Archiv für den Tag: 15. Dezember 2018

24 T. – Mutmaßungen über das Deutschsein, Tag 15 #Herr Ärmel

Mutmaßungen über das Deutschsein? Das heißt, den Mut aufbringen und Maß anlegen. An das Deutschsein. Ist ein deutscher Mensch in erster Linie Mensch oder Deutscher. Zu fragen ist, ob deutschsein ein kultureller oder ein politischer Habitus sei. Oder beziehen sich derlei Vermessungen auf nationale Bewertungen oder Übereinstimmungen?
In meinen frühen Jahren endeten solche Fragen eher in Anmaßungen, allenfalls vorerwachsene Überheblichkeiten. Früher oder später spürt man das selbst aufgeladene Kreuz dort, wo man sich mächtig vermessen, verhoben hat.

Deutschsein. Die Zugehörigkeit zum dem Volk der Dichter & Denker.
Und ebenso gehört dazu – das Volk der Richter & Henker. Und nicht bloß in vergangenen Zeiten.

Was Deutschsein meinen kann, und das heißt für mich das kollektiv kulturelle Gemeinsame, das habe ich im eigentlichen Sinn erst als Deutscher im Ausland erkennen gelernt. Nicht als Urlauber oder Reisender, sondern als Deutscher, der in anderen Ländern und überdies in anderen Kulturkreisen gelebt und gearbeitet hat.

Da haben sich mir Unterschiede gezeigt, die sich im kollektiven Verhalten und Benehmen auffällig erkennen ließen. Unabhängig davon, ob es sich um einzeln auftretende Menschen oder Gruppen gehandelt hatte. Aus der großen Zahl der selbst erlebten Beispiele nenne ich lediglich einige wenige beliebig aus.

Was den deutschen Urlauber von den Urlaubern anderer Nationen unterscheidet, ist die weit verbreitete Angst im Urlaubsland allüberall über den Tisch gezogen zu werden. Deshalb ist der deutsche Urlauber über die Preise im Urlaubsland bereits im Voraus bestens informiert. Man kennt die besten Schnäppchenquellen. Und feilscht und schachert selbst dann noch, wenn den einheimischen Anbietern und Verkäufern die blanke Armut ins Gesicht geschrieben steht. Überhaupt das liebe Geld.
Bisher sind mir in Hotelanlagen oder Orten mit besonderen Sehenswürdigkeiten lediglich Deutsche begegnet; bewaffnet mit kleinen Kameras, detektivisch gebückt auf der Suche nach herumliegendem Schmutz oder Unrat. Damit lässt sich beim Reiseveranstalter eine nachträgliche Preissenkung durchdrücken. Notfalls auch mit Nachdruck, der Drohung einer Veröffentlichung im Internet.

Fast noch wichtiger scheint dem deutschen Touristen, nicht für einen Touristen gehalten zu werden. Deshalb wird fast fieberhaft nach Orten gesucht, an denen sich keine Touristen aufhalten. Nur um dort auf andere Touristen zu treffen. Kommt man dabei versehentlich Einheimischen näher als man sich selbst das wünscht in Kontakt, zieht das anschließend in aller Regel entsprechende Kommentare und Wertungen nach sich.

Andererseits gelten deutsche Menschen als die spendenfreudigsten weltweit. Egal ob ein Tsunami an fremden Gestaden eine Küste wegbeißt oder in Ouagadougou eine Heuschreckenfamilie vom Baum gefallen ist – enorme Geldmengen fließen sogleich nach dem ersten Spendenaufruf auf den öffentlich-rechtlichen Fernsehkanälen.

Und ich selbst. In Südamerika, Nordafrika oder Südosteuropa. Nicht ich wurde bewundert, sondern die Tatsache, dass ich Deutscher bin und dadurch vermutlich das Deutschsein verkörpert habe. Die bloße Erwähnung, Deutscher zu sein, war der Auslöser zu manchmal fast schon unangenehmen Lobesbezeugungen. Autos, Bach & Beethoven, strategisches Denken, Ehrlichkeit, Fußball, Goethe (in Südamerika hingegen Alexander von Humboldt), handwerkliches Können, Ingenieurskunst, Kultur, Perfektion, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Sparsamkeit, Zuverlässigkeit usw. usf. Ein Wunderland mit wunderbaren Menschen. So will es scheinen.

Seit drei Jahren lebe ich wieder in Deutschland. Und gedenke dies auch weiterhin so zu halten. Welche Gegensätze zu dem Bild, das viele Ausländer haben, erlebe ich hier im alltäglichen Leben. Das Genörgel über Kleinigkeiten, die Besserwisserei, die Unzufriedenheit und die konsumierende Völlerei bei gleichzeitiger Schnäppchenjägerei in vielen Bereichen.
 Die vorgenannten zahlreichen positiven Aspekte zum Deutschsein, die mir von Arbeitskollegen, Bekannten oder Freunden anderer Nationalitäten in vielen Kommentaren und Bemerkungen aufgezeigt worden sind, machen mir die hier im Land oft so aufdringlichen negativen Äußerungen klein.

Herr Ärmel für das 24 T. Projekt der Frau Graugans

Text: Herr Ärmel
Blog: Herr Ärmel: Immer horsche immer gugge