Archiv für den Monat: August 2025

StadtLandFluß (M)

Mutter (Ein Gemurmel), von Kate Zambreno

Kaum hatte ich das Buch in der Hand, wußte ich sofort, das ist es, das ist genau DAS Buch, das ich auch schreiben möchte!  Die wunderbare Elke Mützenfalterin hatte es auf ihre unnachahmlich wahrhaftig-poetische Weise vorgestellt und ein paar Sätze daraus zitiert … und da schon kamen mir ein paar Sätze von mir in den Sinn, die ich danebenstellen konnte. Auf dem hinteren Buchdeckel steht: „Was ich suche, sind keine Fakten. Was ich suche, ist etwas Unaussprechbares über meine Mutter. Ich will Bernstein und grünes Glas und Gold . Wie ihre Augen. Unsere Augen.“

Ja.

Und darunter spricht Siri Hustvedt von Assoziationen um eine Frau, die lang schon tot ist,  „aber als Geheimnis und Wunde weiterlebt. …Text, der es wagt, sich der immensen Macht der Mutter zu stellen.“

Ich lese dieses Buch und stelle leise meine Sprache neben die Sprache von Kate Zambreno und suche nach Erinnerungen, die es nicht gibt und wenn sie dann doch auftauchen, frage ich sie, wer sie sind und woher sie kommen und wer sie erfunden hat und was sie denn aussagen über die Mutter. Kate sucht um ihre Mutter herum und ich um meine, beide finden wir nicht das, wonach wir suchten, sondern etwas Diffuses, was in uns lebt, nicht existiert und uns doch ausfüllt bis über den Rand der Existenz.

Dieses Buch liest nur, wer es sich antun will, dieses Gemurmel und das Kreiseziehen um etwas Verlorenes, was man schmerzlich vermisst, ein Leben lang  … die Kreise werden enger und enger aber man kommt nicht wirklich auf eine Spur, die dahin führt, wo es noch nicht verloren war, dort, wo alles begonnen hat, denn es muß doch irgendwann begonnen haben, nicht wahr?

Seit vielen Jahre traue ich mich nicht, es zu schreiben, das (mein) Buch: Mutter. Kate Zambreno hat es gewagt, über zehn Jahre hat sie daran geschrieben. Ich hänge jetzt in der Mitte  fest … irgendwo sagt sie, daß sich die Erfahrung des Scheiterns ihr ganzes Leben lang wiederholt. Schmerzhaft ehrlich.

Fünf Bussarde schweben am Himmel. Mit ausgebreiteten Schwingen ziehen sie kleine und größere Kreise, manchmal stoßen sie dabei spitze Schreie aus … wie elegant sie sich auf die Winde legen … irgendwann sind sie verschwunden. Am Fußabstreifer liegt ein kleiner toter Vogel.

Neben der Straße liegt am Hang ein Baumstumpf, ein paar Meter weiter oben klafft ein tiefes Loch in der Wiese, dort wurde er ausgerissen.

Der Herbst schleicht sich langsam an, die Farben verändern sich. Ich mag gerne die Zeiten des Übergangs, wenn die eine Zeit  nicht mehr und die andere noch nicht ganz da sind, ich bin eine Schwellenhockerin und liebe das nebulöse und das diffuse Licht und das Ineinandergleiten von Werden und Vergehen.

Seit dem Hohen Frauentag am 15.August ist ja jetzt der „Frauendreissiger“.

 

In diesen magischen Tagen und Nächten sammeln die Kräuter ihre Kräfte und die Drachen verlassen ihre Höhlen und fliegen mit den Wolken. Barbara mit dem Turm, Margarete mit dem Wurm, Katharina mit dem Radl, das sind die drei heiligen Madl, so heißen die drei Ewigen bei uns. Ich bin mir sicher, daß die Margarete mit dem Drachen getanzt hat, damals in uralter Zeit, lang bevor die Christenheit den Hl. Georg erfunden hat, der den Drachen ermordet hat. Leider wollen seitdem die Drachen mit den Menschen nichts mehr zu tun haben und deshalb will auch keiner mehr tanzen, nicht mal mit einer Margarete wie mir. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, warte weiter auf ein Massl(Glück) und winke ihnen zu, wenn sie über das Tal fliegen und sie winken zurück, indem sie ein wenig goldgelbes Feuer spucken.

Manchmal sehe ich im Baum mit den leuchtend roten Äpfeln ein Herz aus Zweigen, man sieht es nur in der Blauen Stunde, wenn die Schatten miteinander spielen. Tagsüber ist es unsichtbar.

 

 

StadtLandFluß (L)

Lufuzi

Mein Vater hatte ein paar Prinzipien, denen er unter allen, aber wirklich auch allen Umständen treu geblieben ist. Er weigerte sich standhaft, zu einem Schnitzel Pommes frites zu essen. Für ihn waren diese trockenen Kartoffelstäbe niveaulos und ein Beweis für den Niedergang der Eßkultur, niemals hätte er auch nur einen davon gegessen.

Ein weiteres Prinzip war, man putzt sich sorgfältig die Schuhe ab, wenn man eine fremde Häuslichkeit betritt, aber man zieht auf keinen Fall die Schuhe aus. Sollte das eine Dame des Hauses von ihm verlangt haben, konnte sie noch so charmant lächeln und auch noch klug sein, das war dann egal, er bezeichnete sie später als Putzteufel und niemals mehr betrat er diese Wohnung. Er empfand es als Demütigung eines Gastes, der dadurch praktisch halbnackt und hilflos in Socken, seiner Würde beraubt als hilflose Witzfigur auf irgendeinem Sofa oder an einem Tisch sitzen sollte … in manch einer Begegnung wurde dadurch unwiderruflich der Keim zur Freundschaft erstickt.

Aber das Allerschlimmste, was passieren konnte war es, einen schlechten Kaffee zu bekommen. Das Prinzip meines Vaters war: ein Kaffee muß heiß wie die Liebe und schwarz wie die Nacht sein. Früher, als meine Eltern kein Geld hatten, gab es trotzdem Bohnenkaffee. Meine Mutter nahm die Mühle zwischen die Knie und setzte sich aufs Sofa und mahlte die Bohnen. Ich kann dieses Geräusch heute noch hören und habe diesen wunderbaren Duft in der Nase, der sich langsam um sie herum ausbreitete. Sie zog dann die kleine Schublade aus der Mühle und kochte einen Haferlkaffee, den man durch ein silbern glänzendes Sieb in die Tasse goß. Dazu gab es immer ein Glas Wasser. Für meinen Vater war dünner Kaffee ein Gräuel, und auch als er schon längst eine Kaffeemaschine mit Filter hatte, schmeckte der Kaffee immer noch ein wenig nach Haferl, er war stark und schwarz und kräftig.  Es gab nicht viel, was ihn mehr verärgerte, als wenn er dünnen Kaffee vorgesetzt bekam. Er nannte ihn dann abgestuft entweder Blümchenkaffee, oder Muckefuck oder, wenn es ganz schlimm war und man das jeweilige Gebräu kaum trinken konnte, sagte er „Lufuzibrühe“ dazu, das kam dann schon einer Beleidigung gleich und auch da vermied er in Zukunft Besuche. Merkwürdig ist, daß dieses Wort Lufuzibrühe in unserer regionalen Mundart nicht vorkommt. Ich habe es noch nie von einem anderen Menschen gehört. Womöglich hatte es meine österreichisch/böhmische Mutter mitgebracht … finden konnte ich es nirgends. Seltsam ist, daß es im Netz ein paar Photographien von 1932/33 gibt, auf denen vollbesetzte Fähren über einen Fluß in Sambia/Afrika zu sehen sind und dieser Fluß ist auf ca 1000 Meter ü.M. und heißt Lufuzi. Wie gelangt nun die Brühe vom Fluß Lufuzi in Afrika in so manch eine hiesige Kaffeetasse? Sprache geht seltsame Wege und die Lufuzibrühe auch, wie letzthin wieder einmal feststellbar beim Italiener als grottenschlechter Espresso.

Lughnasadh oder Lammas, wie die alten Kelten dieses erste Erntefest im Jahr genannt haben sollen ist schon vorbei. Aber die Zeit der Schnitterin ist jetzt gekommen, sie geht übers Land mit ihrer Sichel und schneidet das ab, was zuviel ist. Auch wir mußten das Wilde beschneiden und kürzen, weil aus den vielen beim Spazierengehen eingesammelten Zweiglein riesige wilde Rosenbüsche geworden sind und durch das Werkstattfenster und etliche andere fast kein Licht mehr kam, und weil wir langsam aber sicher komplett umschlungen werden. Das ist immer ein wenig wehmütig, auch der Illex mußte dran glauben. Und da mußte ich an das Haus des Dichters denken.

In dem ganz wunderbaren Blog Lyrikzeitung habe ich mich sofort in ein Gedicht verliebt, das Róza Domašcyna für den Dichter Kito Lorenz geschrieben hat, wie muß er sich gefreut haben darüber! Beim Schneiden der wilden Pflanzen habe ich es vor mich hingesagt:

Dieses haus
für Kito Lorenz

ist das haus eines dichters
man erkennt es daran
dass der rosenbusch über das
hausdach guckt
und daran
dass die tomatenpflanzen in den
giebeltöpfen
so hoch wachsen dass der dichter
nur die hand
aus dem fenster zu strecken
braucht
um die paradeisäpfel zu ernten
an der sonnenseite unter dem
unsagbar
blühenden eingriffeligen
weißdorn
steht ein tisch mit bank und
stühlen
darunter hat der hund seinen
platz

auf der schattenseite am
türpfosten
triumphiert die brennessel
über den gast
der sich zu bücken hat wenn er
ins haus will

ich pflanze sagt der dichter
wie beiläufig
und sieht kurz vom
schreibtisch auf
weiter müssen die setzlinge
sich selber kümmern

Rōza Domašcyna
aus: Stimmen aus der Unterbühne. Gedichte 2020
Leipzig, Poetenladen

Vielen herzlichen Dank an den Poetenladen für die Erlaubnis, das Gedicht hier zu veröffentlichen!

Es ist Löwezeit, aber der „Mond der reifenden Beeren“, mein Mond, nimmt schon wieder ab, die Beeren sind längst geerntet und stehen in rot schimmernden Gläsern im Hauskasten. Alles geht seinen Gang, nimmt ab, nimmt zu und vergeht, kommt wieder in welcher Form auch immer. Die Schnitterin geht übers Land. Der Löwe in mir streckt sich im Schatten und gähnt laut mit offenem Maul und dann räkelt er sich und prüft die Schärfe seiner Krallen und dann pflegt er sein Fell und er liebt diesen Geruch, nach warmem Pelz und Erde und dem Harz der Bäume und dem lauen kleinen Wind und da nimmt er die Witterung auf zum Unsagbaren, das blau vom Himmel tropft und sich in seinen Augen spiegelt …