Archiv der Kategorie: Montag Mittag zwölf Uhr

Das ist ein Test.

#24 Hierhin und dahin

Man kann es doch verstehen, sagt die Nachbarin am Abend des Wahlsonntags nach Bekanntwerden der Ergebnisse. Ich hab „sie“ ja nicht gewählt, aber man muß sie halt verstehen, die Leute, sie sagen, wir haben immer noch mehr Ausländer hier und denen wird alles reingeschoben und wir  bekommen nichts … nein, das versteh ich ganz und gar nicht. Ja, mir ist das auch klar, daß diese Völkerwanderung über den ganzen Erdball große Probleme macht, Millionen Menschen sind unterwegs, suchen eine neue Heimat, weil sie es in der alten nicht mehr aushalten oder schlichtweg verhungern müssten. Ja, wir haben selbstverständlich Probleme mit den ganzen EinwanderInnen, da liegt sehr viel Arbeit vor uns und manches scheint unlösbar. Die Grenzen zu schließen, das ist mir zu einfach. Aber ich will keine Diskussionen mehr darüber, warum diese beiden Parteien populistisch so erfolgreich waren mit dem Verabreichen ihrer einfachen Antworten auf komplizierte Fragestellungen und den anfälligen Leuten honigsüßes Gift ums Maul schmierten, daß sie jetzt zweit- und drittstärkste Kräfte im Land sind.  Wir leben hier immer noch wie im Schlaraffenland. Ringsherum ist Krieg und Menschen werden gequält und umgebracht. Ich einige mich mit der Nachbarin drauf, daß die am meisten jammern, die Geld auf der Bank haben, die haben Angst, es könnt weniger werden. Es ist immer das Gleiche, die populistischen Schreier sind beliebt wie der Rattenfänger von Hameln. Wenn ich mir das Wahlergebnis hier vor Ort im Bergland anschaue, dann wird mir schlecht. Ich bin froh, daß die Wahl geheim ist, denn ich tät mich davor fürchten, wer alles sich der rechtsradikalen Marktschreierei zuwendet und an deren Giftinfusion hängt. Meine Güte! Aber ich denke nicht daran, die Hoffnung aufzugeben, denn es existieren auch noch andere Stimmen und andere Ansichten und es gibt immer mehr und mehr junge Menschen, die an konstruktiven Lösungen arbeiten, egal wieviel Steine ihnen von den ewiggestrigen Betonköpfen in den Weg gelegt werden.

Heute kommt plötzlich sandsturmartiger Wind über die Berge und fällt herunter auf den staubtrockenen Platz vor dem Haus. Flirrende Hitze und ratloses Verglühen zwischen Sommer und Herbst. Aus den Hagebutten fließt rote Farbe und läuft über den wilden Wein. Das Blut des Weißdorns rinnt am Stamm der Birke hinab, an die er sich schmiegt. Langsam verblutet das Jahr in der Illusion von Sommer, der längst schon Herbst ist.

Viele Weintrauben haben wir heuer, so viele wie noch nie, sie werden immer süßer. Weintrauben gab es früher nur, wenn jemand im Krankenhaus lag. Bei einem Besuch brachte man sie mit als Trost und Aufmunterung zum Gesundwerden. Manchmal, vor allem zum heiligen Muttertag, wurde meine Oma von denen besucht, die meine Mutter „Deine Mischpoke“ nannte und mein Vater „die ganze Bagage“. Da kamen dann seine Geschwister mit Anhang angereist und verwöhnten die Oma mit allen möglichen selbstgetöpferten Krüglein und anderen Merkwürdigkeiten, aber manchmal auch mit ein- zwei Weintrauben oder einer Orange. Das war auch für mich ein Festtag, denn die Oma schenkte mir gleich nach Verschwinden der Verwandtschaft einen Teil der Köstlichkeiten.

Daheim wuchsen keine Trauben, wir sind kein Weinland und es gibt auch an einem an den Hügel hingeduckten Bauernhaus hier im Voralpenland kaum Fläche, wo ein Weinstock wachsen könnte. Unserer ist deshalb auch ziemlich ungeschickt gepflanzt, wächst  über der Garage und wuchert gefährlich bis unters Dach und in die Dachrinnen hinein. Es erfordert schon heldenhaften Mut, ihn zu beschneiden, man muß hoch hinauf mit wackeligen Leitern und deshalb wuchert er überall herum und man kriegt das Garagentor nur noch mit Mühe auf und zu. Das Ernten kommt einer Mutprobe gleich, man hängt irgendwo im buschigen Nirgendwo und hat die süßen Trauben vor der Nase und wünscht sich ausfahrbare Arme …  das Glück ist groß, wenn man dann ein paar dieser wunderbaren, schwer erkämpften dunkelblauen Trauben in der Hand hat und sie beim Zerplatzen im Mund diesen göttlich-süßen Nektar freigeben!

Es ist  doch so … das Schöne und das Schlimme gibt es immer gleichzeitig. Im nahen Osten gehen die Bomben hoch, Menschen sterben, oder haben gräßliche Angst um die gefangenen Geiseln und wer kann sagen, wie kommen beide Seiten aus der Schuld, die man sich gegenseitig mit Raketen an den Kopf schießt, wieder heraus…

Und ich sitz mit der Freundin  zusammen und wir trinken einen Capucchino nach dem anderen und wir müssen soviel erzählen und soviel lachen und gleichzeitig könnten wir jederzeit auch weinen.

Die Dämmerung hat im Herbst eine ganz andere Farbe als im Frühling oder Sommer und es riecht ganz anders. Die Rosen nicken mal hierhin – mal dorthin im Abendwind.

Und hier schreibt die zwischen Wörtern und Bergen herumgehende Kraulquappe:

 

 

 

#23 Die Krähen sind auch wieder da

Nachdem ich den doppelt knieerneuerten Herrn Graugans in der täglichen Reha abgeliefert habe, fahre ich einen kleinen Umweg und setze mich auf einen großen Capucchino ins kleine Café beim Lieblingsbäcker. Ein angenehmer Platz in diesem völlig unscheinbaren Dorf direkt an der Salzburger Autobahn. Neben der Bäckerei ist die Kirche und neben der Kirche ist das Wirtshaus, so wie es sich gehört. Lange Zeit gab es keinen Bäcker mehr, der letzte einer alten Bäckerfamilie mußte aufhören und hatte keinen Nachfolger. Auch der kleine Edeka, Metzgerei, Friseur und Dorfdoktor sind weitergezogen. Aber welch ein Glück, der Bäcker, der die besten Brezn in der Region macht, nicht zu vergessen, die unwiderstehlich guten Nußbeugerln, hat hier eine Filiale eröffnet und einen Lagerraum,der früher ein Café war, wieder dahin zurückgebaut. Manchmal fahre ich mit unserer früheren Pächterin, einer alten Bäuerin hierher, es gibt einen Parkplatz direkt am Haus und sie muß mit ihren wehen Füssen nicht so weit gehen. Dann sitzen wir da und sie erzählt von dem Bittgang am Ulrichstag von Dorf zu Dorf, da haben sie auch hier gesessen, damals, vor so langer Zeit. Sie waren junge Mädchen und mit ein paar Pfennig konnten sie sich ein Kracherl (Limonade) leisten und dann haben sie aus dem Fenster eingehend die jungen Männer draußen am Kirchplatz angeschaut. Wenn sie davon erzählt, hat sie kleine Blitze in den Augen. Da lag das ganze Leben noch vor ihr. Sie mußte damals schon schwer arbeiten und so ist es auch geblieben. Jetzt ist sie 82 Jahre alt, krank und sitzt alleine in ihrer Küche. Und wenn ich sie abhole, dann sagt sie: „Gell, heut lassen wir es uns gutgehen!“ Und dann suchen wir eine Torte aus und sie vergißt für ein Stünderl den blöden Diabetes und alles andere, was innen und außen das Leben schwer macht. Und manchmal hört man durch den Lautsprecher den Pfarrer, der bei einer Beerdigung zu den Angehörigen spricht und man sieht, ob es eine „schöne Leich‘ “ ist, d.h. daß viele festlich gekleidete Menschen der/dem Toten das Geleit geben. Vor paar Tagen haben wir Geleitmusik gehört, einer hat die Zieharmonika gespielt, so wunderschön, daß mir weh ums Herz wurde, weil ich an meinen Papa, den Ziacherer, denken mußte, da hätte sich das genauso schön angehört.

Ich empfinde es als Ehre und Würdigung für ein gelebtes Leben, mit einer so schönen Musik in die Erde, die letzte Heimstätte des Körpers, hineingleiten zu dürfen.

Ich sitze gerne neben der Kirche und höre ihre Turmuhr schlagen und ihre Glocken bei den verschiedenen Ereignissen am Lebensweg, ob zu Beginn oder am Ende und, daß sie wie anderswo der Muezzin, die Gläubigen zum Gebet ruft. Und ich empfinde dabei meine christliche Prägung keinesfalls als Belastung, sondern als Glück.

Andere sehen das komplett anders, vor allem die, die in touristischer Absicht unterwegs sind und sich dann, wie die Verkäuferin berichtet, beschweren, weil sie sich bei der Übernachtung im Wohnmobil auf dem Dorfparkplatz vom Kirchturm beträchtlich in ihrer verdienten Urlaubsruhe gestört fühlen.

Manchmal hab ich den Eindruck, das oberbairische Bergland ist ein großer Ferienpark, leider gibts noch keine Chipkarte, wo man sich seinen Aufenthalt nach Erlebnis-Bedarf zusammenstellen kann … mit oder ohne Glocken, mit „Weißwürstchen“ zu jeder Tageszeit und mit Ketchup, wo die Brez „Brezzel“ heißt und man zu jeder Tag- und Nachtzeit „einen Maaas“ trinkt und die Mädels und Buas sich auf Knopfdruck drehen, bis man unter die Röcke kucken kann und leckere Jungs bei krachlederner Volxrocknroller- und zu Herzen gehender Gabaliermusik herum springen und Schuhe plättern… Hulapalu … hüben wie drüben ein Renner.

Beim nächsten Cafébesuch probier ich mal einen schwarzen Kuchen, sagt meine alte Freundin, schaumamoi, wer alles ins Geschäft kommt und ob ich jemand kenne … und ob sie mich kennen … Du weißt, wie ich das mein, Grete, gell!

The heart wants what it wants,
or else it does not care“…
Emily Dickinson, 1892 

Es ist mir ein Rätsel, wie die Kraulquappe trotz Radl- Hunde- Gepäcktransfer in unpünktlich- vollgestopftem Zug noch zum Schreiben kommt… Sie kann´s, weil sie sie ist! Gruß an dieses Wunderwesen!

#22 Danse Macabre

Vor ein paar Tagen, am 23. September, trafen sie sich wieder zum verabredeten Zeitpunkt. Pünktlich standen sie sich gegenüber und sahen sich an, für diesen kleinen Augenblick der Ewigkeit. Zwischen ihnen die Schwelle der Unendlichkeit, über ihnen die Sonne, die bald zur anderen Seite wandern würde.

Die Zusammenkunft bleibt nahezu unbemerkt. Wir gehen aufgeklärt und nüchtern durch unser Leben, die Zeit läuft an uns herunter und hinterläßt ihre klebrigen Alltagsschlieren, niemand hat Lust auf Hokuspokus mit alten Kräften. Aber das heißt ja nicht, daß sie deshalb nicht existieren, nicht wahr?

Auch ich hätte die Tag und Nachtgleiche vergessen, aber zum Glück habe ich eine Freundin, die Unsichtbares wahrnimmt und weitererzählt, denn Fledermäuse sind äußerst gesprächig, auch wenn sie nichts sagen.

Und deshalb sitze ich nun um 8.50 Uhr mit Kater Herbert vor dem Haus und wir schauen vor uns hin. Der Herbert schnurrt ganz leise, sonst ist es still in diesem Moment. Und da kommen sie alle: der Himmel in tiefblauem Umhang, die Erdmutter in langen braunen Röcken, der Herr Mond in verschiedenster Leibumfänglichkeit, das Leben, in einem farbenprächtigen Gewand mit tiefen Falten, etwas gehetzt und verschwitzt, aber relativ freundlich blickend, und ganz zum Schluß kommt ein edles Roß und auf ihm sitzt eine schöne graugewandete Dame, blaß und lächelnd.

Und dann beginnen sie über die Schwelle zu tanzen nach einer unhörbaren Musik … der Feuersalamander mit der Bachforelle, das Vergangene mit dem Zukünftigen, der Morgen mit dem Abend, die Graue Dame gleitet vom Pferd und tanzt mit dem Leben einen Tango, wie mir scheint … ich ziehe meine blutroten Tanzschuhe an und möchte mittanzen, dort auf der Schwelle zwischen Licht und Dunkelheit, raum- und zeitlos mich wiegen, einen Schritt vor, einen zurück, einen zur Seite … aber längst ist der Spuk vorbei. Alle sind verschwunden in die Tiefen des Universums, und so mache ich für mich allein die ersten Schritte in den Herbst.

Die Alten sagten, bis zum Vollmond hätten wir Zeit, uns vom Sommer zu verabschieden, Dank zu sagen für alles, was wir geschenkt bekamen, für reiche Ernte, für das Lachen, das Miteinander, für die Freundlichkeit von lieben Menschen, für all das Gück, das uns vor die Füsse rollte, für die Sterne in der Nacht und die vielen vielen Farben, die sich  vereinen und uns umhüllen in der Dunkelheit.

„… Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht …“

Friedrich Nietzsche

 

Und da ist die Frau Kraulquappe wieder aufgetaucht!

#21 „Leben, leben muß man, meine ich …“ (Oskar Maria Graf)

Wir sahen schon von Weitem die Lastwägen über die Bundesstraße in Richtung Stadt rollen, beladen mit den zerlegten Fahrgeschäften. Unterhalb der Felsen, auf die die Große Kreisstadt gebaut ist gibt es einen runden Platz, auf dem zweimal im Jahr, im Frühling und im Sommer, das Volksfest Einzug hielt, für mich war es das Paradies auf Erden. Die Musik, der Geruch nach Zimt und gebrannten Mandeln, alles war bezaubernd und wunderbar. Und alles war sehr teuer, schier unerschwinglich für Menschen mit wenig Geld und wir hatten für all diese Köstlichkeiten immer zu wenig Geld. Aber manchmal durfte ich mit dem Kettenkarussell bis weit über die Dächer, wenn nicht sogar direkt zum Himmel hinauf bis in die Wolken hinein fliegen, begleitet vom Klang der Drehorgel. Oder auf dem Feuerwehrauto mit bimmelnder Glocke rasant im Kreis herumsausen. Mein Vater und meine Mutter sind mal mit der Schiffsschaukel bis zum Anschlag hinaufgeflogen, weil mein Vater plötzlich verwegen wurde und wie ein Wilder antauchte. Manch ein Stadtmäderl, dessen Eltern Geschäftsleute waren und Geld hatten, trug voller Stolz ein großes Lebkuchenherz um den Hals gehängt. Sowas hätte ich auch gerne bekommen, wahrscheinlich auch meine Mutter, aber das konnten wir uns nicht leisten. Das Geheimnisvollste auf dem ganzen Volksfest war dieser Mann mit einem langen Kaftan, an dessen Gürtel ein Säbel hing. Auf dem Kopf hatte er einen runden roten Hut. Mein nahezu allwissender Papa wusste selbstverständlich, daß das ein Türke war, das erkannte man  an seinem Fez auf dem Kopf. Er stand hinter einem Holzkarren, auf dem ein glänzender Riesenbatzen lag, ein harter Klotz von gelb-rosa Farbe und so hart, daß er nur mit dem Säbel bearbeitet werden konnte. Für ein paar Pfennige gab es Splitter in ein Papier. Das sei der Türkische Honig und das Beste, was es gibt auf der Welt, sagte mein Papa. Wir mussten aber mit dem Schlecken warten bis daheim, damit man da auch noch was hatte. Der geheimnisvolle Herr Türke sah meine Kinderaugen voller Sehnsucht und kratzte ein paar Splitter für mich zusammen. Es war einfach unbeschreiblich, dieser Genuß, egal, wie verpappt dann Hände, Gesicht und Haare auch waren.

Jetzt hat das Oktoberfest wieder begonnen und es wird heftig geschimpft über Bier- und sonstige Preise und überhaupt über diesen ganzen Blödsinn. Ich liebe Rummelplätze und versteh überhaupt nicht, warum man da soviel schimpfen muß. Kein Mensch braucht eine Maß Bier für fast 15 Euro trinken,  diejenigen, die sich trotzdem bis zur Besinnungslosigkeit besaufen, werden das Geld hierfür schon haben. Ich mag Bierzelte überhaupt nicht und schon gar nicht dieses Unwesen, das Menschenmassen dort treiben und sich dicht aneinander gedrängt grölend und schunkelnd daneben benehmen. Für die einen ist es die reine Glückseligkeit, für die anderen ist so ein Ort wichtig, um Geschäfte anzubahnen. Wie dem auch sei,  Menschen wollen sich berauschen, seit es sie gibt … die einen saufen alleine zuhause und die anderen halt lieber in Gesellschaft.

Mein Vater hat oft erzählt, wie er mit seinen Freunden auf die Wiesn gefahren ist, zum Besaufen hätte das Geld nicht gereicht, das war ihnen auch überhaupt nicht wichtig, denn sie hatten nur einen großen Wunsch, sie wollten den Steilwandfahrern zuschauen. Und so fuhren sie die 120 km nach München zur Wiesn, mit den Schnauferln, heute heißen sie Bikes. Einer hatte eine Horex, der andere eine Triumph, und ein anderer fuhr eine Jap. Damit war er aber nicht so glücklich, denn die taugte nichts, angeblich. Von meinem Papa weiß ich nur, daß er sich seinen Lebenstraum, eine 500 er BMW nie erfüllen konnte. Da fuhren sie also, die Freundinnen hinten drauf oder mit Beiwagen und dann standen sie voller Glück dort und schauten den verwegenen Kerlen beim Steilwandfahren zu. Das Glück damals muß groß gewesen sein, er hat ein Leben lang davon erzählt.

Ich liebe Rummelplätze, diese Kackophonie der Musiken, diesen Duft, der über der ganzen Stadt zu liegen scheint, das und ich bin sicher, daß jede Frau glücklich ist, wenn sie ein Herzerl bekommt. Egal wie kitschig, überteuert oder sonstwas es ist, jeder Mensch freut sich über sowas. Ich hab auch mal eins bekommen vor vielen Jahren, und ich hab es solange aufgehoben, bis es zerbröselt ist.

Gestern kam der Einzug der Trachtenvereine im Fernsehen, 7 km marschieren alle. Mein Vater hat diese Marschiererei gehasst, ich mag sie auch nicht, aber als sie dann den Bayrischen Defiliermarsch gespielt haben, da war so ein bisserl ein Gefühl in mir, ein warmes Gefühl, ein Bewußtsein, zu dieser Nation zu gehören und da Heimat zu haben, auch wenn es noch so grauslige politische Verwerfungen gibt. Das ist trotz  allem ein Gefühl von „ja, da bin ich daheim“.

Dann kam eine geheimnisvolle Benachrichtigung, die besagte, daß an einer Stelle was für mich hinterlegt wurde, die zwar etwas unwegsam, aber für eine Fährtensucherin wie mich sicher auffindbar wäre. Da ich Geheimnisse liebe, hab ich mich sofort auf die Findung gemacht und dann war da ein Packerl mit türkischem Honig, gebrannten Mandeln und …

als ich schon vor Freude Rotz und Wasser geheult hab, hab ich auch noch das  Lebkuchenherzerl gefunden, auf dem steht: Alles wird gut!

Ja, ganz bestimmt, denn was auf einem Herzerl steht, geht hundertprozentig in Erfüllung!

 

Und da schreibt meine derzeit ziemlich aushäusige wunderbare Kraulquappen-Gefährtin!

#20 „Ist die Schwarze Köchin da?“

Wenn am frühen Abend die Sonne immer goldener wird, bevor sie dann als roter Ball in den Chiemsee fällt, fahre ich meine immer gleiche Radlrunde durch den Wald, vorbei an Wiesen und Äckern. Lange schon ist das Korn geerntet … ist ein Schnitter, heißt der Tod … nur der Mais steht noch. Auf den meisten Feldern wurde alles Unkraut vernichtet, nur bei ein paar wenigen durften an den äußeren Rändern wilder Beifuß, Beinwell, Schafgarbe sich ansiedeln und eine Schlingpflanze an den Maisstangen der vorderen Reihen sich emporranken. Als Kinder sind wir im Spätsommer gerne zu den Getreidefeldern und haben die wilden Erbsen roh aus den Schoten gegessen. Unzählige davon wuchsen dort und rankten sich um die Getreidehalme. Das, was sich jetzt um den Mais schlingt, schaut genauso aus und ich bekomme die alte Kinderlust, die Schoten aufzubrechen. Aber ich wage es nicht, vieles ist nicht mehr das, was man meint, daß es ist. Während ich durch den warmen Herbstabend fahre, läuten die Kirchenglocken mit warmen angenehmen Klängen. Früher mußten die Dorfkinder beim Läuten heimgehen … Wo sind eigentlich die Kinder, frage ich mich, wenn ich durch das Dorf fahre. Nirgends ist eines zu sehen. Mein Kinderfreund und ich, wir spielten damals an diesen warmen Abenden stundenlang „Bäreneintreiben“, da mußte man mit einem Stock eine alte Blechbüchse in ein Loch am Boden hinein bugsieren und sich gegenseitig dabei behindern. Oder wir spielten „Ochs am Berg“ und wenn mehrere Kinder da waren, „Räuber und Gendarm“.  Wir spielten auch „Fürchtet ihr euch vorm Schwarzen Mann“, das habe ich nicht als lustiges Spiel in Erinnerung, wenn ich heute an den Text denke, läuft mir immer noch ein Schauder über den Rücken. „Fürchtet ihr euch vorm schwarzen Mann? Nein, nein, nein! Wenn er aber kommt? Dann laufen wir davon!“ Wir rannten schreiend auseinander, niemand wusste bis dahin, welches Kind der Schwarze Mann war, niemand wollte sich von ihm berühren, fangen lassen … wir rannten um unser Leben. Hatten wir sowas wie eine Ahnung, daß der Schwarze Mann der Tod war?

Als Ausgleich gab es „Die schwarze Köchin“, vor der wir uns versteckten unter einem der zahlreichen Hollerbüsche. Heute weiß ich, daß es in diesem Spiel um die Geschichte einer uralten schwarzen Göttin geht, zu deren Reich man durch einen Eingang im Hollerbusch gelangt. Der Holunder war einst so heilig, daß mein Großvater und alle übrigen Männer in seiner Nähe ihren Hut abnahmen. Und obwohl diese Schwarze Köchin im Spiel sich Kinder holte, hat sie uns nicht geängstigt und wir saßen kichernd husch, husch, husch im Hollerbusch. Seltsam, wie ausgestorben die Dörfer in der langen Sommerferienzeit sind. Was wohl die Kinder heute für Spiele spielen, vor allem: Wo spielen sie? Man begegnet ihnen nicht mehr irgendwo draußen. Ihr Lachen ist so unhörbar geworden. Es gibt sie, doch wo sind sie nur?

Vorhin wurde es auf der Bundesstraße laut, sehr laut. Schon wieder dieses Dröhnen und dann kommen sie, die Panzer und alles übrige auch, das große Besteck sozusagen, alles rumpelt durch das Tal mit grausigem Krawall. Und dann gehen plötzlich zwei kleine Mädchen mit langen, wippenden Pferdeschwänzen an unserem Haus vorbei. Sie schleppen einen großen Einkaufskorb in Richtung Wald und sind so sehr in ihr Gespräch vertieft, daß sie gar nichts um sich wahrzunehmen scheinen. Nach kurzer Zeit kommen sie wieder zurück, der Korb ist noch leer und die beiden sind immer noch ganz versunken in ihr Gespräch. Anscheinend haben sie sich Wichtigstes mitzuteilen, zwischendurch lachen sie kurz und dann wieder sind sie mit so einer ausschließlichen Ernsthaftigkeit in die Sache vertieft, wie nur Kinder das können.

Der Militärkrach auf der Straße ist leider so  laut, daß ich nicht verstehen kann, über was sie reden, sie hören sich aufmerksam zu  und schauen einander an, wenn sie sprechen. Gemeinsam schleppen sie den Korb, die kleinen Hände sind sich so nah wie ihre Herzen.

Wie schön das ist, eine Freundin zu haben, der man alles erzählen kann, egal wie laut der Krach ringsherum auch sein mag.

Und hier erzählt die Kraulquappe!

#19 So schauts aus oder die Wahrhaftigkeit des Wurms

Völlig verfrüht fallen schon Äpfel von den Bäumen. Auch meine Lieblinge, die rotbackigen. Jeden einzelnen sammle ich auf. In manchen haben sich Gäste kunstvolle Ferienwohnungen gebaut mit geheimen Gängen, die sich labyrinthartig durch den Apfel schlängeln. Was für Kunstwerke doch so ein kleiner Wurm zustande bringt. Wenn ich im Vergleich dazu die baulichen Scheußlichkeiten sehe, die hierzulande entstehen, um dem Tourismus ein Oberbayern vorzugaukeln, das es gar nicht gibt … da ist mir die Wahrhaftigkeit des Wurms im Apfel viel lieber. Der erste Strudel ist immer ganz was besonderes, wurde sehnsüchtig erwartet und macht glücklich. Und ich staune immer wieder, was man aus Mehl, Wasser und im Höchstfall noch mit einem Ei, aber es geht auch ohne, und ein paar Falläpfeln für eine Köstlichkeit zaubern kann! Und ich empfinde große Dankbarkeit dafür, daß die Bäume trotz widrigster Wetterumstände ihre Gaben uns zum Geschenk machen.

Als ich den Einkaufsmarkt verlasse, bringt gerade die alte Frau den Chrysanthementopf aus ihrem Einkaufswagen zum Gestell mit den übrigen Blumen zurück und sucht einen anderen, schöneren aus für ihren Einkaufswagen. Ihr Mann hilft ihr dabei und versucht mit Engelsgeduld und großer Liebenswürdigkeit seine Frau zu einem Abschluß der Prozedur zu bewegen. Das tut er seit mindestens einer halben Stunde, denn als ich in den Laden hineinging, standen sie auch schon am Blumenständer. Wie aus der Zeit gefallen wirken die beiden, befasst mit der schier unlösbaren Aufgabe, sich inmitten von grenzenlosem Konsum zu einer Entscheidung durch zu quälen. Ich sitze da, desinfiziere meine Hände und sehe ihnen zu, wie sie langsam den Stein hinaufwälzen, der dann wieder hinunterfällt und das Ganze beginnt von Neuem, wie schon in uralter Geschichte erzählt. Nebenbei verlassen mit Billigfleisch zum Grillen vollbepackte Wägen den Markt, geschoben von Menschen in Badelatschen und viel zu kurzen Hosen und werden in SUV-Audi-BMW-Kofferräumen verstaut … eine Frau schreit ins Telefon, daß endlich mal jemand den Hund abholen müsse und daß ihr das jetzt scheißegal wäre … ein Mann ruft: Mutti, haben wir noch Butter? … die Mutti dreht sich um und geht leicht hinkend nochmal in den Markt. Der Mann geht einstweilen zum Auto und braucht all seine Kraft, die Heckklappe hoch zu bugsieren … ein kleiner alter Mann vor seinem riesigen Auto.

Die Benachrichtigung ist gekommen, morgen hole ich auf der Gemeinde die Wahlunterlagen und dann wähle ich die einzige Partei, von der ich mich derzeit vertreten fühle in meinen Anliegen. Nicht nur der Landesvater und sein zwar unglaubwürdiger aber allseits beliebter Vize, sondern nach wie vor „Kabarettistinnen“ hetzen gegen die Grünen, „weil die uns den Wohlstand nehmen wollen“ … ja, es jammern stets am lautesten die Wohlhabenden, das war schon immer so und wird sich nie ändern, Armut ist leise. Wirklich arme Menschen haben keine Stimme, die sagen nichts, weil sie sich schämen, gescheitert zu sein inmitten einer Welt der Sieger.

Schmerzhaft nach wie vor sind die Verhaltensweisen der eigenen Artgenossinnen, die das sogenannte „Gendern“ vehement bekämpfen, die aus grell mit Schminke verschmierten gelifteten Gesichtern gegen angebliche Verschandelung der schönen deutschen Sprache und gegen jegliche Verweiblichung anschreien. Sie bestehen darauf, Künstler zu sein, Bürger, Leser, Schriftsteller, Politiker … weiterhin Mitglieder ohne Glied in einem Patriarchat, das sie zwar einstens wüst beschimpft haben, aber das halt doch viel mehr Sicherheit gibt und Frauen vermeintlich Schutz bietet, vorausgesetzt, sie halten sich an die Regeln. Dazu gehört auch, daß über andere Frauen gehässig Gift und Galle gespritzt wird, so z.B. über dicke Frauen, die sich erdreisten, trotz Körperfülle Politik zu machen und tatsächlich sich für wertvolle Ernährung einsetzen.  Es ist bitter, mit welcher Ignoranz man es in den eigenen Reihen zu tun hat. In früheren Zeiten waren Frauen schlichtweg in der Öffentlichkeit nicht vorhanden und Männer verbaten ihnen das Studieren. Da brauchte es keine eigene Sprache. Jetzt sind Frauen vorhanden und wollen eine Sprache … zumindest so unverbesserliche wie ich und noch ein paar. Vor Jahren dachte ich, daß das großartige Buch von Luise Pusch:  „Die Frau ist nicht der Rede wert“ doch bald längst ausgedient hätte … weit gefehlt.

Aber auch da gibt es Hoffnung bei jungen Leuten, die ihren eigenen Kampf um diese Welt führen und für die so vieles, was in meiner Generation die Ewiggestrigen niemals lernen, z.B. eine angemessene Sprache, einfach selbstverständlich ist. Und damit das auch mal gesagt wird: ich bin unbedingt auf der Seite derer, die sich auf die Straße kleben oder sonstwas anstellen, um in einem schier auswegslosen Kampf alte Betonhirne zum Umdenken in eine Zukunft zu zwingen, die für Menschen auf diesem Planeten noch erlebbar ist.

Wir hatten heuer kaum Bienen, keine Wespen, keine Hornissen, keine Hummeln, fast keine Vögel mehr und keine Igel, es gibt kaum Obst, die Bäume sind entweder vertrocknet oder versumpft, die Fichten sterben und es wird weiterhin Monokultur betrieben und es werden mehrmals im Jahr hunderttausende Liter Gülle auf die Wiesen gespritzt, als ich beim letzten Gülletransport bei 32 Grad Hitze aus dem Haus getreten bin, hab ich mich übergeben müssen von diesem Gestank. Und es wird gebaut und gebaut und das Land versiegelt unter Parkplätzen riesiger Industriegebiete und unter Eigenheimen mit Doppelt- und Dreifachgaragen, natürlich mit Fußbodenheizung, damit das Auto nicht friert im Winter.

Trotz alledem trägt der alte Nußbaum hinterm Haus wunderbare Nüsse, die Rosen blühen immer noch, Brombeeren hängen dicht an den Büschen und ich such jetzt wieder in schnurrender und herumtollender Begleitung von eigenen und ständig zulaufenden Miezekatzen meine kleinen roten Äpfel im Gras zusammen und mach nochmal einen Apfelstrudel! Seid alle lieb gegrüßt, die Ihr hier mitlest!

 

Ganz liebe Grüße auch an die liebe Kraulquappe!

 

 

#18 „wie eine alte rose ist mein sein“

Hier in Bayern wird mal wieder herumexperimentiert, wie weit man sich der dunklen Seite der Macht nähern darf, bis sie alles verschlingt. Die Zeitung deckt einen Vorfall auf aus der Vergangenheit des Regierungszweiten, von dem wird erst mal alles abgestritten und dann bekennt der Bruder, daß dieses unsägliche antisemitische Geschreibsel, dessen braune Soße aus der Schultasche des damals 17 jährigen Hubert A. getropft ist, eigentlich von ihm verfasst wurde. Ob es reicht, das Ganze als Jugendstreich abzutun ist fraglich, vor allem, wenn man sich den weiteren politischen Lebensweg des H.A. ansieht und vor allem, was er so an Hetzsprüchen von sich gibt. Die Meute der Ewiggestrigen erteilt die Schuld an allem der Süddeutschen Zeitung, die dieses Schlamassel ja angerichtet hat, derweil die Luxuslimousine mit Fahrer darauf wartet, den Vize zum nächsten Einsatzort zu bringen. Eine dunkle Wolke legt sich über den Landesvater und seine Regierungsgeschäfte, es bleibt zu wünschen, daß er sie sieht und handelt.

milch tilgt
die nacht
über deinem gesicht
harfen
noch sterne
die mondenden
augen
taumeln
in finsternissen
wimmert der wolf. (Tom Riebe)

Um mich herum ist seit Monaten von Krankheit die Rede. Menschen, die mir nahestehen, müssen viele Stunden in Wartezimmern sitzen, über Diagnosen zittern, sich vor Therapien ängstigen und sie doch erhoffen, unzählige Untersuchungen über sich ergehen lassen und sich wie in der Kfz-Werkstatt Ersatzteile einbauen lassen und den Preis dafür zahlen. Ich kann nichts tun außer da sein, trösten, fragen, stützen, beten, Kerzen anzünden und hoffen, daß man gemeinsam die Lasten tragen kann. Das alles kostet nebenbei auch sehr viel Kraft, nimmt mich mit und macht mich müde. Leute sagen zu mir, ich sei sehr empathisch. Das Wort Empathie ist erst seit ein paar Jahren im Umlauf und hört sich an wie eine Mischung aus Apathie und Enphysem und ich habe immer ein komisches Gefühl, wenn es jemand über mich verhängt, meist mit einer anerkennenden Geste, die mir nicht behagt. Viele Jahre meines Lebens war ich überzeugt davon, daß jeder Mensch sein Gegenüber in seinen Empfindungen spüren und sich selbstverständlich in die Gefühlswelt der/des anderen automatisch hineinversetzt, wenn man miteinander spricht. Die extreme Durchlässigkeit ist ein Geschenk, gleichzeitig ziemlich anstrengend und manchmal ein Fluch. Niemand sucht sich das aus, man wird mit dieser „dünnen Haut“, wie mein Vater es nannte, geboren.

wenn der wind um dein haus streicht
bin ich sein tiefster ton
fürchte dich nicht
ich singe nur
ein lange vergangenes lied
schrill kommt es dir vor
bedrohlich –
dabei klagt es nur leise
und weint für sich selbst
einsam bricht es an allen winkeln
damit du es nicht mehr hören musst
stille wird sein
und singen
immerdar
fürchte dich nicht! (Tom Riebe)

Das Licht hat sich in den letzten Wochen schon verändert, der Himmel wuchs tiefer in seine blauen Unendlichkeiten hinein, die Hitze verlor nach und nach ihren aggressiven Unterton und wurde zur wärmenden Umarmung. Jetzt ist seine baldige Ankunft schon zu riechen, er schickt im Wald Geruch nach Harz, Pilzen und moosige Erde voraus. Und wenn er kommt, schüttelt er die Bäume, Äpfel und Nüsse fallen ins Gras. Er, der Herbst, wird Schwaden  hinter sich herziehen und das Nebelmeer wird sich im Tal ausbreiten und dann werde ich spazieren gehen auf dem Meeresboden.

wenn der mond mir
den arm langsehnt
rundet er
winziggroß
in meiner achselhöhle

enge ihn aus
es gibt keine zeit
des verweitens. (Tom Riebe)

 

Diese wunderbaren Gedichte und noch viele mehr stammen aus dem Buch: „herzwelk“, von Tom Riebe, illustriert von Marcel Herms. Das Buch ist bei Molokoprint erschienen. Eigentlich ist das Buch eher ein etwas fülligeres Heft und reiht sich bescheiden und ohne großes Tamtam, wie es Toms Art zu sein scheint, in die lange Reihe ein von Versensporn, Hefte für lyrische Reize.

Ich versuche seit Stunden herauszufinden, wer Tom Riebe ist … er trägt seine Vita nicht gerade auffällig vor sich her, gebe auf, sag nur das, was ich weiß und alles andere erfährt man zumindest teilweise auf der Seite von Versensporn. Ich weiß, daß es einen von ihm gegründeten Verein in Jena gibt: „Poesie schmeckt gut“.  Und es gibt eine Musikkneipe, in der eine Ausstellung von Toms Bildarbeiten hängt. Wenn die Kneipe in Jena nicht über 500 km entfernt wäre, dann hätt ich mir das schon längst angesehn im Alster

Ich bin auf Tom Riebe in Facebook aufmerksam geworden, da sind immer die neuen Hefte abgebildet. Wunderschön gemacht, mit Gedichten von längst vergessenen oder sonstwie verlorenen KünstlerInnen, deren Arbeiten er viel Zeit für Recherche und Klärung der Rechte widmet und ihnen Biographie und eine berührende, liebevolle Würdigung schenkt. Wer schon mal alleine nur Rechte abklären wollte, weiß, was für Arbeit da dahintersteht. Ich wollte mal unbedingt ein bestimmtes Bild von Edgar Ende für meinen Blog haben … eine unglaubliche Prozedur, Verhandlungen mit Erbengemeinschaft und deren Vertretung, meine Güte, und dann noch immense Kosten … ich habe aufgegeben und mir geschworen, nur mehr eigenes Material zu veröffentlichen, oder halt in Absprache mit einem noch lebendigen Künstler. (Danke Tom!)Reich wird er davon nicht, die Hefte kosten 4,00 Euro. Es scheint ein Herzensprojekt zu sein und wer es unterstützen möchte, dem kann ich es nur empfehlen!

„herzwelk“ liegt neben mir am Tisch. Die Gedichte wollen nichts sagen. Möchte ich sie beschreiben, werden sie unsichtbar. Meine Suche führt nicht in sie hinein. Aber sie halten sich längst auf in meinen Innenräumen. Dort lehnen sie an den Wänden. Im Vorübergehen streifen sie meine Seelenhaut.

wie eine alte rose ist mein sein
ganz aufgefächert
und vom rande her welk
nacheinander fallen die blätter
das ist schön zu nennen
und gut. (Tom Riebe)

Dank an Dich, lieber Tom!

 

Da schreibt die Kraulquappe

#17 Nomad

Im Grunde meines Herzens bin ich eine Nomadin. Das Kind einer heimatlosen Mutter, einer Schmierenkomödiantin mit Hang zum Vagabundieren  und einem Vater, der zu schwach war für seinen freien Geist und es nicht wagte, aus der schweren bäuerlichen Ärmlichkeit auszubrechen. Beide machten auf ihre Weise Versuche, meine Mutter wurde zur Säuferin und dann war sie tot. Mein Vater versuchte, den aufmüpfigen Rebellen in sich mit schwerer Blut und Boden Moral zu bändigen, aber manchmal gelang das nicht und er redete sich in ketzerische Diskurse hinein, nicht immer zur Freude diverser Besuche. Letztendlich blieb er als stark heimatverbundener Mann in der Enge seines Hofes sitzen. Vor vielen Jahre hat er mir mal anvertraut, daß er nur deshalb nicht verreisen mag, weil er Angst hat, er könnte auf den Geschmack kommen und dann womöglich nicht mehr heimwollen.

Und ich sitze da und schaue in die Dämmerung der blauen Stunde und dann kommt täglich zur gleichen Zeit eine Fledermaus und fliegt um mich herum und ich sehe sie vor dem noch hellen Himmel flattern, später höre ich nur noch ihren Flügelschlag und spüre den leisen Windhauch, wenn sie ganz nah an meinem Kopf vorbei ihre immer gleichen Runden zieht. Wir sagen beide nichts, aber wir spüren einander. Es ist diese Schwellenzeit, in der es sich gut dem Leben nachsinnen läßt.

Bei Bruce Chatwin hat es wohl angefangen, dieses Interesse für nomadisches Leben, aber obwohl ich alle Bücher, bis hin zu den Briefen und „Der Traum des Ruhelosen“, die ich jetzt zum Geburtstag bekam in mich aufsauge, fühlte ich mich lange seinen Worten zwar sehr verbunden, aber nicht direkt wesensverwandt in der nomadischen Lebensweise. Er vertritt in allen seinen Büchern die Meinung, daß im Menschen das Nomadentum als Urtrieb angelegt sei. Ich dachte immer, so seßhaft wie ich lebe, hätte ich diesen Trieb auf keinen Fall.

Ich erforsche zwar seit vielen Jahren das Rotwelsche, die Sprache der Fahrenden und Vagabunden und vor allem diese Verbindungslinien zur Mundart … aber selber fahre ich zwar gerne los, aber ich komme nicht gerne an, ich mag keine Ziele, deshalb mag ich auch keinen Urlaub, ich bin einfach nur gerne unterwegs.  Ich bin so gerne unterwegs. Ohne Ziel. Ohne das Ankommen an einem Ort mit seinen Regeln, an die man sich dann halten muß.

Das ist es, dieses Unterwegssein. Vielleicht ist es eine Mischung aus Nomadin und Vagabundin, eine Strawanzerin und Herumtreiberin … ein Sichtreibenlassen, das spüre ich jetzt mit 71 Jahren immer deutlicher als eine starke lebenslange Wesensart in mir. Das ist immer schon in mir und es heißt nicht unbedingt, daß da immer äußere Bewegung stattfinden muß, Nomadin bin ich auch im Kopf, ich bin eigentlich immer unterwegs … immer.

Gestern habe ich einen Film angesehen, dem ich bisher aus dem Weg gegangen bin, weil ich Oscarfilme meist nicht mag. Bei dem Film „Nomadland“ kommt es ganz dick, er hat nicht nur drei Oscars, sondern unzählige andere Preise gewonnen, und solchen Filmen weiche ich normalerweise aus. Aber dieses Mal hat mich einzig und allein die Sehnsucht getrieben, das Gesicht von Frances McDormand anzuschauen, denn das alleine ist schon jeden Film wert.

In dem 2020 gedrehten Film von Chloe Zhao spielt sie eine 60 jährige Frau, die um ihren verstorbenen Mann trauert. Der Gipssteinbruch irgendwo in Nevada, in dem sie gearbeitet hat, wurde stillgelegt. Ihre Heimatstadt ist entvölkert, alle gingen weg, weil sie nach Schließung dieses Betriebs keine Arbeit mehr fanden und sie geht auch. Sie verläßt ihr Haus und fährt mit ihrem Van, in dem sie auch lebt, durchs Land. Sie bleibt dort, wo sie Arbeit findet und fährt wieder weiter, immer weiter. Und sie trifft auf ihrer Fahrt andere, Nomaden wie sie, die es auch so machen.

Da gibt es eine Welt, eine Art Subkultur neben oder unter dem Sozialbewußtsein des Mainstreams. Menschen, die heraustreten aus dem gängigen kapitalistischen Gesellschaftssystem und sich freiwillig für ein Leben an der Außenseite entscheiden. Der Film versinkt keineswegs in Mitleid oder prangert irgendwelche schlimmen Zustände an, sondern zeigt unerschütterlich realistisch einen Lebensentwurf von mutigen Menschen, die genauso leben wollen, wie sie leben. Viele der Mitwirkenden sind LaiendarstellerInnen und spielen sich selbst.

Ich werde mir diesen Film sicher noch viele Male anschauen, er ist jetzt schon an oberster Stelle meiner Lieblingsfilme angelangt.  Das, was mich bis ins Herz hinein berührt ist das, was ich im Gesicht von Frances McDormand sehen kann, eigentlich bräuchte sie gar keinen Text, ich sehe und spüre, was sie empfindet. Ihr ganzes Leben ist in ihrem Gesicht und da ist auch meins dabei und eigentlich bin ich schon unterwegs mit ihr.

Und da
schwimmt oder grundelt die liebe Kraulquappe

 

#15 Und irgendwann bleib i dann dort

Meistens fahren wir beim Heimkommen auf sie zu. Gestern fuhren wir aus den Bergen wieder heraus, als der Film aus war. Mein Geburtstagsgeschenk, zwei Kinokarten, lösten wir ein auf die denkbar angenehmste Weise: ein bis ins Detail liebevoll gemachter Film  („Griechenland“) , viel blaues Meer, das eine Insel umspült, wunderbare SchauspielerInnen, denen man die Spielfreude ansieht und diese immer leicht melancholische griechische Musik … ein Genuß! Sommer, Sonne, Meer – ein leichtes griechisches Märchen über einen verlorenen Sohn, der erst beim Tod des unbekannten Vaters auf Umwegen entdeckt, wer er wirklich ist. Auch eine Boulevardkomödie ist nur dann gut, wenn sie gut gemacht ist, hier ist es der österreichischen Crew gelungen! Am Schönsten ist, schon im Nachspann, der Auftritt des Gert Steinbäcker, das ist zum Herz überlaufen.

Das kleine Kino, das Ergebnis einer äußerst sinnvoll genutzten Auszeit in der Pandemie, wurde liebevoll umgebaut und ist auch ohne Film schon ein Ort der Verzauberung. Roter Samtvorhang, bequeme Bestuhlung, ein wenig Plüsch, viele alte Filmplakate und vor allem die freundliche Anwesenheit der Besitzer. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal eine persönliche Platzanweisung erlebt habe. Es ist immer wieder ganz erstaunlich, wie man sich an einem Ort willkommen fühlen kann, wenn man von freundlich lächelnden Menschen empfangen wird. Ich werde sicher noch ganz oft die 25 km nach Bad Reichenhall fahren, um im Parkkino mal für paar Stunden den Alltag zu vergessen und ins Land der Träume einzutauchen..

Nicht weit weg, in Großgmain hat Ilse Aichinger mit ihrem Mann Günter Eich und ihren Kindern ca. 20 Jahre gelebt. Immer, wenn ich im Kino sitze, denke ich an sie und daß sie sich jahrelang in Wien die immer gleichen Filme angeschaut hat. Ihr Kino gibt es heute nicht mehr und Ilse Aichinger auch nicht.

Die Berge umstehen diesen Kessel mit der uralten Salzstadt und gestern zeigten sie keineswegs ihr Tourismus freundliches Gesicht. Regengrau und von wabernden Wolken umdampft standen sie da, diese riesigen Steinbrocken, bedrohlich und abweisend. Das mag ich gerne, ich mag auch dieses Waschküchenwetter, den Geruch nach Schwammerln und den modernden Hinweis auf den Herbst, denn der Sommer ist ja nur eine Illusion, ein Traum von einer heilen Welt und ich bin froh, wenn dieser Sommer nicht das tut, was er soll, nämlich ständig zu zeigen, wie schön doch unser Bayernland ist. Denn dieses Land ist auch nicht schöner wie alle anderen Bundesländer und auch die Berge sind nicht schön, sondern sie sind, was sie sind und mir sind sie halt Heimat. Das bairische Deutsch mit seinen unzähligen Nuancen ist auch nicht schöner als andere Regionalsprachen, sondern ist längst auch dem Untergang geweiht wie alle übrigen Dialektformen. Alles läuft auf die Einheitssprache des Schriftdeutschen zu, das vereinfacht und leicht zu handhaben ist, weil man es so spricht, wie man es schreibt.

Ich kann es nicht mehr hören, dieses Gelabere über  „unser schönes Land“ … es wird mir schlecht, wenn ich sehe, was grad vor paar Tagen in einer Ortschaft am Chiemsee passiert ist bei einer Wahlveranstaltung von den Grünen, wo die armen Bauern mit ihren riesigen Treckern vorgefahren sind und sich in gewalttätiger Weise am grünen Landwirtschaftsminister  für das rächen wollten, was in all den Jahren die stets immer wieder gewählte Volkspartei zu feig war, auszusprechen. Das ist alles ein ganz großer Saustall und treibt, mit Hilfe von MarktschreierInnen mit Kulturanspruch in unüberhörbar rechtsradikales Gelände  und sie merken wieder nicht, daß sie vor den nächsten Karren gespannt werden.

Mit all denen, die sich aufführen, daß es nur noch zum Grausen ist, bilde ich sicher kein „Wir“ oder „Uns“, sondern ich schäme mich einfach nur noch.

Manchmal erinnert mich alles an die Zeit, als „Die Republikaner“ auftauchten mit dem charismatischen Heilsverkünder Schönhuber, der so entwaffnend „ehrlich“ zugab: Ich war dabei. Dieses unsägliche Machwerk landete tatsächlich auch auf unserem Stubentisch, weil ihm mein Vater kurzzeitig fast ins Netz gegangen wäre. Aber es dauerte nicht lang, dann hatte er die primitive Show durchschaut und bald waren die REP. wieder verschwunden, aber gegen das, was jetzt sein Unwesen treibt, waren die wahrscheinlich noch relativ harmlos.

Was gibts sonst noch? Kater Herbert frißt Tag und Nacht und wird immer dünner und weniger. Eine Blutuntersuchung ergab eine Schilddrüsenüberfunktion, jetzt muß er zweimal täglich Tropfen nehmen, d.h. ich muß sie ihm mittels Spritze ins Maul befördern. Die Tropfen scheinen ihm zu schmecken, die Aktion mag er weniger. Auf die Aussage, man möchte sich keine Tiere anschaffen, weil die dann krank werden und sterben, pflege ich zu sagen, daß man sich dann ja auch auf keinen Fall einen Menschen anschaffen sollte, denn da hat man’s über kurz oder lang auch mit Krankheit und Tod zu tun!

Ein Regenbogen spannt sich über den Himmel, das eine Ende fließt an einer Stelle hinein in den Högel und taucht die Bergkuppe in schillerndes Farbenspiel. Da liegt jetzt dieser riesige Schatz verborgen, wenn ich es schaffe, schnell genug hinzusausen, dann grabe ich ihn aus.

Aber wahrscheinlicher ist, daß ich anschließend beim Einkaufen eine große Packung „Mirácoli“ kaufe, werde sie selber kochen, weil wir uns nicht mehr, wie früher, dazu einladen. Schade eigentlich, denn wer bräuchte nicht dringend hin und wieder mal ein Wunder?

 

Und da gehts zur Tarte-Wunder-Bäckerin