Vorgestern war sein Todestag. Henry David Thoreau. Am 12. Juli 1817 wurde er in Concord, Massachusetts, geboren und dort ist er auch gestorben, am 6. Mai 1862. In diesen 44 Jahren schmiss er seinen Lehrerberuf hin, weil er die damals üblichen „unerläßlichen Züchtigungen“ nicht ausüben wollte; bezahlte Steuern nicht, um weder Mexikokrieg noch Sklaverei zu unterstützen; hielt Vorträge , in denen er zu Widerstand aufforderte („über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“) war rebellisch, unbequem, anarchistisch und seine absolute Wahrhaftigkeit war sicher nicht schmerzfrei für seine Mitmenschen. Mein Vater hätte über ihn gesagt, daß er „ein schwieriger Patron“ gewesen sein muß und Ralph Waldo Emerson, sein enger Freund, sagte :
„Er führte ein Leben voller Entsagungen wie nur wenige Menschen. Er hatte keinen Beruf erlernt und lebte allein. Von einem schönen Haus, Kleidung, Sitten und Gesprächen höchst kultivierter Menschen hielt er nichts. Er traf sich lieber mit einem „guten Indianer“. Zeitlebens hatte er kein einziges Laster. Wenn er mit anderen Menschen zusammen war, widersprach er ihnen fortlaufend, was für andere wie eine Abkühlung wirkte und ihnen die Annäherung an Thoreau erschwerte … Er sprach nichts als die Wahrheit und handelte auch entsprechend. Er kannte keinen Respekt vor den Meinungen anderer Personen oder Parteien und huldigte ausschließlich der Wahrheit selbst. „
Er wurde als Gesellschaftsrebell, Drückeberger, Widerständler und vieles mehr bezeichnet , sein Abscheu gegen die damals noch durchaus salonfähige Sklaverei ging so weit, daß er Sklaven zur Flucht verhalf und daß er sich viel lieber mit Bauern über Details im Ackerbau unterhielt als mit der Bildungsbürgerlichkeit machte ihn sicher zu einem eher unbeliebten Staatsbürger. Heute wird er weltweit wegen seines Sprachstils, seiner Kunst, das beobachtete Leben zu beschreiben geschätzt. Und mir kommt es so vor, als würde er heute genau für das geliebt und verehrt, für das man ihn damals abgelehnt hat.
Ich kannte ihn gar nicht. Ich wusste, daß es einen Amerikaner gab, der in der Nähe von Boston irgendwo im Wald an einem See auf dem Grundstück eines Freundes sich eine Hütte baute, dort alleine für ein paar Jahre hauste und darüber ein Buch geschrieben hat.
Jetzt, nach dem Lesen seiner Worte verstehe ich nicht mehr, wie ich es so lange Jahre ohne dieses Buch ausgehalten habe: „Ich zog in die Wälder, um beim Sterben vor der Entdeckung bewahrt zu bleiben, daß ich nicht gelebt hatte. … ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so herzhaft und spartanisch leben, daß alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen würde …“
Mit 28 Jahren hat Henry Thoreau für sich beschlossen, daß sechs Wochen Lohnarbeit reichten, um ein Jahr davon zu leben, er baute sich in der Waldeinsamkeit eine Hütte, lebte dort mutterseelenalleine und führte ein Tagebuch über alles, was ihm außen und inwendig begegnete in diesen zwei Jahren.
Andreas Ammer, den ich sehr schätze, weil er mit seinem Team eine meiner Lieblingssendungen „Druckfrisch“ erschaffen hat und sich auch nicht von irgendwelchen Viren davon abhalten läßt, sie immer wieder zu erschaffen, hat sich eine neue Kunstform ausgedacht:
Das Schwarmhörspiel. Es lesen 500 Menschen 500 Seiten, jeder eine Seite. Umrahmt wird das Ganze von Geräuschen aus einem Wald und mit Klangschöpfungen von und mit Driftmaschine und Acid Pauli. Und da war dann die Aufforderung, alle, die Lust haben, sollten doch eine Seite lesen, alles weitere würde die Crew erledigen. Ja, es war ganz einfach und ich habe gelesen und jetzt bin ich eine von 500 und bilde mit ihnen einen Schwarm. Und jetzt ist es schon längst fertig und jede r kann es runterladen und hören: 16,5 Stunden, kostenloses Hörerlebnis vom Feinsten! Wenn ich zuhöre, diese verschiedenen Stimmen, die unterschiedlichen Slangs, die so unterschiedliche Art zu lesen … ach und dann hab ich mich selber gehört, mittendrin, und noch niemals habe ich mich so intensiv als Mensch unter Menschen gefühlt, ein unglaubliches Erlebnis! Wir sind und bleiben uns fremd und doch, so als Stimme unter Stimmen fühle ich mich geborgen und gut eingebettet in eine Gemeinschaft und bin dankbar, dabeisein zu dürfen inmitten dieses Leseschwarms. Und das Anhören dieser Texte ist ein verzauberndes Erlebnis, so Vieles hat dieser Henry David Thoreau aufgeschrieben, was mir aus der Seele spricht … einer, der ganz genau hinschaut, Gedanken über das Leben, in einer Wahrhaftigkeit, die unbeschreiblich ist und die durch das Hören eher noch intensiver wird. Es berührt mich, dieses Tagebuch einer Einsamkeit, und unter anderem davon zu hören, wie einer jahrelang seine Stube täglich für einen besonders erwünschten Gast vorbereitet … der niemals kommen wird.
Vielen, vielen Dank, daß ich dabei sein durfte!
Ich liebe solche Experimente und dieses ist ein ganz besonderes und die viele Arbeit, die drinsteckt kann nur erahnen, wer selber mal versucht hat, ein winzig kleines Video für youTube vorzubereiten, mein ganz großes Kompliment an die Macher dieses Kunstwerkes! Es ist wirklich auf be- und verzaubernde Art gelungen, ich persönlich hätte die Lautstärke der Musik manchmal ein wenig runtergefahren zugunsten der leisen und sanften Stimmen, aber das ist wahrscheinlich Geschmackssache.
Ich kann nur allen empfehlen: Hört es Euch an, unbedingt:
„Walden oder das Leben in den Wäldern“
Um das alte Haus herum sind meine sehnlichst erwarteten Freunde, die Herren Gundermann und kriechender Günsel eingetroffen und breiten sich selbst als Gastgeschenk so weitläufig aus in verschwenderisch strahlender Aufrichtigkeit, in einem Blau, blauer noch als der Himmel, so blau, daß man schwindlig werden könnte … wie unten, so oben …
Die alte Nachbarin erzählt mir von einem, der eine seltsame „Auferstehung“ von den Toten miterlebt hat, aber das ist eine andere Geschichte und muß ein andermal erzählt werden…
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