#12 Klopfzeichen

Auf dem Türstock unseres Hauses steht die Jahreszahl 1767, an der Haustüre, die wahrscheinlich aus der gleichen Zeit stammt, ist ein Türklopfer befestigt. Und wie der Name schon sagt, kann man damit klopfen, leiser oder lauter, je nachdem, wie dringlich man sich bemerkbar machen möchte. Ich kann mich nicht erinnern, daß es früher jemals mit dem Türklopfen irgendwelche Probleme gegeben hätte. Bauernmenschen haben die Häuser kaum durch die Haustür betreten oder verlassen, man ging immer hinten hinein, durch die Tennentüre, dann durch „das Haus“ (Hausgang) und dann klopfte man an die Stubentüre. Es war keine Türe abgesperrt und auch wenn man durch die Haustür kam, ging man zur Stubentür und klopfte. So mache ich das heute noch, wenn ich unsere alte Nachbarin besuche, ich geh rein ins Haus und klopfe an die Stubentür. Am Abend wurde abgesperrt. Eigentlich wurde der Türklopfer an der Haustüre nur von Hausierern oder sonstigen Fremden benutzt oder nachts, und da wusste man, daß etwas passiert war.

Heute sind alle Häuser abgesperrt, denn tagsüber ist kaum mehr jemand daheim, die Kinder und die Alten zur Aufbewahrung in den jeweils adäquaten Einrichtungen zur Vorbereitung auf das Leben in einer Leistungsgesellschaft die einen, oder zum Warten auf den Tod, aufgelockert durch Basteleien und  Seniorengymnastik die anderen, die dazwischen in Schule und Arbeit.

Auch die Bauernhäuser sind jetzt gut abgesichert, haben Fingerprint Anlagen oder zumindest Klingelknöpfe. Um die meisten Häuser herum geht auf Schritt und Tritt ein grelles Licht an, was bei manchen eine Art Dauerbeleuchtung auslöst, weil die Katzen ständig durch die Lichtschranken laufen.

Wir leben diesbezüglich auf dem Mond. Unser geliebter eiserner Türklopfer sorgt für große Verunsicherung. Die ständig wechselnden Postboten und diverse andere Lieferdienste wissen entweder gar nicht, wie sie sich bemerkbar machen könnten, bringen die Pakete zum Nachbarn oder werfen Abholzettel für die Poststelle in den Briefkasten oder schlagen mit dem Klopfer so aggressiv herum, daß er jetzt, nach 250 Jahren schon etwas wackelt und schief an der Türe hängt. Es ist kaum zu glauben, aber viele Menschen sind überfordert, wenn sie keine übliche elektronische Klingel vorfinden, so als ob der Mensch völlig vergessen hätte, daß außerhalb technischer Fernsteuerung auch noch eine Welt existiert, die man mittels Handhabung bedient. Hin und wieder verirrt sich touristisches Fußvolk auch hierher in unser vollkommen unspektakuläres kleines Tal, hockt sich auf die Hausbank und wartet auf Bedienung. Da es keine Türglocke gibt, rennen sie ums Haus herum, klopfen an die Fenster und rufen „Halloo“…is hier niemand  und werden ungemütlich: also gute Frau, so gehts ja nicht, wir warten ewig auf ein Glas Milch, das ist doch hier eine Alllpe oder nicht?

Jetzt kommen keine Leute mehr zu Fuß, sondern nur noch elektrische Fahrräder sausen mit Affenzahn ums Eck herum und wenn sich doch welche ohne zu fragen auf unserer Hausbank häuslich niederlassen und ich sie gern loshätte, lege ich die Christmas Scheibe vom Bobby Dylan auf, den ich ansonsten sehr liebe, aber diese Platte ist so schrecklich , daß sie mir in der Touristenvertreibung schon gute Dienste erwiesen hat … aufgedreht, was die Boxen hergeben.

Vor kurzem schrie wieder mal eine Frau, ums Haus herum stöckelnd: Hallo, hallo, wer wohnt denn hier! Ich hatte die Gießkanne in der Hand und sagte: Ein Hallo wohnt hier schon mal gar nicht und was sie denn wolle. Sie wurde pampig und beschwerte sich, es gäbe ja keinerlei Klingel und wie sie denn …usw. usw. Ich sagte nur, wir hätten einen Türklopfer, der nicht zu übersehen sei und den man eigentlich nur in die Hand nehmen müßte.

So ist das in unserer ländlichen Idylle, in der oberbairischen Provinz. Grade hat der heutige Postbote unseren Klopfer sanft betätigt und ist wieder gefahren, geht doch.

Leider ist mir schon wieder passiert, daß ich einen Film in verkehrter Sprache bestellt habe: „Bird“  von Clint Eastwood über den kongenialen Charlie Parker, aber leider spreche ich kein Französisch.

Auf den Straßen unserer Idylle hat das  Große Stehen nach Kroatien begonnen, auf der Autobahn und, was da nicht mehr drauf passt, bei uns durchs Tal auf der Bundesstraße. Und über uns die unzähligen Flieger, es ist den Leuten wirklich scheißegal, was diese Fliegerei mit unserer Welt anrichtet, man fliegt mal schnell nach Singapur, nach Berlin, London, Istanbul, warum? Weil man es kann und weil es alle machen. Und wie blöd muß man eigentlich sein, jetzt aus unseren 37 Grad Hitze Land in Länder zu fliegen, in denen 45 Grad und mehr angesagt sind. Die Menschheit lernt nichts dazu. Vorhin war ein heftiges Gewitter, Sturzbäche sind über die ausgetrockneten Wiesen den Hügel hinuntergelaufen, nichts ist in die Erde gedrungen. Wann kapieren wir eigentlich, daß es nicht reicht, Insektenhotels aufzuhängen, wenn ringsrum alles verdorrt ist.

Trotz alledem muß man sich dringend „das Glücklichsein gestatten“, hat die Kraulquappe jetzt mal gesagt, wie Recht sie hat und gleich noch einen Spruch vom geliebten Bruce nachgeschickt: „Seid gut zueinander“! Ja, laßt es uns immer wieder versuchen!

Ich freu mich bald auf liebe Gäste, die brauchen nicht mal klopfen, weil die Türe schon weit auf ist für sie!

Ansonsten gilt:

Klopfet an, so wird euch aufgetan. (Lk 11/9)

 

 

9 Gedanken zu „#12 Klopfzeichen

  1. Die alten Fachwerkhäuser in den Hofschaften des Bergischen Landes tragen sie heute noch, hufeisenförmige Klopfer an grün gestrichenen Haustüren, TOCK TOCK TOCK, die in Vergessenheit geratene Autorität der alten Zeit.

    Was mich ratlos macht ist die Tatsache, dass der moderne Großstadttrottel das Drücken der elektr Klingel jederzeit der gusseisernen Variante (den Klopfer betätigen) vorzieht. Nur weil man den Klopper kaum noch kennt?

    Was gibts sonst noch zu mosern als halb auf dem Land, halb in der Stadt vegetierender Altautor: Herbstlaub wird nicht mehr wie früher mit dem Rechen zusammengekratzt (auch nervend auf Dauer), sondern mit dem zornig tobenden elektr. Laubbläser rüber zum Nachbarn getrötet. Am besten noch zur heiligen Mittagszeit, wenn sanft das Mittagswindchen ansteht.

    aus: tgl. Programmzettel Glumm (62)

    1. „… die in Vergessenheit geratene Autorität der alten Zeit.“
      Wunderbar! Genau dieser Satz hat noch gefehlt, um zu verstehen, was ich meine … vielen Dank lieber Andi!

  2. volle zustimmung zu allem, wir hatten fast 10 jahre unsere haustüre nur bei abwesenheit abgeschlossen, klappte prima auf dem dorf. ich gebe einen vertrauensvorschuß für meine mitmenschen. aber distanzlose menschen, die einfach in den hof kommen und ins fenster schauen blicke ich sehr böse an(sie sehen, es ist privat). meine sehnsucht nach einem miteinander, nach einsicht auch bei vielreisenden und technikfreunden/-innen ist groß. in meinem blog habe ich gerade darüber geschrieben.
    hab einen guten tag, lieben gruß, roswitha

  3. Hohohoho. Das mit dem Glas Milch is ja frech, auf dem eigenen Hof!

    Ich würde ein pampiges Schild aufstellen: Betteln und Hausieren verboten! Jetzt erst recht!

    Oder in die Bank schnitzen: Nur für Indigene! Geh weida!

    🙂

  4. „sich das glücklichsein gestatten“ – oh ja. das ist wichtig. und das geht auch, wenn man trotzdem rundherum nicht alles ausblendet. ja, wir müssen mehr tun. nicht einfach so weitermachen..?
    wir haben übrigens auch noch einen türklopfer an der haustür; (allerdings auch eine klingel), ist wirklich selten geworden. ich mag ihn aber. 🙂 klopfklopf.

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