrieben habe, bringe Namen durcheinander, suche verzweifelt nach Bestätigung und Anerkennung und sehne mich ständig danach, bemerkt zu werden.

Je mehr ich mich im Netz herumtreibe, um so undurchsichtiger und trüber wird alles.

Da ich nicht verloren gehen möchte, habe ich entschieden, für die Dauer der Fastenzeit eine Blogpause zu machen und von hier mal zu verschwinden.

Ich werde statt am Rechner mehr am Bach sitzen, in das klare Wasser bis zum Grund schauen, seinem Gesang zuhören und darüber nachdenken, warum ich blogge, was mir gut tut und was nicht, wo ich herkomme und wo ich hinmöchte, werde ein neues Projekt beginnen und ein altes wieder ankurbeln, über eine Ausstellung nachdenken und künstlerischen Austausch mit Gleichgesinnten pflegen.

Es ist mir dringend abgeraten worden, eine Pause zu machen, da wäre ich „weg vom Fenster“ und alle meine Kontakte auch! Das muß ich riskieren. In meiner Seele muß sich etliches klären, dazu braucht sie die Einsamkeit und einen Schreibtisch, auf dem leeres Papier liegt und ein paar Stifte, ohne die ständige Ablenkung eines flimmernden Bildschirms und seiner Illusionen.

Wer an mir Interesse hat, und Kontakt möchte, wird nach mir suchen und mich auch ohne Netz finden und alle anderen fliegen weiter, das ist halt so.

Wahrscheinlich kommt die Graugans nach der Fastenzeit wieder, vielleicht in der Karwoche, ich weiß es noch nicht.

Gewiß ist, daß sie Euch dann freudig schnatternd begrüßen wird, wenn Ihr sie hier besucht!

Viele liebe Grüße,

habt Dank von Herzen für Eure freundliche Aufmerksamkeit bisher

Eure Graugans, leise schnatternd…

Wir? (Teil 1)

„Bitte kommen, Internet reparieren, mir helfen!“

Vor einem Jahr sind sie gekommen. Mit dem Auto und mit dem Schiff, und die Türkei sind sie zu Fuß durchlaufen, die Füsse voller schwarzer Blutblasen. Die Flucht hatte 15.000 EUR gekostet.

Tarek, ca. 32 Jahre alt, wurde mit elf Jahren von seinen Eltern von Afghanistan in den Iran geschickt zu Verwandten, die ihn aber nicht behalten konnten, weil sie kein Geld hatten, um ihn durchzufüttern. Er kam in einen Keller, dort zeigte man ihm , wie man auf Industrie – Nähmaschinen in Akkord Männerhosen näht. Er brachte es bis zum Vorarbeiter, hatte dann ein paar Hundert Männer unter sich in dieser Firma.

Die Väter suchten ihm eine Frau aus der weiteren Verwandtschaft in Afghanistan, die 19-jährige Nesrin, die er dann auch heiratete. Nach der Heirat in Afghanistan wollte Tarek mit seiner Frau wieder in den Iran, um weiter zu arbeiten, wurde aber nicht mehr hineingelassen und so hatten sie in Afghanistan, diesem zerrütteten, verbrannten Land ohne Regierung, Gesetzgebung und Ordnung weder Wohnung, noch Arbeit und mussten flüchten.

Beide haben keinerlei Schule besucht. Tarek sagt, daß afghanische Kinder im Iran nicht beliebt sind und eigentlich alle afghanischen Flüchtlinge unerwünscht seien, sie dürften zwar, mehr oder weniger geduldet bleiben, aber sie haben keinerlei Rechte und ganz sicher werden sie nicht unterstützt.

Unsere Verständigung ist sehr schwierig, M. versucht seit Monaten, mit ihnen Deutsch zu lernen, aber es geht schleppend vorwärts. Mit wenigen Worten versuchen wir zu sprechen. Tarek lacht viel. Er lacht auch, als er auf meine Frage, ob er denn ein Fahrrad besessen habe, diesen Handgriff macht für  „Kopf ab“, er lacht und lacht, weil ich das anscheinend nicht verstehe, daß man dort, wo sie herkommen, nicht lang ein Fahrrad hat, dann ist man entweder nur das Rad los, wenn man großes Glück hat, oder sein Leben, weil man erschlagen wird.

Da er nie eine Schule besucht hat, aber aus irgendeinem Grund in Deutschland vorweisen wollte, daß er Farsi (Persisch/Afghanisch)schreiben kann, lernte er das, was er aus vielen Jahren Kontakt mit Arbeitskollegen im Keller nicht konnte, hier aus einem winzig kleinen Heftchen mehr schlecht als recht.

Nesrin ist schwanger, was dazu geführt hat, daß beide aus der Gemeinschaftsunterkunft im Haus über einer Metzgerei (ehemalige Fremdenzimmer)ausziehen konnten in eine eigene Wohnung in einer kleinen Grenzstadt zu Östereich, wo sie aber die Grenze nicht überqueren dürfen.

Nesrin wurde daheim eingesperrt, wie Tarek sagt, und musste ihrer Mutter zur Hand gehen. Sie durfte praktisch gar nicht aus dem Haus, nicht in die Schule, nirgendwohin, in den seltenen Fällen nur tiefverschleiert. Einmal ist sie abgehauen auf die Straße hinaus, dafür wurde sie ausgepeitscht.

Über ihre Religionszugehörigkeit wissen sie nicht viel, kennen nur die Verbote, deren Übertretung Strafen nach sich zog.

Die Wohnung ist frisch renoviert, es gibt alles, nur weder Fernseh- noch Internetanschluß, was panische Aufregung auslöst, denn alle Kontakte laufen über Skype. Sie möchten einen Staubsauger.

Sie wollen konsumieren, wie alle anderen auch, Nesrin möchte eine Strickjacke, die glitzert.

Tarek zeigt ein Foto von seinem Neffen, elf Jahre alt, Maschinengewehr in der Hand, lernt grad schießen und stellt sich sehr geschickt an dabei, Tarek lacht, ich denke, er macht Spaß, oh weit gefehlt, gar kein Spaß, blutiger Ernst in Afghanistan und ganz normal.

Alle jungen Männer der beiden Familien sind geflüchtet und leben in den Niederlanden, Schweden Finnland etc. Nur noch die Eltern und ein paar Frauen sind in Afghanistan geblieben.

Viel gelacht haben die beiden, als wir kürzlich miteinander gegessen haben, als sie mich nach langen Erklärungsversuchen endlich verstanden, ich fragte nämlich, ob sie Heimweh hätten…das war wohl das Allerdümmste, was ich je fragte, denn: “ Afghanistan schlimm, nicht gut, Deutschland gut, alles gut.“ Beim näheren Nachfragen stelle ich fest, daß sie  die Länder, aus denen sie kamen, überhaupt nicht kennen.Tarek hat im Iran zwanzig Jahre in einem Keller 15 Stundenschichten gearbeitet und dazwischen ist er irgendwo herumgesessen oder hat geschlafen;Nesrin war Zeit ihres Lebens eingespert im Haus ihrer Eltern. Sie wissen beide weder genau, wo sie herkommen, noch wo sie jetzt sind.

Auf die Frage nach Musik in Afghanistan können sie nichts sagen, bei der Hochzeit wurde weder gesungen noch getanzt, beide wissen gar nichts über irgendeine Kultur oder Tradition.

Nesrin kocht wunderbar:  Basmatireis auf sehr spezielle afghanische Art mit Kardamom und Rosinen, obendrauf gebratene Gelbe Rübenraspel.

Sie ist so schön, wie ich mir Scheherazade vorstelle und als sie so durch den Raum schwebt und uns mit diesen dunklen Märchenaugen ansieht, bin ich ganz verzaubert, das dauert aber nur grad mal so lang, bis sie sich auf das Sofa flätzt und das Smartphone zum Irgendwas- spielen in der Hand hält, da schaut sie auf der Stelle genauso aus wie alle anderen irgendwo in dieser Republik, die auch grad mit dem Handy in der Hand wo rumsitzen und  drauf herummachen, weil ihnen langweilig ist.

Sie wollen einfach konsumieren, wie alle auf der Welt.

(Namen geändert)