Fremder Mann…

Am Himmel Farbspuren von schlecht weggewischtem Blut, der Föhnwind , weich wie Samt macht wirr im Kopf und greift nach meiner Seele, die nicht weiß, wo hin mit sich, liebesbereit, einsam , glücklich und traurig, alles zugleich und alles schmerzt. Auf der Bundesstraße ein Höllenlärm. Am Himmel sausen die Flieger haarscharf am Mondsichelschiff vorbei, unendlich viele, die Menschen wollen weg, so schnell es geht und so weit weg wie nur möglich … kaum sind die Sterne noch zu erkennen. Einige meiner abendlichen Gäste kommen auch von weit her aus dem Land hinter den Sternen, werden sie die Laterne vor dem Haus überhaupt sehen können?

Auf dem  Tisch in der Stube steht die dampfende Hühnersuppe mit Nudeln, in der alten Suppenschüssel mit den blauen Punkten. Noch sind ein paar Plätze frei. Ich erwarte Großmutter Martha mit ihren beiden Töchtern, werden sie herfinden? Um sie festlich zu begrüßen, ziehe ich mein langes schwarzes Samtkleid mit den Sternen am Ausschnitt an. Die Kerzen brennen, die Gäste sind hungrig, die Stimmung wankt ein wenig ratlos vor sich hin, niemand außer mir möchte wohl gerne mit durchsichtigen Toten am Tisch sitzen und Suppe löffeln. Also vergessen wir sie, erzählen uns Geschichten, essen Suppe und hinterher den Seelenwecken (Hefezopf), probieren den neuen Apfelmost und der Abend vergeht .

Irgendwann nachts bin ich alleine und höre Musik.

 

Warum sind sie nicht gekommen? Ich hätte so gerne meine Großmutter gefragt, was damals wirklich passiert ist, und warum sie mit 28 Jahren gestorben ist. Denn es gibt zwei Geschichten darüber, welche ist wahr? Ist sie wirklich in einem dünnen Nachthemd mit Lungenentzündung und hohem Fieber im Winter mit dem Schlitten den Hügel runtergefahren, aus Ärger über den Vater ihrer beiden Kinder, den sie verdächtigte, bei einer anderen Frau zu sein? Geister einladen in der Seelennacht, um ihnen konkrete Fragen zu stellen, völlig absurd … sowas kannst nur du dir ausdenken … ja, nur ich. Die Membran zu anderen Welten sei dünn um diese Zeit, sagen die alten Kelten, man könne in Kontakt treten in einer Art Zwischenraum der Wirklichkeiten. Da ich schon manche Erlebnisse zwischen Himmel und Erde hatte, die ich vorher nie für möglich gehalten hätte, warum also nicht  zumindest innere Bilder, die Ahnung einer Begegnung zwischen drüben und hier.  Aber zu meinen, die Einladung hinaus ins große Unbekannte und das Licht von ein paar Kerzen würden ausreichen, um Wunder herzustellen, ist typisch für unsere Lebensweise. Alles muß möglichst schnell konsumierbar sein. Ich trinke paar Gläser Wein und sage mir, auch gut, dann will halt grad niemand kommen, es ist wie es ist.

Kater Herbert entrollt sich und beschließt, auf die Jagd zu gehen. Die Nacht ist lauwarm, ich stehe ein wenig herum und hebe mein Glas zum Himmel, seid mir gegrüßt dort draussen, bis auf ein nächstes Mal! Nach dem Löschen der Kerzen bleibe ich noch ein wenig sitzen und schaue einfach so vor mich hin und zur Stubentür. Ich habe das Gefühl, daß dort was ist … nein, natürlich ist dort gar nichts … aber es ist doch auch nicht nichts … Merkwürdig, diese Türe ist mir immer schon ein wenig unheimlich gewesen, keine Ahnung warum.

In meinen Kopf schiebt sich langsam das Bild von einem Menschen, groß, hager, dunkel gekleidet, von vorne, schaut er mich an? Ja, er schaut mich an, bleibt stehen, unbeweglich, sagt nichts. Keine Ahnung, wer das sein könnte, ein sehr ernster, eindringlicher Blick aus hellen Augen. Ich schalte den Fernseher ein und schaue einen Film an, der Mann in meinem Kopf und an der Stubentüre bleibt noch eine Weile, dann geht er hinaus, er dreht sich dabei aber nicht um, sondern geht langsam rückwärts hinaus und verschwindet.

Später, als ich die Stiege hoch gehe, sehe ich, daß von irgendwo im unergründlichen Sammelsurium alter Bücher etwas herausfällt. Eine Barytaufnahme, darauf: ein fremder Mann.

 

 

 

12 Gedanken zu „Fremder Mann…

  1. Du möchtest wissen, was mit der Großmutter war. Warum? Quält es dich oder bist du nur neugierig? Was geht dich ihre Wahrheit an? Wenn dich ihre Wahrheit angeht, wirst du auch eine Antwort finden. Die Verstorbenen sind auf eine andere Weise lebendig als wir. Ich habe den Eindruck, dass sie uns für töricht halten. Liebe Grüße.

    1. Das ist vergangen. Warum sie an Lungenentzündung gestorben ist?!
      Mein Vater fragte sich auch nach dem Tod meiner Mutter, was sie als Kind erlebt hatte. Eine Antwort gab es ja auch nicht während ihres Lebens.

      1. Ja, aber ich bin noch da und ich habe das ganz starke Gefühl, daß sie auch in mir weiterlebt … merkwürdig, wie erst jetzt im Älterwerden sich manche Fragen stellen und Verbindungen sich zeigen, die man ein Leben lang nicht gesehen hat.

    2. Liebe Gerda, seit einiger Zeit sehe ich mir öfters das einzige Bild meiner wunderschönen, vergessenen Großmutter an. Eine sehr junge Frau mit zwei kleinen Töchtern, wahrscheinlich kurz vor ihrem Tod. Ich habe nichts von ihr, außer zwei Geschichten und dieses Foto. Die Einladung war der Versuch einer späten Würdigung … ich möchte ihr die Ehre geben … denn ohne sie wäre ich nicht … wir sind Teil voneinander und ich glaube, Du hast Recht, ich werde eine Antwort finden.

  2. Fremder Mann … in Uniform. Herausgefallen aus welchem Buch? Titel? Eventuelle Randnotizen am Text? Wielange schon im Besitz der Family? Fragen über Fragen zu einem weiteren mystischen Highlighttext.
    Bin ja selber so ein familiärer „Altertumsforscher“, wie Vater zu sagen pflegt.
    Und jede Familie hat ihren Roman. Im Nachhinein; versteht sich. Als die Ereignisse aktuell waren, hätte man NICHT tauschen wollen. Aber Bescheidwissen will man. Ich zumindest. Bei meinen Vorkommentatoren scheint es ja weniger der Fall zu sein. Aber vielleicht ist es auch bei ihnen eher Resignation.

    1. … irgendwann wurde das Bild aus einem Rahmen herausgenommen und irgendwo zwischen ixbeliebige Bücher im Regal geschoben … keine Ahnung, ob er, ein offensichtlicher K. und K. – Hauptmann, zur Sippe meiner sudetendeutsch/österreichischen Mutter oder der verjagten Flüchtlingsgeschwister Ritz, die bei uns lebten, gehörte. Womöglich stammt das Bild auch aus den Nachlässen der Gräfin Schall oder einer Nachfahrin von Mendelsohn Bartholdy, die meine Eltern von irgendwoher nachhause transportierten, alles ist offen, alles ist Geheimnis… zumindest bis jetzt…
      Ich war mir so sicher, daß Du nachfragst! Ja, Du hast sooo Recht, jede Familie hat ihren Roman, leider schreiben ihn so wenige auf, manch einer könnt schreiben und es ist die Frage, warum er´s nicht tut!

      1. Da der Blick so überhaupt nichts hartes/kaltes Offiziersmäßiges an sich hat, sondern auf mich eher intelligent, offen, bissl schwärmerisch wirkt, und jahrzehntelang aufbewahrt wurde, noch dazu eher „versteckt“ und beschwiegen tipp ich mal auf – „Muttern“. Ihr Vater? Ihre erste Jugendschwärmerei? Der verschollene erste Mann in Theaterkostüm?

  3. Unsere Vorfahren kommen dann, wenn wir sie am wenigsten erwarten. Sprechen zu uns schweigend. Oder lächeln uns gütig an.

    Rückwärts gehend werden wir allenfalls die äussere Kruste ihres Lebens zu fassen bekommen. Und auch die sehen wir allenfalls durch eine kühle Nebelwand.
    Immerhin wabert in uns eine Menge von denen, die uns vorausgegangen sind.

    Aufschlussreich bzw. gewinnbringend für uns Jetzige ist wahrscheinlich die Frage nach den tieferen Antrieben unseres Wissenwollens. Da gibt es verschiedene Gründe. Und alle haben imho ihre Berechtigung.

    1. Ja, lieber Herr Ärmel, die Altvorderen kommen manchmal unerwartet und das schweigende Sprechen können sie gut, aber wir hören es nur, wenn wir uns in die zeitlose Zeit hineintrauen und den Mut zum Horchen haben.

  4. Es scheint, dass dann doch noch einer deiner Ahnen gekommen ist. Fremd ist er dir, fremd wird er bleiben, erst einmal.
    Wir können reisen und dann vielleicht die eine oder den anderen treffen, um mehr zu erfahren, ja, das geht! So traf ich einst eine sehr alte Ahnin, sie ist jetzt immer da.

    Die Suppe zu kochen, die Tafel festlich zu decken, die Kerzen anzuzünden und das schöne Sternenkleid anzuziehen, das ist so ein feines Ritual! Ich habe eine Kerze vor die Türe gestellt und ein wenig leise getrommelt, es war eine so stille Nacht, nur das Käuzchen hat wieder gerufen.

    Verbundene Grüße, Ulli

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