Nach langen Sommermonaten, in denen der kleine See überqillt vor badender Feriengäste, die dort inmitten von Fettaugen der Sonnenölindustrie herumplantschen, gehe ich wieder einmal den Uferweg entlang in der Dämmerung. Leichter Nebel breitet sich aus in der Mitte des dunklen Sees. Dahinter das uralte Augustiner – Chorherrenstift auf der Halbinsel. Es erscheint doppelt, in der Welt und in der Gegenwelt im Wasser. Um diese Zeit, in der blauen Stunde, geht niemand mehr spazieren, aber es ist die Zeit derer, die ihre Lauf-Trainingsrunden drehen. Diesmal sind es drei junge Frauen, die mir nach und nach entgegenkommen, oder sollte ich besser sagen ihre Handies, die sie laut redend vor sich hertragen. Wortfetzen dringen an meine Ohren, die meisten nimmt der Laufwind mit, nur einmal höre ich: „und jetzt steht sie alleine da und alle sind gegen sie“… Wer immer sie ist, sie tut mir leid. Die Läuferin, die das sagt, zieht an einer kurzen Leine einen ganz kleinen Hund hinter sich her, der genauso mager, nahezu dürr ist, wie sein Frauchen … Als ich weitergehe, überholt mich ein freundlich grüßender junger Mann und ich sage zu ihm: Du bist ja so leise, hast du gar keinen Handy zum Reden? Wir lachen beide und er ruft mir beim Weitergehen noch zu: „Die Leut können nimmer allein sein, gell!“
An der Straße steht ein riesiger Kran. Ich liebe Kräne, tragen sie doch den Himmel auf dem Arm. Hier hat er Fertigbauteile angeschleppt fürs neue Haus. Das alte kleine Häuschen aus den Fünfzigerjahren hat wohl niemandem mehr gefallen und wurde abgerissen. Jetzt steht da so ein seelenloser Betonklotz auf eingeebnetem Boden, der alte Garten wegplaniert, die vielen Blumen und Sträucher alle ausgerissen. Früher standen da kleine Zwerge herum und im Winter war da immer eine Reihe Rosenkohl und eine Reihe Grünkohl, aber wer braucht das heute noch?
Ich fahre immer von den Bergen weg und dann wieder auf sie zu. Wir leben nicht direkt in den Bergen, aber wir haben sie bei Bedarf ganz schnell in Sichtnähe. Wir leben inmitten von hügeligem Alpenvorland, einer eher unscheinbaren Gegend ohne Sensationen. Die Erde ist vom vielen Regen durchnässt und wenn schwere Traktoren drüber fahren, hinterlassen sie tiefe Furchen im Boden, Geleise, sagen wir hier dazu. Mit dem Rad ist es derzeit unangenehm, auf den wenigen Feldwegen zu fahren, dicke Erdbrocken liegen herum, herausgeschleudert bei der Bearbeitung der Felder. Das Land tut mir leid, es ist zu kleinflächig, die Wege und Täler zu eng für die riesigen Maschinen, sie haben keinen Platz. Wenn sie bei uns vorbeifahren, verbreitern sie gewalttätig die zu enge Straße in den Hügel hinein, reißen an den Rosenbüschen und das alte Haus zittert. Sie fahren trotzdem.
Am Straßenrand blüht immer noch die zarte blaue Wegwarte. Und der Breitwegerich hält seine Blätter bereit, er würde sich jederzeit lindernd unter die wund gelaufenen Sohlen von manch einem Wandersmann legen. Früher kamen noch hin und wieder Handwerksburschen des Weges, sie waren meist ausgehungert und setzten sich auf die Hausbank zum Rasten. Und meine Großmutter, so erzählte der Vater, gab ihnen immer was zum Essen. Das war ihm immer ein Rätsel, wie sie es anstellte, daß die sieben Kinder nie hungern mußten und, daß das wenige was sie hatten auch noch mit noch Ärmeren geteilt wurde. Meine Mutter, die ja auch nie Geld hatte, den Hausiererinnen was abzukaufen, lud sie immer zu einer Suppe ein und einem Stück Brot. Auch der Gerichtsvollzieher, mit dem meine Eltern ein nahezu freundschaftliches Verhältnis hatten, saß zeitweise öfters stundenlang in der Stube und bekam kostbaren Bohnenkaffee im Häferl gekocht. Viele Jahre lang habe ich nicht verstanden, warum dieses Ding, das aussah wie eine Briefmarke im Uhrenkasten lag und Kuckuck hieß. Mein Vater hat ihn Zeit seines Lebens dort aufbewahrt zur Erinnerung. Der Gerichtsvollzieher kam noch ab und zu auf Besuch, auch als er das beruflicherseits nicht mehr mußte, irgendwann blieb er ganz weg und ist lange schon gestorben.
In ein paar Tagen ist Allerseelen. Ich backe Totenbeinli und einen Seelenwecken (Hefezopf mit viel Rosinen und Puderzuckerglasur) und werde einladen zum Halloweentanz. Die Membran zu anderen Räumen und Welten ist dünn in dieser Nacht, so sagen die Alten. Wer weiß, wieviele sich zum Kreis aufstellen werden und draußen herumflattern um das Kürbislicht herum in der Nacht. Und ich werde wieder einmal ein Lieblingsbuch lesen: „Das Graveyardbuch“ von Neil Gayman. In dieser Geschichte lebt Nobody Owens, ein kleiner Junge, auf einem Friedhof und wird dort liebevoll von Geistern und Untoten betreut und umsorgt. Es gibt natürlich einen Feind und alle müssen große Abenteuer bestehen, um ihn zu bekämpfen. Meine Lieblingsfigur in diesem Buch ist die Graue Dame, sie sitzt hoch zu Roß und ist zuständig für den Transfer zwischen den Welten.
Und wenn wie immer seit Jahrzehnten um diese Jahreszeit „E.T. der Außerirdische“ im Fernsehen läuft, werden wir ihn selbstverständlich wieder ansehen, auch wenn wir schon die Dialoge mitsprechen können und wir werden wieder nasse Augen bekommen, wenn er sagt: „E.T. nachhaus telefonieren …
… nachhaus!“
Und hier steht, was die liebe Kraulquappe so erlebt in der großen Stadt!
Es sei mir die Frage erlaubt, ob der Höglwörther See gemeint ist – mein Kopfkino jedenfalls bringt die Schilderung im ersten Absatz sofort damit in Verbindung.
Bei mancher Runde mit unserem Gasthund hier im Wald bin ich auch schon auf solche wie von Dir beschriebenen Läufer*innen getroffen und frage mich jedes Mal, wie sie bei einem solchen Laufen sicher sein können, nicht mal im hohen Bogen über eine Wurzel oder eine gespannte Hundeleine zu fliegen, denn sie achten ja nun nicht mehr wirklich darauf, was vor ihnen ist.
Na klar ist die Frage erlaubt, ja, das ist der Höglwörther See, auch das „Seeloch“ genannt! Du kommst ja ganz schön herum!
Sagen wir mal so: Es gibt wenig Seen in Oberbayern an und/oder in denen ich noch nicht gewesen bin. Ein Chorherrenstift brachte den entscheidenden Hinweis.
Die Szene mit dem jungen Laufmann gefällt mir, wie auch das andere, alles leicht geheimnisvoll und fremdseelenländisch!
Liebe Grüße von Sonja
So ein wunderbares Wort: „fremdseelenähnlich“! Liebe Grüße auch an Dich!
Ein schöner Grat zwischen Tradition und dem Wandel der Zeiten. Ich fand mich in vielen Dingen selbst wieder und wenngleich es nicht ganz den Kontext trifft, kam ich dennoch zum Schluss, E.T. auch mal wieder einen Besuch abstatten zu müssen. ^^
Ja, unbedingt E.T. besuchen, ist wärmend fürs Gemüt! Liebe Grüße!
Ich mag dieses episch breite Erzählen, das mich in seinen Rhythmus mitnimmt …
Liebe Grüße, Andrea
wunderbar, freut mich sehr, schick dir auch ganz liebe Grüße !
Hörst du meinen Seufzer fern … Der Nebel reißt auf und Herbstgold verschenkt sich, immerhin.
Ja, natürlich hör ich den Seufzer, er scheint mir gar nicht so fern … und ich schicke auch einen am Alpenrand entlang .
Natürlich ein weiterer toller Graugans-Text. Und wenn man mal da war und im Geiste die Seerunde mitgehen kann – erst recht.
Seufz. Damals noch mit Hund. Und ich werde sein Gesicht nicht vergessen, als ich mich mit der schwarzen Tüte nach seiner Sch**** bücke: „Was soll’n das jetz‘?“
„Tja, Wauwie. Hier simmer im Westen, da muss das so.“
(Die Wald-und Feldwege des Ostens können das noch so ab, wie in den zurückliegenden tausend Jahren.)
Und weil er ein kluger, mitdenkender Collie war, dem das eigene Herrchen ob dieses seltsamen Brauchtums peinlich wurde, rangierte er seinen Hintern beim nächsten Geschäft soweit ins Gebüsch, dass ich wieder grinsen musste – und mit ihm weiterging.
Wunderbar, dass es gemeinsame Erinnerung gibt !
Mir ist noch gar nicht aufgefallen, daß es beim Hundekacken so ein Nord/Südgefälle gibt! Also ich bin schon sehr froh, daß es die Sackerl fürs Kackerl und die dazugehörigen Abfalleimer gibt! Seitdem steigt man wenigstens nicht auf Schritt und Tritt in die Kackhaufen, vor allem in Zeiten wo Hunderttausende hier ihren Urlaub verbringen und mit ihren Hunden durch die Gegend latschen. Ich brauch nicht zu sagen, daß diese Einrichtung äußerst unterschiedlich gebraucht wird mit allen Abstufungen. Vielen ist es auch zu weit bis zum Abfallkorb, und sie lassen die Gaggerltüten am Wegesrand stehen. Und Bei Ferienanfang und Ende, wenn die nahe Salzburger Autobahn den Verkehr umleitet, dann sind die verbleibenden Rückstände nicht mehr angenehm. Dann schiebt sich halb Deutschland im Schritt-Tempo durch unser Tal in Richtung Kroatien oder zurück und Mama, Papa, Kind und Hund halten dann gerne an Wiesen und Bäumen und auch die Rückseite von Bushäuseln wird gerne genommen, um endlich das loszuwerden, was seit vielen Kilometern im Bauch grummelt… Das ist wirklich alles sehr ärgerlich und streckenweise eine große Sauerei und ich bin wirklich dankbar für jedes Kacksackerl, das tatsächlich auch in einem Abfalleimer landet!
Ach ja, an den Robbie denk ich so gerne zurück, der hat so lustig gebellt, als ich mit ihm gescherzt habe! Ganz liebe Grüße an Euch im Norden!
Ja, E.T. war eindrücklich und die Tränen mussten fallen. Nur wenig weiß ich noch, aber manchmal habe ich Bilder davon im Kopf und sehe den ausgestreckten Finger…. 🙂
Totenbeinli 😀
Ja, aber nicht die mürbe Sorte, sondern die mit wenig Butter, eher beinhart, und es gibt schon wieder dringende Vorbestellung für Weihnachten!
Oh, das klingt ja spannend! „Totenbeinli“ kenne ich in erster Linie diejenigen aus dem Supermarkt, die verkaufsfördernd „Nussstengeli“ heissen, von uns aber oft „Totenbeinli“ genannt werden. Die sind sehr hart, aber ich denke, sie enthalten eine Menge Butter (und sie machen süchtig). Und dann hatte ich auch schon die mürbe Sorte, bei Bekannten.