Archiv für den Monat: Oktober 2014

Horchen…

Hoch droben im Großen Oben stellte Inanna die Ohren auf und horchte auf das Große Unten.

Hoch droben im Großen Oben hielt die Göttin ihr Ohr weit offen für das Große Unten.

Hoch droben im Großen Oben stellte Inanna die Ohren auf und lauschte auf  das Große Unten.

Inanna verließ Himmel und Erde, um in die Unterwelt hinabzusteigen.

Sie verließ ihr Amt der heiligen Priesterin, um in die Unterwelt hinabzusteigen,

Als sie durch das erste Tor eintrat, wurde ihr die Krone vom Haupt genommen. Sie fragte: „Was ist das?“ Man erklärte ihr:

„Still, Inanna, die Wege der Unterwelt sind vollkommen. Sie dürfen nicht in Frage gestellt werden.“

Sie tritt durch weitere Tore, es werden ihr abgenommen:  ihre Perlen, ihr Lapislazuli, ihre Brustschmuckplatte, ihr Goldring, ihre Meßrute und Richtschnur aus Lapis.

Beim siebten Tor endlich muß sie ihr königliches Gewand ablegen.

Jedes Mal fragt die Göttin aufs Neue: „Was ist das?“ Und jedes Mal kommt die Antwort:

„Still Inanna, die Wege der Unterwelt sind vollkommen. Sie dürfen nicht in Frage gestellt werden.“

Nackt und tief gebeugt wurde Inanna zum Thron ihrer Schwester Ereschkigal gebracht.

Ereschkigal heftete die Augen des Todes auf Inanna.

Sprach Worte des Zorns gegen sie aus.

Schleuderte ihr den Schuldspruch ins Gesicht.

Sie schlug sie zu Boden und tötete sie, machte sie zum Leichnam

und hängte die Tote an einen Nagel in der Wand.

 

(nach Vera Zingsem:“Die Erde ist mein, der Himmel ist mein“)

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„Seltsam, im Nebel…“

Einmal im Jahr haben auch wir das Meer sozusagen vor der Haustür. Von den steinigen Moränenhängen, auf denen sich die Altvorderen ansiedelten, weil der Gletscher, der das Tal ausschob, nach seinem Rückzug Sumpf und Morast hinterlassen hatte, sehen wir im Herbst auf das Tal hinunter, das sich mit wabernder, nebliger Ursuppe gefüllt hat.

Gar nicht weit muß ich gehen. Dieses Meer ist wie ein unendlich weiter Raum und man kann ihn betreten, es gibt nirgendwo eine Schwelle, ein Ufer oder eine Pforte und doch weiß man plötzlich, wo er beginnt. Ich lasse mich hineingleiten…ein merkwürdiger Zustand, Raum und Zeit verschwimmen, Konturen lösen sich auf im Wasserdampf. Schwaden umhüllen mich, nur langsame Bewegungen, wie in Zeitlupe, wie Gehen auf dem Meeresgrund. Ich verliere völlig die Orientierung, es ist alles so anders, aber ich kann doch gar nicht weit weg sein…da vorne taucht schemenhaft eine Hütte auf…wo kommt die plötzlich her, da war doch gar nichts, bevor das Meer gekommen ist. Vor der Hütte sitzt eine Gestalt, die in der Luft herumfuchtelt. Meine Güte, ich war wohl zu lang im „Murimoos“, dieser Schauergeschichte, die mich ratlos zurückließ, weil der Autor am Schluß auch nicht mehr sicher war, wo er da hingeraten ist.

Es wird mir unheimlich, denn diese Hütte erinnert mich eher an das Haus von Wassilissa im Märchen,  aber wer sitzt dann vor diesem Haus?  Der Nebel wird immer dichter.

Auf einmal stehe ich vor ihr. Da sitzt eine verschrumpelte alte, kleine Frau auf der Hausbank. Sie trägt eine graues Kleid und hat lange graue Haare. In den Händen hält sie eine Art Webrahmen aus Ästen und grade ist sie dabei, die Fäden zu spannen, die sie aus ihren Haaren herauszieht, silbern glänzen sie und dann greift sie in die Luft  und verwebt es sehr schnell, sehr geschickt..

Grüß Gott, sage ich, was webst Du denn da? Was hängt da in der Luft? Bist Du DIE mit den tausend Namen, von der die Alten sagten, daß sie irgendwo sitzt und alles verwebt, ihren Faden mit unseren Träumen und unserer Sehnsucht und unserer Angst, bist Du denn die Frau Holla , die Frau Percht…

Da sieht sie mich an, so tief und dunkel wie die Augen von Neugeborenen und Sterbenden…ich sehe in die unendlichen Tiefen des Universums, es wird mir schwindlig. „Papperlappapp“ sagt sie und springt auf, wirft ihren Webrahmen in die Luft und hinkt davon, plötzlich macht sie einen Luftsprung und lacht und lacht und verschwindet.

Der Nebel lichtet sich, das Meer zieht sich vorerst zurück, die Sonne trocknet den Meeresboden.

Dieses glockenhelle, fröhliche Lachen eines jungen Mädchens…

„Dämonen im Murimoos“

Tatsächlich gibt es noch so was wie einen „Schauerroman“, der Aargauer Schriftsteller Virgilio Masciadri hat ihn geschrieben: “ Dämonen im Murimoos“ heißt er und ich habe  mit größtem Vergnügen und ein wenig Gänsehaut leider schon über die Hälfte gelesen, sehr spannend, unheimlich, intelligent. Ein junger Aushilfslehrer kommt in ein kleines Gymnasium im Aargau und versucht, den Geheimnissen über das Ableben und Verschwinden etlicher Lehrkräfte auf die Spur zu kommen, dabei gerät er in persönliche Befindlichkeiten der ganz besonderen Art. Das Murimoos scheint  dabei nicht von geringer Bedeutung zu sein.

Hier am untersten Rand der Republik, in den südöstlichen Provinzen, ist die Schweiz ja nicht so weit entfernt…nur die Alpen liegen dazwischen.

 

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„…und wär´s nur um Geringes…“

Schatten

Baum, Wolke, Wasser und Schatten

Im Wind, der sie floh und fing,

Reden vom Glück, das wir hatten,

Raunen vom Leid, das verging.

 

Leid, Wind und Wasser; und ging es?

Und kam es? Und wann? Und wie?

Und wär´s auch nur um Geringes:

Die Rechnung rundet sich nie.

 

(Rudolf Alexander Schröder, geb.1878)

 

Vor vielen Jahren kam Susanne nach angeblichem Suizidversuch auf die geschlossene Station, ich war ihre Betreuerin. Sie hatte schwarzgefärbte Haare, schwarz umrandete, gescheite Augen, war sehr blaß und sehr zart, sprach sehr leise und war 18 Jahre alt. Ich war kaum zehn Jahre älter als sie, schleppte ein paar Tragödien hinter mir her, war keineswegs so souverän, wie ich mich gab und mindestens so melancholisch wie sie. Wir mochten uns auf Anhieb. Jede freie Minute und halbe Nachtdienste saß ich an ihrem Bett. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was wir sprachen, irgendwann fing sie an, Gedichte zu rezitieren, einfach so, aus dem Gedächtnis. Durch ihren Mund hörte ich zum ersten Mal „Das Gewitter der Rosen“, Verse von Karl Krolow, Georg Trakl, Christine Busta, Gedichte von Christine Lavant, die mir durch Mark und Bein gingen…vieles habe ich vergessen, auch an sie selbst kann ich mich kaum erinnern,  wahrscheinlich sah sie aus wie viele vor und nach ihr. Aber die Nähe zu ihr, die spüre ich noch heute, und sie hat mir ein Geschenk gemacht, durch das ich ein Leben lang ein wenig reicher wurde:  ich war es ihr wert, daß sie vor mir ihre Schätze ausgebreitet hat und sie wird es nie geahnt haben, wie sie damit mich heilte…

So wie sie gekommen war, verschwand sie bald, nie mehr haben wir uns wieder gesehen. Ein paar Seiten, aus einem alten Schulheft herausgefallen, darauf hingekritzelt, schnell als Abschiedsgeschenk  für mich…damit was bleibt von ihr?..ein wenig Poesie zum Überleben…“die Rechnung rundet sich nie“, aber , ein Leben lang schlepp ich sie mit mir herum, diese Zettel.

Schatten

Nein, Susanne, ich werde  Dich nie vergessen, Nie!