Archiv der Kategorie: Music is the BEST (Zappa)

Himmelwasser

Schon ist der langersehnte Höhepunkt überschritten. Unglaubliche Freude über die ersten Kirschen, ein ganzes Jahr davon geträumt, den Mund zu voll, Klebriges tropft von den Lippen am Hals entlang und versickert im Rot der Bluse.  Die Kerne ins Gras gespuckt, dann den kleinen weißen Wolken nachgesehen, wie sie durch das obszön blaue Himmelwasser davonsegeln. Nichts bleibt, aus Blüten werden Früchte und die fallen zu Boden. Der Sommer ist ein Gefühl von früher. Damals hat sich die Zeit ausgedehnt in die Unendlichkeit staubiger Langeweile. Jetzt ist es anders. Ich fahre mit dem Rad durch Wald und Hochsommer, auf der Straße flirrende Hitze, nirgendwo sind Kinder zu sehen. Uns war es früher oft sehr fad in den Großen Ferien und dann immer der gleiche Spruch: Papa, mir ist sooo langweilig! Und alle Erwachsenen gaben zur Antwort: Ach, hast Du es schön, ich wollte, mir wäre langweilig. Und wenn ich nicht gewußt habe, wohin mit mir, dann bin ich zu meiner Freundin geradelt und wir haben Musik gehört, einfach nur Musik aus dem Radio oder später von den Singles oder noch später von den mühsam zusammengesparten LPs. Aber da war dann schon eine neue Zeit angebrochen, der Ernst des Lebens, sozusagen, hat die Musik auf Nebenschauplätze verwiesen.

Heute sehne ich mich manchmal danach, einfach Dich oder Dich oder Dich anzurufen, wir treffen uns irgendwo daheim und dann sitzen wir am Boden neben dem Plattenspieler und hören unsere Lieblinge und lachen über manches Machwerk, das uns früher gefallen hat … natürlich „Nights In White Satin“ und was halt alles so jeder mitgebracht hat … und wir essen Erdnüsse und dazu gibt es Cola mit irgendwas drin und alles andere ist vergessen, es gibt nur noch Musik, Musik, Musik und plötzlich ist Morgengrauen und alle müssen heim und dann stehen wir mit glänzenden Augen an der Tür, noch einen Schluck Kaffee und dann fällt noch jemand diese ultimative, erste Schwermetallscheibe in seinem Leben ein, und dann müssen aber wirklich alle los…

Niemand macht sowas mehr … schade eigentlich, nicht wahr … es wäre so einfach, man müsste nur die alten Platten suchen und den Hörer in die Hand nehmen …

 

Kein großes Hoffest heuer zum Beginn meiner „Route 67“, kein Wilder Westen (naja, Südosten) am Fuß der Blauen Berge mit viel Lieblingsmusik von Willie Nelson und Konsorten, lassowerfenden Cowboys, versprengten Dakotas, Rauchzeichen und schwingenden Saloontüren … nein, dafür wochenlanges Sitzen am Krankenbett, in dem der Rancher mit „Bauchschuß“ liegt, Zeiten mit Hoffen und Bangen und Auseinandersetzen mit fragwürdigen Diagnosen, Meßwerten und Prognosen und einem entmenschlichten Krankenhaussystem. Vorsichtiges Durchschnaufen und den Sommer dahinziehen lassen, dankbar freuen über Musik und gute Worte in der Geburtstagsnacht, über Geschichten mit Menschen, immer sind es Menschen, die über alle Distanzen hinweg eine Hand ausstrecken und ihren Herzschlag hörbar machen.

Am Stubenfenster ist ein architektonisches Meisterwerk entstanden. Auf einer alten Kalebasse, seit Jahren zwischen Stange und Fenster zum Trocknen vergessen, wurde in wackeliger Schräglage ein Stil aus zerkauter Holzfaser geklebt, auf ihm ein Haus gebaut, vertikal, ohne schützende Hülle. Die Waben darin offen und frei. So machen sie das immer, die wilden gallischen Feldwespen. Eine der überwinterten Jungköniginnen beginnt,  es kommen dann andere Frauen dazu, und in poligyner Gemeinschaftsarbeit bauen sie das Nest, nach Ende der Bauzeit wählen sie eine zur Königin, die anderen werden zu Arbeiterinnen und betreuen die Brut. Wenn es zu heiß ist, dann sitzen sie da und flattern kühlend mit den Flügeln, wenn es abkühlt, liegen alle ausgebreitet wärmend über den Waben. Ein sehr friedliches Volk, es werden schwere Tropfen Blütenwasser angeschleppt und Unmengen von kleineren Insekten. Alle wissen, was zu tun ist und wer welche Aufgabe hat, wie gebaut, gelebt, begattet wird, wer sterben muß und wer den Winter überleben wird. Alles geht seinen Gang, solange kein Mensch die absolute Harmonie zerstört.

Der Mond der reifenden Beeren, wie diese Zeit im indianischen Medizinrad genannt wird, geht seinem Ende zu und verwandelt sich langsam in den Mond der Ernte. Nichts bleibt stehen, alles ist immer in Bewegung, die Sterne kreisen um uns und wir um die Sterne. Kein Anfang, kein Ende, der Höhepunkt des Jahres ist überschritten, Kreisen im ewigen Tanz von Werden und Vergehen.

Wie alle mit Löwenfeuer Geborenen, habe auch ich als Lebensaufgabe, Freude in die Welt zu bringen und den inneren Glutstock gut zu pflegen, um Frierende zu wärmen. Aber wenn ich vergesse, rechtzeitig nachzuladen, dann ist auch bei mir der Akku leer.

Und dann dieses Lied, genau zum richtgen Zeitpunkt …

hab Dank, Freund!

Now, Baby Blue …

Gewidmet dem geliebten Herrn Graugans in großer Dankbarkeit!

Brütende Hitze in der Scheune, dem ehemaligen Heuboden des alten Hofes, ich stehe im Dämmerlicht auf dem verrutschten Teppich, der mal Tanzfläche war und sehe mich um … keine Spuren mehr vom großen Fest, das hier stattgefunden hat. Ein paar vergessene Flaschen umgefallen in einem Eck,  ein Schild „Route 66“ leuchtet auf, als ich an ihm vorbeigehe, eine kleine rote Blume aus Krepp liegt am Boden vor den ordentlich an die Wand gelehnten Tischen und Bänken … ein Tiger aus Pappmaché lehnt an einem Mauervorsprung, Sonne, Mond und Stern, ausgeschnitten und mit Alufolie verkleidet, drehen sich an einer Schnur über mir, alles steht an seinem Platz, der kleine alte Traktor riecht nach Motorenöl, und in der Luft liegt der vertraute Geruch nach altem Holz und Staub. Das Fest ist längst vorbei, alle Gäste sind in ihre Leben heimgekehrt, die nicht enden wollenden Dankesreden für das Glück dieser Musiksommernacht werden weniger, der Rausch ist vorüber; wenn der Höhepunkt erreicht wird und keine Steigerung mehr möglich ist, dann geht es zurück ins Tal der normalen Wirklichkeit.

Ein außergewöhnliches Fest, schade, daß es schon vorbei ist, ich hätte gerne immer weitergetanzt, alles vergeht so schnell … da stehen ja noch die Boxen … „you must leave now, take what you need, you think will last, but whatever you wish to keep, you better grab it fast …“

Ein Schnur fällt von irgendwo herunter, daran hängen zwei ramponierte Lampions, die über den Boden torkeln und sich aneinanderklammern, wie die Paare dieses Wettbewerbs im Dauertanzen in diesem Film, dessen Titel mir nicht mehr einfällt. Love and Peace steht an der Wand.

Ich bin alleine, ich spiele das Lied immer und immer wieder, die Stimme von Eric Burdon dringt mir ins Herz, warum werde ich denn auf einmal so unendlich traurig? Ich beginne, mich langsam zu bewegen, wie in Trance drehe ich mich im Kreis und sehe Eure glänzenden Augen … es ist leicht, ein schönes Fest für Menschen zu machen, die mit soviel Bereitschaft zur Freude kommen. Monatelang haben wir diese Nacht vorbereitet, aber als die Gäste dann pünktlich alle miteinander dastanden, ist Herrn Graugans und mir so ziemlich alles entglitten, das Essen war noch im Kühlschrank, das Bier war warm und ich stand herum, vollbepackt mit Geschenken, schwitzend und aufgelöst vor Glück. Aber durch schnelles und beherztes Eingreifen meiner wunderbaren Freundinnen war alles schnell da, wo es sein sollte, bis auf die Ananasbowle und das scharfe Chilli con Carne, beide wurden erst am nächsten Tag erinnert. Unglaublich, wie die Idee angenommen wurde, ein Fest zu gestalten, an dem die Musik der absolute Mittelpunkt ist! Ich kann mich nicht erinnern, daß in den letzten 50 Jahren Feste am Hof so viel und so lang getanzt wurde, manche tanzten überhaupt das erste Mal im Leben so ausgiebig, Frauen tanzten miteinander, Männer vergnügten sich herumlehnend und manche blieben einfach sitzen und strahlten den ganzen Abend vor sich hin … was für ein Publikum  auch für den Master of Music, den wunderbaren Mr. Sam Hawkins, der sich für den Job des DJs von mir einfangen ließ, weil er ein gutmütiger und liebevoller Freund ist und mir diesen Wunsch erfüllen wollte. Er hat sich damit unglaublich viel Arbeit aufgeladen und in der Recherche nach Musiktiteln sind wir beide ein wenig größenwahnsinnig geworden und letztendlich hat er dann ca 35 Std. „Material“ mitgebracht … wir  werden mehrere Feste brauchen, um alles abzutanzen … lieber Mr. Music, Du weißt, alles geht ja jetzt erst richtig los und einer Weltkarriere steht nichts im Weg!

Alte und neue  Freundinnen und Freunde schleppten kleine und große Drachen an, Reisegeld und Proviant und Wegweiser, um ja nicht die Richtung zu verlieren auf der Route 66 und in einer alten klapprigen CD Hülle fand sich eine selbstzusammengestellte Kostbarkeit, die mich an zärtlicher Hand durch den Soundtrack der Jahrzehnte zur 66 führt und mich darüber hinaus begleitet durch alles, was so daherkommt am Weg, Dank lieber Freund für Dein gutes Gespür.

Ein Fest der glänzenden Augen ist es geworden. Alles, was zum Leben gehört, durfte mitgebracht werden, manchen gelang es, ihre Sorgen abzustreifen wie ein paar alte Schuhe und sie tanzten barfuß weiter.

„Leave your stepping stones behind there, something call´s for you…“

Die Sonne steht im Löwen, da hält sie sich gerne auf, denn sie ist seine Herrin. Alles ist reif und trägt Früchte, das Leben strömt aus sich selbst heraus und verschenkt sich im Übermaß, es ist eine Zeit der Fülle, des Gebens und Empfangens.

Eine heiße laute Rocknacht habe ich mir gewünscht, alle haben mitgemacht, um sie mir zu schenken und hatten selber viel Spaß dabei. Ob Menschen sich freuen, ist überhaupt nicht planbar, im allerhöchsten Fall kann es gelingen, eine Atmosphäre herzustellen, die Freude und ein paar Glückstupfer möglich machen, alles andere geschieht , weil es geschieht. Nie werde ich vergessen, wie es sich anfühlte, die lange Version „In la Gadda da Vida“ zu tanzen. Dieses Geschenk verdanke ich einem Master of Music, der trotz Gemurre aus dem Publikum erkannte, daß da ein paar Menschen sich freitanzen wollen… ein großes Glück, so einen DJ zu haben, der die Kunst beherrscht, auch mal nur für wenige dazusein, ohne die anderen zu vergraulen. Ich tanzte zwischen zwei Wassermännern und es war ein unglaubliches Erlebnis, die Qualität des Geistes, die Vision, die mit anderen geteilt wird, zu spüren, die Kraft der Luft … ich war mit den Füssen am Boden und mit dem Kopf im Himmel und es war so schön, ich konnte spüren, wir sind viele und wir können die Welt gestalten … meine Güte , irgendwie wirkt eine kleine Ahnung in mir nach, um was es gehen kann im Zeitalter des Wassermann… „…ich stellte einen Fuß in die Luft und sie trug“ (H.Domin)

… und auf einmal sprang hinter der Maske eines anständigen braven Bürgers ein wilder junger Kerl hervor und legte ein Luftgitarrensolo hin auf der Mitte der Tanzfläche, grandios und leider einmalig … aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend…

… es ist finster geworden am alten Heuboden, ich zünde eine Kerze an, tanze und tanze und bin glücklich und traurig zugleich …

the highway is for  gamblers, better use your sense“, ja, jetzt bin ich also auf der Straße, alle haben nochmal gewunken und jetzt muß ich sie abschreiten, die 66! Was wird am Straßenrand alles warten auf mich, werde ich die Steine im Weg bewältigen, werde ich endlich ein paar Verhaltensweisen verändern können, die sich wie ein roter Faden durch mein Leben ziehen, oder sollte ich mich einfach so mögen, wie ich bin, höchste Zeit wirds ja, nicht wahr?

„Leave your stepping stones behind there, something calls for you … strike another match go start anew … and it´s all over now, baby blue …“ (B.Dylan)

Und dann hör ich mir das Lied nochmal an, laut, und als Eric Burdon singt: Crying like a fire in the sun, da wirds mir so weh ums Herz, daß ich weine und weine und alles fällt von mir ab, die ganze Aufregung der letzten Wochen und ich bin so glücklich, so viele wunderbare Menschen zu kennen und trotzdem fühle ich mich gerade so einsam , ausgesetzt auf dieser leeren Straße und dann steig ich aus meinem Kleid und tanze nackt weiter und sage, Du alte Löwin, Dein Pelz ist durchlöchert von den Einschlägen und Deine Formen sind lang schon nicht mehr das, was sie mal waren, manchen Leuten gehst du gewaltig auf die Nerven, weil Du Dein Maul nicht halten kannst, Du hast immer viel zuviele Worte und viel zu viele Gefühle und für Dein Alter auch noch viel zu viele Fragen, Du verschenkst Dein Herz für eine kleine Schmeichelei, Du läßt dir die Show stehlen und stinkfaul bist Du sowieso, Dein Herz ist viel zu groß , Du  bist eine Jägerin und verschenkst die Beute , aber Du brennst, alte Löwin, dafür liebe ich Dich, und die, denen es ebenso geht, die sollen am nächsten Fest mit Dir tanzen, die anderen können sich verpissen!

Die alte Löwin leckt sich genüßlich die Pfoten , trocknet die Tränen und so nackt wie sie ist, tut sie den ersten Schritt, denkt: Honkytonk ist überall, wenn der Lippenstift das richtige Rot hat und schmeißt sich in den warmen Wind, der ihr vom Highway entgegenweht …

Herzensdank an alle, mit denen ich Freude und Glück, Lachen und Weinen teilen darf und die mir mit diesem Fest ein Wunder geschenkt haben!