Archiv für den Monat: Januar 2024

# 37 Manifest

So vieles schon gewesen, Gedanke und Körper, Blut und Gedärm, Flügel und Schuppe, Schnabel und Maul.

Ein Lied im Abendwind, eine Woge im Ozean, ein lautes und ein leises Wort. Eine Hand auf einem Kinderkopf und auf einem Totenschäel. Ein Pfad im Gebirge und ein Weg durch das Moor.

Ein Flüstern und Schreien, ein Männliches und Weibliches, eine schillernde Seifenblase und ein Speer aus Eisen. Ein Adler und ein Molch, ein Hin und Wegfliegen und ein Gespräch mit einem Wurm. Eine Höhle voll Erz für die Schubkarren der Zwerge.

Ganz wenig und ganz viel, ganz jung und ganz alt und weich und hart und ein kleines Birkenblatt in der Morgensonne, ein Glitzern auf dem Schnee im Mondenlicht. Die Silberspur der Schnecken.

Eine leuchtende Welt, vom Großen Geheimnis in das schwarze Nichts geträumt, hat sich in mir manifestiert und ist Stein geworden.

In meinen Achselhöhlen wachsen die Kristalle, Eis in meinen Höhlen und in meinen Adern fließt das Blut der Zeit. Ich werde immer da sein und in meinen Träumen spreche ich mit Füchsen und Wölfen und manchmal mit Menschen. Ich bin, was ich bin, was ich war und was ich sein werde. Nichts geht verloren, ich liege ruhig und trotzdem bewege ich mich ständig und ändere meine Gestalt. Nichts ist wie es scheint, auch das Gegenteil nicht.

Alles ist.

 

 

und da ist die Kraulquappe unterwegs…

# 36 Schrift der Steine …

Nach Schnee und Eis und bitterer Kälte kam der Regen und jetzt bläst ein viel zu warmer Sturmwind übers Land. Ein Föhnsturm, der die Wolken zusammenschiebt und sie in dramatischer Choreographie über den Himmel treibt. Durch das alte Haus läuft ein Zittern und Beben, die Geister verziehen sich in die dunklen Winkel, unter die Balken, zwischen die Spalten, in die Ritzen und halten sich aneinander fest, um nicht davon zu wehen, als ich das Fenster kurz aufmache. Der Brief, handgeschrieben von einem freundlichen Menschen, über den ich mich sehr gefreut habe, kann gerade noch beschwert werden, bevor er davon segelt. Ich stehe vollkommen neben mir, bin verlangsamt und kann keinen klaren Gedanken fassen. Dieser Föhn jetzt im Januar macht das, was er immer macht: er dreht das Innere nach außen und bringt alles durcheinander. Sogar ein einzelnes Schneeglöckerl steht plötzlich voll aufgeblüht da unterm Birnbaum, etwas zerzaust, wie einer anderen Welt entstiegen und verirrt auf dem Weg. In der überlaufenden Regentonne schwimmt noch ein Teil der dicken Eisplatte, auf der sich manchmal Vögel zum Trinken niederlassen.

Den Findling werde ich jetzt erstmal nicht mehr besuchen, denn er liegt mitten in einem Acker, der nun mit Wasser so vollgesogen ist, daß ich schon nach ein paar Metern einsinke und ich mich nur mehr mühsam mit schweren Erdklumpen an den Schuhen vorwärts bewegen kann.

Auf die Frage, was ich denn da suche, bei so einem Stein, der sich nur als Felsplatte aus dem Boden hebt und an dem doch gar nichts Besonderes ist, sage ich: Nichts. Ich suche nichts, es zieht mich einfach hin. Es  hat mich immer schon zu Steinen hingezogen und ich frage auch jeden Stein, ob er damit einverstanden ist, daß ich ihn aufhebe und mitnehme. Und meistens sagt mir dann mein Gefühl, ob ich eine Art Erlaubnis bekomme oder nicht. Oft gibt es gar kein Gefühl dafür, dann lasse ich ihn liegen.

Gestern bin ich vor ihm gestanden und er sah wieder anders aus oder ich entdecke immer genauer seine Feinheiten, die Kanten und Rillen, die kugelrunden Löcher und seine Adern. Und je nach Lichteinfall scheint er die Form zu verändern. Und ich würde es nicht wagen, ihn zu betreten, auch wenn das Eis restlos weggeschmolzen wäre. Ich habe großen Respekt vor diesem Steinwesen. An einer bestimmten Stelle leuchteten im Hintergrund die Steinberge der Alpen und vor mir strahlte dieses helle Gestein des Findlings und seine Form ähnelte der Silhouette der Berge. Und seine steinerne Mimik … wie oben so unten, wie im Großen, so im Kleinen. Was musste passieren, daß dieser Felsbrocken hier gelandet ist. Ihn mit Menschensprache zu fragen, bringt nichts. Aber Steine kommunizieren auch. Die Freundin sagt, Steine sprechen auch, aber gaaaanz langsam, ja, da hat sie Recht. Sie zu verstehen erfordert einen völlig anderen Umgang mit dem Begriff Zeit. Einfach ausgedrückt und doch oft schier undenkbar heißt das: Hingehen, sitzenbleiben und still sein, nichts weiter … ohne Begrenzung.

Ich gehe gerne auf alten Pfaden, auch als Kind schon war das so. Und jetzt im Drachenjahr werde ich der Spur der Hl. Margarete folgen, der ja ein Drache gefolgt ist, zahm wie ein Schoßhündchen. Ganz in der Nähe des Findlings steht diese kleine alte Kirche mitten im Gelände, deren Entstehungsgeschichte sich im Dunkel der Zeit verliert. Am Altar diese wunderschöne Frau, lose hält sie ein goldenes Band, daran führt sie den riesigen Drachen, sie lächeln beide. Vor dem Eingang fand man im Boden versunken einen römischen Grenzstein, unerklärlich, wie er dahin gekommen ist.

 

Roger Caillois: Die Schrift der Steine:

„Die Steine sind alt:sie gehen dem Leben, dem Menschen voraus…
Es scheint mir alsdann keine Genauigkeit in der erdachten Wissenschaft,
keine Phantasie in dem künstlich erzeugten Delir, keine Harmonie oder
Kühnheit in der eifrig betriebenen Kunst zu geben, zu deren Figuren, Formen,
Zeichnungen die Steine nicht den Keim, die Idee, wenn nicht gar die untrügliche
und feierliche Vollendung liefern.“

Eigentlich sind wir doch steinreich, sage ich. Ja, das sind wir. Und Du bist auf Deine ganz spezielle Art eine Lebenskünstlerin, sagt Herr Graugans.

Und diese Spur führt zur Kraulquappe

# 35 Pfad der Tiere

Unser Kater Herbert ist jetzt 14 Jahre alt, ein gutes Alter für einen so absoluten Freigänger. Er mag nicht mehr rausgehen, sondern verdöst und verschläft an einem warmen Plätzchen den Winter. Ob er im Frühling wieder jagen geht, ist ungewiß, auch, ob er den Frühling überhaupt noch erleben wird. Solange er atmet, lebt er und wenn es Zeit ist zu gehen, dann wird er sterben. Er ist ein Einzelgänger, jemand hat mal gesagt, er sei ein „Solitär“. Es reicht ihm der Kontakt zu zwei Menschen, jeglichem weiteren Kontakt weicht er aus. Er  hat in seiner Weisheit erkannt, daß es bei uns nötig ist, zu sprechen, weil wir dann seine Bedürfnisse besser erkennen. Und so hat er mit verschiedenen Tönen eine Art Kommunikationshilfe entwickelt, die wir zumindest teilweise verstehen können. Mit anderen Katzen unterhält er sich, wenn überhaupt, komplett nonverbal, da gibt es unzählige Austauschmöglichkeiten, die sich menschlicher Vorstellungskraft nicht erschließen. Und da wir also darauf nicht wie gewünscht reagieren, mußte er sich Übersetzungshilfen ausdenken. Er tut das, was er für richtig hält, nur manchmal muß ich ihn zwingen zum Tieraztbesuch. Das mag er nicht und regt sich furchtbar auf, zittert und schreit kläglich. Ich vermeide diese Besuche, so lang es geht und ich sein Leiden ertragen kann. Wenn ich sehr aufmerksam bin, und gut zuhöre, dann kann ich erfahren, wie das geht mit dem Leben und dem Sterben und er sagt mir, wie wenig wir darüber wissen und wie einfach es doch ist: irgendwann mag man nicht mehr soviel jagen, man rollt sich hinter dem Ofen zusammen, schnurrt, bis man einschläft, dann isst man ein wenig und schläft wieder und so weiter. Alles geht seinen Gang, nichts bleibt stehen. Er nimmt alles so, wie es kommt und manchmal schaut er mich lange an mit sehr alten und wissenden Augen und dann spüre ich, daß er Recht hat und wir noch viel lernen können auf unserem Weg.

Ich habe für die nächsten Monate eine „Karte der Kraft“ gezogen und um die spirituelle Begleitung eines Tieres gebeten und so kam der Wal , um mir mit seiner Medizin Beistand und Ratgeber zu sein und mich zu lehren, meiner Bestimmung näher zu kommen. Er fordert mich auf, mich an uralte Erinnerungen anzuschließen und die Gesänge derer anzuhören, die die ursprüngliche Sprache sprechen. Und er hilft mir dabei, die Geschichte meiner Seele zu verfolgen und mich mit ihm, der die Geschichten von uns allen in sich trägt, zu verständigen…

Ih lese wieder in dem Buch „Karten der Kraft“ von Jamie Sams, einer Medizinfrau aus dem Wolf Clan der Seneca – Teaching Lodge und David Carson, Choktaw, erschienen 1988. Dort heißt es, daß in längst vergangenen Zeiten Menschen, die Führung und Einweihung brauchten, zu den Ältesten gehen konnten. Das waren drei alte Männer und drei alte Frauen, sie saßen am Feuer und hatten Rat und gaben Hilfestellung und wenn man sie verließ, dann war man gestärkt und fühlte sich ganz.

Heute ist alles anders, die Alten werden in Altersheimen verwahrt und wir leben in einer Zeit, in der wir von Natur und Magie abgeschnitten sind. Ob die Karten der Kraft mit dem Pfad der Tiere die Weisheit der Alten übernehmen können, muß jeder selber entscheiden, mir sind sie sehr nahe und ich höre sehr gerne auf den Rat der Tiere, die hier zu mir sprechen und mir helfen, meine Medizin zu finden.

Jamie Sams widmet dieses Buch ihrer geliebten Großmutter Twylah, „Ya-we-node“ : Sie, deren Stimme auf dem Wind reitet. Und da fällt mir meine eigene Großmutter ein, die mich in ihre Liebe eingewickelt hat wie in eine warme Decke und die mir das uralte Lied gesungen hat, dessen Text ich zum Teil vergessen hab, aber die Töne sind in meinen Ohren und im Herzen geblieben.

Großmutter Franziska, Du lehrtest mich Deinen Gesang, sei gegrüßt.

Bei meinen Recherchen über dieses Buch und seinen Einweihungsweg erfahre ich, daß Jamie Sams vor ein paar Jahren gestorben ist. Und ich stoße auf ein Buch, das sie mit ihrer Großmutter zusammen geschrieben hat: „Die Ratsfeuer der Sieben Welten – eine indianische Schöpfungsgeschichte“ , erzählt von Twylah Nitsch, Älteste der Seneca Indianer und Hüterin des Steingeheimnisses und ihrer Enkelin Jamie Sams. Es geht darin um die Steine. Steine, die so alt sind wie die Welten. Meine Güte, wie ich mich freue auf dieses Buch!

„Alle Dinge haben ihre vollkommene Zeit und ihren vollkommenen Ort im Leben.“

„Das Medizinrad ist Leben, Leben nach dem Tode, Wiedergeburt und die ehrfürchtige Haltung gegenüber jedem einzelnen Schritt auf diesem Weg.“

„Da nāho! Wi:yo:h!“
(Es ist gesagt! Es ist gut!)

So sei es.

 

Und da ist die liebe Kraulquappe zu finden!

 

# 34 Lichtspiele

Zu meinem vorherigen Text kommentiert Gerhard:  „warme Worte“! Das freut mich. Ja, warme Worte verschenke ich gerne und bekomme sie auch gerne geschenkt. Es ist kalt derzeit, und das nicht nur, weil der Januar so ist, wie er sein soll! Und wahrscheinlich trage ich auch deshalb dieses Buch immer mit mir herum, es ist klein, hat nur 168 Seiten und ist ganz leicht in der Tasche. Als es vor Monaten im Briefkasten lag, kam ich grad von der Arbeit herein und stand in schlammbespritzten Gummistiefeln im Hausgang und konnte nicht aufhören zu lesen: „Herzschlagkino, 77 Filme fürs Leben“, von Andreas Pflüger. Als ich bereits auf der ersten Seite einen neuen Lieblingssatz fand, und A. Pflüger sofort fragte, ob er mir erlaubt, ihn und womöglich noch weitere Lieblingssätze zu zitieren, sagte er sofort zu und schien sich zu freuen. Dieser erste Satz allein sagt schon aus, warum ich ins Kino gehe: „Wenn der Vorhang aufgeht, will ich überwältigt werden, vom Sound, der Musik, von Bildern zu groß für die Leinwand.“

Als ich voreilig fragte, wußte ich noch nicht, daß dieses kleine Büchlein fast ausschließlich aus Lieblingssätzen besteht und daß ich sicher keine Rezension schreiben will, weil ich auch keine lesen mag. Auch Film- oder sonstige Kritisiererei mag ich nicht.

Auf Facebook ist mir immer mal wieder einer aufgefallen, der so ganz anders über Filme geschrieben hat. So, wie der viel zu früh gestorbene Michael Althen, dessen Texte über Filme, die er mochte, ich geliebt habe; las ich die Texte dieses Andreas Pflüger. Ich wusste  damals zu meiner Schande überhaupt nicht, daß er ein begnadeter Drehbuchautor ist und längst bekannt und berühmt für seine spannenden extrem scharfen Politthriller. Meine Güte, wie peinlich, grade hat er großen Erfolg mit dem neuesten Buch: „Wie Sterben geht“. Aber hier ist die Rede von diesem kleinen Büchlein, das parallel dazu erschienen ist, und das außer der Tatsache, daß es exzellent geschrieben ist, nur wenig von den beschriebenen Filmen, dafür aber viel, sehr viel preisgibt über die inneren Notwendigkeiten, sie anzuschauen … immer und immer wieder anzuschauen. Und auf knapp bemessenem Platz mit wohl dosierten Sätzen gibt er nicht nur das, was für ihn die Essenz der Filme ist, preis, sondern erzählt von Freundschaft, Sehnsucht, Liebe, Einsamkeit, Enttäuschung, Begierde und über die unendliche Lust, die Ewigkeit will. Und über die Besessenheit, „die Opfer erfordert; was das bedeutet, wissen nur die, die sie besitzen“.

Bei seinen Filmen fürs Leben sind sind welche dabei, die ich auch sehr liebe, manche kenne ich nicht und werde sie auch nie anschauen, und ein paar kommen sicher dazu, die möchte ich auch kennenlernen. Er spricht von jeweils einem Fehler bei „Taxi Driver“ und bei „North by Northwest“, die muß ich selbstverständlich herausfinden bei nächster Gelegenheit.

Er sagt, daß es Filme gibt, die mitten ins Herz treffen, aber man das nicht erklären kann, warum. Und er sagt: „Manche Filme verdrehen dir von der Aufblende an den Kopf. Du verknallst dich, mit Herzklopfen bis zum Hals. Die allerbesten geben dir dieses Gefühl jedes Mal, wenn du sie siehst. Bei anderen wird es dir heiß und kalt, und du verstehst es nicht.“

Und obwohl er Geschichten nicht mag, die ihn ohne Hoffnung lassen, sieht er einen bestimmten Film, da ist er still und „fällt durch die Bilder wie ein Stein“. Und er spricht von Travis Bickle, der die 47. Straße in Manhattan runtergeht, „steif vor Einsamkeit“.

Ich trage dieses Buch mit mir herum, weil ich diese Zärtlichkeit spüre, diese unglaubliche Liebe zum Kino und zu den Geschichten, die beginnen, wenn das Licht ausgeht und der Vorhang auf. Alles, was da drinsteht, und auch das, was sich zwischen den Worten verborgen hat spricht mir aus der Seele. Auch wenn wir ganz unterschiedliche Filme mögen, das spielt keine Rolle, es geht um die Begeisterung und um das Glück, das Herzschlagglück. Dieses Buch gehört unbedingt dazu. Es ist ein leises kleines Meisterwerk.

Mit allem bin ich einverstanden, bis auf eine Bemerkung: daß George Clooney Cary Grant am nächsten kommen sollte, das bestreite ich vehement. Für mich bleibt er und sein Lächeln unerreicht.

Vor ein paar Tagen, es hatte noch nicht geschneit, begaben wir uns wieder auf die Suche nach dem steinernen Findling. Beinahe hätten wir ihn trotz genauer Koordinatenangabe wieder nicht gefunden, da lag auf einmal irgendwo auf dem riesigen Acker eine große gelbe Plane oder irgendeine Papierverpackung.  Und als ich noch dachte, wer denn sowas auf den Acker wirft, rief schon Herr Graugans: Da ist der richtige Punkt. Ja, und da lag er dann, der Stein. Im Hintergrund war dieses Abendrot über den Bergen, das Licht schien überirdisch schön auf diesen Felsklotz im Boden. Sein Gestein ist von roten Adern durchzogen und auf der einen Seite sieht er aus, als läge ein Drachen da, den Kopf zur Seite gedreht. Nein, kein Foto jetzt, die Welt ertrinkt schon genug in Bilderfluten. Eine wundervolle steinerne Begegnung wurde uns geschenkt.

Hinterher waren wir im Kino und sahen „Perfect Days“ , ein Film, den ich sicher noch unzählige Male anschauen werde. Das Glück tropfte Szene für Szene zwei Stunden in mich hinein, löste alle Beschwernisse auf und hätte  nicht doch noch ein gewisses Maß an Schwerkraft meine Füsse am Boden gehalten, dann wäre ich geflogen!

Da treibt sich die Kraulquappe herum

 

#33 Wer suchet…

Die extrem scharfsichtige Sonne scheint durch die offene Balkontüre, leuchtet jeden Winkel aus und zeigt ihn, der auf allen Flächen, in allen Ecken, auf allen Büchern des alten Hauses faul herumliegt. Überdeutlich zeigt er sich bei jedem Schritt, aufgewirbelt und tanzend in den Strahlen der Sonne. Servus, staubiger Bruder, sage ich, ich denk gar nicht dran, dich wegzuwischen, du gehörst dazu, wie die alten Balken und die Löcher im Dach. Der staubige Bruder ist normalerweise ein Schimpfwort, aber ich bin mir sicher, daß es die Bezeichnung auch im Rotwelschen gibt, dieser alten Geheimsprache der Vagabunden, der Fahrenden und der Gauner. Ich forsche seit Jahren um sie herum, vor allem in ihrer Verbindung mit der hiesigen Landessprache, dem bairischen Deutsch. Beide Sprachen sind miteinander verwachsen und bisher hat mir noch niemand glaubwürdig erklären können, welche zuerst da war.

Den staubigen Bruder, sowie jegliche Putz- und Räumarbeit hinter mir lassend, fahre ich heute am Nachmittag einem Hinweis nach, der im Jahresbuch des Heimatvereins steht und mich zu einem riesigen Findling führen soll, der vor einiger Zeit in einer Wiese entdeckt wurde. Über sieben Meter lang soll er sein, es gibt Fotos davon und eine Wegbeschreibung. Der Bauer, auf dessen Wiese er im Boden versunken daliegt, hat ihn ca. einen Meter tief ausgegraben, niemand weiß, wie groß er wirklich ist. Nach der pflichtgemäßen Meldung wurde ihm von der maßgeblich zuständigen Behörde mitgeteilt, daß für Ausgrabung und Erforschung des Steinbrockens kein Geld zur Verfügung stünde und man könne ihn gern wieder zuschütten. Kein Interesse also an diesem riesigen Stein, der von irgendwoher an diesen Ort gerollt war. Ich bin losgefahren und das schon zum zweiten Mal, und habe ihn trotz genauester Herumsucherei nicht gefunden. Das ist nichts Neues, manche Orte, und vor allem Steine verbergen sich und ziehen sich vor allzu intensiver Suche in sich zurück und werden nahezu unsichtbar. Manchen Ort habe ich dann durch Zufall entdeckt, als ich längst aufgegeben hatte. Und dann stellte sich heraus, daß der Ort ganz in der Nähe war und ich nur die Blickrichtung ändern hätte müssen. Das heißt, es hätte genügt, nur zu schauen, ohne den Vorsatz, etwas finden zu müssen. Ich werde es also ihm überlassen, ob er sich finden lassen will, der Findling.

Das alte Jahr haben wir denkbar schön beendet, mit zwei wunderbaren Filmen: „Fata Morgana“  von Werner Herzog und „Dialog mit meinem Gärtner“.

Grad um Mitternacht hörte der Regen auf und wir konnten ein wenig Richtung Salzburg spazieren und zum Himmel schauen. Ich liebe Feuerwerk und kann das große Geschimpfe darüber gar nicht verstehen. Ja, freilich wird viel Geld in die Luft geschossen, ja und? Es wird auch viel Geld versoffen und verraucht oder für sonstwas ausgegeben. Ja, es passiert auch immer was, wenn Menschen mit Raketen herumspielen. Ja, es gibt viel Unglück auf der Welt und es ist schlichtweg einfach nur unvernünftig, für ein paar Minuten ein Vermögen in die Luft zu schießen.  Aber ich liebe es, was Unvernünftiges zu tun und es ist einfach so wunderbar, diesen bunten Sternen zuzusehen, die es vom Himmel regnet. Ein Feuerwerk ist für einen Augenblick pure glitzernde Seligkeit. Es ist so schnell vorbei wie das Leben, nichts bleibt übrig, aber für einen Moment zeigte sich das Glück.

Jetzt haben wir nach dem chinesischen Horoskop das Jahr des Drachen. Der Drachen ist auch mein Zeichen und ich freue mich auf dieses Jahr. Was immer es auch bringen mag, ich möchte es mit Freude durchschreiten und nach Lust und Laune leben. Und ich höre sofort meinen Vater sagen: was wäre, wenn das jeder täte …ja, was wäre dann?

Ich werde das Löwenfeuer in mir schüren und mich vom Drachen begleiten lassen, neue Wege suchen, alte pflegen, Menschen die Hand reichen, über Blödsinn lachen, mir weiterhin nichts sagen lassen, meine eigenen Wege gehen und meine eigenen Gedanken denken … ich bin zuversichtlich – mit dem Drachen an meiner Seite werden wir uns schon irgendwie durchschlagen.

Ihr Lieben da draußen: Bleibt mir hier gewogen, laßt uns weiterhin die Freundlichkeit pflegen miteinander, umeinander und uns weiterhin Geschichten erzählen. Ich wünsche Euch allen ein gutes Jahr, gute Begegnungen, schöne Musik, Arme, in die Ihr Euch hin und wieder fallen lassen könnt und trotz des ganzen Wahnsinns , der uns umgibt, am Morgen aufzustehn und festzustellen, daß uns die Erde immer noch trägt. Alles Liebe für Euch!

 

Hüte dich und bleibe still; fürchte dich nicht, und dein Herz sei unverzagt.
Jesaja 7,4

Die liebe Kraulquappe hat auch sicher schon vor Stunden was geschrieben!