Archiv für den Monat: Februar 2017

Das Meer hinter Hamburg…

Der Vollmond scheint, als ich mit meinem Trolley und den anderen Passagieren, mir kommt vor, viel zu vielen für die kleine Maschine, über die Rollbahn gehe. Der Salzburger Flughafen ist klein und nach ein paar Metern sind wir auch schon an der Treppe. Nach dem Verstauen von Taschen und Mänteln und der eigenen Leiblichkeit in den gebuchten Sitzen sollen wir also mit diesem kleinen Blechvogel nach Hamburg fliegen. Alle, auch solche, die weitaus weniger üppig sind als ich, wirken in die engen Sitze hineingequetscht…nur einer nicht, der junge Mann von gegenüber ist so dünn wie ein dürrer Ast und passt mindestens zweimal in den Sitz. Während des Fluges sehe ich oft zu ihm hinüber und denke mir, daß dies wohl der erste richtige Nerd ist, den ich sehe…sehr blass;  hochkonzentriert und pausenlos huschen seine Finger über das Tablet, keine Ahnung, was der da tut, aber er tut es pausenlos ohne aufzusehen. Alle hier drinnen husten, schneuzen, niesen, schniefen…und dann heben wir ab…jedes Mal ist es wie ein Wunder und ich lege mein Leben in die Hände des Piloten eines Billigfliegers.

Und dann: Ankunft in Hamburg und die Frage, wie ich mich einer riesengroßen fremden Stadt in zwei Tagen so nähern könnte, daß ich hinterher auf die obligatorische Frage:  „Na, und wie war´s in Hamburg?“ – auch was zu sagen hätte.

Der Grund der Reise war ein jährlich im Fasching stattfindendes Spektakel, venezianischer Maskenzauber an der Alster, von dem ich im Vorjahr im Blog  Irgendwas ist immer  so wundervolle Fotos gesehen hatte, daß ich spontan beschloß, beim nächsten Mal hinzufahren. Im Laufe des Jahres verschob sich der Schwerpunkt und ich wollte hauptsächlich Christiane kennenlernen und bei dieser Gelegenheit dem Karneval zusehen.

Und als ich am Montag in aller Frühe wieder in den Flieger stieg, war ich randvoll mit Erlebnissen, war einer liebenswürdigen Bloggerin begegnet und hatte das Gefühl, vier Wochen unterwegs gewesen zu sein.

Mir war  das Allerschönste passiert, was es nur gibt, ich wurde am Flughafen abgeholt, ins Auto gepackt und durfte schon mal eine nächtliche Runde durch die Stadt drehen. Von einer Hamburgerin herumgefahren zu werden und die Stadt sozusagen aus ihrem Blickwinkel zu sehen und dabei Interessantes sowohl über die Stadt als auch über die Reiseleiterin zu „erfahren“…wenn es dann noch viel zu plaudern und noch mehr zu lachen gibt und die Chauffeurin darüber hinaus auch noch eine absolut gelassene Autofahrerin ist, dann werden diese Erkundungen zum reinsten Vergnügen! Ich wäre am liebsten gar nicht mehr ausgestiegen. So eine wunderbare Stadt, weitläufig, großzügig, vom Wind durchgeblasen, der von der See kommt…vom blanken Hans…so hatte ich mir das zurechtgelegt! Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber für mich lag Hamburg am Meer, wenigstens bis vor kurzem…

Unter Zuhilfenahme ihrer Freunde, zwei smarten Hamburger Jungs mit Schalk in den Augen und so einem kleinen spöttischen Lächeln, versuchte Christiane, mir oberbayrischem Landei jenen Sachverhalt zu erklären, daß zwar das Meer 100 km entfernt sei, aber trotzdem Salzwasser in den Hamburger Hafen „gepresst“ würde…achja…und daß die Elbe …was weiß ich… als alle meine offensichtlich geistige Überforderung bezüglich des Vorkommens von Salzwasser mit Ebbe und Flut, unter  gleichzeitiger Meerlosigkeit sahen, wurde dem ein gütiges Ende bereitet:

„Weißte was, wenn Du nächstes Mal kommst, dann fahren wir nach Cuxhafen, dann erledigen sich alle Deine Fragen!“ Ja, okay.

Neben der Alster liefen unter kreischendem „Möwengedöns“ wunderschöne Masken herum und als ich, weil ich mir die Chance nicht entgehen lassen konnte, die grandiose Ausstellung von Paula Modersohn-Becker zubesuchen, aus dem Fenster sah, ging dort grad ein Baum auf hohen Stelzen vorbei, der mich plötzlich mit himmelblauen Augen in knorrigem Gesicht ansah…

Alles so bezaubernd, sehr freundliche und redebereite Menschen, unglaublich viele schöne Frauen, diese angenehme hanseatische Sprachmelodie…und nicht zuletzt am Ufer der Alster unzählige wunderschöne Graugänse, die auf einem Bein schliefen, im Hintergrund das Rot der untergehenden Sonne…

Dann, eine letzte Fahrt zum Bestimmungsort dieser Stadt, dem Hafen…jaja, ich weiß, ich habe eine wildromantische Ader, aber wer würde in Angesicht dieses großen Hafens mit seinen Kränen nicht an Freiheit und Abenteuer und „Seemann, Deine Heimat ist das Meer…“ denken , wen würde es da nicht hinausziehen…?

Und dann noch, aufgehoben bis zum Schluß, die Speicherstadt, wo alles gelagert wird, was aus der großen weiten Welt in Schiffsbäuchen kommt, Kaffee, Tee, Gewürze…und als meine wunderbare Stadtführerin mir sagt, daß ich mir da schon was einfallen lassen müsse beim nächsten Besuch…denn die Fahrt durchs Alte Land zum Meersuchen nach Cuxhafen, die Hafenrundfahrt mit der Barkasse und die Speicherstadt mit dem Einkauf von Tee und Gewürzen…also, ob da zwei Tage reichten?

Ja, da werd ich mir was einfallen lassen, liebe Christiane!

Es war ein wundervolles Wochenende und eine sehr gute Begegnung und es hätte nicht schöner enden können als mit dem Satz:

„Es war schön mit Dir, komm bald wieder!“

Ja, ganz sicher! Und herzlichen Dank für dieses warme Willkommen in kalten Wintertagen in einer fremden Stadt, die mir so fremd nicht mehr ist, genau wie die Stadtführerin!

Tschüüüüß dann, bis bald im Sommer!

 

„It is a risk …“

„It is a risk to love.
What if it doesn´t work out?
Ah, but what if it does.“

Peter McWilliams

Ja, ich glaube,  Mick zwo hat recht, wenn er schreibt: “ Allerdings glaube ich, dass die Geschichten nicht passiv sind. Sie laufen uns über den Weg, nicht umgekehrt! „

Diese Worte führen genau dahin, an diesen Punkt, an dem so unwiderruflich klar wird, daß die Zeit reif ist für genau diese eine Geschichte und keine andere…

Genauso ist das mit diesem Film, immer mal wieder muß ich ihn ansehen und jedesmal ist hinterher irgendwas irgendwie anders als vorher. So geht es mir oft mit Geschichten, nein, natürlich nicht mit allen…nur mit den ganz wichtigen, die was mit mir zu tun haben;  ich wüsste nicht zu sagen, was sich zwischen vorher und nachher in meinem Leben verändert hätte, aber daß nichts mehr ist wie vorher, das scheint sicher.

Michael Althen, der wunderbare, leider so früh verstorbene Filmkritiker hat mal über ein „zweites Leben im Kino“ geschrieben, das „besser ist als unseres und ihm doch aufs Haar gleicht“…das Kino als doppelte Natur gibt Auskunft über das, was ist, und das, was möglich wäre…wer wir sind und wer wir gerne wären, und daß wir, wenn wir uns den Bildern überlassen , womöglich erkennen, woher wir kommen und wohin wir gehen…

Eine Nuance nur reicht, ein Windhauch, eine ganz zarte Gedankenspur, kaum merklich, kann den Weg freimachen in völlig neue Richtungen, die Tür zu anderen Welten öffnen, zu neuen Ufern, neuen Träumen, weiteren Geschichten…um letztendlich immer die gleiche, nämlich die eigene  auszuleuchten.

Ganz am Anfang des Films sieht man eine Zehe mit einem Smileypflaster, man hört das Entkorken einer Flasche und das Geräusch, das irgendein Getränk macht, wenn es in ein Glas geschüttet wird.

Dann holt einer sein Feuerzeug aus der Tasche, zündet sich eine Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug… ich schmecke und rieche den verbrannten Tabak und als der Mann in Hut und hellem Sommeranzug vom Tresen weggeht, liebe ich ihn schon und bin bereit, ihm zu folgen durch die dunkle Bar hin zur Türe. Und dann geschieht dieses Wunder, der Klang der Gitarre (David Hidalgo), das gleißende Sonnenlicht, der Mann und ich, wir verschmelzen und werden zu einer Geschichte, die hier beginnt.

Viele Male musste ich den Film ansehen, um endlich zu erkennen, daß eigentlich alles schon in den ersten fünf Minuten erzählt wird und daß die Musik die Geschichte parallel dazu nochmal erzählt. Und ich lasse mich führen,  gehe den Weg mit, den Bobby Long durch eine runtergekommene Vorstadt von New Orleans entlanghumpelt, bis er an der Friedhofsmauer ankommt, wo er die leergetrunkene Flasche abstellt und wenn die Kamera auf die Trauergemeinde schwenkt und das grandiose Saxophon (Steve Berlin) einsetzt, ist klar, daß es kein Zurück mehr gibt aus dieser Geschichte, bis sie zu Ende erzählt ist.

Man hat diesem Film vorgeworfen, daß die Story zu simpel und vorhersehbar sei und, daß John Travolta viel zu wenig wie ein verwahrloster Säufer aussehen würde…ja, mag alles sein. Ich liebe diesen Film, genau so wie er ist und alle, die mitspielen, bezaubern mich immer wieder aufs Neue!

Ein ehemaliger Literaturprofessor und sein Schützling, den er dazu auserkoren hat, ein Buch über ihn zu schreiben, haben sich ins Haus einer verstorbenen Freundin geflüchtet und versuchen, sich durch große Mengen Alkohol soweit zu betäuben, daß sie die Verzweiflung über ein gescheitertes Leben nicht mehr spüren.

Da hinein gerät die Tochter der Freundin, die das Haus erbt.

Die junge Frau ist ihrerseits auch bereits eine gescheiterte Existenz, voller Zorn und Gram über eine verlorene Kindheit und tiefer Sehnsuch nach einer unerreichbaren Mutter.

Auf ihre Weise bewegen sich diese drei Menschen und ein paar Nebenfiguren durch ihr Schicksal und am Ende sind sie vom Meeresboden, auf den sie gesunken waren, wieder nach oben getaucht und sehen, jeder auf ganz eigene Art neuen Horizonten entgegen.

Was ist es, was mich so berührt an diesem Film… ich vermag es gar nicht so genau zu sagen, die Geschichte ist ein Märchen, in dem alle am Ertrinken sind und sich dann Kraft der Liebe retten…das allein ist es nicht, auch nicht mein Faible für gescheiterte Existenzen, für diese Lonly Wolves…

Nein, ich glaube, letztendlich ist es der Blues, der mich ergreift und durch diese Schwüle trägt, Bewegungen wie in Zeitlupe… ja es sind die Farben des Südens und der Blues.

Immer wieder dieser Blues, der alles einschließt, das Lachen und das Weinen, die Freude und den Schmerz, das Leben und das Sterben , dieses Hin und Herwiegen wie das Gras in einem lauen Sommerwind…das Sichhingeben an das Leben und das Sichtreibenlassen und dem Verstreichen der Zeit zuzusehen…

(Sehr schade, daß der wundervolle Soundtrack nur mehr für Wucherpreise erhältlich ist)
Das war einmal!
Inzwischen hat Herr Riffmaster, der nicht nur seines Zeichens Archivar von glücksbringenden Musikalien ist, sondern anscheinend auch diverse Zauberkünste beherrscht, genau diese Scheibe zu meiner großen Freude in seinem überirdischen Laden ausgestellt…würd mich ja nicht wundern, wenn er auch noch wilde Augen hätte!
Vielen Dank , lieber Meister!

Schade bleibt (vorerst) nur noch, daß ich leider leider niemand kenne, der/die mit mir „Alabama-Schuffle“ tanzen täte!

 

 

 

We shall not cease from exploration
And the end of all our exploring
Will be arrive where we startet
And know the place for the first time.
T.S. Eliot

„Gott kennt mich und ich kenne Gott“ (Bobby Long)

 

A Lovesong for Bobby Long
Regie: Shainee Gabel
2005