Archiv für den Monat: Juni 2015

Canzun de Sontga Margriata

Drachen seien älter als die Welt, hat mal wer geschrieben, ja, das glaube ich sofort.
Auf der ganzen Welt gibt es Drachen. Auch hier, in Oberbayern, sollen sie vorkommen, dachte man wenigstens in alten Zeiten und erzählte sich Geschichten. An mehreren Orten soll es den „Tatzelwurm“ gegeben haben und wenn man mal den ganzen romantischen Monsterkitsch weglässt, der ihm aus Gründen der Touristenbegruselung angedichtet wurde, dann wird dahinter in Drachengestalt eine mächtige, Alte Kraft sichtbar. Über das Land ist ein dichtes Netz von Kirchen gespannt, die der Hl. Margarete geweiht sind, und die führte den Drachen an lockerer Leine. Die Hl. Margarete, eine der Drei Ewigen, mächtige Zauberin, Fee, Hüterin der Alten Wilden Kraft, die zwar gezähmt, aber an sehr lockerer Leine an ihrer Seite tänzelt, ja, Margarete, die mit dem Drachen tanzt! Kirchen wurden nur an Orten mit besonderen Kräften gebaut. Wie alles zusammenhängt: Linien der Kraft, heilige Orte, die Drachenspur…niemand kann heute mehr sagen, um was es da genau geht, das, was an Wissen über die Mysterien der Alten Kräfte übrigblieb, nachdem unzählige weise Frauen und Männer im Mittelalter verbrannt oder förmlich abgeschlachtet wurden, das haben die Winde der Gezeiten verweht.
Heute können wir nur noch behutsam die sogenannten Orte der Kraft aufsuchen und versuchen, zu spüren und zu horchen und uns nicht dem reisserischen Erlebnisdrang hingeben…denn wir finden nur uns selbst und wir bekommen das, was wir mitbringen…und doch…es gibt schon sehr besondere Orte, wo wir die Chance bekommen, ein wenig genauer zu spüren, was ist…es ist nicht zu erklären, was genau da passiert. Ich ahne es mehr als ich es weiß, ich muß der Spur der Margarete folgen, oder ist es die Spur des Drachens und ich weiß nicht einmal, wo es mich hinbringen wird…im Höchstfall zu mir, so hoffe ich.
„Erkenne dich selbst“, stand im Orakel von Delphi und soll die Antwort auf die Großen Mysterien sein.
Auf der Spur der Margarete bin ich zur uralten Geschichte der Sontga Margriata gestossen, in vorchristlicher Zeit soll sie auf einer Alm am Kunkelspass in der Schweiz gelebt haben und es gibt dieses geheimnisvolle Lied über sie in rätoromanischer Sprache…da arbeitet eine „Diale“ (räroroman. für ein feenartiges, nichtmenschliches weibl. Wesen), eine mächtige Zauberin verkleidet als Sennbursche auf einer Alm ganz hoch droben und weil sie nicht respektiert wird verschwindet sie…alles Glück geht mit ihr fort…

„Abschied von den Fröschen“

Mal wieder habe ich mir eine Nacht um die Ohren geschlagen, denn die Filme, die mir wirklich wichtig sind, die mir unter die Haut gehen, mir helfen, zu Sein  und mir den Blick erweitern und sich dadurch weiteste Weiten und Räume auftun, indem ich kleinste Parzellen erforschen darf und Reisen in die Große Unendlichkeit draussen im Weltall und im Inneren Wassertropfen meiner Seele, diese Filme können anscheinend nur dieser Handvoll Verrückter, die in größtmöglicher Einsamkeit nächtens vor den Fernsehern kauern, zugemutet werden!

Seitdem ich  heut Nacht aus dem Film: „Abschied von den Fröschen“ von Ulrich Schamoni wieder auftauchte, bin ich von tiefem Dank erfüllt für dieses Erlebnis. Ein großer Regisseur, dieser Ulrich Schamoni. Er hat sich gefilmt, sich und sein Leben, bis zum Schluß. Der Film handelt von einer Zeitspanne von ungefähr eineinhalb Jahren bis ein paar Tage vor seinem Tod und spielt im Haus, aber vor allem im Garten seines Hauses im Grunewald. Und es sind wohl an die 170 Stunden Filmmaterial geworden, die nach seinem Tod 1998 von seiner Tochter zu Spielfilmlänge geschnitten wurden. Anscheinend lief der Film 2012 in den Kinos, da habe ich ihn leider verpasst, bin aber froh und dankbar, daß ich ihn nun auf 3Sat sehen konnte.

Ja, selbstverständlich ist dieser Film eine Geschichte der Vergänglichkeit, einer geht durch sein Reich, zeigt Bilder aus dem Mikrokosmos seines Gartens, zeigt das Leben in seiner Fülle und wie es sich lebt und wieder vergeht und erzählt aus dem eigenen aktuellen Menschenleben, wie er mit seiner Krankheit umgeht und was er gerade so denkt und erforscht und was ihn brennend interessiert. Ein Dokument über vergehende Zeit.

Das, was mich bis in die Grundfesten berührt, ist die Art und Weise, wie er durch sein Leben geht, wie er es filmt. Ohne jegliches Pathos nämlich, ohne Sentimentalität, mit diesem überwältigendem Humor, der ja nur dort wahrhaftig gedeihen kann, wo auch der Tod daneben sitzt und auch zu schmunzeln beginnt, ja, dieser Humor…den kenne ich, den hatte meine Mutter auch bis zuletzt.

Das Erschütternste und Wunderbarste, das, was weinen läßt und glücklich macht, das ist diese große Liebe, die aus den glänzenden, staunenden Kinderaugen dieses totkranken Gesichts von Ulrich Schamoni herausstrahlt…ein inneres Leuchten, eine Liebe zu allem, einfach zu allem, was ist. Haben Sie Dank, sehr verehrter Ulrich Schamoni für diesen liebenden Blick, er ist angekommen und in mein Herz geflossen. Mögen die Engel Sie auf Händen tragen für immer und alle Zeit.

Der Film „Abschied von den Fröschen“ ist in der Mediathek von 3Sat noch für ein paar Tage zu sehen.

 

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Die Fremden

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Dieses Bild, gemacht von einem Fotografen in Neutitschein (Novy Njcin) in einem altmodischen Rahmen, liegt seit Jahrzehnten bei uns herum, niemand wusste mehr, wer die Leute auf dem Foto waren. Ich nehme an, es sind nahe Verwandte der Geschwister Ritz, womöglich die Eltern, und der junge Mann, ist es der „Herr Ritz“? Ähnlichkeit wäre vorhanden. Was nimmt man mit, wenn man verjagt wird und ganz schnell ein paar wenige Habseligkeiten zusammenpacken kann? Ja, ein Foto der Eltern, das nimmt man mit, glaub ich. Jan M. Piskorski schreibt in seinem Buch: „Die Verjagten“, daß Menschen den Wohnungs- oder Hausschlüssel mitnehmen, sie sperren ab, bevor sie weg müssen und dieser Schlüssel wird aufbewahrt an neuen, erzwungenen Lebensorten. Einen Schlüssel gibt es nicht mehr, aber ein Poesiealbum und eine Urkunde über bestandene Gehilfenprüfung im Nähhandwerk.

Die fremden Menschen, Fremde unter Fremden, die hiessen dann „Flüchtlinge“ und ihre Kinder sind die Kinder von Flüchtlingen, ein Leben lang.  Und auch die nachfolgende Generation trägt diese Traumata von Verjagtwerden oder Flüchtenmüssen mit sich herum, mehr als wir ahnen.

In den siebziger Jahren kamen wieder Fremde, die hießen auch so: „Die Fremden“ und es waren Menschen „von oben herunter“, das heißt, aus Norddeutschland und sie wollten hier im Voralpenland Urlaub machen. Mancherorts wurden sie am Bahnhof mit Blasmusik begrüßt, man freute sich, denn diese Fremden brachten Geld in die Häuser. Den Sommer über wurde manch eine Familie in den stickigen Dachboden ausquartiert, die übrigen Zimmer wurden zu „Fremdenzimmern“ umgestaltet. Und alles nahm so seinen Lauf. Da die Fremden Geld brachten, bekamen sie alles, was sie wollten, es wurde die volkstümliche Musik erfunden, es gab Heimatabende mit krachledernem Getue und langsam mutierte das Land, den Fremden zuliebe und ihrem Geld, zu einem einzigen Komödienstadl und die Geranienfluten an Balkonen und den Miedern der Jungfrauen wippten den Takt dazu, der Schweinsbraten hieß ab jetzt Schweinebraten, die Fleischpflanzl wurden zu Frikadellen und die Semmeln zu Brötchen.

Heute ist der Tourismus zu einer Industrie geworden und hat sich, wie überall, der Zeit angepasst, das heißt, das Land wird zubetoniert und kann sich kaum mehr rühren unter Wellnessanlagen, Funcentern und Erlebnisparks, denn „man muß den Leuten ja was bieten!“

Die Freude läßt sich davon bis heute nicht verführen, die hat ihre ganz eigenen Gesetze, genauso wie die Liebe und das Glück. Tröstlich, aber auch ein wenig traurig.

Ja, und die Fremden, die heißen heute längst schon Touristen und die Anderen, die kein Geld bringen und sehr fremd sind, die heißen „Asylanten“. Jetzt sind wir mal beim Spazierengehen in eins dieser unglückseligen Gespräche geraten, die man vermeiden sollte, aber dann darf man mit niemandem mehr reden…es ging um den geplanten Ausbau der Autobahn unter einem Hügel durch, um zu fünf Spuren zu gelangen und da kam die Bemerkung: „Das können wir uns nicht leisten, der Staat hat doch kein Geld mehr, weil uns die da, die ständig ins Land hereindrücken, armfressen!“ Die Flüchtlinge also wieder und wieder und wieder! Wo denn da die Armut wäre, wenn ich am Aldiparkplatz stehe und vor mir ein Audicoupet, rechts neben mir ein großer Audi und links neben mir ein Mercedes – Geländewagen und hinter mir fährt grad ein Sportwagen vorbei, dem man die 100000 EUR schon ansieht…ach, völliges Unverständnis.

Die Fremden, ohne Geld sind sie nirgends erwünscht.

Noch heute frage ich mich, ob meine Flüchtlingsmutter und mein Vater die Flüchtlinge auch ohne Zwang aufgenommen hätten? Ich glaube schon. Ich hoffe es . Und wir, heute?