Am schönsten war es, als die Sonne hinter uns unterging und die Nacht langsam durch das Glasdach sickerte und herunter schwebte in dieses Stadion mit den 72000 Menschen. Und dann kam die Sichel des Mondes angeschwommen. Der Löwenmond, der Mond der reifenden Beeren, mein Mond, ist aufgegangen. Wir sitzen im Olympiastadion irgendwo auf den steilen Rängen auf einer Art flacher Plastikschüssel, entsetzlich unbequem. Mit den Knien am Genick des Mannes vor mir, die Knie des Hintermannes auf Tuchfühlung, eingepfercht und eingezwängt zwischen fremden Menschen, wie ich es sonst hasse, aber hier überwiegt diese Atmosphäre unter diesem Glasdach, für das keine Superlative ausreicht, so genial ist es, alles schwebt und die Farbkompositionen von Otl Aicher strahlen lichthelle Leichtigkeit aus, so, als könne man gleich abheben und mitsamt diesem Raumschiff in ungeahnte Fernen entschweben, durch Zeit und Raum über alle Horizonte hinweg und selbstverständlich auf den Schwingen der Musik, die für den nötigen Aufwind sorgt.
Verschwitzt nach Autofahrt und Radltransfer zum Stadion saßen wir da und ich mußte erstmal durchatmen und diese ganze Ausstrahlung von so vielen tausend Menschen ertragen, die von allen Seiten mir durch Mark und Bein ging. Wieviele wir doch sind, dachte ich. Und ich ein Mensch, ein Mensch unter vielen. Und dann dieses Konzert. Ein Rockkonzert vom Allerfeinsten. Musiker und Sängerinnen hatten dieses unverstellte Lächeln der Spielfreude auf den Gesichtern, egal wann die Kamera auf sie gerichtet war. Und Bruce Springsteen, was soll ich da noch sagen, was Unzählige nicht schon gesagt hätten. Ich mag ihn, weil von ihm einige der schönsten Songs, die ich kenne, stammen, mit dieser bitterzarten Poesie, in der das Leben, sein Leben mit allen Brüchen und Niederlagen aber auch das Immerwiederaufstehen mitschwingen. Ich mag auch sehr, wie er über die Bühne trottet, so ein Kerl aus diesem kleinen Küstennest, über das er in seiner Autobiographie liebevoll abfällig schreibt. Und was ich am liebsten mag, ist dieses Lachen, dieses unverwechselbare Lachen, das auch jederzeit ein paar Tränen mit sich trägt. Er ist keiner, der so tut, als wäre er noch jung. Er ist ein alter Mann, und das sieht man auch, das Leben hat Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, er schwitzt und atmet schwer, er macht wohltuend kaum Show, er steht da, hat die Gitarre in der Hand und macht das, was er sicher machen wird, bis er umfällt: Musik. Und es ist nicht nur das perfekt durchgeplante Programm, auch nicht nur diese schier unglaubliche Virtuosität aller Beteiligten, deren Soli das Stadion vibrieren ließen … es ist diese schon fast überirdische Leidenschaft, mit der sie Musik machen.Ob Bruce die alten Gassenhauer singt, bei denen immer noch alle aufspringen und tanzen, auch wenn wir uns kaum auf den Beinen halten konnten auf diesen schmalen Rängen … oder ob er diese leisen Balladen singt, die mir die Tränen in die Augen treiben … auch wenn man sieht, welchen Kraftakt er da leistet, drei Stunden ohne Pause, die Kraft, die alle mitreißt, ist diese leidenschaftliche Liebe zur Musik. Der Musik ists ja völlig wurscht, wie alt jemand ist, sie möchte sich einfach spielen.
Es war ein absolutes Erlebnis, dieses Konzert und wurde nicht geschmälert dadurch, daß mein Radl hinterher nur noch zum Schieben war und wir auch kein Licht mehr hatten. Heute gehe ich wie auf Wolken, schöner hätte mein Geburtstag nicht angespielt werden können. Auf die Frage der Kraulquappe, welche Lieblingslieder ich gestern hatte kann ich noch gar nicht viel antworten, nur daß ich geheult habe bei: Trapped und bei
Last Man Standing und ich glaube, mindestens das halbe Stadion hat Rotz und Wasser geheult bei : I’ll See You In my Dreams … ich auch.
Liebe Kraulquappe, Du hast mich ja, Lied für Lied zu Bruce hingelockt und jetzt , obwohl kein Hardcorefan, liebe ich ihn auch! Bin Dir sehr dankbar für Deine Hartnäckigkeit, REALLY!
Wow!!!!
Und am besten die Enden der ersten Abschnitte!
ja, wow. 🙂
… ist zwar nicht meine musik, und solche massen-events sind auch nicht meins – aber – du hast es so wunderbar nachfühlbar geschrieben, dass ich es vollkommen nachvollziehen kann, denn so habe ich auch schon manches (konzert) erlebt. gänsehaut. (es gab nach diesem konzert kritik an der organisation, wohl gut, dass ihr die letzte strecke mit dem rad zum stadion seid!)
danke fürs mitnehmen und eintauchen lassen.
Liebe Diana, vielen Dank für Deine Worte! Ich bin überhaupt kein Stadionmensch und ich hatte schon meine Mühe, die Energie, die von 60000 Menschen ausgeht, zu verkraften. Aber das Münchner Olympiastadion ist einfach schön, mit diesem Glasdach, das wie vom Himmel getragen scheint und Bruce Springsteen legte mit seiner Band einen Zauber über alles, den Zauber der Musik, der mich schweben ließ und glücklich machte. Die Organisation war perfekt, nirgendwo mußte man anstehen…natürlich bewegt man sich überall unter vielen Menschen, und es gibt auch Gedränge, aber irgendwo müssen soviele ja auch hinein und hinaus. Wir waren erstaunt, wie reibungslos alles funktioniert hat, zumindest vom Veranstalter. Ja, aber die Öffis waren wahrscheinlich ziemlich verstopft, das Radl mitzunehmen war eine gute Idee.
Tja. Wie das Leben so spielt: Der eine gewöhnt sich Bruce per Konzert ab un die andere per Konzert an.
Aber – schön beschrieben isses. Ich hatte diesen “Weihe-Moment“ glaub ich am ehesten bei Neil Young, auf der Chrome Dreams Zwo Tour.
“Ich hab ihn noch gesehen! ALIVE & in Spiellaune!“
Sozusagen.
Ich beglückwünsche dich zu deiner Zähigkeit, die Massen und die Lautstärke noch ertragen zu haben.
In dem Punkt bin ich als der jüngere der deutlich hinübere.