Mutter (Ein Gemurmel), von Kate Zambreno
Kaum hatte ich das Buch in der Hand, wußte ich sofort, das ist es, das ist genau DAS Buch, das ich auch schreiben möchte! Die wunderbare Elke Mützenfalterin hatte es auf ihre unnachahmlich wahrhaftig-poetische Weise vorgestellt und ein paar Sätze daraus zitiert … und da schon kamen mir ein paar Sätze von mir in den Sinn, die ich danebenstellen konnte. Auf dem hinteren Buchdeckel steht: „Was ich suche, sind keine Fakten. Was ich suche, ist etwas Unaussprechbares über meine Mutter. Ich will Bernstein und grünes Glas und Gold . Wie ihre Augen. Unsere Augen.“
Ja.
Und darunter spricht Siri Hustvedt von Assoziationen um eine Frau, die lang schon tot ist, „aber als Geheimnis und Wunde weiterlebt. …Text, der es wagt, sich der immensen Macht der Mutter zu stellen.“
Ich lese dieses Buch und stelle leise meine Sprache neben die Sprache von Kate Zambreno und suche nach Erinnerungen, die es nicht gibt und wenn sie dann doch auftauchen, frage ich sie, wer sie sind und woher sie kommen und wer sie erfunden hat und was sie denn aussagen über die Mutter. Kate sucht um ihre Mutter herum und ich um meine, beide finden wir nicht das, wonach wir suchten, sondern etwas Diffuses, was in uns lebt, nicht existiert und uns doch ausfüllt bis über den Rand der Existenz.
Dieses Buch liest nur, wer es sich antun will, dieses Gemurmel und das Kreiseziehen um etwas Verlorenes, was man schmerzlich vermisst, ein Leben lang … die Kreise werden enger und enger aber man kommt nicht wirklich auf eine Spur, die dahin führt, wo es noch nicht verloren war, dort, wo alles begonnen hat, denn es muß doch irgendwann begonnen haben, nicht wahr?
Seit vielen Jahre traue ich mich nicht, es zu schreiben, das (mein) Buch: Mutter. Kate Zambreno hat es gewagt, über zehn Jahre hat sie daran geschrieben. Ich hänge jetzt in der Mitte fest … irgendwo sagt sie, daß sich die Erfahrung des Scheiterns ihr ganzes Leben lang wiederholt. Schmerzhaft ehrlich.

Fünf Bussarde schweben am Himmel. Mit ausgebreiteten Schwingen ziehen sie kleine und größere Kreise, manchmal stoßen sie dabei spitze Schreie aus … wie elegant sie sich auf die Winde legen … irgendwann sind sie verschwunden. Am Fußabstreifer liegt ein kleiner toter Vogel.
Neben der Straße liegt am Hang ein Baumstumpf, ein paar Meter weiter oben klafft ein tiefes Loch in der Wiese, dort wurde er ausgerissen.
Der Herbst schleicht sich langsam an, die Farben verändern sich. Ich mag gerne die Zeiten des Übergangs, wenn die eine Zeit nicht mehr und die andere noch nicht ganz da sind, ich bin eine Schwellenhockerin und liebe das nebulöse und das diffuse Licht und das Ineinandergleiten von Werden und Vergehen.
Seit dem Hohen Frauentag am 15.August ist ja jetzt der „Frauendreissiger“.

In diesen magischen Tagen und Nächten sammeln die Kräuter ihre Kräfte und die Drachen verlassen ihre Höhlen und fliegen mit den Wolken. Barbara mit dem Turm, Margarete mit dem Wurm, Katharina mit dem Radl, das sind die drei heiligen Madl, so heißen die drei Ewigen bei uns. Ich bin mir sicher, daß die Margarete mit dem Drachen getanzt hat, damals in uralter Zeit, lang bevor die Christenheit den Hl. Georg erfunden hat, der den Drachen ermordet hat. Leider wollen seitdem die Drachen mit den Menschen nichts mehr zu tun haben und deshalb will auch keiner mehr tanzen, nicht mal mit einer Margarete wie mir. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, warte weiter auf ein Massl(Glück) und winke ihnen zu, wenn sie über das Tal fliegen und sie winken zurück, indem sie ein wenig goldgelbes Feuer spucken.
Manchmal sehe ich im Baum mit den leuchtend roten Äpfeln ein Herz aus Zweigen, man sieht es nur in der Blauen Stunde, wenn die Schatten miteinander spielen. Tagsüber ist es unsichtbar.
