Archiv der Kategorie: Montag Mittag zwölf Uhr

Das ist ein Test.

#14 Das Gwand, und der Schmarrn und die Oma

Bei so vielen Menschen, knapp 72000 im Stadion, da kommt man schon mit einem beachtlichen Virenaufgebot in Berührung. Ich hab es wie immer, so lange rausgeschoben, bis der Mann wieder gesund ist, und jetzt hat es mich auch erwischt, mit allem, was halt dann so daherkommt an Schnupfen, Husten, Fieber &Co. Die Gedanken im Kopf lassen sich nicht mehr lenken sondern stranden in einer Art Matsch, ähnlich der Masse, die nach Schneefall und Tauwetter am Straßenrand liegt. Früher sagten wir zu so einem Zustand: ich bin beinander wie ein Packerl Kunsthonig. In wirren Träumen war ich letzte Nacht im Schusterhaus, davor standen meine Großmutter und ihr Bruder, der Schorschl. Sie schauten einem Trachtenzug hinterher, der mit Blasmusik das Dorf hinauf zu der Kirche ging.

Da ist manches durcheinandergeraten in diesem Traum und der Trachtenzug kam wahrscheinlich von dem großen Gautrachtentreffen vor zwei Wochen. Da marschierten tausende TrachtlerInnen in unzähligen Gruppen durch den Marktflecken hin zum Bierzelt, zeigten ihre Trachten und später die üblichen kunstvollen Tanzdarbietungen.

Meine Oma hätte da sicher auch zugeschaut, aber damals gab es noch keinen Trachtenverein und von einem Gewand, das „Dirndl“ geheißen hätte, davon hat niemand gesprochen. Auch gab es keine Einladungen, bei denen „Tracht“ erwünscht war, denn das Wort „Tracht“ war überhaupt nicht in Gebrauch, ich hab es auch erst irgendwann in den siebziger Jahren kennengelernt und da konnte man sich auch bei der Tante ein „Dirndl“ schneidern lassen. Vorher war das Dirndl eine junge unverheiratete Frau.

Meine Oma hatte ein Gewand für den Feiertag und ein paar lange Röcke mit einer Art Bluse, dunkel und aus grobem Stoff für den Werktag. Darüber kam immer die Schürze, die mit langen Bändern um die Taille gebunden war. Für die Stallarbeit gab es das Stallgewand, das aus ehemaligem ausgemusterten Werktagsgewand bestand. Alles dunkel und selbstverständlich hochgeschlossen.

Das schwarze Feiertagsgewand bestand je nach Reichtum der Bäuerin aus einem Mieder aus mehr oder weniger kostbarem Samt mit bodenlangem Rock und die meist hellblaue Schürze aus mehr oder weniger echter Seide. Selbstverständlich wurde der Ansatz des Dekolletes mit einem Tuch verdeckt  und an hohen Feiertagen wurde ein Sträußlein Geranien und Asparagus ins Mieder gesteckt. Die verheiratete Frau trug dazu einen schwarzen „Priener Hut“ mit langen samtenen Bändern, die über den Rücken hingen. Viel später, als die Kitsch-Ära begann und man sich Wagenräder und Heugabeln oder sogar einen Pflug an die Hauswand nagelte, da wurden die Priener Hüte aufgetrennt und Spiegel daraus gemacht. Ich hab den Hut von der Oma noch, den wollte die liebe Verwandtschaft wohl nicht beim Tod meiner Oma, aber man holte sich sofort das einzige seiderne Schürzl, das sie besaß, natürlich nur zwecks Erinnerung an das liebe Omerl.

Das Feiertagsgewand wurde nur einmal im Leben gekauft, die Frauen, die es trugen, wurden nie zu dick, denn die Arbeit war so schwer und meine Oma hatte nebenbei noch sieben Kinder zum Großziehen.

Das Gwand (Gewand) hatte einen komplett anderen Stellenwert als heute, weggeworfen wurde gar nichts. Wenn mal was wirklich nicht mehr tragbar war, dann wurde es in Streifen geschnitten und   beim Weber (den man damals noch bezahlen konnte im Gegensatz zu heute) zu Fleckerlteppichen verarbeitet. Und romantisch war damals schon gar nichts und man sprach auch nicht von Traditionen oder irgendwelcher Brauchtumspflege.

Wenn ich am alten Schusterhaus vorbeifahre, das zwischen nicht nur ansehnlichen neuen Häuserkomplexen ganz bescheiden und niedergeduckt da steht, ganz aus Holz, man darf es wegen Denkmalschutz nicht abreissen, aber drin wohnen mag anscheinend auch niemand, dann denk ich an meine Oma. Sie lebte dort mit ihrem geliebten Bruder Schorschl, beim Aussprechen seines Namens haben ihre Augen geleuchtet, und ihrem Vater, beide Schuster. Wahrscheinlich würde man im Märchen sagen: arme Flickschuster. Von einer Mutter hat sie nie erzählt. Irgendwann war kein Platz mehr für sie und da kam mein Großvater und hat sie auf unseren Hof geholt. Sie waren arm. Wenn ich das alte Bild anschaue, auf dem sie vor unserer Haustür stehen, oder wenn ich den alten Hut in die Hand nehme, dann muß ich weinen, weil ich die bittere Armut sehe und spüre. Von meiner Großmutter habe ich niemals das Wort „arm“ gehört. Sie hat sich in ihr Schicksal gefügt, konnte lachen und vor allem singen, alte Weisen, die ich leider nur mehr bruchstückhaft in Erinnerung habe.

Es macht mich zornig, wenn ich von dieser grad sehr modernen „ArmeLeute- Küche“ höre und man nach Chefkoch.de dann diesbezügliche Rezepte austauscht und Zutaten einkauft. Ich schäme mich vor meiner Oma über dieses Wort, genauso, wie sie sich geschämt hätte und gedemütigt, wäre sie als arm bezeichnet worden. Das Kochen war früher ganz einfach, man machte was aus dem, was da war. So bin auch ich aufgewachsen. Die Oma machte die besten handgeschnittenen Nudeln und auch der Schmarrn war wunderbar, obwohl der überhaupt nichts mit dem herrschaftlichen Kaiserschmarrn der Stadtmenschen zu tun hatte. Es war eher ein Mehlmus  ohne Eier und ganz sicher keinem Puderzucker, sondern Mehl, Milch oder Wasser und bisserl Salz, das wurde in der Pfanne gebraten, so wie bei den Holzknechten.  Man muß das können, sonst hat man nur einen Brei. Sie konnte es, die Oma, mir gelingt er selten, zu sehr bin ich auch schon die Eierüberflutung aus den Hühnerquälanstalten gewohnt.

Es gibt ein Bild von meiner Oma, da trägt sie ein Schürzl mit Streifen und sie mochte es nicht, weil sie angeblich damit wie ein Kartoffelkäfer ausschaute. Ich hab gemeint, ich müsste nur danach greifen, aber das Bild ist im Moment verschwunden.

Schaumamoi, was die liebe Kraulquappe so schreibt!

#13 Letter To You

Letter To You

Am schönsten war es, als die Sonne hinter uns unterging und die Nacht langsam durch das Glasdach sickerte und herunter schwebte in dieses Stadion mit den 72000 Menschen. Und dann kam die Sichel des Mondes angeschwommen. Der Löwenmond,  der Mond der reifenden Beeren, mein Mond, ist aufgegangen. Wir sitzen im Olympiastadion irgendwo auf den steilen Rängen auf einer Art flacher Plastikschüssel, entsetzlich unbequem. Mit den Knien am Genick des Mannes vor mir, die Knie des Hintermannes auf Tuchfühlung, eingepfercht und eingezwängt zwischen fremden Menschen, wie ich es sonst hasse, aber hier überwiegt  diese Atmosphäre unter diesem Glasdach, für das keine Superlative ausreicht, so genial ist es, alles schwebt und die Farbkompositionen von Otl Aicher strahlen lichthelle Leichtigkeit aus, so, als könne man gleich abheben und mitsamt diesem Raumschiff in ungeahnte Fernen entschweben, durch Zeit und Raum über alle Horizonte hinweg und selbstverständlich auf den Schwingen der Musik, die für den nötigen Aufwind sorgt.

Verschwitzt nach Autofahrt und Radltransfer zum Stadion saßen wir da und ich mußte erstmal durchatmen und diese ganze Ausstrahlung von so vielen tausend Menschen ertragen, die von allen Seiten mir durch Mark und Bein ging. Wieviele wir doch sind, dachte ich. Und ich ein Mensch, ein Mensch unter vielen. Und dann dieses Konzert. Ein Rockkonzert vom Allerfeinsten. Musiker und Sängerinnen hatten dieses unverstellte Lächeln der Spielfreude auf den Gesichtern, egal wann die Kamera auf sie gerichtet war. Und Bruce Springsteen, was soll ich da noch sagen, was Unzählige nicht schon gesagt hätten. Ich mag ihn,  weil von ihm einige der schönsten Songs, die ich kenne, stammen, mit dieser bitterzarten Poesie, in der  das Leben, sein Leben mit allen Brüchen und Niederlagen aber auch das Immerwiederaufstehen mitschwingen. Ich mag auch sehr, wie er über die Bühne trottet, so ein Kerl aus diesem kleinen Küstennest, über das er in seiner Autobiographie liebevoll abfällig schreibt. Und was ich am liebsten mag, ist dieses Lachen, dieses unverwechselbare Lachen, das auch jederzeit ein paar Tränen mit sich trägt. Er ist keiner, der so tut, als wäre er noch jung. Er ist ein alter Mann, und das sieht man auch, das Leben hat Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, er schwitzt und atmet schwer, er macht wohltuend  kaum Show, er steht da, hat die Gitarre in der Hand und macht das, was er sicher machen wird, bis er umfällt: Musik. Und es ist nicht nur das perfekt durchgeplante Programm, auch nicht nur diese schier unglaubliche Virtuosität aller Beteiligten, deren Soli das Stadion vibrieren ließen … es ist diese schon fast überirdische Leidenschaft, mit der sie Musik machen.Ob Bruce die alten Gassenhauer singt, bei denen immer noch alle aufspringen und tanzen, auch wenn wir uns kaum auf den Beinen halten konnten auf diesen schmalen Rängen … oder ob er diese leisen Balladen singt, die mir die Tränen in die Augen treiben … auch wenn man sieht, welchen Kraftakt er da leistet, drei Stunden ohne Pause, die Kraft, die alle mitreißt, ist diese leidenschaftliche Liebe zur Musik. Der Musik ists ja völlig wurscht, wie alt jemand ist, sie möchte sich einfach spielen.

Es war ein absolutes Erlebnis, dieses Konzert und wurde nicht geschmälert dadurch, daß mein Radl hinterher nur noch zum Schieben war und wir auch kein Licht mehr hatten. Heute gehe ich wie auf Wolken, schöner hätte mein Geburtstag nicht angespielt werden können. Auf die Frage der Kraulquappe, welche Lieblingslieder ich gestern hatte kann ich noch gar nicht viel antworten, nur daß ich geheult habe bei: Trapped und bei

Last Man Standing und ich glaube, mindestens das halbe Stadion hat Rotz und Wasser geheult bei : I’ll See You In my Dreams … ich auch.

Liebe Kraulquappe, Du hast mich ja, Lied für Lied zu Bruce hingelockt und jetzt , obwohl kein Hardcorefan, liebe ich ihn auch! Bin Dir sehr dankbar für Deine Hartnäckigkeit, REALLY!

#12 Klopfzeichen

Auf dem Türstock unseres Hauses steht die Jahreszahl 1767, an der Haustüre, die wahrscheinlich aus der gleichen Zeit stammt, ist ein Türklopfer befestigt. Und wie der Name schon sagt, kann man damit klopfen, leiser oder lauter, je nachdem, wie dringlich man sich bemerkbar machen möchte. Ich kann mich nicht erinnern, daß es früher jemals mit dem Türklopfen irgendwelche Probleme gegeben hätte. Bauernmenschen haben die Häuser kaum durch die Haustür betreten oder verlassen, man ging immer hinten hinein, durch die Tennentüre, dann durch „das Haus“ (Hausgang) und dann klopfte man an die Stubentüre. Es war keine Türe abgesperrt und auch wenn man durch die Haustür kam, ging man zur Stubentür und klopfte. So mache ich das heute noch, wenn ich unsere alte Nachbarin besuche, ich geh rein ins Haus und klopfe an die Stubentür. Am Abend wurde abgesperrt. Eigentlich wurde der Türklopfer an der Haustüre nur von Hausierern oder sonstigen Fremden benutzt oder nachts, und da wusste man, daß etwas passiert war.

Heute sind alle Häuser abgesperrt, denn tagsüber ist kaum mehr jemand daheim, die Kinder und die Alten zur Aufbewahrung in den jeweils adäquaten Einrichtungen zur Vorbereitung auf das Leben in einer Leistungsgesellschaft die einen, oder zum Warten auf den Tod, aufgelockert durch Basteleien und  Seniorengymnastik die anderen, die dazwischen in Schule und Arbeit.

Auch die Bauernhäuser sind jetzt gut abgesichert, haben Fingerprint Anlagen oder zumindest Klingelknöpfe. Um die meisten Häuser herum geht auf Schritt und Tritt ein grelles Licht an, was bei manchen eine Art Dauerbeleuchtung auslöst, weil die Katzen ständig durch die Lichtschranken laufen.

Wir leben diesbezüglich auf dem Mond. Unser geliebter eiserner Türklopfer sorgt für große Verunsicherung. Die ständig wechselnden Postboten und diverse andere Lieferdienste wissen entweder gar nicht, wie sie sich bemerkbar machen könnten, bringen die Pakete zum Nachbarn oder werfen Abholzettel für die Poststelle in den Briefkasten oder schlagen mit dem Klopfer so aggressiv herum, daß er jetzt, nach 250 Jahren schon etwas wackelt und schief an der Türe hängt. Es ist kaum zu glauben, aber viele Menschen sind überfordert, wenn sie keine übliche elektronische Klingel vorfinden, so als ob der Mensch völlig vergessen hätte, daß außerhalb technischer Fernsteuerung auch noch eine Welt existiert, die man mittels Handhabung bedient. Hin und wieder verirrt sich touristisches Fußvolk auch hierher in unser vollkommen unspektakuläres kleines Tal, hockt sich auf die Hausbank und wartet auf Bedienung. Da es keine Türglocke gibt, rennen sie ums Haus herum, klopfen an die Fenster und rufen „Halloo“…is hier niemand  und werden ungemütlich: also gute Frau, so gehts ja nicht, wir warten ewig auf ein Glas Milch, das ist doch hier eine Alllpe oder nicht?

Jetzt kommen keine Leute mehr zu Fuß, sondern nur noch elektrische Fahrräder sausen mit Affenzahn ums Eck herum und wenn sich doch welche ohne zu fragen auf unserer Hausbank häuslich niederlassen und ich sie gern loshätte, lege ich die Christmas Scheibe vom Bobby Dylan auf, den ich ansonsten sehr liebe, aber diese Platte ist so schrecklich , daß sie mir in der Touristenvertreibung schon gute Dienste erwiesen hat … aufgedreht, was die Boxen hergeben.

Vor kurzem schrie wieder mal eine Frau, ums Haus herum stöckelnd: Hallo, hallo, wer wohnt denn hier! Ich hatte die Gießkanne in der Hand und sagte: Ein Hallo wohnt hier schon mal gar nicht und was sie denn wolle. Sie wurde pampig und beschwerte sich, es gäbe ja keinerlei Klingel und wie sie denn …usw. usw. Ich sagte nur, wir hätten einen Türklopfer, der nicht zu übersehen sei und den man eigentlich nur in die Hand nehmen müßte.

So ist das in unserer ländlichen Idylle, in der oberbairischen Provinz. Grade hat der heutige Postbote unseren Klopfer sanft betätigt und ist wieder gefahren, geht doch.

Leider ist mir schon wieder passiert, daß ich einen Film in verkehrter Sprache bestellt habe: „Bird“  von Clint Eastwood über den kongenialen Charlie Parker, aber leider spreche ich kein Französisch.

Auf den Straßen unserer Idylle hat das  Große Stehen nach Kroatien begonnen, auf der Autobahn und, was da nicht mehr drauf passt, bei uns durchs Tal auf der Bundesstraße. Und über uns die unzähligen Flieger, es ist den Leuten wirklich scheißegal, was diese Fliegerei mit unserer Welt anrichtet, man fliegt mal schnell nach Singapur, nach Berlin, London, Istanbul, warum? Weil man es kann und weil es alle machen. Und wie blöd muß man eigentlich sein, jetzt aus unseren 37 Grad Hitze Land in Länder zu fliegen, in denen 45 Grad und mehr angesagt sind. Die Menschheit lernt nichts dazu. Vorhin war ein heftiges Gewitter, Sturzbäche sind über die ausgetrockneten Wiesen den Hügel hinuntergelaufen, nichts ist in die Erde gedrungen. Wann kapieren wir eigentlich, daß es nicht reicht, Insektenhotels aufzuhängen, wenn ringsrum alles verdorrt ist.

Trotz alledem muß man sich dringend „das Glücklichsein gestatten“, hat die Kraulquappe jetzt mal gesagt, wie Recht sie hat und gleich noch einen Spruch vom geliebten Bruce nachgeschickt: „Seid gut zueinander“! Ja, laßt es uns immer wieder versuchen!

Ich freu mich bald auf liebe Gäste, die brauchen nicht mal klopfen, weil die Türe schon weit auf ist für sie!

Ansonsten gilt:

Klopfet an, so wird euch aufgetan. (Lk 11/9)

 

 

#11 Sag mir ein Wort

Wo ich auch hinkomme, begrüßen sich die Menschen mit „Hallo“. Auch vorhin beim Optiker ein Kommen und Gehen und die meisten sagen Hallo, nur ganz wenige, oft bin ich die einzige, sagen Grüß Gott. Es scheint völlig aus der Mode zu sein, in dem, was vom bairischen Deutsch noch übrig ist, Gott zu erwähnen, zumindest was die Grußformen anbelangt. Wenn was Schlimmes passiert, sagt man: Um Gottes- oder Himmelswillen, oder Gott sei Dank oder Gottlob, wenn das Schlimme abgewendet wurde. Und wenn es schwierig wird: oh Gott oh Gott. Früher sagten wir Helf Dir Gott, wenn einer geniest hat und die Antwort war: Dank dir Gott und anstatt Danke sagten wir Vergelts Gott, und die Antwort war: Segne´s Gott! Wir sagen noch: Ach du lieber Gott, wenn es auf der Straße des Lebens unwegsam und gefährlich wird, aber in der Grußformel an den Mitmenschen, da wollen wir so reden, wie alle reden und weil so ziemlich alle wie alle reden wollen, deshalb reden halt auch alle so wie alle. Und da entsteht dann so ein Brimborium von Wörtern, die alles für alle bedeuten und einfach genug sind, daß alles von allen ausgedrückt werden kann und die alles bedeuten und daher also nichts. „Gucken, lecker, mega, unfaßbar, Boomer,“ … die Serie kann fortgesetzt werden … gehören für mich an erste Stelle der Unwörter, aber vor allem dieses „Hallo“, das ja beim Telefonieren seine Berechtigung hat, doch ich möchte nicht damit begrüßt werden, gestehe aber, daß ich auch aufpassen muß, nicht in diese Hallo –  Falle zu geraten.

Es gibt im bairischen Deutsch, in der Sprache der Alpenländer – und ich bin sicher, überall, wo es eine Mundart gibt, ist das genauso – eine Vielfalt an Grußformeln:

Griaßgod … Grüß Gott
Griaßdigod , sagt man zu Menschen, die man mag…Grüß Dich Gott
Griaßeahnagod … Grüß Sie Gott

Pfiagod … Pfüat Gott … Behüt Gott (Auf Wiedersehen)
Pfiatigod … Behüt Dich Gott
abgekürzt sagt man Griaßdi und Pfiati

und das ist nur ein kleiner Ausflug in  die Sprache, die in diesem Banalwort Hallo traurig verkümmert. „Was – Sie grüßen Gott!!!“  – hat mir mal einer angewidert entgegen geschleudert. Ja, auch ich, eine alte, suchende Agnostikerin, grüße gerne Gott im anderen Menschen, ich grüße das Heilige in ihm.

Aber ich vermute, die meisten denken gar nicht über die Wirkung eines Grußes nach, denn wenn ich so auf der Hausbank sitze und die Leute grüße, die vorbeiradeln, grüßen die wenigsten zurück. Vorgestern  sagte ein junger Kerl „Servus“ und gestern rief ein älterer Mann mir zu: „Habadehri“, das heißt: „Habe die Ehre“ und hat mich sehr gefreut. Das Grüßen ist eine magische Praktik und gehört wie das Wünschen zu den alten Kräften.

Als ich heute aus dem Optikerladen heraustrete, fühle ich mich, als würde ich in das Backrohr bei 250 Grad Umluft kriechen.

Heißer Wüstenwind weht über die vertrocknete Erde. Mir fällt plötzlich dieser Ort ein, irgendwo in Istrien, wir sind geflüchtet vor den Menschenmassen am Strand, einen steinigen Pfad ins Nirgendwo, an Bunkeranlagen vorbei, hinauf durch einen Wald, oben eine Klippe, ausgetretene Steinstufen zu einer kleinen Kapelle. Die Tür steht offen, wilder Rosmarin und Thymian wachsen an der Schwelle. Drinnen gleitet halbdunkle Kühle über meinen erhitzten Leib. Ich setze mich ins Gestühl, vor mir kniet auf einer Altarstufe, die Hände gefaltet vor der Brust, eine dunkle Gestalt, eine alte Frau im schwarzen Kleid. Ich bin vorsichtig und leise, um sie nicht im Gebet zu stören. Ich schließe die Augen und verliere sofort den Bezug zum Irdischen, ich lasse mich los und fliege mit den Gestirnen durch Zeiten und Räume…

Als ich aus dem Zeitlosen wieder zurückkomme und die Augen öffne, kniet die Frau immer noch vor mir. Ich gehe zu ihr und berühre sie vorsichtig an der Schulter. Kühl und hart, sie ist aus Holz, ein bemaltes Gesicht, dunkle Augen sehen in die Ferne …

Vorhin hätte es beinahe geregnet. Drei Tropfen auf meinem Handrücken. Ich lecke sie ab, wie Salzkristalle schmecken sie.

Sag mir ein Wort, und ich stampfe
dir aus dem Zement eine Blume heraus…
Christine Lavant

und die Kraulquappe hat bestimmt auch schon hier was geschrieben!

#10 … was der Fall ist …

Jetzt sitz ich schon zum 10. Mal hier um die gleiche Zeit und warte … auf Wörter, die sich hoffentlich zu passablen Sätzen formen, die ich dann hinausschicken kann, als Notizen zwischen Himmel und Erde. Heute warte ich auch noch sehnlichst auf Nachricht meiner Herzensfreundin, die am Morgen, von unliebsamer Geschichte hoffentlich befreit und jetzt frisch operiert im Aufwachraum sich wieder dem Leben entgegenstrecken wird. Ich hab eine Kerze für sie angezündet an einem heiligen Ort zu Füssen der Himmelsfrau. Wenn das Gefälle der Ereignisse zu hoch ist und sich jeglicher persönlicher Beeinflussung entzieht, dann kann man nur noch nach oben abgeben und versuchen, Demut zu üben. Demut, was für ein Wort … es läßt sich zerlegen in Dienen und Mut. Sich zu ergeben, und dem Großen Weltengeschick dienend anzuvertrauen, dazu braucht es freilich Mut.

Endlich hat es geregnet, viel zu kurz und viel zu wenig, aber zumindest so viel, daß sich alle Wesen über und unter der Erde vor dem Verdursten retten konnten. Ich habe mich in diesen warmen Sommerregen gestellt und mir war, als wäre ich von unzähligen offenen Mündern umgeben, die begierig jeden Tropfen aufsaugen wollten …  Trinken, nur noch Trinken … ob es dafür gereicht hat, die tiefen Risse der verwundeten harten Erde mit Wasser zu füllen? Jetzt wird wieder viel von der sogenannten Leichtigkeit des Sommers geredet. Ich kann in der bleiernen Schwere der schwülen Hitze, in den ausgetrockneten Bächen und den verdorrenden Wiesen, auf die auch noch hunderttausende von Litern Gülle geschüttet wird, nichts Leichtes erkennen. Am Chiemsee gibt es eine Mückenplage, die ersten Touristen sind schon deshalb abgereist, angeblich. Manchmal kommt es mir vor, als wäre diese Leichtigkeit des Sommers eine Erfindung der Tourismusindustrie und Oberbayern ein großer Freizeitpark und mir fallen die grandiosen Filme „Future World“ ein und das Beste, was es über die touristisch erschlossenen Alpenländer gibt: „Die Piefke Saga“, von Felix Mitterer geschrieben! Das spielt zwar in Tirol, aber ätzender und desillusionierender kann man eigentlich nicht beschreiben, was sich hierzulande abspielt.

Das, was der Sommer an alten Wunden offenlegt, das übergießt ein warmer Regen mit heilendem Balsam.

Vor paar Tagen stellte sich von Schrecken begleitet heraus, daß mein Ausweis schon vor vier Monaten abgelaufen ist. Also schnell das volle Programm: Frisörin, Fotostudio, Gemeinde. Das Schlimmste ist das Foto. Ich hasse dieses Hinsetzenmüssen und irgendwie so schauen, daß es ein gutes Bild wird. Und das Ergebnis ist dem Schulfoto, zu dem ich als Erstklässlerin gezwungen wurde, sehr ähnlich … ein total verkrampftes Geschaue in völlig unnatürlicher Kopfhaltung, von der freundlichen Fotografin in kamerataugliche Position gedreht … wie damals, vor über 60 Jahren. Ich hatte plötzlich während der Prozedur dieses Déja- vùs, und ich sah den gebräunten Arm der Schulfotografin vor meinem Gesicht und hatte ihren Geruch in der Nase, der mir sehr unangenehm war. Ihr Arm, der ständig an mir herumfuchtelte, roch nach Rauch und Schweiß und irgendeinem süßen Parfum, alles in allem war mir zuwider und so schau ich auch auf dem Foto als kleines Mäderl. Heute sehe ich auf dem Foto eine verkrampft ernsthaft schauende Frau mit fast 71 Jahren und ich frage mich, ob es wohl das letzte Foto sein wird. 10 Jahre ist der Ausweis gültig, gibt es mich dann noch?

Wie oft werde ich wohl noch Ribislgelee einkochen, war es die letzte Aprikosenmarmelade, frage ich mich, als sie angebrannt ist, weil ich mir beim Hantieren ein spitziges Messer in den Daumen gerammt habe. Wie oft werde ich noch einen Ribislkuchen machen, beim jetzigen ist mir das Baiser verbrannt, als ich Ben Becker beim Rezidieren von Paul Celan zuhörte … Ach diese Fragen nach dem letzten Mal sind müßig und eine Falle, die das Leben trostloser macht, als es ist und ich versuche, sie abzuschütteln. Denn eine Stimme tief in mir sagt, egal wie alt wir sind, wir haben immer gleich viel Lebenszeit, nämlich diesen jetzigen, flüchtigen Moment.

Die Kraulquappe und ich, wir haben eine sehr besondere Verbindung. Unsere Empfindungen kreuzen sich manchmal herzmäßig und wunderbar an den merkwürdigsten Stellen, und da, wo wir uns am Fremdesten sind, kommen wir uns so nahe, daß wir gegenseitig die Schutzschirme der schlecht verheilten Wunden spüren.

Ich liebe es, wenn sie sagt: „Bei Dir  im Bergland“, weil das so stimmt und weil sie als Großstädterin nicht bei Euch „am Land“ sagt, denn das würde nicht stimmen. Und sie nennt mich „Gefährtin“. Ja,  das bin ich gerne mit ihr, Gefährtinnen auf der Reise, mal näher, mal ferner, die Gefahren umkreisen aber auch mitten hinein und hindurch. Und wir sind uns sehr ähnlich in der Punktgenauigkeit der 12 Uhr Mittag – Vorgabe. Auslegen tun wir’s, wie es uns entspricht … die Kraulquappe schickt pünktlich um 12 Uhr ihren Text raus und ich setze mich pünktlich um 12 Uhr hin, um ihn zu schreiben! So sind wir und ich freu mich auf weiteres Parallelschreiben und überhaupt bin ich froh, daß es Dich gibt, liebe Kraulquappe!!

„Die Welt ist alles, was der Fall ist“ (Wittgenstein Tract.)

#9 In den Gängen

Während wir an der Brücke stehen, um in die Bundesstraße einzubiegen und über die neuesten Ungereimtheiten im Kampf der selbsternannten Giganten in Russland sprechen, die aus einem miesen Blockbuster stammen könnten, wären sie nicht blutige Realität, hören wir sie schon, bevor wir sie sehen. Schwere Fahrzeuge der Bundeswehr  bewegen sich im Konvoi mit diesem grausigen Dröhnen, das nur Kriegsfahrzeuge machen, an uns vorbei. Zehn, zwanzig, oder mehr, ich zähle nicht, mir kommt die Reihe endlos vor … und sofort ist es an diesem heißverschwitzten Sommertag zu Beginn einer kleinen Spazierfahrt so kalt, daß ich fröstle. Die Erkenntnis, die wir ansonsten gerne von uns wegschieben, fällt uns wie Eisklumpen vor die Füsse. Es ist Krieg. Vor unserer Haustüre.

In meinen Kinder- und Jugendjahren, da gab es dauernd irgendwo Manöver und es sind oft Panzer und alle möglichen Fahrzeuge der Bundeswehr auf der Straße unterwegs gewesen und wir haben den freundlichen Soldaten hinten in den LKWs zu gewunken. Einmal hat eine ganze Truppe bei uns übernachtet, sie waren vom Weg abgekommen und hatten sich bei Nacht und Nebel verirrt. Sie waren völlig übermüdet vom langen Marsch, saßen verschwitzt und kaputt herum, leerten ihre Blechdosen, schenkten mir ein paar Kekse und heißbegehrte Schokolade. Meine Mutter holte alles, was wir hatten, ich nehme an, Brot und Margarine und sie kochte Kaffee. Ein ganz lieber junger Soldat malte mit mir Buchstaben in ein Heft. Ich war noch ganz klein und saß auf seinem Knie. Seine warmherzige Freundlichkeit spüre ich noch heute und wie traurig ich war, als der ganze Trupp am nächsten Morgen die tarngrünen schweren Schlafsäcke auf unserem Stubenboden zusammenrollte und sich mit Handgeben und sich für Logis bedankend wieder auf den vom Vater genau aufgezeichneten Weiterweg machte. Wir standen alle vor dem Haus, Oma und Opa, Papa, Mama und ich und winkten ihnen nach und der liebe Soldat, der mit mir Schreiben geübt hatte, lief nochmal schnell zurück, warf mich in die Luft, fing mich lachend wieder auf und holte aus seiner Uniformtasche noch ein paar Bonbons für mich, dann drehte er sich um und lief seinen Kameraden hinterher. Ich wünsche so sehr, daß er es ihm gut erging im Leben, er hat bis heute einen Platz in meinem Herzen.

Wir fuhren dann gestern hinter dem Konvoi her mit diesem mulmigen Gefühl und begleiteten ihn bis dahin, wo er in Richtung Stützpunkt abbog.

Unsere Spazierfahrt endete dort, wo neben dem Gerüst an einer alten Kirche dieser riesige Kran steht, den wollte mir Herr Graugans zeigen, weil er weiß, daß ich Kräne liebe. 79 Meter ist er hoch, der Kirchturm geht ihm nur ungefähr bis zur Hälfte und da Sonntag war, konnte ich unter dem Sockel durchgehen, auf dem er steht. Und ich sah die Leiter im Inneren, die der Kranführer hinaufsteigen muß, um oben in seine Kabine zu gelangen … die eine Art Freisitz zu sein scheint. Meine Güte, wie schwindelfrei muß man sein, um da hinauf zu kommen und vor allem: wieder herunter! Aber ich stelle mir vor, daß es ein besonderes Gefühl sein muß, so weit oben zu sitzen, dem Himmel so nah und auf dem Arm die Wolken balancierend…

Der Traum, Kranführerin zu sein, hätte sich leider nie erfüllt, weil ich mich zwar so ziemlich überall hinauf traue, aber leider nicht mehr hinunter, das war immer schon beim Kirschenpflücken ein Problem und scheint den vierbeinigen Katzenwesen nicht ganz unähnlich zu sein, die blitzschnell ganz oben in der Baumkrone sind und dann schreien…wie der Herbert, der als kleiner Kater auf den obersten Balken unseres Heubodens kletterte und dann wie am Spieß schrie … Gottlob kam grad der Nachbar des Weges, der als Spengler schon von Berufs wegen schwindelfrei ist, und er stieg auf die längste Leiter und versuchte sein Bestes. Herbert wurde gerettet, dem Nachbarn lief das Blut den Arm runter.

Mein schlimmstes Erlebnis hatte ich mal auf einem Klettersteig in den Berchtesgadener Bergen. Ich stieg auf einer ewig langen steilen Leiter am Felsen nach oben und drehte mich auf der Hälfte um und sah nach unten, was man nie nie nie machen sollte … unten , sehr sehr weit unten lag der grüne Königsee…

Manchmal denke ich, vielleicht wäre es gut gewesen, den Gabelstaplerschein zu machen, das ist auch so ein Fahrzeug, das ich liebe. Ich würde gerne einfach so mit  Hilfe der Hydraulik viele Paletten hochheben können. Und sofort fällt mir einer meiner absoluten Lieblingsfilme ein: „In den Gängen“. Darin geht es natürlich nicht nur um Gabelstapler, aber halt auch.  Eigentlich geht es um die verschiedensten Aus- und Einprägungen von Einsamkeit und die Versuche, damit zu leben, zu überleben. Unzählige Male hab ich ihn schon gesehen, aber immer wieder entdecke ich unbekannte Details und ich gehe mit den Haupt-und Nebenpersonen durch das Lager eines großen Einkaufsmarktes irgendwo in Deutschland im Nirgendwo einer Provinz hinter den Verkaufsflächen, dort, wo die Unsichtbaren sind, die Ware von hier nach dort mit dem Stapler transportieren. Dort , wo sie immer wieder versuchen, sich zu mögen, sich trauen, das auch zu zeigen, zu scheitern und wieder weiterzumachen, ein wenig Glück, ein Yes-Törtchen mit Kerze zum Geburtstag … mit der Trostlosigkeit zu leben und zu sterben, weil man ihr nicht ausweichen kann. Und mit dem Stapler herum zu fahren … und wenn man die leere Gabel ganz nach oben und langsam wieder runterfährt, dann hört sich das Geräusch der Hydraulik an wie Meeresrauschen.

„In den Gängen“ –  ich liebe diesen Film.

Und da schreibt die Kraulquappe

 

#8 Verwunschen

Der Zeitpunkt, mich um 12 Uhr mittags zum Schreiben hinzusetzen ist schwer einzuhalten. Sie wissen natürlich längst, daß man mit mir als Nachtmensch erst um Mittag herum rechnen kann und sobald auch nur ein Geräusch aus der Küche zu vernehmen ist, stehen sie schon da. Und wenn ich nicht reagiere, dann suchen sie mich. Der Kleine vom Nachbarn hat entschieden, mindestens halbtags bei uns zu leben und hat einen Weg gefunden, bei geschlossener Küchentüre trotzdem ins Haus zu gelangen. Er klettert den Hollerbusch hinauf, springt auf den Gang (Balkon) und kommt zur Gangtüre, die im Sommer immer offen steht, herein in den Söller und dann schaut er, ob er was zum Essen findet oder er legt sich schlafen. Einer Katze den selbst ausgewählten Wohn- und Schlafort zu verbieten, ist ein vollkommen sinnloses Unterfangen. Genauso sinnlos ist es, am Rechner im ersten Stock zu sitzen und zu meinen, man könne arbeiten, wenn unten die ganze Fellbande herumlungert und auf ihr Gewohnheitsrecht pocht. Herbert hat jetzt auch den Weg über den Hollerbusch erkannt und steht mit vorwurfsvoller Stimme neben mir. Aufstehen mitten im Satz und runtergehen, alle füttern, natürlich einzeln und nacheinander … wie es ihnen genehm ist und den sich ständig ändernden Dominanzen entspricht. Dann, mit Kraft aufgetankt, je nach Stimmung, trollen sie sich wieder, die einen gehen auf die Jagd, die anderen zu den Schlafplätzen, die Katzenwesen. Sie als „Haustiere“ zu bezeichnen, wäre unangemessen. Das Haus wird benutzt als komfortable Unterkunft bei unguten Witterungsverhältnissen, der Mensch ist geschätzter Futtergeber, auf den man angewiesen ist, das wars aber schon. Unsere Katzen sind Familienmitglieder, ob sie das auch so sehen, ist relativ ungewiß. Sie streichen gerne um unsere Beine und sind nahezu immer in der Nähe, wo wir uns auch draußen aufhalten. Es ist äußerst ratsam, in ihrer schnurrenden und einschmeichelnden Gegenwart nie die Raubkatze in ihrem Wesen zu vergessen, die eigenen Instinkten folgt, und von der man als Mensch nur deshalb nicht gefressen wird, weil man soviel größer ist.

Ein kleiner, lauer Wind streicht mir ganz zart übers Gesicht, während ich aus dem Fenster schaue, hinüber zum Hügel, der sich zum Wald hinaufzieht. Almenrausch, Flieder, Buchenschößlinge, Felsenbirne, Holler, Kornelkirsche und Wildrosen überwuchern den Zaun meines verwunschenen Gartens. Früher stand dort mal ein uraltes kleines Waschhaus, es wurde „Badl“ genannt. Mir kommt heute vor, als hätte ich einen Teil meiner Kindheit dort verbracht , alleine mit den magischen Geheimnissen dieses Ortes, von denen ich niemals jemand erzählt habe. Noch heute blutet mir das Herz, wenn ich daran denke, wie es vom Vater abgerissen wurde wegen angeblicher Baufälligkeit, an die ich nie geglaubt habe. Ich sehe noch die großen Bachsteine herumliegen, aus denen es gebaut war in dieser trostlosen Schönheit in der Armseligkeit eines kleinen Bauerngütels. Der Vater hat dann einen Nutzgarten dort angelegt und jahrzehntelang in erbittertem Krieg um seine Ernte gekämpft in pausenlosem Ermorden von Schnecken und Wühlmäusen und ständigem Zurückdrängen der hereinkriechenden Wildnis. Ich habe die Versuche, ohne Tötungsaktionen zu Gemüse zu kommen, lange schon aufgegeben und alles sich selber überlassen. Dann hat sich alles im eigenen Rhythmus gewandelt und lebt nach eigenwilligen Gesetzmäßigkeiten, die nicht mehr angepasst sind an menschliche Maßstäbe. Manchmal ist mir, als würde sich der Ort regenerieren, sich dehnen und strecken, ein- und ausatmen und manchmal ist sie wieder da, diese Magie des verwunschenen Ortes meiner Kindheit. Alles wächst, wie es will, Teppiche von duftenden Bartnelken entstanden, die ich eigentlich ganz woanders vergeblich gepflanzt hatte, Edelrosen wachsen, mitten im hohen Gras, gestützt von Akeleien. Einen Ameisenhügel gibt es, gebaut wie eine Burg mit zwei Stockwerken unter der Erde und Spähertrupps drumherum. Ein Baum wächst, dessen Art niemand kennt, den ich schon mehrmals komplett abgeschnitten habe, aber der sich immer wieder ans Licht kämpft, jetzt kann er bleiben.  In meinem verwunschenen Garten gibt es keinen Tod, wenn etwas aufhört zu atmen, dann atmet ein anderes dafür weiter. Es stirbt nichts, sondern es verwandelt sich, es zieht sich zurück in die Erde, um bei geeigneten Bedingungen wieder zu keimen. In meinem verwunschenen Garten sitzt der Tod auf warmen Steinen und döst vor sich hin, lächelnd.

Es gibt hier keine Bedrohung, nicht mal ich werde wohl so empfunden, wenn ich mit der Sense ab und an meine, es müsse doch Wege durchs Dickicht geben und was man halt so denkt als zivilisierter Mensch … wurde uns denn nicht lebenslang beigebracht, daß diese ungezügelte Wildnis zu fürchten ist, weil sie zu Anarchie führt?  Manchmal hätte ich auch gerne ein romantisches Plätzchen, das geht aber nur in einer Art gepflegter Wildnis. Wenn ich mit der Sense  das hohe dichte Gras mähe und das klebrige Labkraut ausreisse, dann habe ich immer den Eindruck, hinter mir schließen sich sofort die Schneisen. Alles wuchert seinen Geschicken entgegen, was ich aufreisse, macht hinter mir wieder zu und ich werde keineswegs als Fremdkörper betrachtet, sondern eingemeindet, es würde nicht lang dauern, dann wäre ich umwuchert.

Wild ist das Wilde nur da, wo es wild ist. Es gibt  Wesen, die sind tageslichttauglich, man hört und sieht sie. Aber es gibt auch welche, die huschen nachts durch den Garten und es gibt welche, die sieht man nicht, die existieren nur da, wo das Mondlicht silbern auf die Erde tropft. Es gibt kein Gut und Böse und keinen Sinn und Zweck, es gibt nur Einatmen und Ausatmen in meinem verwunschenen Garten.

Das Herz ist ein ganz besonderer Erdteil, alles ist richtig, auch das Gegenteil.

 

Auch die Kraulquappe hat was geschrieben

#7 Paradox

Jetzt habe ich das Buch von Ahmet Altan ausgelesen, ich habe es ausgeschlürft, Wort für Wort hat es meine Grundfeste erschüttert. Nein, keinerlei Schilderungen von blutiger Folter, keine äußeren Grausamkeiten. Das, was mir so nahe geht, daß es wehtut ist die Teilnahme, das Dabeizuschauen, wie der Schriftsteller den inneren Schmerz in Poesie verwandelt, um nicht von ihm getötet zu werden. Er weiß, daß er lebenslänglich in dieser Zelle sitzen muß. Und er reist in Gedanken durch Texte anderer, die er gelesen hat. Zenons Paradox kommt ihm in den Sinn:  „Ein Objekt  in Bewegung ist weder dort, wo es ist, noch dort, wo es nicht ist“ und er verwandelt es für sich: „…ich bin weder dort, wo ich bin, noch dort, wo ich nicht bin.“ Und da passiert dieser Transfer, nur selten gibt es ihn … die Stimme des Schriftstellers wird zu meiner Stimme und spricht aus mir. Wir werden zu einer Sprache, wir sprechen uns aus der Seele.

Ich sitze hier, draußen höre ich Herrn Graugans, der mit zwei schmerzhaft kaputten Knien und mitten im stressigen Firmenalltags mühsam mit dem Kreiselmäher unter den Bäumen des buckligen Streuobstwiesenhangs das Gras bearbeitet. Der Pächter kommt demnächst mit dem acht Meter breiten Mähbalken und mäht die großen Flächen. Die Mähtermine des Pächters richten sich nach eigenen Gesetzmäßigkeiten und werden, wenn überhaupt, einen Tag vorher bekanntgegeben. Wenn wir da unsere paar tausend qm zeitnah auch mähen, dann können wir es zu dem übrigen Gras dazu werfen. Wenn nicht, dann bleibt das Gras halt stehen. Also werden wir heute soviel wie möglich bearbeiten, so lang es Büroalltag und Schmerzen zulassen. Ich werde den Rechen nehmen und die Heugabel und das von uns Gemähte zum anderen hinüber- hinauf- hinunter transportieren. Und ich versuche, dabei nicht daran zu denken, was mir alles wehtut, sonst fang ich an zu weinen. Der Nachbar hat ähnliche Probleme. Er hat denselben Pächter, aber der Mähbalken vom kleinen Traktor, mit dem er seine Streuobstwiese zu diesen Anlässen bearbeitet, ist kaputt und er selbst ist auch sehr schlecht beisammen, denn die wochenlange Arbeit beim Hausbau seines Sohnes hat sein lädiertes Kreuz einsacken lassen.

Das neue Haus steht da und hat schon ein rotes Schindeldach bekommen. Es steht auf der Anhöhe und seine noch leeren Fensterhöhlen schauen auf das alte Bauernhaus herunter. Ob dessen Augen auch hinaufschauen, kann man durch die Scheibengardinen nicht erkennen. In den nächsten Tagen wird der gelbe Kran wieder verschwinden, der Himmel wird sich dann wieder selbst tragen müssen.

In München sind vier Konzerte mit Rammstein ausverkauft, es ist ja nichts Neues, daß man mit dem Badboy – Image viel Geld verdienen kann, hier funktioniert es auch prächtig seit Jahren und derzeit mehr denn je. Und ich habe bisher noch niemand sagen hören, daß ihr/ihm bei den Schweinereien der Texte schlecht geworden sei. Ganz im Gegenteil, viele Konzertbesucherinnen sprachen von Loyalität grade jetzt … ein äußerst gefährlicher Begriff, die Loyalität. Auch die vielgepriesene Toleranz ist mit größter Vorsicht zu genießen.

In Erding treibt eine, die sich Kabarettistin nennt, die Massen auf einem Platz zusammen und verspricht, daß es demnächst 10000 sein werden auf der Oktoberfestwiese. Die Leute wollen kein E-Auto sagt sie und sie wollen nicht gendern und weiteres unsägliches Zeug, auch der bayrische Gottvater samt seiner Assistenz gesellen sich dazu und dann schimpfen alle über die Grünen, denn die „wollen uns den Wohlstand nehmen“, wenns nach denen geht, müssen wir im Winter erfrieren.  Oje, alles sehr peinlich, wie ich finde, auch die AfD hat ihre Veranstaltung nebenan.

Es ist ganz schön brenzlig, wenn ich sage, daß ich eine überzeugte Grüne geworden bin und finde, daß die alle einen guten Job machen und ihnen dabei Fehler zugestehe, weil auch die Grünen Menschen sind. Erschreckend viele freundlich begonnene Gespräche enden dann abrupt wie gestern bei der Radlrunde, als ein paar Leute massiv über Habeck & Co geschimpft haben, weil der die Verarmung vorantreiben würde und man wüsste nicht mehr, wo man noch das Geld für die hohen Energiekosten nehmen sollte. Später sind sie dann am Berg, als ich mein Radl geschoben habe an mir vorbeigezogen: Papa, Mama, kleineres Kind 1, größeres Kind 2, alle mit teuerster Markenkleidung, Helmen, etc. ausstaffiert und alle, einschließlich kleines und größeres Kind auf E-Bikes der Luxusklasse.

„Ich bin weder, wo ich bin, noch, wo ich nicht bin.“ (Ahmed Altan)

 

Gruß an Frau Kraulquappe!

#6 Ahmed Altan: „Ich rauche nur, wenn ich nervös bin“.

Der Wind in der letzten Nacht hat mindestens die Hälfte der Wildrosen entblättert. Die Zartheit der Blüten konnte ihm nicht widerstehen. Sie blühen nur ein paar Tage. In dieser kurzen Zeitspanne ereignet sich das Wunder, man kann es riechen, sehen, aber vor allem, spüren, es geschieht aus sich heraus und hat eine eigene Gesetzmäßigkeit, der man sich fügen muß, sonst verpasst man es. Hinsetzen, still sein und schauen, das ist alles. Und man muß aushalten können, daß im Aufblühen das Vergehen enthalten ist. Dann fliegt das Wunder wieder weg, zurück bleibt eine kleine traurige Melancholie, das ist der Preis.

Noch weht ein zarter Hauch von einem Duft durchs offene Fenster. Neben mir steht die Kanne Tee und daneben liegt das Buch, das ich um Punkt zwölf Uhr zugeklappt habe: Ahmed Altan: Ich werde die Welt nie wiedersehen. Texte aus dem Gefängnis. Ein kleines dünnes Buch, das ich mit gebracht habe aus einer Veranstaltung im Salzburger Literaturhaus. Drei Abende waren es: „Das Europa der Muttersprachen“, heuer  mit Lesungen von SchriftstellerInnen aus Städten am Schwarzen Meer, Istanbul, Tbilisi, Czernowitz. Und wie immer, waren auch die Leiterinnen der dortigen Literaturhäuser eingeladen, um über ihre Arbeit unter den jeweiligen Bedingungen zu sprechen. Kleine Oasen des Glücks in diesem Haus am H.C.Artmannplatz , da, „wo das Leben zur Sprache kommt“, wie der Slogan des Hauses ganz richtig heißt. Inmitten von einem angenehmen und interessierten Publikum diesen fremden Menschen lauschen zu dürfen, die trotz größter politischer Widrigkeiten förmlich um ihr Leben schreiben und Literaturhäuser betrieben werden, obwohl Bomben und sonstige Bedrohungen über die Dächer fliegen, betrachte ich als großes Geschenk. Ich bin so voller Texte und Eindrücke, ich könnte noch kein wirkliches Fazit über diese drei Abende erstellen. Aber was mich durchgehen zutiefst berührt ist, daß alle um ihre eigene Sprache kämpfen, die oft ganz beträchtlich von der landessprachlichen Norm abweicht. Ich fühle mich allen nahe, die ihre Sprache sprechen nicht nur gegen den Mainstream wie hierzulande, wo man ja mit Mundart nur belächelt wird und als etwas geistig minderbemittelt betrachtet – sondern vor allem denen, die ihre Sprache unter großer Bedrohung sprechen. Ich erfahre, daß die baskische Sprache kein Land hat und den Kurden weder Land noch Sprache genehmigt wird. Ich liebe es, in der Sprache der Menschen zu hören, wo sie herkommen und beklage es sehr, daß schon den Kindern eine Art Einheitsdeutsch aufgezwungen wird und sie keine sprachliche Heimat mehr haben dürfen … aber das ist ein eigenes Feld,  eins meiner großen Lebensthemen und ich würde gerne mal ein Projekt ins Leben rufen, in dem es darum geht, wie wir sprechen und warum wir so sprechen, wie wir sprechen… ich fürchte, da gäbe es wohl nur wenige, die mitmachten, wenn überhaupt, denn das ist ein ganz heikles Thema, weil es da ja auch um Heimat geht und diesen Begriff scheinen wir alle nahezu zu fürchten, fast so sehr wie Einsamkeit, Kranksein, Alt werden …

Ohne nochmal auf Ahmet Altan hinzuweisen möchte ich diesen Text hier nicht beenden. Während ich hier am Rechner sitze hatte ich ständig diese Aufforderung in mir: Sag allen, sie sollen dieses Buch lesen! Das ist schwierig und ich weiß auch nicht, wie ich es besser formulieren könnte, also sage ich einfach denen, die es nicht längst schon kennen, bitte, lest dieses Buch:

Ahmet Altan: Ich werde die Welt nie wiedersehen. Texte aus dem Gefängnis.

Er ist ja, wie viele wissen, auf großen internationalen Druck nach fünf Jahren aus dem Gefängnis entlassen worden, in dem er eigentlich als Oppositioneller lebenslang sitzen hätte müssen, aber man fand andere Wege, ihn zu quälen und hat ihm Ausreiseverbot erteilt und so konnte er nicht nach Salzburg kommen. Er hat eine Videobotschaft geschickt, die herzzerreissend ist wie das Buch. Heutzutage gibt es ja für alles Triggerwarnungen, womöglich sollte ich davor warnen, es vor dem Urlaub in Istanbul zu lesen, denn man könnte sonst beim Bummel durch die Straßen sich erinnern, daß unterhalb die überfüllten Kerker sind …  Der alte und soeben wieder erneuerte Machthaber scheint mit seiner Politik völlig richtig zu liegen, zumindest, was die touristische Auslastung seines Reiches anbelangt, da liegen die Zahlen höher als je zuvor.

Ich danke Ahmet Altan für dieses Buch, von dem ich täglich nur ein paar Seiten lese und jedes Wort eine Kostbarkeit bedeutet.

Herzlichen Dank dem wunderbaren Leiter, Tomas Friedmann und allen Beteiligten, es war mir eine große Ehre, Zuhörerin sein zu dürfen!

Perihan Magden
Ahmed Altan
Istanbul

Ana Kordzaia-Samadashvili
Tbilisi

Sofia Andruchowytsch
Igor Pomeranzew
Czernowitz

 

„Ihr könnt mich ins Gefängnis stecken, doch ihr könnt mich dort nicht festhalten.
Weil ich die Zaubermacht besitze, die allen Schriftstellern eigen ist. Ich kann mühelos durch Wände gehen.“
Ahmed Altan

 

Auch die Kraulquappe hat einen neuen Text.

#5 Ruach

und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ Apg 2, 1-4

Ganz in der Nähe wird schon seit Tagen Pfingsten gefeiert, das Hochfest mit diesen außerordentlichen Begleiterscheinungen, die um das Kommen des Heiligen Geistes herumschwirren und die kein Mensch versteht, auch diejenigen nicht, die tatsächlich wissen, was „Glossolalie“ bedeutet.  Weil das alles so außerordentlich vergeistigt ist, gibt es Versuche, das Fest zu einer Art Corporate Identity zu machen und also den Geburtstag der Kirche zu feiern.

Am besten ist es wohl, daraus ein intensives gastronomisch/zwischenmenschliches Begegnungsangebot zu schaffen, eine Einladung, die alle verstehen und das scheint überaus gelungen zu sein. Also gibts ein riesiges Bierzelt, das aus allen Nähten zu platzen droht, weil so viele hinein wollen, viel Currywürste und Braten und viel, viel zum Trinken, es ist laut und lustig und berauscht und irgendwann könnt man sicher auch bei genauerem Hinhören die pfingstliche Glossolalie vermuten … eingegeben von der aus großen Metallfässern ununterbrochen frisch gezapften, kühlen Geistigkeit … Heute findet der Leonhardi Ritt statt,  wie schon vor vierhundert Jahren, viele geschmückte Rösser, viel Blasmusik, Trachtenverein und seligmachende Brauchtumspflege, dessen Ursprungsbedeutung sich längst im Nebel der Vergangenheit verloren hat. Viele viele Menschen kommen trotz Straßensperren, Umleitungen und kilometerlangem Stau mit Auto oder Radl von nah und fern und schauen auf den Zug, der sich von der Kirche, fahnenschwingend durch das Dorf und drumherum bewegt und irgendwann ganz in der Nähe des Bierzeltes zum Stillstand kommen wird. Rösser und Reitpersonal, einschließlich Pfarrer werden sich stärken und dann nimmt die Gaudi ihren Lauf. Bei Euch am Land ist die Welt halt noch in Ordnung, hat mal jemand zu mir gesagt und war völlig perplex, als ich gesagt hab, daß es kein „uns“ gibt und schon gar kein „am Land“, das haben die Städter erfunden, „das Land“ … aber bei Euch am Land sind doch die Beziehungen noch in Ordnung … ach ja?

Im Hintergrund läuft zum wiederholten Mal im Lieblingssender Ö1  die wunderbare Musiksendung „Spielräume“, im Andenken an Tina Turner. Eine meiner ersten LPs, mühsam zusammengespart, war Ike &Tina  Turner, ich hab sie so oft gehört, da war eine Kraft drin, die mich mitgerissen hat und tanzen ließ und die ging eindeutig von Tina aus, die sang um ihr Leben. Jetzt läuft Early in the morning  und da kann man es schon ganz deutlich hören, was paar Jahre später dazu führte, den prügelnden Ehemann zu verlassen, der es nicht ertragen konnte, daß sie ihn weit überragte. Niemand im damaligen Amerika hat zu ihr gehalten, alle waren auf der Seite von Ike und sie stand da, alleine mit nichts als ihrem unerschütterlichen und nahezu furchtlosen Mut und sie begann nochmal von vorne, ganz unten. Die Geschichte ist bekannt, viele Filme laufen derzeit über sie. Alle Widerwärtigkeiten des Lebens könne man zu Medizin verwandeln, sagte sie, und sie lehnte vehement ab, Opfer zu sein als Frau und ihren Tänzerinnen auf der Bühne verbot sie das Sexpüppchen Image, sie wollte starke Frauen um sich haben.

Sie hatte diesen unnachahmlich starken festen Schritt und ich frage mich, wie sie das machte, mit hohen Stöckelschuhen so sicher am Boden zu stehen ohne ein einziges Schwanken. Ach, man könnte ewig schreiben über sie, aber das tun jetzt noch kurze Zeit viele andere auch und dann wird sie vergessen sein mit ihrem Leben, nur  Musik wird bleiben und bei den Menschen, die sie gut kannten „eine Hinterlassenschaft der Liebe“, wie es eine junge Frau ausdrückte, die ihr nahestand.

Für mich zeigt sie mit David Bowie am besten, wer und was sie war und wie sie da einander begegneten, in  Achtung und dankbarer Wertschätzung auf Augenhöhe, umflossen von schier herzerreißender  Zärtlichkeit … ein Augenblick, der mich immer mit der Welt versöhnt. Hab Dank, Tina Turner.

Der große Kaktus ist übersät mit Blüten, eine hat sich soeben geöffnet, ich würde am liebsten hineinkriechen in diese Farbe, mich bemalen lassen, streicheln von den Staubgefäßen, hineingleiten, mich wälzen und berauschen am Rot … im Rot im Rot im Rot…

 

Hier ist die Tür zum  Reich der Kraulquappe: