Archiv für den Monat: April 2014

Wann, wenn nicht jetzt?

Die Parabel von einem aus göttlichen Hause, der ein aufmüpfiges Menschendasein erleben wollte bis in die letzte schreckliche Konsequenz ist erzählt, ungeklärt bleibt die Sache mit der Auferstehung. Aber letztendlich ist das ganze Leben auch nicht besser erklärt, vor allem die Frage, WANN genau findet es eigentlich statt?

Wir leben zwischen Vorhin und Dann: Im „Jetzt“? O je, o je, dieses „Jetzt“ ist leider sehr zweifelhaft! Denn es existiert ja praktisch gar nicht, denn, wenn wir „Jetzt“ sagen , ist es bereits vergangen und das zukünftige noch nicht da, aber wenn es da ist, ist es wieder Vergangenheit. Es gibt also logischerweise nur die Zukunft und die Vergangenheit.

Wo genau findet dann in dieser nicht existierenden Gegenwart die Auferstehung statt?

Und in welchem ominösen ZwischenRaum leben wir, gibt es uns denn überhaupt?

Da man bei weiterem Nachdenken über diese Dinge eh leicht deppert wird, finde ich es mehr als nur angebracht, sich den „Schlagoberskoch“  zu Gemüte zu führen, den der kongeniale Liedermacher „Der Nino aus Wien“ mit seiner großartigen Band hier präsentiert. Ein junger Poet und Wortspieler, merkwürdig, genial, versponnen, sensibel. Der große Karl Farkas hätte gesagt:

„Meine Damen und Herren, schaun Sie sich das an!“

Dann kamen die Frauen…

Als der Leichnam vom Kreuz genommen war, kamen die Frauen. Sie wuschen Ihm den Tod aus dem Gesicht, und als sie Ihn mit Ölen gesalbt hatten und Er aussah wie ein schlafender junger Gott, hüllten sie Seinen Körper in weiche Tücher, legten Ihn in ein Grab, ihre warmen Tränen tropften auf Ihn, dann schoben sie die Steinplatte darauf und setzten sich in den Vorraum und wachten.

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Am Morgen sahen sie nach Ihm, aber sie fanden Ihn nicht, das Grab war leer.

„Werdet Vorübergehende“, soll er einmal gesagt haben.

O Haupt…

Seit 12 Uhr mittags sind jetzt also die Kirchenglocken nach Rom geflogen. Kein Klang, der das Gemüt erfreut, soll heute erklingen, wir sollen Seiner gedenken, der heute vor 2000 Jahren den Kreuzestod für uns gestorben ist. Wer gedenkt der Millionen Frauen und Männer, die kläglich auf den Scheiterhaufen verrecken mussten, der Kinder, die auf Kinderkreuzzüge geschickt wurden ins Gelobte Land, unzählige Greueltaten in seinem Namen. In SEINEM Namen! Ein Wanderrabbi, der von der Liebe erzählte und von allerlei weiteren Ungereimtheiten, der keine Tempel mochte und ein Faible für Gestrauchelte hatte. Wenn man, so gut es geht, nur auf diese alte, kleine Geschichte schaut, kann man sich nicht vorstellen, daß dieser sanfte, idealistische Träumer der Religionsgründer werden wollte, an den sich eine Kirche dranhängte und zu solch einer ungeahnten Monstrosität aufblähte. Der Gott, von dem Er erzählte, war ein Liebender und er verlangte nichts von den Menschen, er liebte sie. Weder damals noch heute reicht unser menschliches Vorstellungsvermögen, das jemals zu begreifen. Was hat Er noch geglaubt, als Er am Kreuz hing und elend zugrunde ging? „Zu Grunde“ gehen – was für ein Wort!

Heute also keine Kirchenglocken, nur „Ratschen“, das sind eine Art hölzerne Rasseln, uralte magische Instrumente, um mit viel Krach die Winterdämonen auszutreiben.

Alles Elend, auch das schrecklichste, ist einmal vorbei und dann beginnt das Sterben, und zwischen dem Sterben und der Auferstehung ist der Tod und der Tod ist ein Rätsel.

Als mein Vater gestorben ist, bin ich bis ins Innerste erschrocken vor der lautlosen Banalität. Todsein heißt, nicht mehr einzuatmen. Und das ist auch schon alles. Aber ist das Alles nichts oder ist das Nichts alles?

Der Tod sitzt auf der Balkonbrüstung, er trägt eine wollene Joppe, hat einen feschen Hut auf und lächelt mich an: Das ist doch alles ganz einfach, was plagst du dich denn so herum? Du hast gut reden, sage ich.

Luise Wittmann
Text: Margarete Helminger / Bild: Luise Wittmann

 

Ölberg

Die dunklen Ahnungen verdichteten sich und wurden zur schrecklichen Vision seines nahenden Todes. Er lud die zwölf besten Freunde zu sich ein, und nachdem sie gegessen und getrunken hatten, sahen sie ihn erwartungsvoll an und hofften auf eine seiner Geschichten. Er aber sagte nur: „Ich bitte Euch, diese Nacht bei mir zu bleiben, ich fürchte mich, denn ich werde bald sterben“! Sie glaubten ihm nicht, das sah er in ihren Augen, noch etwas sah er: Verrat. Das tat ihm weh. Sie sagten zu ihm: Wir lieben Dich und wir wollen mit Dir wachen“, und sie stiegen mit ihm den Hügel hinter seinem Haus hinauf. Dort oben setzten sie sich hin und schliefen sofort ein. Er ging herum in der Nacht, getrieben von Todesangst, zitternd und weinend, dreimal flehte er seine Freunde an, doch wach zu werden und ihm beizustehen, dann gab er auf.

Er sank zu Boden, er betete zum Himmel und schrie in Wut und Schmerz und Einsamkeit und es schüttelte ihn vor Grauen, doch von nirgendwo kam Hilfe. Dann hatte er endlich verstanden, er wurde ganz ruhig und schwitzte Blut und Wasser.

Als die erste Morgenröte über der Stadt heraufzog stand er auf, weckte seine Freunde. Sie erschraken, als sie sein totenbleiches Gesicht sahen und wussten nicht, was sie tun sollten. Er sagte:“Geht nach Hause“!

„Und Du“? sagten sie.

Und Er sprach:

„Ich bin bereit“.

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Weltenklang

Sich an einem bestimmten Termin zum Jodeln zu treffen  und das dann auch zu tun ist leichter als man denkt aber doch viel schwerer als man meint. Erst haben wir uns Mut angegessen und getrunken und viel geredet, aber keine traute sich, in der Stube einfach so loszusingen. Früher wurde in dieser Stube viel gesungen, meine Großmutter hatte eine wunderschöne Stimme, die hat sie allen sieben Kindern vererbt und am Abend saßen alle um den Tisch und haben gesungen. In diesem Haus war das Brauch, es war wohl ein existentielles Bedürfnis nach Klängen, denn üblich war das zur damaligen Zeit keineswegs,  die Not war groß, das „Sacherl“ warf keinen Ertrag ab und die Menschen am Hof plagten sich elendiglich, um das nackte Überleben zu sichern , da war kein Platz für romantisches Getue. Komisch, heut, wo die Welt voll ist von angebl. „traditioneller Volksmusik“, da ist es uns ein wenig peinlich, einfach so zu singen.

Irgendwann stehen wir auf und gehen in den Wald zum Platz der Wilden Frauen, da stehen wir nun im Schneeregen in dieser kalten Aprilnacht, der einzige Lichtschimmer am Himmel stammt wohl von der Stadt Salzburg, vom Vollmond ist nichts zu sehen. Alles anders als geplant, was tun wir hier? Eine muß beginnen, anders gehts nicht. Es entstehen Töne. Nein, nicht alle sind schön und harmonieren tut schon gleich gar nichts. Die Lauten plärren irgendwas herunter, die leisen halten vor Scham die Lieder zurück. Wir tun herum und herum und hören nicht auf, alles zu singen, was uns einfällt. Irgendwann scheint der größte Ballast hinausgeschrieen zu sein, Leiseres schlängelt sich empor und wird ein wenig lauter, das Laute nimmt sich ein wenig zurück und es entsteht der Anflug eines Gefühls, den Tönen vertrauen zu dürfen.

Und dann passieren plötzlich und unerwartet ein paar dieser raren Augenblicke, mit denen man nicht rechnen kann, die sich ergeben und für die es lohnt, zu leben. Völlig eigenmächtig, ohne irgendein willentliches Dazutun lösen sich Töne heraus, gehen auf die Reise, suchen Gleichgesinnte und vereinigen sich zu diesem: „Es singt!“ Und in diesen Momenten zerdehnen sich Raum und Zeit, der Himmel umfängt uns.

Einen Jauchzer tun wir zum verschwunenen Mond, sei gegrüßt junge Alte! Voller Freude laufen wir heim.

Schweres Gepäck…

„Schweres Gepäck – Flucht und Vertreibung als Lebensthema“ ist der Titel des Buches von Helga Hirsch, das ich mir gerade erlese. Eine schmerzhafte Lektüre, denn obwohl die Flüchtlinge ja „nichts hatten“, tragen wir Kinder von ihnen schwer an ihrem Gepäck.

Was weiß ich vom Weg meiner Mutter? Sie ist schon über 40 Jahre tot, weggeflogen wie die wilde Schwanenfrau im Märchen. Geblieben sind ein paar Geschichten über das Vertreiben und meine eigene Unsicherheit in den Verortungen meines Lebens. Meine Mutter wurde in einen Viehwaggon mit vielen anderen Verjagden gepfercht und und irgendwo hingebracht. Das zukünftige Irgendwo meiner Mutter war dann hier, ein Bauernweiler im südöstlichsten Winkel von Bayern, zwangsuntergebracht bei einem Bauern in einer winzigen, kalten Kammer unterm Dach. Mein Vater , blind vor Liebe zu diesem wunderschönen, rehäugigen Geschöpf, holte sie zu sich in eine zweifelhafte Heimat, Flüchtlingsweiber waren nicht willkommen, das bekam sie zu spüren. Alles wackliger Boden, sie gehörte nicht hierher, aber wohin dann?  Wo kam sie her? Ein paar Photographien sind geblieben, sie als Kind mit traurigen Märchenaugen, sie auf der Bühne in verschiedenen Rollen, sie im Nirgendwo unterwegs. Ich reise an den Ort Bohosudov (Mariaschein), nein, ich finde keine Spuren, keine Namen von Urgroßeltern am Friedhof, schon längst alles untergegangen. In Karlsbad (Karlovivary), von wo aus die Verjagung begann, keine Spuren. Ich finde einen Zettel mit einer Adresse in Berlin, ich suche die Stadt ab, nein, diese Straße gibt es gar nicht mehr, ausgelöscht, verweht, vergangen. Ihr Leben, wie Kiesel am Strand, das Wasser kommt und geht, zieht hinaus aufs Meer, spuckt wieder an Land, manchmal bleiben ein paar Kiesel liegen, eine Zeitlang, bis zur nächsten Flut…

„Reich mir die Hand, mein Leben…“ – hat sie oft gesungen.

Und ich, viel zu alt, um jung zu sein und viel zu jung zum Altwerden, um mich herum lauter Abgründe, sitze auf der Schwelle und lasse die Beine baumeln

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Ferne Nähe

Es ist Palmsonntag. Ich gehe auf dem alten Wallfahrtsweg, der sich wie eine Schlange um den Berg windet, den Mühlberg hinauf zum Marienheiligtum. Über der Kirchenpforte im Westen breitet die Schutzmantelmadonna ihren Mantel aus. Die Altvorderen irgendwo auf der Welt haben vom Tod als „die Frau im Westen“ erzählt. Am Mühlberg ist die Muttergottes überlebensgroß auf die Westwand gemalt und soll uns sagen, daß wir uns, wenn gar nichts mehr geht, unter ihren Mantel (Schutz und Schirm) verkriechen dürfen. An der Ostseite der Kirche hängt IHR Sohn am Kreuz, er hat bereits das Leiden überwunden und sein lieblich-zartes Gesicht zeigt direkt dorthin, wo die Sonne über dem Untersberg aufgeht, in dessen Namen angeblich die „Anderswelt“ versteckt ist, deren Pforte in seinen geheimnisvollen Höhlungen verborgen ist.

Ich stehe vor ihm, sein Antlitz strahlt tiefen Frieden aus,seine Gestalt zwischen Himmel und Erde in überirdischer Harmonie trotz Wespennest in der Achsel und den etwas zu langen Armen. Sympathisch schlafend.

Der Abstieg an den Kreuzwegstationen vorbei, zeigt das, was er dort oben bereits hinter sich hat. Warum dies alles eigentlich? Weil einer irgendwo irgendwann sein Maul nicht halten wollte? Und es passierte ja nicht nur vor zwei tausend Jahren, sondern hier, mitten unter uns ist ständig Kreuzweg und was können wir tun? Erst vor ein paar Stunden saß in einer Gesprächssendung Hamad Abdel-Samad und sollte sich rechtfertigen darüber, warum er in einem Buch über Islam und Faschismus schreibt und es veröffentlichen läßt, obwohl er um die Gefahr weiß, die ihm droht? Es ist bereits passiert, er wurde zum Abschuss freigegeben, d.h. ein sogen. Fatwa wurde über ihn verhängt, jeder dahergelaufene Spinner darf ihn jetzt also abschlachten, wie es ihm beliebt, sieht es so die islamische Religionsgemeinschaft vor in solchen Fällen? Das heißt, da lebt einer unter uns mit einem Todesurteil, weil er seine eigene Religion kritisiert hat.

Palmsonntag

„A kloans Gankerl mit kohlschwarze Augn…“

Ja, ich gestehe, ich wollt mir mit dem „Kasermandl“ einen kleinen Jux machen! Aber nichtsdestotrotz handelt das Tiroler Lied von mächtigen Almgeistern, den Kasermandln/-weibln, einer Art Kobolde aus dem Gefolge einer uralten Göttin der Alpen. Die Alten wussten, wenn man sich mit den Kasermandln gut stellte, dann hatte man fleissige Helferwesen, aber wehe, wenn man sich einen Spaß mit ihnen erlaubte, dann wurde die Milch sauer oder noch Schlimmeres passierte. Heut glaubt natürlich niemand mehr an Kobolde und was uns neckt, aber auch schützt und uns hilft…merkwürdig ist aber doch, daß wir so viele Workshops machen mit selbsternannten Schamanen, bei denen wir mühsam lernen, unsere Krafttiere und Helferwesen zu finden und wir holen uns aus fernen Ländern Ritualgesänge, um auf Weltenwanderung zu gehen…aus so starker Sehnsucht  nach einer Art Seelenheimat. Womöglich brauchen wir gar nicht so weit herumfahren, wir tragen die alten Kultgesänge ja in uns, ein Jodler oder Jauchzer dringt weit über unsere vorstellbare Welt hinaus bis hin zu den Großen Mysterien und wer weiß schon, was alles auch heut noch „hinter´m Eisenpfanndl“ wohnt, nicht wahr?

Der Mond rundet sich, bald ist er voll und dann jodeln und jauchzen wir, was es das Zeug hält, gell!

Bis dahin zur  Einstimmung für alle und zum 60. Geburtstag meiner Freundin Loiserle, die ich so liebe, wenn sie in ihrer alten Tiroler Sprache sagt, daß sie aus Oschttirol kommt, Krankenschweschter ist und sich auch noch mit der Kunscht herumplagt, die Gschicht von den Kasermandln:

Juchizn!

Am 15. April, am nächsten Dienstag also, ist Vollmond.

Zu diesem Zeitpunkt  soll angeblich die Göttin Ostara gekommen sein, um der Erde die Fruchtbarkeit zu schenken. Diese ganzen germanischen Götinnen sind relativ umstritten, ich halte mich da am liebsten an unsere alte Frau Percht, die als Wintergöttin am Dreikönigstag in die Berge verschwunden ist. Jetzt an Ostern kommt sie als ihre eigene Tochter, als strahlende junge Frau herab und wirft ihren weiten Blumenmantel über das Land.Und wir, mitten in der Karwoche, der Leidensmann macht uns vor, wie wir unser Kreuz schleppen sollen, damit wir den Tod überwinden und zur Auferstehung gelangen können, wir sollen im Vollmondschein tanzen und singen? Geht das? Ja, das geht, trotzdem! Ja, das geht gleichzeitig. Wir laufen einfach alle in die Vollmondnacht hinaus, auf eine Lichtung im Wald oder sonstwohin und SIE, Ostara, Holla, Astarte, Eurora oder wie wir SIE auch nennen wollen, wird da sein und mit uns jauchzen! Das ist nämlich ein uraltes Geheimnis: Das Jauchzen macht das Herz leicht, das wussten die Alten schon und deshalb wurde gejodelt und gejuchizt im Alpenraum und bei den Samen im hohen Norden wurde gejoikt. Denn, wenn wir einen lauten Juchizer tun, dann fallen die Kreuze und die Sorgensäcke ganz von alleine von den Schultern und der Rücken kann sich aufrichten. Und der Zauber dieser Vollmondnacht bewirkt außerdem, daß uns unsere Lasten ganz leicht werden, denn während des Jodelns und Jauchzens haben die alten Helferwesen, Kasermandl und alle möglichen Trolle und Elfenwesen aus dem Gefolge die Sorgen bereits bearbeitet, Mus daraus gekocht oder sie auf Silberfäden durch die Luft schweben lassen.

Laßt uns doch alle hinauslaufen, es könnte wirklich eine Zaubernacht werden, Venus tanzt durch das Fischezeichen. Laßt uns ein silbernes Mondscheinnetz bilden, wo auch immer, laßt uns den Frühling, die Göttin in uns aus Lust und Liebe zum Leben und trotz irgendwelcher Erschwernisse feiern, laßt es uns einfach tun! Das wär doch so schön, zu wissen, daß viele von uns zum selben Zeitpunkt irgendwo zum Mond aufschauen und singen, jodeln, jauchzen, lachen, tanzen, welch eine Freude! Ich weiß leider nicht, wann genau der Mond aufgeht.

Der gemeinsame Termin wär vielleicht so um 20 Uhr, gell!