StadtLandFluß (B)

Birke

Jetzt weint sie, das tun die Birken, wenn man sie anschneidet, jetzt im Frühling, wo sie im Saft stehen, sagt der Lieblingsnachbar, der einfach so kommt und uns hilft, mit der Wildnis fertig zu werden. Ein Birkenast, der ungünstig über die Straße hing, mußte abgesägt werden. Ja, sie weint, die Birke, nicht nur ein paar Tropfen, sondern Rotz und Wasser, in Strömen laufen die zuckersüßen Tränen aus der Stelle ihres abgetrennten Armes. Stundenlang hat sie geweint, dann wurde es weniger und dann tropften nur noch dicke, einzelne Tränen aus ihr heraus.

Der Herr Graugans hatte schreckliches Heimweh, und dann wurde er entlassen, weil die Behandlung in der Wundambulanz weitergeführt werden kann. Er darf sich nicht anstrengen und nicht mehr als fünf kg tragen, aber es geht ihm gut, die Heilung schreitet voran, in winzigen Schritten als Übungsaufgabe im zuversichtlichen Geduldhaben. Es wird Monate dauern und die Narbe im Bauch wird eine sensible Stelle bleiben. Ich denke viel an die japanische Kunst Kintsugi, wo die Bruchstellen eines Gefäßes zusammengefügt werden, aber nicht unsichtbar sein sollen wie gewohnt, sondern im Gegenteil, mit echten Goldblättern belegt werden. Der Riß, die Narbe, die Wunde, man soll sie sehen … sie wird hervorgehoben, in Gold getaucht.

Die Wunde zeigen und sie auch noch vergolden, was für eine Herausforderung in einer Welt, in der Krankheit verpönt ist und als persönliches Versagen gilt, dessen man sich schämt. Deshalb muß alles ersichtlich Kranke so schnell wie möglich weggemacht oder zumindest verborgen werden. Was wäre, wenn wir nicht nur Bruchstellen in Keramik vergolden täten, sondern auch unsere Wunden.

Zeige mir Deine Wunden…

Der persische Sufi-Meister und Mystiker Rumi  (1207-1273) soll gesagt haben:

„Die Wunde ist der Ort, wo das Licht in dich eintritt“.

Jetzt kommt Ostern und es geht wie jedes Jahr nicht darum, möglichst viel teueres Schokozeug zu kaufen, das es nach Ostern zu Schleuderpreisen geben wird, auch nicht  darum, das Haus zu putzen, sondern eher das Herz, damit Platz ist für die große Freude. Der Birke mußte großer Schmerz zugefügt werden, jetzt, am Anfang der Karwoche. Wenn das stimmt, was Rumi gesagt hat, dann wird durch die Wunde das Licht in sie hineinströmen.

Aus allen Wunden tropfen die Tränen und dann kommt das Licht und die Freude.

7 Gedanken zu „StadtLandFluß (B)

  1. Ich habe mal gelernt: die Birke ist das Schwein des Gartens und „frisst“ alles in sich hinein. Wenn man sie dann zur Unzeit schneidet, lässt sie alles wieder herauslaufen.
    Was haben wir als Jugendliche, unwissend wie wir waren, unsere dummen Witze dazu gemacht.
    Bis unsere Kinder beim Bauen eines Baumhauses einen armstarken alten Ast abbrachen. Sie mussten dann unter der Bruchstelle einen Zehnlitereimer unterstellen, der alle halbe Stunde vollgelaufen war. Mehrere Stunden lang. Das hat die Kinder damals schwer beeindruckt. Und mich erst Recht.
    Ich habe danach gelernt, was man wann pflanzt, sät, scheidet oder erntet. Es zahlt sich aus bis auf den heutigen Tag.

    Liebe Grüsse (und gute Besserung für den Genesenden)
    Robert

    1. DANKE!

      … ein jüdisches Sprichwort sagt:

      „Kein Ding ist ganzer
      denn ein gebrochen Herz.“

      Mit viellieben österlichen Grüßen
      aus dem Allgäu: Pega

  2. DANKE!

    … ein jüdisches Sprichwort sagt:

    „Kein Ding ist ganzer
    denn ein gebrochen Herz.“

    Mit viellieben österlichen Grüßen
    aus dem Allgäu: Pega

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