Bevor das Unwetter begann, war es ganz still, die Sonne schickte warme Strahlen aus tiefblauem Himmel und dann kam ein kleiner warmer Wind und die Zeit war reif und da ist sie weggeflogen. Während im Zimmer leise Musik aus dem Radio kam und die Schwestern sie pflegten und vorsichtig umlagern wollten … da hat sie aufgehört, zu atmen. Die Schwestern streuten Blütenblätter auf ihr Bett und kämmten ihre Haare, das hätte sie gefreut, denn nie wäre sie unfrisiert aus dem Haus gegangen und schon gar nicht auf eine weite Reise hinter die Sterne … der ewigen Glückseligkeit hätte sie sich nur in gepflegter, gebügelter Kleidung mit frisch gewaschenem Haar genähert.
Heute Mittag um 12 Uhr standen wir vor der Glasscheibe im Krematorium. Ein hoher Raum, lichtdurchflutet, durch die Glaskuppel strahlt der blaue Himmel. An den Wänden Bilder von Miró, bunte Blumensträuße da und dort. Ein schöner Ort, um wie der Rauch zum Himmel aufzusteigen.
Viel haben wir in den vergangenen Tagen geredet über die Eltern und die Kinder und was alles so geschehen ist, über Glück und Mißgeschick, Träume, die während der Flucht auf der Straße liegengeblieben sind und über so vieles, was nie ausgesprochen wurde, was man aber dem Sohn in den Lebensrucksack gepackt hatte.
Jetzt sind wir still, ihr großer Junge und ich. Der Sarg, viel zu groß für dieses winzig kleine Persönchen, leicht wie ein Vöglein, wurde hereingeschoben und da steht er vor uns.
Ich denke an sie und daß wir beide gescheitert sind, sie an der Sehnsucht, eine Tochterfreundin zu bekommen und ich daran, nochmal eine Mutter zu finden. Wir haben uns enttäuschen müssen in unserer Erwartung, zu unerfüllbar waren unsere Wünsche aneinander. Bitte verzeih mir, sage ich inwendig. Und dann fällt mir ein, wie sehr ich sie bewundert habe in ihrem Wagemut. Sie ist noch mit 80 auf unseren höchsten und ältesten Kirschbaum gestiegen bis oben hinauf und das auf der längsten, ausgezogenen Leiter. Sie hat sich dann trotzdem den Arm furchtbar kompliziert gebrochen, aber nicht irgendwo oben, sondern unten, am Boden, als sie mit dem Eimer voller Kirschen über den Leiterfuß gestolpert ist . Sie hat sich überhaupt öfters was gebrochen, das hielt sie aber keineswegs davon ab, bei nächster Gelegenheit wieder irgendwo hinaufzusteigen, egal, ob der Untergrund sicher war oder aus wackligen Rollen bestand. Du bist ein wilder alter Wassermann, hab ich oft zu ihr gesagt und da hat sie herzlich gelacht.
Dann wird der Sarg weitergeschoben.
Tschüß mein Junge, hat sie immer gesagt.
Der große alte Junge sagt jetzt: „Pfiati Mama!“
Dann geht die Türe auf und der Sarg wird dem Feuer übergeben, ein unglaublich wehmütig schöner Vorgang. Das mächtige heilige Feuer verbrennt alles, was wir auf Erden einmal waren, alles, was dieses irdische Dasein mit sich brachte, wird zu Rauch, der zum Himmel steigt. Ein überwältigend feierlicher Akt.
Morgen wird in einer Andacht mit Musik und Begleitung des Pastors die Mutter und ihr Leben gewürdigt und verabschiedet und die Urne in die Erde versenkt und dann ist die Verbindung Himmel und Erde besiegelt und es ist gut.
Als wir heimfahren, sehe ich, daß an den am Straßenrand gestapelten gefällten Buchenstämmen überall kleine hellgrüne Schößlinge herauswachsen.
Lisa : 25. 01. 1932 – 30. 05. 2024
Möge der Weg Dir leicht sein in die ewige Heimat und mögest Du ruhen in Frieden, liebe Lisa.
Und da schreibt die Kraulquappe.
Danke, dass Du dieses sehr persönliche Erlebnis und Deine Gedanken mit uns teilst.
DANKE❣️
<3
Deine schönen und warmen Worte treffen mich mitten ins Herz.
Vielen Dank dafür!