Archiv für den Monat: Januar 2019

Vom guten Bedenken

Mein Papa hat oft davon erzählt, wie sie als Kinder mit dem Schlitten vom Gang (Balkon) herunter gefahren sind, weil soviel Schnee da war. Der Mutter hatte das nicht gefallen, weil sie natürlich mit dem Schlitten und waschelnass unten durch die Tenne ins Haus hinein und oben zur Gangtür wieder hinausgesaust sind. Bei dieser Gelegenheit haben sie dann auch gleich den „Gendarm“ eingegraben. Der Gendarm war eine von ein paar Handpuppen für´s Kasperltheater, mit denen sie gern gespielt haben, aber der Gendarm war ihnen zuwider. Wenn er im Frühling unter dem Schneehaufen wieder zum Vorschein kam, dann wurde er so lange den Sommer über im Wassertrog ertränkt, bis er eines Tages verschwunden ist.

Das Haus meiner Väter schmiegt sich ganz elegant an den Nordhang des Tales. Es hat kleine Fenster, durch die man die Sonne vom Aufgang über den Bergen hinter Salzburg ums Haus wandern sieht, bis sie im Westen als roter Ball ihrem Untergang entgegensinkt. Den Sonnenuntergang sehen wir leider nicht mehr, seit der Nachbar vor sein altes Bauernhaus einen Klotz hingestellt hat, der alles überragt.

Das Haus meiner Väter ist über 250 Jahre alt und wurde so gebaut, daß es bisher aller Wetterunbill getrotzt hat. Der Dachstuhl ist immer noch gut in Ordnung, schwer und behäbig, aus Holz gebaut, das zum richtigen Zeitpunkt geschlagen und gelagert wurde und das Dach hat ausgehalten, auch in schweren Zeiten und unter großen Lasten. Die roten Schindeln waren irgendwann kaputt und der Vater hat in den Siebzigerjahren beim Neueindecken einen großen, folgereichen Fehler gemacht, er hat sich zu einem Eternitdach überreden lassen. Das war die günstigste Möglichkeit und von Giftstoffen hat auch noch niemand gesprochen damals. Jetzt sind die  Eternitplatten mehr oder weniger porös und deshalb darf auch niemand raufgehen zum Schneeräumen. Die ganze Dachangelegenheit , es handelt sich da immerhin um ein paar hundert qm, kostet mit allem Drum und Dran und Entsorgung des Eternits nach neuer Berechnung um die 100000,- Euro. Und es tritt der Fall ein, daß das Haus verkauft werden muß, um es zu retten. So schaut´s aus. Selbstverständlich steht es unter Denkmalschutz, aber es gibt so gut wie kein Geld mehr zum Renovieren, die Kassen sind angeblich leer.

Manchmal träum ich davon, daß es womöglich irgendwo einen Menschen gibt, der sein vieles Geld nicht auf die Bank tragen will, sondern für seine Kinder altes Kulturgut erhalten will, dort, wo es entstand und bewohnt wird und nicht als leere Kulisse im Bauernhausmuseum. Naja, gut geträumt, wir werden sehen, wie es weitergeht. Wenn wir verkaufen, dann nur auf Leibrente, denn wir wollen in diesem wunderbaren und ehrwürdigen Haus wohnen bleiben.

Der Winter ist lang noch nicht vorbei, aber wenn von einer derzeitigen leichten Entspannung im großen Chaos gesprochen werden kann, dann ganz sicher nicht nur deshalb, weil es jetzt paar Tage geregnet hat, sondern hauptsächlich, weil viele liebe Menschen warme Gedanken geschickt haben, die zwar das Dach nicht reparieren, aber alles alles leichter machen in der Not einer existentiellen Bedrohung. Habt meinen Herzensdank dafür, daß ich so manch einem von Euch in stets löwischer Dramatik mein Herz ausschütten durfte und Ihr auch meine dunkle Seite ertragen habt.

Der Winter ist wahrlich noch nicht vorbei, in den Landkreisen ringsherum herrscht immer noch der Katastrophenfall, es wird dringendst gewarnt, den Straßen in die Berge hinein fernzubleiben, überall gehen die Lawinen ab oder werden künstlich ausgelöst, es gibt Hubschraubereinsätze und Evakuierungen … und gleichzeitig wollen aber die Skigebiete auf ihre Kosten kommen und werben mit sicheren Pisten und es gibt natürlich trotzdem die Weltmeisterschaft im Bobfahren in Königsee und den ganzen Partyzauber drumherum … was für eine verrückte Welt, nicht wahr?

Ich täte am liebsten zur Nation sagen: „Bleibt halt einfach mal zuhause, meidet die oberbayrischen Straßen und geht weitläufig den Bergen aus dem Weg, denn die Bergwacht ist nicht nur dazu da, unter Einsatz ihres Lebens leichtsinnige Touristen unter Lawinen auszugraben … spielt was mit der Familie oder lest die Zeitung oder bleibt einfach mal sitzen und tut gar nichts!“

Das Element bleibt letztendlich fremd in seiner unglaublich schönen und unbezähmbaren Wildheit, deren Gesetze wir nicht mehr begreifen, weil wir uns als außerhalb der Natur verstehen. Wir sind aber Natur und alles folgt dem großen Ein- und Ausatmen …

Die weiße Pracht

Die Wilde Jagd hält sich nicht an den Kalender, sondern braust über den grauen Himmel und läßt Tonnen von Schnee fallen. Heute also auch in unserem Landkreis die Katastrophe vom Landrat bestätigt, ganz offiziell. Strassen gesperrt, Edeka-Läden gleich dazu wegen Einsturzgefahr, auf der Autobahn liegen umgefallene Lastwägen herum, Bäume fallen ohne Axt von irgendwoher nach irgendwohin und liegen verquer in der Gegend, Räumfahrzeuge geben auf. Unsere Gemeinde konnte mithilfe von schweren Traktoren und Schneefräsen unserem kleinen Weiler bis jetzt einen leidlich guten Zugang zur noch nicht gesperrten Bundesstraße ermöglichen, niemand weiß, wie lange noch, heute Nachmittag ein paar Stunden Ruhe vor dem Sturm … ab morgen Mittag weitere starke Schneefälle angesagt, die Wochen fortdauern sollen. Morgen wahrscheinlich mit dem Rucksack drei km durch den Wald zum Einkaufen, das Katzenfutter geht zur Neige. Die halbwilden Katzen leben zum Teil auf dem Heuboden und können kaum mehr durch den tiefen Schnee zur Futterstelle. Ich grabe eine Art Tunnel  und stehe irgendwann heulend da, alles tut mir weh vom wochenlangen Schneeschaufeln und ich kann einfach nicht mehr.

Der halbwilde Kater ist blind, bei Kämpfen untereinander wurden ihm die Augen ausgekratzt. Langsam und vorsichtig tastet er sich zum Fressnapf. Auf dem Dach des alten Hauses liegt ungefähr ein halber Meter schwerer Schnee, wenn die Höhe einen Meter übersteigt, wird es sehr gefährlich und alles droht, einzustürzen, es taut jetzt ein wenig, was alles nicht einfacher macht. Wir werden jemand brauchen, der das abräumt, aber wer geht hinauf auf das marode Dach? Die Angst, daß dieses Dach einstürzt, zieht sich schon viele Jahre durch mein Leben, nie war genügend Geld da, ein neues machen zu lassen. Ich habe ihn im Ohr, diesen Spruch vom Vater: …man muß immer was auf der Seite haben, wenn mit dem Dach was wär´! Wir sollten auch 50000.- auf der Seite haben, soviel mindestens kostet ein neues, aber wir haben das Geld nicht und so haben wir halt die Angst. Es ist der Notstand ausgerufen. Viele Dächer sind schon eingekracht, bei anderen wird es befürchtet. „Ein Dach über dem Kopf haben“ verliert seine Gewissheit und ein Obdach haben, was auch geschieht, ist keineswegs so selbstverständlich, wie man denkt, in diesem reichen Land.

Es ist still. So still, daß man es hören kann Der Schnee ist überall, er kommt durch die Ritzen, man atmet ihn ein, er stöbert durch die Träume, setzt sich auf die Gedanken, läßt nachts die alten Balken ächzen, fliegt durch Schlüssellöcher und riecht … nach … Nichts.

Die Idylle zeigt ihr wahres Gesicht.

„Was ist, wenn nichts mehr ist?“ habe ich als eine meiner Lebensaufgaben in meinem Horoskop vom Drachen gesagt bekommen. Ein Koan, unmöglich zu lösen und doch … der Klang der Kristalle in den Flocken … was bedeutet schon Existenz im großen Nichts …

Als die Stimme eines lieben Menschen durch Apparaturen zu mir dringt: Du sag mal, wie geht es Dir denn, ich kann zu Dir kommen und Dir helfen … meine Güte, da schmilzt nicht nur die kalte Angstklammer um mein Herz, sondern der Schnee um mich herum … ja, denn er ist aus Wasser und irgendwann fließt alles wieder, nicht wahr?

 

Rauhe Nächte …

Ein paar Wochen lang ging am Hügel vor dem alten Haus ein Bussard im Gras herum, manchmal blieb er stehen und schaute starr in eine Richtung. Ein paar Mal kam ein zweiter hinzu und sie schauten beide dort hin. Es liegt jetzt viel Schnee und sie kommen nicht mehr.

Noch ist Zeit, in den dunklen Spiegel zu schauen, wer sich traut, kann Fragen stellen, die Antworten sollte man aushalten können.

Was muß ich wissen? Ein Bild erscheint. Drei sind es,  und nackt sind sie, eine alte Frau in der Mitte – ein junges Mädchen und der Tod legen die Arme um sie und lächeln …

Wo ist deine Krone, Königin in deinem Reich?

Verloren.

Noch ist Zeit, werde ich sie finden?

Lache!

Tue, was du tust, und sei die, die du bist.

 

„Wenn Du lachst, lach gscheit, wenn Du weinst, dann schrei, weil das Lebn, lieber Freund, is ganz schnell vorbei  … “