24T. – Mutmaßungen über meine Mutter, Tag 4: Bludgeon

Deine Mutter!

Es gibt zwei Arten von Müttern: Diejenigen, denen unverheiratet in einer heißen Phase ein Missgeschick passiert, dessen Konsequenzen sie dann für mindestens 18 Jahre an der Backe haben und diejenigen, die heiraten, schwanger werden und Stufe für Stufe geordnet den Werdegang einer Frau durchlaufen.

Udos Mutter gehörten in die erste und meine eigene in die zweite Kategorie. Zwei Kinderschicksale, die unterschiedlicher nicht sein konnten, die aber aufs engste mit einander verbandelt wurden, waren die Folge.

Udos Vater war ein Doppelgänger von Richard Chamberlain. Sowas liegen irgendwie alle Frauen zu Füßen. Als die „Dornenvögel“ Mode wurden, sah ich Mutter, Schwiegermutter und Frau – vergehen! Unfassbar!

Udos Vater hatte ein heißes Studentenleben und in diesem mit 3 Gespielinnen 3 Kinder erzeugt. Zwei davon gleichzeitig im „heißen“ Sommer 1960. Sein Vater war ein großer alter Grobian, ein rasierter Bud Spencer. Seine Mutter war, als ich sie kennenlernte, eine verhutzelte Bilderbuch-Hexe am Krückstock. Woher die Chamberlein-Aura stammte war ein Rätsel. Chamberlein erhielt jedenfalls ende 1960 das Machtwort seines Vaters in Anbetracht zweier parallel laufender Schwangerschaften: „Die eine wird geheiratet! Für den andern Balg werd ich zahlen, biste was bist! Wähle!“ Kommando-Ehe. Chamberlein wählte Udos Mutter – aber die erotische Anziehungsphase war schnell dahin. Übrig blieb ein enormer Intellektunterschied zwischen einem angehenden EOS-Lehrer und einer 8klassen Schülerin, die es mit Müh und Not zur Rathaus-Tipse gebracht hatte und die nach dem zweiten Kind dann ganz zu Hause blieb, weil das zweite recht kränkelte. Beide Eheleute beklagten ihr Schicksal, dass ihnen dieses erste Kind passiert war. Udo fehlte es entschieden an Nestwärme. Er wurde gegängelt tagein, tagaus und als seine Mutter schließlich spitz bekam, dass er fast täglich zu Findeisens verschwand und von dort keine Beschwerden kamen, ging sie sogar dazu über, Udo zu zwingen: „Du darfst nur zu Anselm, wennde dein‘ Bruder mitnimmst!“ So tauchte er ab da meistens mit seinem 2 Jahre jüngeren Bruder im Schlepptau auf, den er nicht leiden konnte, weil der als „Wunschkind“ für den Neustart der Ehe deutlich mehr (wenn auch nicht viel) Zuwendung erhielt als Udo – „der Schuldige an dieser Ehe“!

„Wenn’s dich nich‘ gäbe, hätch DEN nich heiraten müssen!“ keifte sie in ihrem Dauerwutmodus in Abwesenheit ihres Holden des öfteren. Frauenlogik. Als ich zum ersten Mal im Kindergartenalter diesen seltsamen Standpunkt vernahm und ihn beim Abendbrotstisch meinen Eltern erzählte, reagierten sie seltsam unterschiedlich: Vater seufzte „Oje.“, sah mich an, machte diese Handbewegung des Fliegenfangens vor der eigenen Stirn. Mutter diplomatischer „Ach was! Da hast du dich verhört!“ Erzieherischer Blick zu Vater mit unterstreichendem Kopfschütteln: Die Wahrheit verkraftet so ein Kindergemüt nicht! Der geht glatt wieder hin und erklärt Udos Mutti, dass se bekloppt is‘!

Aber von Stund an wurde Udo nicht mehr weggeschickt, wenn es gerade mal nicht passte, weil wir einen Familienausflug vorhatten oder in die Stadt zum Eis-Essen gehen wollten, sondern mitgenommen.

In den frühen 60ern erlebte auch die DDR ihr kleines Wirtschaftswunder. Bescheidener Wohlstand wurde möglich. Mutti kaufte einen Blumentisch, der aus einem Oval bestand, das auf der Platte mit schwarz-goldenen Glasscherben mosaikartig belegt war und auf 3 dünnen Messingstelzen stand. Eine äußerst wacklige ca 30 oder 40 cm hohe Angelegenheit; gut genug, um eine Bodenvase mit Trockenblumen darauf zu drapieren. Um 1966 der letzte Schrei!

Das Ding stand im Wohnzimmer gleich neben der Tür und Vater riss es beim Eintritt mit dem Hausschuh aneckend gleich versehentlich um. Poing. „Himmel Arsch und Zwirn! Muss das Scheißding hier stehen?!“ Der Blumenständer war somit getauft. Aber robust, wie das Ensemble schien, konnte es -aufgehoben- weiter seinen dekorativen Zweck erfüllen. Wer das zweite Mal dranstieß, weiß ich nicht mehr. Es wurde wieder aufgerichtet und fertig. Zum dritten Mal – war es Udo, der Pechvogel.

Wir spielten mit Schwungradautos auf dem Teppich und er ließ meine Feuerwehr karacho gegen das eine Blumenständerbein knallen. Es hatte ein „An den Baum fahren“ werden sollen. Aber der „Baum“ gab nach, knickte aus dem Oval obendrüber heraus, die Vase kam, zerbarst in 3 oder 4 Teile und die Halme, die ihren Inhalt darstellten, lagen zwischen den Trümmern. Blumenständer kaputt. Bodenvase kaputt – und davor hockte ein geschockter, versteinerter Udo und starrte auf die Scherben, die Feuerwehr noch in der Hand.

„Jetz‘ isses passiert“, entfuhr es mir. Und zu Mutti in die Küche laufend rief ich bereits „Mutti! Udo hat das Scheißding umgerissen. Jetz‘ isses kaputt!“ Muttern kam, sah den Schaden. Und ihre Worte waren: „Ja nu musses in‘ Müll. Die Vase kleb ich wieder. Spielt weiter. Ich mach das weg.“

Udo erwachte aus seiner Erstarrung, hob den Kopf und starrte meine Mutter an, dann stammelte er ein weinerliches: „Ich hab’s nicht mit Absicht gemacht.“

„Weiß ich. Das war eben wirklich ein Scheißding. Ich hätt’s nicht kaufen soll‘n.“ Dazu noch so ein Troststreichler über den Hinterkopf, fertig war die Madonnenerscheinung!

Er guckte zu mir und in einer Mischung aus Neid, Hochachtung und Erleichterung entrang sich ihm ein: „Deine Mutter!“

Als diese Floskel vor ein paar Jahren Schimpfwort wurde, verstand ich zum ersten Mal die Welt nicht mehr.

Text: Bludgeon

3 Gedanken zu „24T. – Mutmaßungen über meine Mutter, Tag 4: Bludgeon

  1. Wie es der Zufall so will, habe ich gerade heute in einem Kommentar auch die EOS erwähnt – bei dir ist es „… zwischen einem angehenden EOS-Lehrer“.
    Ich schrieb: „Die DDR hat das Wort „Gymnasium“ erfolgreich ausgerottet. Wer Abitur gemacht hat, ging auf die EOS = Erweiterte Oberschule, unter Schülern fast immer „Penne“ genannt. Das Wort Gymnasium musste sogar ich fast neu lernen.“
    In dem Zusammenhang geht um Sprachgebrauch in den beiden deutschen Staaten.

  2. Noch was – ein Studienfreund eines guten Bekannten, die beide an der Hochschule in Ilmenau studierten, hat auch zwei Töchter im gleichen Sommer in die Welt gesetzt und zuerst die eine Mutter geheiratet – und ein paar Jahre später die andere.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.